Blickpunkt Prozess

Bei einem sinnvollen Bewertungssystem der Reaktortemperierung steht die Sicherheit im Mittelpunkt. Die Sicherheit des Bedienpersonals ist oberstes Gebot. Zudem sind drei weitere wesentliche Kriterien zu betrachten: Prozesssicherheit, Investitionssicherheit und Bediensicherheit.


<h2>Prozesssicherheit</h2>
Bei der Temperierung von Reaktoren beeinflussen Materialart, Oberfläche, Wandstärke und Konstruktion des Reaktors die Ergebnisse erheblich. Der Anwender muss dabei immer für eine gute Durchmischung im Reaktor sorgen.
Das Temperiersystem darf maximal zulässige Druckwerte während des Betriebs keinesfalls überschreiten. Die maximal zulässige Temperaturdifferenz (Delta-T-Limit) beschreibt das Maximum zwischen den Temperaturen im Mantel und im Inneren des Reaktors. Am Temperiergerät sollten daher auch die Grenzwerte für Delta-T-Limit pro Zeiteinheit einzugeben sein.
Im Temperiersystem beeinflussen drei Komponenten die Prozesssicherheit: 
Wärmetauscher,
Pumpe,
Regelelektronik.
Die Temperierlösung muss die erforderlichen Kälte- und Heizleistungen liefern. Diese bestimmen auch, wie schnell die Sollwerte erreicht sind. Für die Ermittlung der benötigten Leistung sind die Masse des Temperierguts, erforderliche Temperaturunterschiede, Abkühl- oder Aufheizzeiten sowie die spezifische Wärmekapazität des Temperiermediums zu berücksichtigen: 
Q = (m · c · dT) · t—1 mit
Q = erforderliche Kälte-/Heizleistung in kW,
m = Materialmasse in kg,
c = spezifische Wärmekapazität (Wasser = 4,2; Ethanol = 2,5; Silikonöl = 1,8) in J·(kg·K)—1,
dT = erforderlicher Temperaturunterschied in K,
t = erwünschte Abkühl- bzw. Aufheizzeit in Sekunden.
Die im Temperiersystem integrierte Pumpe muss genügend Leistung liefern und hohe Durchflussraten bei gleich bleibendem Druck erzielen. Spezielle Temperiersysteme haben Pumpen, die Viskositätsänderungen des Temperiermediums selbsttätig dynamisch ausgleichen. Magnetgekoppelte Pumpen gewährleisten einen hydraulisch dichten Kühlkreislauf.
Die Regelelektronik im Temperiersystem sollte permanent den Prozess im Reaktor und die internen Prozesse im System überwachen und kontrollieren. Ein Kriterium zur Bewertung der Regelelektronik ist der Aufwand für das Parametrieren. Idealerweise gibt der Anwender lediglich einen Sollwert ein. Während des Temperiervorgangs sorgt dann die Regelelektronik selbstoptimierend für die richtigen Ergebnisse.
Geräteinterne Expansionsgefäße müssen ausreichend groß dimensioniert sein. Um deren Größe festzulegen, muss zunächst der Ausdehnungskoeffizient des eingesetzten Temperiermediums bekannt sein. In Abhängigkeit von der Menge des Mediums innerhalb der Applikation und von den Arbeitstemperaturen, kann der Anwender dann die jeweilige Ausdehnung ermitteln und mit dem verfügbaren Volumen im Expansionsgefäß abgleichen. Zusätzlich sollte eine separate Kühlung des Expansionsgefäßes dafür sorgen, dass sich das Temperiergerät selbst nicht zu stark erhitzt und somit keine Verletzungsgefahren für Anwender birgt.
Ein Temperiersystem sollte auch bei Umgebungstemperaturen über 35 °C zuverlässig arbeiten, denn diese liegt nur selten bei genau 20 °C.


<h2>Investitionssicherheit</h2>
Ein dynamisches Temperiersystem bedeutet zwar eine beträchtliche Investition. Die Kosten für Reaktoranlage und Temperiergut können aber noch deutlich darüber liegen. Daher zählt bei der Auswahl eines Temperiersystems immer der Schutz der Anlage und des Temperierguts.
Die Pumpen im Temperiersystem sollten Drücke kontrolliert aufbauen. Selbstschmierende Pumpen arbeiten verschleißfrei und bedeuten weniger Wartungsfälle, Folgekosten und Ausfallzeiten.
Ein großer Arbeitstemperaturbereich bedeutet Flexibilität, zum Beispiel wenn mehrere Versuchsreihen in kurzen Zeitabständen und mit unterschiedlichen Temperaturen mit ein und demselben Gerät zu fahren sind. Luftgekühlte Geräte sparen Kühlwasser.
Nicht monetär messbar und trotzdem ein Vorteil kann der Raumgewinn sein. Es ist dabei nicht nur die reine Stellfläche interessant, sondern auch der Platzbedarf für Anschlüsse sowie für Zu- und Abluft. Raumoptimiert sind Anschlüsse maximal an Vorder- und Rückseite sowie Lüftungsschlitze.
Letztendlich muss auch der Anwender einen Beitrag leisten, zum Beispiel durch vorbeugende Wartung.


<h2>Bediensicherheit</h2>
Die Bediensicherheit verantwortet grundsätzlich der Betreiber der Anlage. Dennoch unterstützen anspruchsvolle Temperiersysteme die Anwender bei Installation, Inbetriebnahme und im Laboralltag. Dazu gehören Displays, die alle wichtigen Informationen übersichtlich sowie Hinweise im Klartext darstellen. Eine Touchfunktion erleichtert die Bedienung.
Mehrere Nutzerebenen mit Passwörtern verbessern die Verwaltung. Über Standardschnittstellen wie Ethernet oder USB können Anwender aus der Ferne auf alle Funktionen des Systems zuzugreifen.
Gängige Praxis sind Versuchsreihen unter exakt gleichen Temperierbedingungen oder Wiederholungen mit genau den gleichen Regelparametern nach Fehlversuchen. Eindeutige Reproduzierbarkeit und Versuchsdokumentationen sollte ein Temperiersystem durch entsprechende Funktionen bereithalten.
Thomas Pohl ist Marketing Communications Manager bei Julabo, Seelbach. <a href="mailto:info@julabo.de">info@julabo.de</a>


<h2>Literatur</h2>
Das vollständige Whitepaper zur Reaktortemperierung und Checklisten zur Bewertung einer optimalen Temperierlösung unter:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://delivr.com/2tswc" target="_blank">http://delivr.com/2tswc</a></ext-link> und <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://www.julabo.de/sites/default/files/Downloads/News/Whitepaper-Optimale-Temperierloesung.pdf" target="_blank">http://www.julabo.de/sites/default/files/Downloads/News/Whitepaper-Optimale-Temperierloesung.pdf</a></ext-link>

Artikel

Die Temperatur im Reaktor

Nachrichten aus der Chemie: Was bedeutet für Sie Social Chemistry?
Jutta Velhagen: Social Chemistry ist alles, was in der Chemie mit sozialen Aspekten zu tun hat, sei es im Vertrieb oder Marketing, im Service, in der Personalabteilung oder in der Forschung. Wo immer die Zusammenarbeit in Teams oder die Kommunikation nach außen wichtig ist, ist Social Chemistry gefragt.
Julian Valkieser: Auch wenn ich damit ein Fass aufmache — ich behaupte, dass die Chemiebranche recht konservativ ist, und da ist bei Social Media noch viel zu tun.
Nachrichten: Was wäre das zum Beispiel?
Valkieser: Um Social Chemistry zu erreichen, muss es mehr Kommunikation geben, mehr Korrespondenz. Und das geht einfach übers Internet. Unter dem Schlagwort Social Media verstehe ich: stark sein in Sachen Kommunikation.
Katrin Schuhen: Genau das macht unser Crosslinkedlab aus: Wir wollen die traditionellen Strukturen mit Innovation und Interaktion verknüpfen.
Nachrichten: Wie nutzen Chemiker Social Media?
Valkieser: Ich würde Chemiker als verschlossen bezeichnen, Maschinenbauer sind übrigens genauso: sehr überlegend, was sie preisgeben und was nicht. Deshalb ist Transparenz bei den Social-Media-Angeboten wichtig. Man kann in der Chemie nicht einfach eine Plattform eröffnen, ohne sich mit der Frage “Wem gebe ich Informationen preis” zu beschäftigen. Der Nutzer muss genau wissen, welche Gruppen sein Posting bekommen. Das ist total wichtig.
Velhagen: Ich empfinde die Chemie auch als sehr konservativ. Ich sehe ja, wie aktiv die Chemie in sozialen Kanälen wie Linked In oder Xing ist: kaum. Man trifft da meist die IT-ler, weniger die für das Geschäft Verantwortlichen. Das soziale Netzwerk kann viel intensiver genutzt werden: gewinnbringend für Kunden, Partner und die eigenen Mitarbeiter.
Schuhen: Chemiker müssen angeleitet werden, um Social Media zu nutzen. Wenn sie die Sicherheitsrisiken und -optionen kennen, wenn sie wissen, welchen IP-Standard die Plattform hat, wie der Schutz von Intellectual Property im Netzwerk verankert ist, dann sind Chemiker dabei.
Nachrichten: Sind Chemiker denn anders als andere Berufsgruppen?
Schuhen: Sie benötigen eine andere, speziellere Form der Social-Media-Verankerung im Berufsleben. Das Crosslinkedlab ist ein erster Schritt, um Chemiker bereits früh in Schule, Studium und Ausbildung zu schulen, sie zu vernetzen und Ideen zu bündeln. Chemiker sind ja durchaus schon in Facebook, Xing und Linked In — nur, sie fischen dort noch ein bisschen im Trüben.
Nachrichten: Ist es also Zufall, wenn ein Chemiker mal einen Fang macht? Warten Sie auf Zufälle?
Schuhen: Nein, ich warte nicht. Wir sind Macher in unserer Arbeitsgruppe. Wir haben fixe Ideen im Kopf und setzen sie um. Wir betreiben nicht nur wilde Gedankenspiele, wir sind wirklich die Macher, die versuchen, das Ganze in die Tat umzusetzen.
Velhagen: Da schließe ich mich an. Wir sind auch Macher. Das müssen wir aber auch sein, weil wir ja innovative Plattformen zur Verfügung stellen, die den Stand der Technik widerspiegeln, bei Social- wie bei Mobile-Aspekten.
Nachrichten: Warten Sie auf Zufälle, Herr Valkieser?
Valkieser: Ja, aber aktiv. Sonst hätte ich nicht beim Wettbewerb mitgemacht. Ich glaube, was auch gerade für Social Chemistry wichtig ist: Zufälle sind auch Futter für Innovationen. Wenn der Controller mit dem Chemiker zusammenkommt, dann kann da ein interessantes Gespräch entstehen. Einen solchen Zufall kann man mit Social Media provozieren.
Velhagen: Wenn man hinter die Kulissen guckt, nutzen Unternehmen Social Media intern schon unheimlich viel. Wir erleben — hoffentlich —, dass die Chemie dies zeitnah aufgreift, denn durch diese enge Zusammenarbeit findet Wissenstransfer statt. Dann ist es eben kein Zufall, dann kommt Wissen aus allen Ecken, und es entwickelt sich etwas Neues.


<h2>Soziale Medien in der Chemieindustrie – die Gewinner</h2>
Noch nicht viele Chemieunternehmen nutzen soziale Medien wie Xing und Twitter. So organisierte die GDCh-Sektion Vereinigung für Chemie und Wirtschaft einen Ideenwettbewerb dazu und präsentierte die drei besten Vorschläge auf ihrer Jahreskonferenz.
Den ersten Preis erhielt die Diplominformatikerin Jutta Velhagen für das Unternehmen Salesforce, in dem sie für die Chemiebranche zuständig ist. Auf den Wettbewerb aufmerksam geworden war sie durch ihren Kunden Bayer. Sie beteiligte sich, weil “Salesforce das Thema Social in der DNA hat. Alles, was wir machen an Software, an Lösungen ist im Zusammenhang mit Social-Aspekten zu sehen.” Ihr Konzept “Social Customer Channels / Communities im Service = LIKE” zeige, wie Chemieunternehmen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter in den Kundenservice einbinden und damit optimieren können. Über Social Channels lässt sich beispielsweise der telefonische Kundenservice reduzieren; Social Customer Communities stärken die Zusammenarbeit zwischen Kunde, Service- und Vertriebspartner.
Den zweiten Platz belegte der angehende Wirtschaftsingenieur Julian Valkieser, Betreiber des Blogs <a href="https://startupscout.tv" target="_blank">startupscout.tv</a>. Er erfuhr während seines Praktikums bei Evonik von dem Wettbewerb und sieht sich als “Kommunikations- und Marketingmensch”. Dabei ist Social Media ein Standardwerkzeug für ihn. Sein Ansatz “Chemistry Connect — Jedes Projekt ist wertvoll” vernetzt Wissensträger und Investoren.
Dritte wurde Katrin Schuhen, Juniorprofessorin für organische und ökologische Chemie an der Universität Koblenz-Landau. Ihr Projekt “Das Social Media Lab (Elab//Crosslinkedlab)” vernetzt Lehre mit Forschung und verbindet Studenten sowie Dozenten mit Bausteinen wie der Datenbank MTED [Nachr. Chem. 2013, 61, 41], dem Social Media Classroom, einem Online-Lexikon und einem elektronischen Laborjournal. Schuhen beteiligte sich am Wettbewerb aus “reinem Interesse an Social Media.” Sie sagt: “Unser Arbeitskreis beschäftigt sich schon seit einiger Zeit damit. Als die Information über den Wettbewerb von der GDCh kam, wusste ich: Jetzt ist es Zeit, dass wir unsere Arbeit nach außen projizieren.”


<h2>IG BCE will 5,5 % mehr</h2>
Im Rahmen der Chemietarifrunde 2014 fordert die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ein Plus von 5,5 % beim Entgelt der etwa 55 000 Beschäftigten und von 60 Euro bei den Vergütungen der Auszubildenden. Der im Gewerkschaftsvorstand für Tarifpolitik verantwortliche Peter Hausmann sagt: “In den Chefetagen der Chemieindustrie wird gejammert, doch die Schwarzmalerei entspricht nicht der Lage. Die Konjunktur zieht an, die Erwartungen sind auf dem höchsten Stand seit Frühjahr 2011.”
Zudem will die IG BCE weiterhin Ausbildungsplätze sichern und nun auch die Übernahmesituation der Auszubildenden verbessern. Obwohl die Zahlen der Schulabgänger sanken, stockte die Chemiebranche die Zahl der Ausbildungsplätze seit dem Jahr 2003 um mehr als 10 % auf. Allerdings erhält nur etwa ein Drittel der Ausgelernten einen unbefristeten Anschlussvertrag.


<h2>VCI: Energiewende ja, aber</h2>
Die Mehrheit (77 %) der Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik, Behörden, Wissenschaft und Medien in Deutschland will die Energiewende. Politische Priorität räumen ihr aber nur 8 % der Manager ein. Vorrangig erachten sie die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen (22 %), die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland (22 %), die Grundsicherung von Löhnen und Renten (20 %), die Konsolidierung des Staatshaushalts (11 %) sowie die Klimaschutzaktivitäten (10 %). Das ergab eine vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) beauftragte Umfrage unter 700 Führungskräften. Zirka 60 % der Befragten befürworten zudem, dass energieintensive, international agierende Unternehmen auch künftig bei den Stromkosten entlastet werden.
Claudia Schierloh, Frankfurt am Main

“Den Zufall provozieren”

Weltweit, jedoch vor allem in Asien werden Gesetzgebungen zum Chemikalienrecht überarbeitet oder neue Regularien implementiert. Um den Schutz des Menschen und der Umwelt vor unerwünschten Nebenwirkungen beim Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten, ergeben sich in vielen Fällen neue Pflichten für Hersteller und Importeure von chemischen Produkten.
Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien vereinheitlicht das global harmonisierte System (Globally Harmonized System for Classification and Labeling of Chemicals and Mixtures, GHS) in verschiedenen Ländern [Nachr. Chem. 2011, 59, 860]. Dagegen weisen die Gesetzgebungen zur Registrierung von Chemikalien zahlreiche Unterschiede auf. Diese betreffen beispielsweise den Geltungsbereich, die Datenanforderungen sowie die Pflicht zur Erstellung einer Risikobewertung.
Das korrekte und zeitgerechte Umgehen mit diesen neuen Anforderungen stellt nicht nur, aber vor allem kleinere Firmen ohne eigenes regulatorisches Know-how vor Schwierigkeiten. Diese können im ungünstigen Fall den Marktzugang verzögern oder gar abbrechen.


<h2>Regulierungen für Neustoffe</h2>
Viele Staaten unterscheiden zwischen Alt- und Neustoffen. Alle Stoffe, die im jeweiligen nationalen Chemikalieninventar gelistet sind, gelten dabei als Altstoffe. Chemikalieninventare sind neben dem europäischen Einecs beispielsweise das US-amerikanische TSCA inventory, das kanadische DSL, das australische AICS, das chinesische IECSC, das südkoreanische KECL, das japanische ENCS und das philippinische PICCS. Die Zahl der Stoffe in diesen Inventaren reicht von einigen 1000 bis über 100 000 (Einecs).
Altstoffe dürfen in der Regel ohne regulatorischen Aufwand im jeweiligen Land hergestellt oder in dieses importiert werden — vorausgesetzt, dass Vorschriften beachtet werden, die aus anderen Regularien wie Transportrecht und Arbeitsschutz resultieren. Stoffe hingegen, die nicht gelistet sind, gelten als Neustoffe. Sie müssen vor dem ersten Inverkehrbringen mit oft erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand für Studien und Dossiers registriert werden. Ein und derselbe Stoff gilt also in manchen Ländern als Altstoff und darf somit hergestellt sowie importiert werden, während er in anderen als Neustoff mehr oder weniger aufwendig — und zwar vor dem ersten Inverkehrbringen — zu registrieren ist.
Als Konsequenz muss sich jeder Exporteur rechtzeitig informieren, welches die relevanten Chemikalieninventare sind und ob der betreffende Stoff dort bereits gelistet ist. Hier ist eine enge Abstimmung zwischen den Akteuren aus Verkauf und Produktsicherheit sowie Regulatorik notwendig, um in den Zielmärkten nicht gegen ein Chemikalienrecht zu verstoßen. Dies kann neben einem nicht zu unterschätzenden Imageschaden empfindliche Strafen nach sich ziehen.


<h2>Regulierungen für gefährliche Stoffe</h2>
Es gibt auch neue Gesetzgebungen für gefährliche Stoffe, und zwar unabhängig davon, ob Alt- oder Neustoffe. Beispiele dafür sind das chinesische Decree 591, das erst vor kurzem verabschiedete Korea-Reach (Act on the Registration and Evaluation of Chemical Substance) und das Environmentally Hazardous Substances Notification and Registration Scheme (EHSNR) in Malaysia.
Die europäische Umsetzung des GHS, die EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (regulation on classification, labelling and packaging of substances and mixtures, CLP) definiert einen gefährlichen Stoff einheitlich. Leider gilt dies nicht überall auf der Welt. Manchmal sind nur die Einstufungen für einen Teilbereich (beispielsweise nur für die Umwelt) ausschlaggebend. Es ist daher nicht immer einfach, zu entscheiden, ob ein bestimmter Stoff von der Gesetzgebung betroffen ist oder nicht.


<h2>Datenanforderungen und -akzeptanz</h2>
 Die regional unterschiedlichen Datenanforderungen erschweren eine multinationale Registrierung von Chemikalien in Asien, vor allem im niedrigsten Tonnageband von ein bis zehn Tonnen pro Jahr. Hier gehen die Datenanforderungen zum Beispiel in China deutlich über das hinaus, was die EU unter Reach verlangt (Tabelle). Das gilt sowohl für den Umweltbereich, wo zusätzlich ein Fischtest, ein Regenwurmtest und ein Test auf Belebtschlammhemmung vorzulegen sind, als auch für die Toxikologie. Hier müssen neben der oralen Toxizität auch die dermale oder inhalative Toxizität als zweite Expositionsroute untersucht werden. Hinzu kommt ein teurer und zeitaufwendiger Test auf Toxizität bei wiederholter Verabreichung (28-Tage-Test, OECD 407: repeated dose 28-d oral toxicity study).
Ein Reach-Datensatz nach Annex VII ist also nicht ausreichend für den Export nach Asien. Obwohl die Stoffe im gleichen Tonnageband sind, sind weitere Datenanforderungen zu erfüllen. So akzeptiert China nicht alle für Reach durchgeführten Studien. Vielmehr müssen zum Beispiel der Fischtest und der Test auf biologische Abbaubarkeit in China durchgeführt werden. Korea wiederum akzeptiert die in China durchgeführten Studien nicht. Auch Japan besteht in der Regel darauf, dass der Test auf biologische Abbaubarkeit in Japan durchgeführt wird.
Zwar existiert OECD-weit prinzipiell ein Abkommen zur gegenseitigen Akzeptanz der Daten (mutual acceptance of data, MAD). Demnach sollen Studien, die nach der korrekten OECD-Richtlinie und entsprechend der Guten Laborpraxis (Good Laboratory Practice, GLP) durchgeführt wurden, prinzipiell untereinander anerkannt werden. Aber manche Zielmärkte sind nicht OECD-Mitglied, haben noch keine GLP-Standards implementiert oder haben andere Gründe von diesem Ansatz abzuweichen.
Ein Problem bei höheren Tonnagen von mehr als 100 Tonnen pro Jahr ist zudem, dass in Asien — anders als unter Reach — grundsätzlich nicht zunächst Testvorschläge eingereicht werden können, zu denen die Behörden dann Stellung nehmen. Vielmehr muss der gesamte erforderliche Datensatz vor dem ersten Inverkehrbringen eingereicht sein. Dies kann die Vermarktbarkeit eines Stoffes um viele Monate verzögern.


<h2>Fazit</h2>
Der asiatische Markt bietet den Herstellern von Chemikalien viele Chancen, erfordert aber einen gewissen Weitblick und genaue Kenntnisse des regulatorischen Umfelds. Betroffene Unternehmen sollten sich rechtzeitig über die relevanten Chemikalieninventare informieren und den Status ihrer Stoffe überprüfen. Sollte eine Registrierung notwendig werden, ist eine sorgfältige Studienplanung notwendig, welche die nationalen Besonderheiten bezüglich der Datenanforderungen berücksichtigt. Dies vermeidet unnötige oder nicht verwertbare Studien, die den Geschäftserfolg in Asien gefährden könnten.
Michael Cleuvers studierte Biologie in Aachen und promovierte dort. Er ist Managing Director Industrial Chemicals &amp; Biocides bei Dr. Knoell Consult in Leverkusen. Über Chemikalienregulierung in Asien spricht Cleuvers während der 7. Jahrestagung “Produktsicherheit in der chemischen Industrie” der Chemacademy am 20. Januar in Köln. <a href="mailto:mcleuvers@knoell.com">mcleuvers@knoell.com</a>

Regulierung in Asien

Prof.Dr.-Ing.

Die Fundamentalsätze der Wirtschaft gelten im Gegensatz zu denen der Naturwissenschaften als rein empirisch. Funktioniert etwas nicht so, wie im Modell vorgesehen, spricht die Wirtschaft vom “Marktversagen”. Dies ist der Fall, wenn die empirische Regel, nach der Angebot und Nachfrage den Marktpreis bestimmen, nicht gilt. Würde diese Regel gelten, sollten die Preise steigen, wenn Angebotsmangel herrscht, und fallen, wenn Überschuss vorhanden ist. Spräche die Chemie oder Physik vom Versagen des Massenerhaltungssatzes, wäre weltweites Gelächter die Folge. Doch bei den Massen- und Finanzströmen lebenswichtiger Rohstoffe scheint das anders.


<h2>Der ideale Markt</h2>
Commodities wie Seltene Erden und Kupfer werden auf dem Spotmarkt (sofort) und auf dem Futuresmarkt (auf Liefertermin) gehandelt. Futures und Optionen sind Preissicherungsgeschäfte und sinnvoll für Verkäufer wie Käufer. Neben der Preissicherheit erhalten damit Verkäufer eine Abnahme- und Käufer eine Liefersicherheit. Ein solcher Handel ist für beide eine Win-win-Situation und ein Gleichgewicht wäre schnell gefunden. Der reale Markt sieht jedoch anders aus.


<h2>Knappe Metalle mit chaotischen Preisen</h2>
Auf den Rohstoffmärkten fluktuieren die Preise seit dem Börsencrash im Jahr 2009 immer mehr. Schwankungen von tausend Prozent sind keine Seltenheit (Tabelle 1). Die Preisausschläge in den zeitlichen Charts ähneln einem chaotischen physikalischen System.
Strategisch wichtige Metalle wie Seltene Erden haben einen intransparenten Markt, und die Preisbildung ist gekennzeichnet durch politische Einflüsse der Besitzerstaaten. Der alte Fundamentalsatz der Betriebswirtschaftslehre, wonach eine Bündelung der Nachfragemacht den Einkaufspreis reduziert, funktioniert also hier nicht. Denn wenn 90 Prozent der derzeit abbaufähigen Ressourcen sich in China befinden, ist die Verhandlungsmacht der Käufer eine reine Papiergröße. Wenn viele Habenichtse ihren Mangel bündeln, bleibt am Ende nichts als großer Mangel. Entsprechend sind die Preise explodiert.
Bei Seltenen Erden sind Mengenbilanzen und Stoffströme so gut wie nicht ermittelbar, weil über Schwarzmärkte, geheime Lager und Handelshäuser in der Regel wenig Information verfügbar ist. Während hier die Preisfindung kaum nachvollziehbar ist, sollte sie für den Rohstoffhandel an öffentlichen Börsen transparenter sein. Dem ist leider ganz und gar nicht so.


<h2>Verwirrendes Kupfer</h2>
Der Handel mit Kupfer [Nachr. Chem. 2013, 61, 1212] an den Commodity Exchange Börsen zeigt verwirrende Bilder. Kupfer hatte in den letzten zehn Jahren einen bis auf wenige tausend Tonnen ausgeglichenen Markt: Die Minen produzierten fast so viel, wie der Markt brauchte. Die Differenz deckten Recyclingmaterialien und Lagerbestände (Tabelle 2). Es waren also nur geringe Preisausschläge zu erwarten.
Im Gegensatz zum Modell zeigt das reale Langfristchart von Kupfer ab dem Jahr 2009 extreme Preisausschläge trotz ausreichend vorhandener Mengen: Die Abbildung berücksichtigt die größten Umschlags- und Lagerorte, nämlich London, New York und Schanghai; private Lager sind nicht erfasst. In der Zeit von 2009 bis 2013 gab es Lagerbestände von durchschnittlich etwa 0,6 Mio. Tonnen Kupfer. Dies ist ungefähr dreimal so viel wie zwischen 2005 und 2008 — bei ebenfalls ausgeglichenem Angebots-Nachfrageverhältnis. Trotzdem überstiegen die Preise im Jahr 2011 die von 2005 bis 2008.
Eine empirische Regel besagt, dass die heutigen Börsenkurse künftige Marktentwicklungen vorwegnehmen. Im Jahr 2009 gab es jedoch keine Hinweise darauf, dass sich der Kupferverbrauch im folgenden Jahr verdreifachen sollte. Dies hätte theoretisch die enorme Preiserhöhung erklären können. Allerdings lässt sich die weltweite Verarbeitungskapazität technisch nicht innerhalb weniger Monate vervielfachen. Andere Industriemetalle — vor allem Aluminium — zeigen ähnliche Effekte.


<h2>Die 23-fache Jahresprodution</h2>
Allein in London wurden im Jahr 2012 etwa 38,5 Mio. Lots Kupfer gehandelt. Da ein Lot die standardisierte Kontraktmenge von 25 Tonnen enthält, ergibt sich eine theoretische Handelsmenge von 962 Mio. Tonnen. Selbst, wenn man diese Zahl durch zwei dividiert, weil einem Austausch jeweils ein Verkaufs- und ein Kaufkontrakt zugrunde liegen, ergäbe dies eine Menge von etwa 460 Mio. Tonnen, also das 23-fache der Jahresweltproduktion.


<h2>Virtueller Handel</h2>
Die Diskrepanz zwischen Produktion und Handel lässt sich nur durch Spekulation und Leerverkäufe erklären — einen Handel mit heißer Luft, einen Handel zwischen Marktakteuren, die das Material weder erzeugen noch verbrauchen. Die Spekulanten und Investmentbanker behaupten, dass dieser virtuelle Handel die Preise in der Realwirtschaft nicht beeinflusse. Wenn dem so wäre, sähe das Preischart jedoch anders aus.
Eine plausible Erklärung für die trotzdem steigenden Preise haben die Spekulanten nicht. Der Markt werde es schon wieder richten, denn der habe immer Recht.
 “Der Markt” — das erinnert an die Theorie des Phlogistons, oder ist dies möglicherweise ein Nachweis für die “unsichtbare Hand” von Adam Smith, die im Metallmarkt mitmischt? Sichtbar ist auf jeden Fall eines, nämlich der Schaden für die Realwirtschaft durch irrationale Preise.
Rolf Jakobi, Zürich, betreut eine Forschungsgruppe zu Rohstoffmärkten an der Fernfachhochschule der Schweiz und der Hochschule Ludwigshafen. Er studierte Chemie und promovierte am Deutschen Kunststoffinstitut in Darmstadt. Seit dem Jahr 1995 hat er eine Professur für internationales Management inne. <a href="mailto:ro-jakobi@bluewin.ch">ro-jakobi@bluewin.ch</a>



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1 

 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://institut-seltene-erden.org" target="_blank">http://institut-seltene-erden.org</a></ext-link>.
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2 

 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.lme.com/metals/non-ferrous/copper/" target="_blank">www.lme.com/metals/non-ferrous/copper/</a></ext-link>
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3 

 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.finanzen.net/rohstoffe/kupferpreis" target="_blank">www.finanzen.net/rohstoffe/kupferpreis</a></ext-link>
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4 

 K. Otzen, VDI Nachrichten 30.08.2013.
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5 

 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.minesandcommunities.org" target="_blank">www.minesandcommunities.org</a></ext-link>
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6 

 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://agmetalminer.com/2011/04/04/whats-in-store-for-copper-simon-hunt-weighs-in/" target="_blank">http://agmetalminer.com/2011/04/04/whats-in-store-for-copper-simon-hunt-weighs-in/</a></ext-link>
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Rohstoffmärkte — Handel mit Kupfer und heißer Luft?

Mit “vorsichtigem Optimismus” blickt die deutsche chemische Industrie nach vorn. “Die Mehrheit der Unternehmen rechnet”, sagt VCI-Präsident Karl-Ludwig Kley, “in den kommenden Monaten mit einer Belebung des Chemiegeschäfts.” Kley stellt sich auf ein weiterhin niedriges Wachstum in Europa ein. In den USA werden das Ende des Haushaltsstreits, die expansive Geldpolitik und das billige Schiefergas weiter “das Wachstum beflügeln”. Aus den Schwellenländern Asiens und Südamerikas erwartet die deutsche Chemie geringere Wachstumsimpulse als in den vergangenen Jahren; im Binnenmarkt sollte die Konjunktur dagegen “mehr Fahrt aufnehmen”. Dabei will die Chemie aus ihrem starken Netzwerk und aus ihren Exporten Vorteile ziehen.
In Zahlen erwarten die Mitgliedsfirmen des VCI im Jahr 2014, dass die Produktion um 2 % steigt und die Preise um 0,5 % sinken. Am Exportüberschuss der Chemie (54 Mrd. Euro im vergangenen Jahr) wird sich nichts ändern. Der Wert der Exporte lag bei 165 Mrd Euro (+2 % gegenüber 2012), während die Importe bei 111 Mrd. Euro stagnierten.
Der Außenhandelsüberschuss der Chemie könnte dazu beitragen, dass die EU-Kommission Sanktionen in Milliardenhöhe verhängt, weil sie im Industrienetzwerk zum Leistungsüberschuss Deutschlands beiträgt, der nach Ansicht der EU die Stabilität in Europa gefährden könnte.


<h2>Styrol legt zu</h2>
China und Südamerika produzieren und verbrauchen mehr.
Der globale Styrolmarkt betrug im Jahr 2012 etwa 41,8 Mrd. US-Dollar. Die Polystyrolherstellung war mit etwa 40 % der wichtigste Absatzmarkt, der um ungefähr 2 % jährlich zulegen wird. Der zweitwichtigste Absatzmarkt ist expandierbares Polystyrol (EPS) wie in Dämmstoffen. EPS und ein weiterer großer Posten, Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) für die Automobil- und Elektronikindustrie, werden bis zum Jahr 2020 um etwa 4 % pro Jahr zunehmen. Weitere Anwendungen für Styrol sind Butadien-Kautschuk (SBR), Styrol-Butadien-Latex (SBL) und ungesättigte Polyesterharze (UPR).
Hohes Verbrauchspotenzial ist in Schwellenländern mit hohem Wirtschaftswachstum und steigenden Einkommen vorhanden. Die Rahmenbedingungen ziehen Investoren für die Styrol nachgelagerten Industrien an. So wuchs in China in den vergangenen acht Jahren der Styrolverbrauch um fast 10 % pro Jahr. Damit ist China mit einem Anteil von knapp 32 % der weltweit größte Verbraucher. Es folgen die USA, wo der Verbrauch um etwa 2 % pro Jahr sank. Die höchsten Wachstumsraten erwarten die Analysten von Ceresana in Südamerika und im Nahen Osten. Die südamerikanische Produktion wird um durchschnittlich 13 % pro Jahr steigen.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://www.ceresana.com/de/Marktstudien/Chemikalien/Styrol" target="_blank">http://www.ceresana.com/de/Marktstudien/Chemikalien/Styrol</a></ext-link>


<h2>Agrochemikalien</h2>
Mehr als 850 Unternehmen stellen in China etwa 1100 verschiedene Agrochemikalien her. Die damit genutzte landwirtschaftliche Fläche beträgt etwa zehn Millionen Hektar. Der Marktwert bioorganischer, mikrobiologisch aufgewerteter und anderer bioaktiver Düngemittel beträgt etwa 10 Mrd. Yuan, das sind ungefähr 1,2 Mrd. Euro.


<h2>Natriumglutamatmarkt</h2>
Die chinesische Natriumglutamatindustrie steht vor einer neuen Übernahmewelle. Überangebote und steigende Umweltauflagen bringen vielen der derzeit elf Hersteller bereits Verluste. Die Marktführer Fufeng und Meihua werden wohl nach der Marktbereinigung ihre Produktionskapazität von einer bzw. einer halben Million Tonnen weiter ausweiten.


<h2>Korruption mit Forschungsmitteln</h2>
China prüfte sein staatliches F+E-Budget des Jahres 2012 von 560 Mrd. Yuan (etwa 67 Mrd. Euro) und fand: Die in den letzten sieben Jahren jährlich um 28 % gestiegenen Mittel sind außer Kontrolle geraten; sie werden in erheblichem Ausmaß durch Korruption und persönliche Bereicherung zweckentfremdet. Das Wissenschaftsministerium kündigte Verfahrensänderungen an.


<h2>China wünscht Nobelpreise</h2>
Eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Bildung von Wissenschafts- und Wirtschaftseliten diskutiert das Programm “100 chinesische Nobelpreisträger”. Gezielte Auswahl und umfangreiche finanzielle Förderung soll die lange ersehnten Nobelpreise nach China holen.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://www.window-to-china.eu" target="_blank">http://www.window-to-china.eu</a></ext-link>

Langsam aufwärts

Prof.Dr.

Das Akronym Mooc (gesprochen mu:k) steht für massive open online course. Grob übersetzt bedeutet dies: ein Kurs im Internet (online), der keine formellen Zugangsbeschränkungen aufweist und kostenlos ist (open), bei dem es einen festen Start- und Endtermin sowie eine in Lerneinheiten aufgeteilte Gliederung gibt (course) und an dem typischerweise einige Tausend bis Zehntausend Studierende teilnehmen (massive). Den Rekord mit mehr als 160 000 Teilnehmern hält der Kurs “Introduction to Artificial Intelligence” aus dem Jahr 2011. Der Direktor der Google-Forschungsabteilung Peter Norvig und der Stanford-Professor Sebastian von Thrun bieten ihn auf der Online-Lehrplattform Udacity an (<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.udacity.com/course/cs271" target="_blank">www.udacity.com/course/cs271</a></ext-link>).
Online-Akademien wie Udacity, Coursera und Edx, alles Ausgründungen der amerikanischen Unis Stanford, Harvard und MIT, haben ihre digitalen Türen für Studierende aus der ganzen Welt geöffnet. Nun schwappt diese Bewegung nach Europa [Nachr. Chem. 2013, 61, 1087]. Und es wird bei der größten europäischen Plattform Iversity im April den Kurs “Faszination Kristalle und Symmetrie” geben.


<h2>Faszinierende Kristalle für alle</h2>
Den Startpunkt für den Mooc zur Kristallchemie (Crystal-Mooc) bildete der Wettbewerb “Lehren und Lernen im Web”, den Iversity und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Frühjahr 2013 initiierten. Der Crystal-Mooc basiert auf einer Vorlesung, die seit einigen Semestern im Rahmen des Master-Studiengangs am Fachbereich Chemie der Uni Hamburg läuft. Im Zentrum dieses Kurses — sowohl in der Offline- als auch der Online-Variante — steht die Schaffung einer Basis kristallographischen Wissens. Sie soll die Studierenden in die Lage versetzen, die mitunter kryptisch anmutende Sprache und die recht abstrakten Konzepte der Kristallographie zu entschlüsseln und zu verstehen. Dies schafft eine Grundlage für fortführende Vorlesungsstoffe in der Festkörperchemie und -physik, der Materialwissenschaft, der Kristallographie und der Mineralogie.
Der Kurs erklärt das Konzept der Elementarzelle, erläutert sämtliche mikroskopischen und makroskopischen Symmetrieelemente und -operationen an Beispielen und klassifiziert die Kristalle gemäß ihrer unterschiedlichen Hierarchiestufen (Kristallsystem, Kristallklasse, Bravaisgitter, Raumgruppe). Darüber hinaus geht es aber auch darum, die Leidenschaft für die Schönheit von Strukturen und Symmetrie insgesamt zu teilen — auch außerhalb der Festkörperchemie — sei es durch Gleitspiegelebenen in Ruderbooten, Gemälden von M. C. Escher oder durch Penrose-Muster (Abbildung 1) in islamischen Kachelungen aus dem Mittelalter.
Der Online-Kurs bietet zudem praktische Übungen, um das Wissen zu vertiefen. Mithilfe von kostenlosen Kristallbetrachtungsprogrammen wie Mercury und Vesta erhalten die Studierenden Gelegenheit, die unzähligen Kristallstrukturen, die im Internet als CIF-Dateien zur Verfügung stehen, am Bildschirm dreidimensional zu entdecken. Zur Bedienung der Programme gibt es beim Crystal-Mooc Tutorien.
Gerade wenn es um Kristalle und ihre Strukturen geht, bietet das Internet eine Fülle neuer Möglichkeiten und Tools: beispielsweise durch Java-Applikationen, die den Zusammenhang zwischen der äußeren Kristallmorphologie und der inneren Kristallstruktur verdeutlichen.


<h2>Anders als Präsenzveranstaltungen</h2>
Moocs zu produzieren, bedeutet nicht, konventionelle Vorlesungen abzufilmen und sie hinterher ins Netz zu stellen; Moocs erfordern eine neue didaktische Herangehensweise: Die Inhalte einer klassischen 45- oder 90-minütigen Vorlesung werden in kleine Abschnitte zerlegt, wobei Videos von zirka fünf Minuten Länge ein wesentliches Element darstellen. Hierbei gibt es neben speziell erstellten 3-D-Animationen viele Screencasts. Das sind durch Audiokommentare begleitete Aufzeichnungen von Bildschirmpräsentationen, die zusätzlich mit handschriftlichen Kommentaren versehen werden können. Quizfragen oder Diskussionsangebote begleiten die Lerneinheiten. Solche Quizfragen (Abbildung 2) dienen zum einem den Studierenden, um ihren Lernfortschritt zu überprüfen; zum anderen gewinnen die Dozenten einen Einblick, ob der Stoff bei den Studierenden ankommt. Und zwar nicht erst am Ende des Semesters durch die Auswertung der Abschlussklausur, sondern unmittelbar und direkt bei jeder Einheit, welche die Studierenden gerade bearbeiten.
Auch hinsichtlich der Interaktivität der Lehrenden mit den Lernenden unterscheiden sich Moocs von Präsenzveranstaltungen. Das ergibt sich bereits aus der hohen Teilnehmerzahl bei Moocs: Die Kursleiter können nicht jede Aufgabe persönlich überprüfen und jede Frage einzeln beantworten. Deswegen gibt es Peer-to-peer-Mechanismen. Dabei bewerten die Kursteilnehmer ihre Aufgaben untereinander. Fragen können sie in ein Diskussionsforum posten, als besonders drängend gekennzeichnete Fragen beantwortet der Dozent in einer Online-Sprechstunde.
Weitere belebende Elemente liefern die Aufgaben selbst. So sollen die Nutzer auf die Suche nach Symmetrien in ihrer Umgebung gehen, diese fotografieren und hochladen, um ein einzigartiges Fotoalbum zu erschaffen — bestückt aus allen Ecken der Welt.
Die Kursstruktur kommt in einem Mooc dadurch zustande, dass die Inhalte in Kapitel unterteilt sind: Nach dem Start des Kurses wird jede Woche ein neues Kapitel freigeschaltet. Dahinter steckt die Idee, dass möglichst viele Studierende gleichzeitig an den selben Aufgaben arbeiten. Jedoch sind die Inhalte während des gesamten Kurses und eine Zeit lang über das Kursende hinaus verfügbar. Die Studierenden können daher die Videos wieder und wieder ansehen. Sie können sie nach Belieben unterbrechen und sogar langsamer oder schneller abspielen.


<h2>Mehr Moocs</h2>
In den Naturwissenschaften werden und sollten Moocs Präsenzveranstaltungen nicht ersetzen. Aber Moocs können Grundlagen gut vermitteln, und die gesparte Zeit lässt sich effektiver mit Diskussionen über das Erlernte oder mit Experimenten in den Laboren nutzen.
Ein weiterer Aspekt, der die Produktion eines Moocs für uns reizvoll macht: Moocs stellen Online-Kurse auf universitärem Niveau für alle Menschen bereit — Internetzugang vorausgesetzt. Wir hoffen, dass sich weitere Universitäten dazu entschließen, Moocs anzubieten, denn eine Universität sollte mehr sein, als eine Einrichtung zur bloßen Berufsausbildung oder verwertungsnahen Forschung.
Frank Hoffmann, promovierter Chemiker, leitet den Röntgenservice des Fachbereichs Chemie der Universität Hamburg. Der Diplomchemiker Michael Sartor forscht als Doktorand auf dem Gebiet der metallorganischen Gerüstverbindungen am Institut für Anorganische Chemie der Universität Hamburg. An diesem Institut ist Michael Fröba Inhaber des Lehrstuhls für anorganische Festkörperchemie/Materialwissenschaften. <a href="mailto:frank.hoffmann@chemie.uni-hamburg.de">frank.hoffmann@chemie.uni-hamburg.de</a>


<h2>Auf einen Blick</h2>
Der Mooc “Faszination Kristalle und Symmetrie” startet im Sommersemester 2014. Eine Vorschau der Inhalte steht im Internet. Dort schreiben sich Interessierte bereits jetzt ein. Für die Teilnahme genügt ein Browser nach persönlicher Vorliebe (Chrome, Internet Explorer, Safari, Firefox etc.). Die Videos gibt es in unterschiedlicher Auflösung, darunter eine stark reduzierte, um sie sogar mit einem internetfähigen Mobiltelefon ansehen zu können.
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