Blickpunkt Anorganik

Wissenschaft + Forschung

Metalle sind typischerweise weniger temperatur- und oxidationsbest&auml;ndig als Keramiken. Aber sie leiten Strom und W&auml;rme besser. Eine Substanzklasse vereint die Charakteristika beider Materialklassen: Carbid- und Nitrid-Schichtverbindungen aus der Familie der MAX-Phasen.
Keramiken sind oft anorganische Oxide. Es gibt aber auch sauerstofffreie Varianten. Die bekanntesten sind Siliciumcarbid und Bornitrid &ndash; nichtmetallisch und mit klassischen Keramikeigenschaften: Sie widerstehen hoher Temperatur und Korrosion.
Die Vielfalt der anorganischen Verbindungen hat die Trennung zwischen Metall und Keramik aufgeweicht, denn eine stetig wachsende Substanzklasse hat sowohl Charakteristika von Keramiken als auch von Metallen.
<h2 type="main">Diese Elemente bilden MAX-Phasen</h2>
Bei den MAX-Phasen handelt es sich um Schichtverbindungen, die keinen Sauerstoff enthalten, sondern auf Kohlenstoff, Stickstoff oder sogar beidem basieren &ndash; daf&uuml;r steht das &bdquo;X&ldquo; in MAX (Abbildung 1). Au&szlig;erdem enthalten sie &Uuml;bergangsmetalle oder Seltene Erden (&bdquo;M&ldquo;)&ndash; auch eine Kombination ist m&ouml;glich. Die &bdquo;A&ldquo;-Elemente geh&ouml;ren zu den Hauptgruppen 13, 14 und 15, in den 2010er Jahren sind sp&auml;te &Uuml;bergangsmetalle dazugekommen. Viele Artikel nennen auch Bor als X-Elementvariante, diese MAB-Phasen kristallisieren aber in anderen (Schicht-)Strukturen und sind hier daher ausgeklammert.
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/ejPgy9cQRk6xvv7ppG1X">
<figcaption><label>Abb.1: </label>Die hervorgehobenen Elemente im Periodensystem bilden MAX-Phasen, die mit rotem Rand bilden MXene. MAX-Phasen sind tern&auml;re Schichtverbindungen, sie sind leitend und temperaturstabil. MXene sind graphen&auml;hnliche Schichten mit variabler Funktionalisierung. Vereinfachte Darstellung, die etwa geordnete MAX-Phasen und deren Elemente nicht zeigt.</figcaption>
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Ende der 1960er Jahre waren etwa 70 MAX-Phasen bekannt. Die Zahl steigt, unter anderem, weil neue Elemente in die Struktur eingebaut oder miteinander kombiniert werden. Ein Review-Artikel von Dezember 2023 erfasste mehr als 300 MAX-Phasen, darunter auch feste L&ouml;sungen und geordnete quatern&auml;re Varianten.
Die Basis sind also tern&auml;re Carbide, Nitride und Carbonitride, die chemisch variabel sind &ndash; man stelle sich das Mix-and-match-Prinzip angewendet vor. Einmal gut sch&uuml;tteln, heizen und heraus kommt f&uuml;r die meisten Kombinationen in Abbildung 1 eine MAX-Phase.1&ndash;3)
<h2 type="main">Strukturen von MAX-Phasen</h2>
Die Kristallstruktur der MAX-Phasen mit der allgemeinen Summenformel M2AX ist wie folgt: Eine hexagonale Struktur (Raumgruppe P63/mmc) besteht aus Schichten kantenverkn&uuml;pfter M6X-Oktaeder, die sich mit Schichten aus A-Elementen abwechseln (Abbildung 2). M6X-Oktaeder sind von bin&auml;ren &Uuml;bergangsmetallcarbiden bekannt, zum Beispiel kristallisiert Titancarbid in dieser Struktur &ndash; quasi eine NaCl-Struktur aus Titan und Kohlenstoff. Diese Gegebenheit ist mit ein Grund f&uuml;r die besonderen Eigenschaften der MAX-Phasen. Die Stapelfolge zwischen M6X-Oktaederschichten und A-Schichten ist auch variabel, sodass sich verschiedene Zusammensetzungen erreichen lassen: Die mit Abstand am weitesten verbreiteten MAX-Phasen sind M2AX, die sich der St&ouml;chiometrie folgend als &bdquo;211&ldquo; schreiben lassen. H&auml;ufige Varianten sind au&szlig;erdem M3AX2 (312) und M4AX3 (413). Ihre Strukturen unterscheiden sich am st&auml;rksten durch den steigenden c-Gitterparameter (Abbildung 2).
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/hD0ArPhJTOW7FCRHQIEr">
<figcaption><label>Abb.2: </label>Kristallstrukturen der MAX-Phasen, dargestellt mit vertikaler c-Achse. Der c-Gitterparameter steigt mit zunehmendem n in Mn+1Axn. M-Atome sind orangefarben, A-Atome dunkelrot und X-Atome grau. Die grauen Polyeder stellen M6X-Oktaeder dar.</figcaption>
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<h2 type="main">Woher Ti2AlC seine Eigenschaften hat</h2>
Die besonderen Eigenschaften von MAX-Phasen liegen an ihrer Kristallstruktur und der Elektronenstruktur: Der Bindungscharakter einer MAX-Phase, beispielsweiseTi2AlC, ist eine Mischung aus kovalent (Ti-C-Bindungen), ionisch (Ti-Al-Interaktionen) und metallisch (sich &uuml;berlappende Ti-d-Orbitale). M6X-Oktaeder sind die kovalenten Teile, wie sie im bin&auml;ren Carbid TiC vorkommen. Diese Oktaeder rufen den Keramik-Charakter hervor. Deshalb sind MAX-Phasen h&auml;ufig steif, hitze- und korrosionsresistent. Die d-Orbitale der &Uuml;bergangsmetalle (M-Elemente) dominieren die Zustandsdichte der MAX-Phasen, also die Anzahl der Zust&auml;nde pro Energieintervall. Sie sind f&uuml;r das metallische Verhalten verantwortlich. Daher sind MAX-Phasen elektrisch und thermisch leitend, was f&uuml;r Keramiken ungew&ouml;hnlich ist.4) Sie sind besonders f&uuml;r Anwendungen als Strukturwerkstoffe interessant und lie&szlig;en sich beispielsweise als Schutzschicht f&uuml;r Bauteile wie Heizelemente oder D&uuml;sen f&uuml;r Gasbrenner nutzen, die ohne sie keine hohen Temperaturen aushalten w&uuml;rden.
<h2 type="main">Funktionen</h2>
Seit einigen Jahren werden bei MAX-Phasen verschiedene magnetische Eigenschaften beschrieben, allerdings weitgehend f&uuml;r d&uuml;nne Schichten, nicht f&uuml;r gr&ouml;&szlig;ere Partikel und Pulver.5) Die MAX-Phase Mn2GaC etwa ist ferromagnetisch nahe Raumtemperatur.6) Sie hat magnetische &Uuml;berg&auml;nge, die mit Phasen&uuml;berg&auml;ngen &uuml;berlappen. Das ist Voraussetzung f&uuml;r magnetokalorische Materialien,7) also solche, die sich in einem externen Magnetfeld erw&auml;rmen und ohne Feld wieder abk&uuml;hlen. Diese Effekte sind allerdings weiter zu untersuchen, vor allem in gr&ouml;&szlig;eren Partikeln statt d&uuml;nnen Schichten. Wo liegt da die Herausforderung? Die Entstehung d&uuml;nner Schichten ist oft kinetisch kontrolliert, etwa bei der Molekularstrahlepitaxie/Gasphasenabscheidung. Bei klassischen Festk&ouml;rperreaktionen bildet sich jedoch das thermodynamische Produkt, da Temperaturen von etwa 1000 &deg;C n&ouml;tig sind, um die festen Reaktionspartner zur Reaktion zu bringen. Dabei entsteht aus den Elementen nicht die MAX-Phase Mn2GaC, sondern die thermodynamisch stabile Antiperovskit-Phase Mn3GaC.
Andere Elemente und Kombinationen ergeben MAX-Phasen mit vielf&auml;ltigen Eigenschaften. Der Gro&szlig;teil der MAX-Phasen sind jedoch Carbide, etwa 87 %. Ungef&auml;hr 6 % sind Nitride und nur 2 % Carbonitride. Die restlichen 5 % entfallen auf Verbindungen mit untypischen X-Elementen wie Bor und Phosphor. In den letzten Jahren wurden mehrere Carbonitrid-MAX-Phasen erstmals synthetisiert und untersucht. Das erweiterte die bisher einzigen Carbonitride Ti2AlC1&ndash;xNx und Ti3Al(C1&ndash;xNx)2 um V2GaC1&ndash;xNx,8) V2GeC1&ndash;xNx9) und Cr2GaC1&ndash;xNx10). Kohlenstoff und Stickstoff zu mischen, beeinflusst die Eigenschaften: Die magnetische Suszeptibilit&auml;t von Cr2GaC1&ndash;xNx steigt mit dem Stickstoffgehalt. Gleiches gilt f&uuml;r V2GeC1&ndash;xNx, wobei zudem die elektrische Leitf&auml;higkeit steigt.
<h2 type="main">MXene: graphen&auml;hnliche Nanoschichten</h2>
MAX-Phasen dienen auch als Ausgangsstoffe f&uuml;r eine weitere Materialklasse: Im Jahr 2012 ver&ouml;ffentlichten Forschende an der Drexel University (USA) erstmals die Synthese von MXenen der allgemeinen Zusammensetzung Mn+1XnTx, wobei T f&uuml;r die Oberfl&auml;chengruppen steht.11,12)
Seitdem gelten diese zweidimensionalen Materialien als &bdquo;hot topic&ldquo;. Das liegt vor allem an ihren Eigenschaften: MXene sind Graphen-&auml;hnliche Nanoschichten mit gro&szlig;er Oberfl&auml;che, aber anders als Graphen, das nur aus Kohlenstoff besteht, sind Zusammensetzung und funktionelle Oberfl&auml;chengruppen von MXenen variabel &ndash; Tx ist meist eine Mischung aus F-, Cl-, OH- und O-Gruppen. Au&szlig;erdem lassen sie sich leichter als leitende Filme oder stabile kolloidale L&ouml;sungen erhalten. Aus diesen Gr&uuml;nden sind sie vielversprechend f&uuml;r Anwendungen zur Energieumwandlung, -speicherung (Katalysatoren, Superkondensatoren) und in der Biomedizin (Biosensoren, antibakterielle Beschichtung) sowie unter anderem als Membranen und zur Abschirmung elektrotechnischer Ger&auml;te.
MXene lassen sich aus MAX-Phasen top-down herstellen: Um das A-Element Al oder Ga zu entfernen, wird die MAX-Phase typischerweise chemisch ge&auml;tzt.13) Dazu dienen aggressive S&auml;uren wie Flusss&auml;ure, die sich auch in situ aus LiF und HCl herstellen l&auml;sst. Dabei entstehen zun&auml;chst van-der-Waals-Schichtpakete aus M6X-Schichten (Abbildung 3). Indem kleinere Molek&uuml;le eingelagert werden, lassen sich die Schichten dann teilweise oder vollst&auml;ndig trennen, genannt Delaminieren. Nach einem solchen Prozess f&auml;llt das MXen als w&auml;ssrige kolloidale L&ouml;sung an, aus der sich durch Filtration ein metallischer Film abscheidet. Oft werden die Nanoschichten in der L&ouml;sung weiterverarbeitet. Auch hier ist die chemische Zusammensetzung wichtig: Molybd&auml;nbasierte MXene haben bei manchen Reaktionen die h&ouml;chste katalytische Aktivit&auml;t, etwa bei solchen zur Wasserspaltung.14)
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Ajifd50KQKxiVAcvykcI">
<figcaption><label>Abb.3: </label>MAX-Phasen (links), MXen-Schichtpakete (Mitte) und delaminierte Schichten (D-MXene, rechts). Aufgenommen mit Elektronenmikroskopie (links, Mitte) und Rasterkraftmikroskopie (rechts).</figcaption>
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MXene lassen sich nicht nur durch &Auml;tzen mit Flusss&auml;ure synthetisieren, sondern beispielsweiseauch durch Behandlung mit Lewis-S&auml;uren wie CuCl2 und ZnCl2. Dabei ersetzt vermutlich das Metallion zun&auml;chst das A-Element in der MAX-Phase, wobei sich das Chlorid des A-Elements bildet und elementares Metall der Lewis-S&auml;ure. Beides wird nach der MXen-Bildung durch Waschen mit w&auml;ssriger S&auml;ure entfernt.
Derzeit tut sich einiges auf dem Gebiet. Vor Kurzem ver&ouml;ffentlichten Forschende einen Artikel, der das Gebiet wohl lange besch&auml;ftigen wird: In den vermeintlich sauerstofffreien MAX-Phasen und MXenen befindet sich nicht nur oberfl&auml;chlich Sauerstoff, sondern auch in den Schichtstrukturen selbst (Kasten).
<h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>
MAX-Phasen sind eine Klasse tern&auml;rer &uuml;bergangsmetallbasierter Carbide und (Carbo-)Nitride.
Sie leiten gut und sind temperaturbest&auml;ndig. Grund daf&uuml;r ist ihre Kristallstruktur.
Au&szlig;erdem sind sie Ausgangsverbindungen f&uuml;r zweidimensionale Verbindungen, die MXene. Diese &auml;hneln Graphen, ihre Zusammensetzung und Oberfl&auml;chenchemie ist aber vielseitiger.
Die Beitr&auml;ge zur Serie Blickpunkt Anorganik verfassen seit Juni 2024 im Wechsel Christina Birkel und Simon Krause.
<h2 type="main">K&uuml;rzlich entdeckt: Sauerstoff in MAX-Phasen</h2>
MAX-Phasen und MXene sind Verbindungsklassen mit fast endlosen chemischen Zusammensetzungen, und es werden immer mehr. Eine neue Studie dieses Jahres erweitert den chemischen Spielraum: Forschende in Warschau analysierten die Zusammensetzung der MAX-Phasen und MXene Schicht f&uuml;r Schicht mit Sekund&auml;rionen-Massenspektrometrie.15) Dabei fanden sie Sauerstoff nicht nur oberfl&auml;chlich, sondern auch in den Schichtstrukturen. Der Sauerstoff bleibt zudem w&auml;hrend des &Auml;tzens zwischen den Schichten, die Ergebnisse gelten also sowohl f&uuml;r MAX-Phasen als auch f&uuml;r MXene. Wie viel Sauerstoff enthalten die Verbindungen &ndash; handelt es sich bei den Verbindungen in diesem Text um Oxycarbide, Oxynitride und Oxycarbonitride? L&auml;sst sich der Sauerstoffgehalt kontrollieren?
Es ist nicht einfach, diese Fragen zu beantworten, denn viele andere Charakterisierungstechniken eignen sich nicht f&uuml;r die Aufkl&auml;rung von leichten Elementen wie C, N und O. Um diese Materialien zu ergr&uuml;nden, sollten Experimentalchemiker:innen, Theoretiker:innen und Expert:innen auf dem Gebiet neuer Charakterisierungsmethoden weiterhin zusammenarbeiten.
<h2 type="main">Die Autorin</h2>
Christina Birkel (oben) ist Professorin an der Arizona State University, USA, und Kooperationsprofessorin an der TU Darmstadt, wo sie das Gebiet der anorganischen Festk&ouml;rper- und Materialchemie vertritt. Niels Kubitza hat im Jahr 2023 bei Birkel in Darmstadt promoviert und arbeitet seit Anfang es Jahres als Postdoktorand in einem Sonderforschungsbereich zu magnetischen Materialien, an dem Birkel beteiligt ist.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/eGwgAAgYRO2UakPhfStd"><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/NuRVv2yZS9W5JfwNVbFz">
<ul class="references" cited="no" xml:id="nadc20244142068-bibl-0001">
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0001">1 M. W. Barsoum, MAX Phases: Properties of Machinable Carbides and Nitrides; Wiley-VCH, Weinheim, 2013</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0002">2 N. Kubitza, C. B&uuml;chner, J. Sinclair, R. M. Snyder, C. S. Birkel, ChemPlusChem 2023, 88, 8, e202300214</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0003">3 C. M. Hamm, C. S. Birkel; MAX Phases and MXenes. In Comprehensive Inorganic Chemistry III [Hrsg.: J. Reedijk, K. Poeppelmeier], Elsevier, 2023, 27</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0004">4 M. Radovic, M. W. Barsoum, Am. Ceram. Soc. Bull. 2013, 92, 3, 20</li>
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<li xml:id="nadc20244142068-bib-0006">6 A. S. Ingason, A. Petruhins, M. Dahlqvist et al., Mater. Res. Lett. 2013, 2, 2, 89&ndash;93</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0007">7 M. Dahlqvist, A. S. Ingason, B. Alling et al., Phys. Rev. B 2016, 93, 1, 014410</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0008">8 N. Kubitza, A. Reitz, A.-M. Zieschang et al., Inorg. Chem. 2022, 61, 28, 10634</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0009">9 N. Kubitza, B. Beckmann, S. Jankovic et al., Chem. Mater. 2024, 36, 3, 1375</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0010">10 N.Kubitza, I. Huck, H. Pazniak et al., J. Mater. Chem. C 2024, 12, 7552</li>
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<li xml:id="nadc20244142068-bib-0012">12 B. Anasori, Y. Gogotsi; 2D Metal Carbides and Nitrides (MXenes): Structure, Properties and Applications; Springer International Publishing, Cham, 2019</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0013">13 M. Alhabeb, K. Maleski, B. Anasori et al., Chem. Mater. 2017, 29, 18, 7633</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0014">14 Z. W. Seh, K. D. Fredrickson, B. Anasori et al., ACS Energy Lett. 2016, 1, 3, 589</li>
<li xml:id="nadc20244142068-bib-0015">15 P. P. Michałowski, Nanoscale Horiz. 2024, 9, 9, 1493</li>
</ul>

Zwischen Keramik und Metall

Werden bestimmte Materialien mit Licht bestrahlt, trennen sich in ihnen die Ladungen. Hält die Trennung lang genug, eignet sich das als Solarbatterie – ein Bauteil, das Sonnenenergie gleichzeitig verwertet und speichert. Nicht nur das: Manche der Substanzen können auch im Dunkeln Wasser spalten.Sonnenenergie ist eine nachhaltige Energiequelle, zumindest, wenn die Erdoberfläche der Sonne zugewandt ist. In der Nacht sieht es da im Wortsinn düster aus. Doch die Biologie nutzt Solarenergie rund um die Uhr: Bei Tag findet die Lichtreaktion der Photosynthese statt, bei Nacht arbeiten die dabei gebildeten chemischen Energieträger und Reduktionsmittel. Ähnlich verarbeiten neuerdings manche künstliche Materialien die Lichtenergie.<h2 type="main">Speichern statt nur einfangen</h2>Edmond Becquerel hat bereits im Jahr 1839 ein anderes Konzept entdeckt, mit dem sich Solarenergie umwandeln und nutzen lässt: den photovoltaischen Effekt. Strahlt die Sonne auf einen Halbleiter, regt Lichtenergie Elektronen in das Leitungsband an. Dabei entstehen Elektronen-Loch-Paare (<link href="#nadc20244142066-fig-0001">Abbildung 1) – und deren Trennung erzeugt elektrische Spannung. So generieren Photovoltaik-Anlagen Strom.<figure xml:id="nadc20244142066-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/LEgc1ovSTqQ9lW6oiVvu"><figcaption><label>Abb.1: </label>Halbleiter und die Prozesse der lichtinduzierten Ladungstrennung in Elektron(e–)-Loch(h+)-Paare. Angeregte Elektronen lassen sich nutzen, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. V+ steht für Vakanz, M+ ist meist ein Alkalimetallkation.</figcaption></figure></figure>Die ladungsgetrennten Zustände im Aktivmaterial rekombinieren, daher beträgt deren Lebenszeit nur Nano- bis Millisekunden. Das bedeutet: ohne Licht kein Strom. Eine Photovoltaikanlage ist eben keine Batterie. Doch welche Möglichkeiten ergäben sich, wenn die Ladungstrennung in Materialien länger halten würde – Stunden oder gar Tage? Und sich Materialien mit Licht aufladen ließen?<h2 type="main">Getrennte Ladungen länger stabilisieren</h2>Zur Ladungstrennung sollte die Bandlücke der Materialien etwa so groß sein wie die Energie des Lichts. Die angeregten Elektronen und die damit verbundenen Löcher lassen sich auf verschiedenen Wegen lange stabilisieren: über Redoxreaktionen innerhalb des Materials, lokale Defekte im Gitter oder an der Oberfläche sowie durch besondere Zustände in der Bandstruktur. Darüber hinaus können Ladungsträger, häufig Löcher, aus dem Material entfernt werden. Das geht durch elektrochemische Reaktion an Elektroden oder durch chemische Reaktionen mit Elektronendonoren, die mit der Oberfläche in Kontakt kommen. Die entfernten Löcher fehlen zur Rekombination mit den Elektronen, wodurch die Elektronen länger stabilisiert sind.Die Ladung des Materials muss jedoch ausgeglichen bleiben. Das bewerkstelligen beispielsweise Alkalimetallionen, die dazu allerdings frei beweglich oder schwach gebunden sein müssen.1) Durch Lichteinstrahlung steigt die Konzentration und Mobilität der Ionen und dementsprechend die Leitfähigkeit (Optoionik), da das Licht die Ladungen trennt und die erzeugten Ladungsträger schwächer im Gitter gebunden sind.2) Weiterhin können Defekte oder strukturelle Vakanzen verhindern, dass Löcher und Elektronen rekombinieren, also sich gegenseitig auslöschen – das stabilisiert beispielsweise Elektronen langfristig im Festkörper.3)<h2 type="main">Titandioxid: weiß, schwarz oder bunt</h2>Titandioxid ist eines der bedeutendsten Materialien, das diese Eigenschaften erfüllt und folglich über lange Zeit lichtinduzierte Ladungen speichern kann, vor allem Elektronen.Wie seit 1972 bekannt ist, kann TiO2 Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten.4) Dazu ist UV-Licht nötig, das einige TiIV-Ionen zu TiIII reduziert, wobei Teilchen in der Umgebung oxidiert werden; beispielsweise reagieren Oxidionen zu molekularem Sauerstoff (<link href="#nadc20244142066-fig-0002">Abbildung 2). Dadurch entstehen Sauerstofffehlstellen. Diese Stellen dienen entweder direkt als katalytisch aktives Zentrum, oder die freigewordenen Elektronen werden auf einen Cokatalysator wie Pt übertragen, der dann das Wasser spaltet.<figure xml:id="nadc20244142066-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/ayTo2zpcTeJshOibu8tr"><figcaption><label>Abb.2: </label>Strukturen und Bandmodelle lichtaktiver Halbleiter: TiO2 (links), Wolframbronze (Mitte) und Carbonitride (rechts). Nach Lichtanregung speichern die Verbindungen auf unterschiedliche Art Elektronen. Abbildung inspiriert von Lit. 22.</figcaption></figure></figure>Damit TiO2 die Sonnenergie möglichst effizient nutzt, sollte es sichtbares Licht absorbieren. Reines TiO2 hat jedoch eine Bandlücke von 3 – 3,2 eV, absorbiert also nur UV-Licht und nutzt so nur rund 5 Prozent der Sonnenenergie. Doch TiO2 lässt sich so modifizieren, dass es auch sichtbares Licht absorbiert.5) Zum Beispiel lassen sich strukturelle Defektstellen (Sauerstoffvakanzen) einbauen,6) und partiell reduziertes TiIII wird stabilisiert. Diese Modifikation entsteht, wenn TiO2 bei hoher Temperatur einer Wasserstoffatmosphäre ausgesetzt wird. Dass das so veränderte TiO2 im sichtbaren Bereich absorbiert, zeigt sich an einer Blau- bis Schwarzfärbung des Materials. Die defektreiche Atomstruktur dieses TiO2-Materials ist bis heute schlecht verstanden, und die photokatalytische Aktivität ließ sich dadurch nicht so stark erhöhen wie erhofft.Statt TiO2 selbst sichtbares Licht absorbieren zu lassen, kann dies ein Farbstoff übernehmen, der an die Partikeloberfläche adsorbiert oder gebunden ist. Der Farbstoff wird mit sichtbarem Licht angeregt und überträgt Ladung oder Energie auf das Material. Dieses Prinzip nutzen Farbstoffsolarzellen mit TiO2 und organischen Farbstoffen.7)Mit Lichtabsorbern arbeitet auch die Photosynthese: Diese trennen in der Lichtreaktion die Elektron-Loch-Paare. Die freien Elektronen interagieren daraufhin mit Cokatalysatoren in einer photokatalytischen Reaktion und spalten so Wasser. Die Teile des Wassers wandern in das Nicotinamidadenindinukleotid NADH/H+ – frei werden Adenosintriphosphat (ATP) und Sauerstoff. In der Nacht nutzen die Zellen NADH/H+ als chemisches Reduktionsmittel und ATP als Energieträger in ihrer Dunkelreaktion. Dabei wird CO2 reduziert, und so werden Kohlenhydrate aufgebaut. Für diesen Prozess müssen Zellen Lichtenergie als chemische Energie speichern und umwandeln.<h2 type="main">Bronzen ohne Kupfer</h2>Eine weitere Stoffklasse, die Ladung aus Licht erzeugen und stabilisieren kann, sind Wolframbronzen. Bronzen heißen sie, weil sie metallisch aussehen und elektrisch leitfähig sind. Sie sind nichtstöchiometrische Verbindungen der Formel MxWOn; bekannt sind vor allem die, bei denen M für Alkalimetallionen steht. Je nach Zusammensetzung unterscheiden sich die Strukturen. Auch bei den Wolframbronzen erzeugt das Licht eine Ladungstrennung, woraufhin Wolfram teilweise reduziert wird.Die Löcher verschwinden wie bei TiO2 – sie reagieren mit umliegenden Molekülen oder setzen O2 aus dem Gitter frei. Die eingelagerten Alkalimetallionen wandern und neutralisieren so die stabilisierten Elektronen.<h2 type="main">Photoaktive Festkörper ohne Metall</h2>Carbonitride sind ein weiteres lichtaktives Material.8,9) Herstellen lassen sie sich beispielsweise aus Harnstoff oder Stickstoff-Kohlenstoff-Heterocyclen. Alkalimetalle wie Kalium sorgen durch Ladungsausgleich dafür, dass das gelbe Carbonitrid Kalium-Poly(heptazinimid)(K-PHI)-Elektronen stabilisiert – vorausgesetzt, ein Elektronendonor ist anwesend (Abbildung 2). Unter Sauerstoffausschluss bleiben die Ladungen tagelang getrennt. Das „lichtgeladene“ Material nimmt ein kräftiges Blau an, ähnlich wie das modifizierte TiO2. Um Elektronen zu stabilisieren, müssen nicht nur Löcher entfernt sein, sondern Kationen müssen durch das Material wandern, um die Ladung des lokal gespeicherten Elektrons auszugleichen.10)PHI-Systeme sind Halbleiter; sie katalysieren zusammen mit Cokatalysatoren wie Pt unter Lichtbestrahlung viele Reaktionen, darunter Wasserspaltung und Reduktion von CO2.9)<h2 type="main">Eingesperrte Moleküle</h2>Es gibt Materialien, die Aspekte oxidischer Halbleiter und organischer Farbstoffe vereinen: metallorganische Gerüstverbindungen (MOFs).Manche MOFs enthalten mehrkernige Titan-oxo-Cluster, die mit Carboxylatliganden vernetzt sind. Sie färben sich blau, wenn sie bestrahlt werden und ein Elektronendonor anwesend ist. Die Farbe kommt ähnlich wie bei TiO2 daher, dass TiIV zu TiIII reduziert wird, welches sichtbares Licht absorbiert. Im MOF lässt sich durch die Auswahl der organischen Linker einstellen, Licht welcher Wellenlänge das MOF absorbiert und wie effizient: Dazu werden die Carboxylatliganden funktionalisiert.11)In anderen MOFs lässt sich die Ladungen auch über die Liganden speichern. Besonders interessant ist hier das Dicarboxylat in Lehns Re-Bipyridin-Komplex ([Re(bpy)(CO)3Cl]). Nachdem dort die Ladung photochemisch getrennt worden ist, stabilisiert dieser molekulare Baustein Elektronen in Form eines bpy-Radikals oder katalysiert Reaktionen wie die Reduktion von CO2 zu CO.Die Geometrie des molekularen Komplexes in Lösung ist für die Katalyse nicht optimal. Sie lässt sich aber ändern, indem der Komplex in eine Al- oder Zr-basierte Gerüstverbindung eingebaut wird (<link href="#nadc20244142066-fig-0003">Abbildung 3).12) Außerdem isolieren die inerten Knotenpunkte des Gerüsts die lichtgeladenen Komplexe und sorgen so für einen langlebigen Zustand. Wie neue Arbeiten zeigen, lässt sich dasselbe auch mit Mn-Komplexen in Al-basierten MOFs erreichen.13)<figure xml:id="nadc20244142066-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/TXUmuHC3T4aCgWP165CH"><figcaption><label>Abb.3: </label>Lichtaktive metallorganische Gerüstverbindungen. Gespeichert wird die Ladung entweder im anorganischen Cluster (links) oder im (metall-)organischen Linker (rechts). Im linkerzentrierten System ist ein Komplex geometrisch stabilisiert, indem er in das Gerüst eingebaut wurde. ED = Elektronendonor.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Dunkle Photokatalyse, helle Batterie</h2>Damit sich lichtaktive Materialien direkt für die Photokatalyse nutzen lassen, müssen möglichst viele Photonen zu Ladungstrennungen führen; außerdem muss der angeregte Zustand zumindest für die reaktionsrelevante Zeit (Piko- bis Nanosekunden) stabil sein, sodass er nicht während des Katalyeszyklus zerfällt. Was passiert aber, wenn die Ladungstrennung deutlich länger stabilisiert wird – Minuten bis Tage? Dann lassen sich die stabilisierten Elektronen auch ohne Direktbestrahlung für elektrochemische oder katalytische Reaktionen nutzen.1) Diese „dunkle Photokatalyse“ spiegelt in gewisser Weise die Dunkelreaktion der Photosynthese wider.14) In der dunklen Photokatalyse agiert das lichtgeladene Material als Katalysator, als Reduktionsmittel oder beides.Bei allen genannten Materialien sind die lichtgeladenen Zustände katalytisch aktiv, benötigen jedoch oft einen Cokatalysator. Lichtgeladenes TiO2 etwa spaltet im Dunklen Wasser, wenn es mit Pt- oder Ag-Nanopartikeln versehen ist.15) Gleiches gilt für K-PHI-Systeme16) und Ti-MOFs mit Pt-Nanopartikeln11) als Cokatalysator.<h2 type="main">Die Solarbatterie</h2>In den genannten Systemen setzt Lichtbestrahlung Elektronen frei. Das ähnelt dem elektrischen Aufladen einer Batterie – auch dort werden Elektronen in das Material eingetragen. Wird dieser Mechanismus in eine photoelektrochemische Zelle eingebaut, lässt er sich für eine Solarbatterie nutzen – Solarzelle und Batterie in einem Bauteil.17) Diese setzt sich zusammen aus dem lichtaktiven Material, einer transparenten Photoelektrode, einem Elektrolyten und einer elektrochemischen Elektrode.18) Ist beispielsweise K-PHI das Aktivmaterial, kommt eine Schicht mit Lochleitern zum Einsatz. Die Lichtreaktion wird hauptsächlich durch Rekombination ineffizient. Die Lochleiter sorgen dafür, dass die Elektronen schnell von den Löchern getrennt werden, und Elektronen sowie Löcher werden getrennt stabilisiert.19) So ein Zelltyp lässt sich selbst in wässrigen Elektrolytsystemen betreiben.18) Die Kaliumionen in Elektrolyt und Elektrode, die zum Ladungsausgleich nötig sind, müssen mobil sein. Li-dotiertes TiO2 folgt dem gleichen Solarbatteriekonzept wie K-PHI.20) Insgesamt ist die Lichtabsorption der Solarbatterie weniger effizient verglichen mit Photovoltaik-Zellen, und die Geräte speichern weniger Strom als herkömmliche Batterien.<h2 type="main">Weniger effizient, also weniger gut?</h2>Warum also nicht einfach eine Photovoltaikzelle über Kabel an eine Li-Ionen-Batterie stecken? Der Vorteil der Solarbatterie liegt darin, flexibel Energie zu speichern und in einer einzigen Zelle zu transformieren (<link href="#nadc20244142066-fig-0004">Abbildung 4): Sie kann bei Sonnenbestrahlung sowohl als Solarzelle Geräte antreiben und ohne Nutzer als Batterie fungieren. Im Dunklen lässt sich die Zelle elektrisch entladen oder laden. Somit agiert eine Solarbatterie je nach Bedarf als Energieproduzent, Speichermedium oder eben beides gleichzeitig, und das in einem relativ kompakten und simplen Zellaufbau.21)<figure xml:id="nadc20244142066-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/3hd3otmVQiGs813KEcK1"><figcaption><label>Abb.4: </label>Aufbau einer photo-elektrochemischen Zelle, die als Solarzelle, als Solarbatterie oder als elektrochemische Batterie fungieren kann. Als lichtdurchlässige Elektroden dienen Glassubstrate mit indiumdotierter Zinnoxidschicht, als Aktivmaterial ein Carbonitrid (K-PHI) und als Lochspeicher Poly(3,4-ethylendioxythiophen)polystyrolsulfonat (PEDOT:PSS). Inspiriert von Lit. 21.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Dunkel ins Licht bringen</h2>Die aufgeführten und andere Materialien gehören zwar zu verschiedenen Stoffgruppen und werden unterschiedlich hergestellt, ihre Mechanismen bei Lichtbestrahlung ähneln sich jedoch.21) Wie die Mechanismen genau ablaufen, ist Teil der aktuellen Grundlagenforschung. Besonders die Rolle von Strukturdefekten in Halbleitern und die Stabilisierung aktiver Moleküle in Gerüstverbindugen bieten noch viele offene Fragen. Fraglich ist zum Beispiel, wie dort Lichtanregung und Ladungstransport zusammenspielen, und wo die Ladungen im Material wie vorliegen. Die genannten Konzepte der dunklen Photokatalyse und Solarbatterie zeigen einen interessanten Ansatz, diese Effekte zu nutzen.22) Bis heute sind die neuen Materialien weniger effizient als die etablierten. Das ließe sich aber angehen, wenn Defekte im Kristallgitter und auf der Oberfläche kontrolliert würden, wenn in Gerüstverbindungen molekulare Bausteine verbessert würden, vor allem aber wenn die Mechanismen besser verstanden würden. Wenn Forschende ihre Materialien zum Sonnetanken nach draußen legen, kriegen diese dann ja vielleicht auch ein bisschen Farbe.<h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>Werden bestimmte Materialien mit Licht bestrahlt, trennen sich die Ladungen und können bis zu tagelang getrennt bleiben.Dazu gehören TiO2 und Carbonitride, und neuerdings verbessern Gerüstverbindungen die Lichtabsorption und Ladungstrennung.Die Technik nutzen Solarbatterien und manche Photokatalysatoren, die beispielsweise Wasser spalten.Die Beiträge zur Serie Blickpunkt Anorganik verfassen seit Juni 2024 im Wechsel Christina Birkel und Simon Krause.<h2 type="main">Der Autor</h2>Diesen Beitrag hat Simon Krause verfasst. Er ist seit November 2021 unabhängiger Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart und forscht an lichtresponsiven porösen Materialien und Molekülen. Im Sommer bevorzugt er kühlen Schatten mit ein bisschen Sonne, aber ohne TiO2 im Hautschutz.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/O9ErqVo6RdyEyTl6vfJe"><ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20244142066-bibl-0001"><li xml:id="nadc20244142066-bib-0001">1 A. Rogolino, O. Savateev, Adv. Funct. Mater. 2023, 33, 2305028</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0002">2 G. Y. Kim, A. Senocrate,; T.-Y. Yang, G. Gregori, M. Grätzel, J. Maier, Nat. Mater. 2018, 17, 445</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0003">3 A. Senocrate, E. Kotomin, J. Maier, Helv. Chim. Acta 2020, 103</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0004">4 A. Fujishima, K. Honda, Nature, 1972, 238, 37</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0005">5 J. Schneider,M. Matsuoka, M. Takeuchi et al., Chem. Rev. 2014, 114, 9919</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0006">6 X. Chen, L. Liu, P. Y. Yu, S. S. Mao, Science 2011, 331, 746</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0007">7 B. O’Regan, M. Grätzel, Nature 1991, 353, 737</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0008">8 Y. Takahashi, T. Tatsuma, Electrochem. Commun. 2008, 10, 1404</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0009">9 C. M. Pelicano, M. Antonietti, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202406290</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0010">10 Z. Chen, A. Savateev, S. Pronkin et al., Adv. Mater. 2017, 29, 1700555</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0011">11 Y. Pan, J. Wang, S. Chen et al., Chem. Sci. 2022, 13, 6696</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0012">12 P. M. Stanley, F. Sixt, J. Warnan, Adv. Mater. 2022, 35, 2207280</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0013">13 S. Wu, P. M. Stanley, S. N. Deger, M. Z. Hussain, A. Jentys, J. Warnan, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, e202406385</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0014">14 V. W. Lau, D. Klose, H. Kasap, et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2016, 56, 510</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0015">15 H. H. Mohamed, R. Dillert, D. W. Bahnemann, J. Phys. Chem. C 2011, 115, 12163</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0016">16 H. Schlomberg, J. Kröger, G. Savasci, Chem. Mat. 2019, 31, 7478</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0017">17 Q. Zeng, Y.; Lai, L. Jiang et al., Adv. Energy Mater. 2020, 10, 1903930</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0018">18 F. Podjaski, J. Kröger, B. V. Lotsch, Adv. Mater. 2018, 30, 1705477</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0019">19 A. Gouder, L. Yao, Y. Wang, Adv. Energy Mater. 2023, 13, 2300245</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0020">20 C. Andriamiadamanana, I. Sagaidak, G. Bouteau, C. Davoisne, C. Laberty-Robert, F. Sauvage, Adv. Sustain. Syst. 2018, 2, 1700166</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0021">21 A. Gouder, F. Podjaski, A. Jiménez-Solano, J.Kröger; Y. Wang, B. V. Lotsch, Energy Environ. Sci. 2023, 16, 1520</li><li xml:id="nadc20244142066-bib-0022">22 F. Podjaski, B. V. Lotsch, Adv. Energy Mater. 2021, 11, 2003049</li></ul>

Materialien, die Sonne tanken

Sind Festkörper einer Mikrowellenstrahlung ausgesetzt, passiert nichts bis sehr viel – abhängig von Form und Eigenschaften der Substanz. Festkörper, die sich effizient erwärmen, sind für die anorganische Chemie besonders spannend. Was geschieht beim Bestrahlen, wo liegen die Schwierigkeiten und wofür lassen sich die Prozesse nutzen?Dass elektromagnetische Strahlung Lebensmittel erwärmt, wurde durch Zufall während des zweiten Weltkriegs entdeckt. Ein Schokoriegel schmolz in der Hosentasche eines Ingenieurs der Firma Raytheon, der an einer Radaranlage arbeitete. Daraufhin patentierte die Firma die Technik und brachte den ersten Mikrowellenreaktor auf den Markt – ein menschhoher Koloss, der eine Dritteltonne wog. 20 Jahre später waren die ersten Haushaltsmikrowellenöfen mit ähnlichem Design wie heute verfügbar; Ende der 1960er noch zu einem Preis, der heute 4000 US-Dollar entspricht.Auch in organisch-chemischen Syntheselaboren sind Mikrowellenreaktoren verbreitet. Sie beschleunigen zum Beispiel organische Reaktionen wie C-C-Kupplungsreaktionen und dienen dazu, Nanopartikel in Lösung herzustellen.1–5) Diese Prozesse funktionieren, weil die Mikrowellenstrahlung mit Lösungsmitteln koppelt, die ein Dipolmoment besitzen – im einfachsten Fall Wasser in Lebensmitteln – und sie dadurch erwärmt.Die Frequenz der Mikrowellenstrahlung liegt zwischen 1 und 100 GHz (300 – 3 mm Wellenlänge). Die meisten Mikrowellenreaktoren arbeiten bei 2,45 GHz (12,2 cm) und übertragen nicht genug Energie, um chemische Bindungen zu brechen.Die elektromagnetische Strahlung besteht aus einem elektrischen und einem magnetischen Teil. Typischerweise ist allerdings nur das elektrische Feld wichtig zum Heizen: An diesem richten sich die Dipole und Ionen der Probe aus. Da das Feld oszilliert, wechseln die Dipole und Ionen immer wieder ihre Orientierung. Das führt zu Molekularreibung und Dielektrizitätsverlust. Dabei wird Energie in Form von Wärme frei.Der dielektrische Verlustfaktor tan d gibt die Fähigkeit an, Mikrowellenstrahlung in Wärme umzuwandeln. Je höher der Verlustfaktor, desto effizienter ist der Heizeffekt der entsprechenden Substanz.3) Für Lösungsmittel gibt es Tabellen mit diesem Wert.<h2 type="main">Festkörper mit Mikrowellen bestrahlen</h2>Was genau geschieht im Festkörper?6) Generell wechselwirken sie mit Mikrowellen(MW)strahlung auf eine von drei Arten (<link href="#nadc20244142064-fig-0001">Abbildung 1): MW-transparente Stoffe sind durchlässig und heizen wenig bis gar nicht auf, beispielsweise Silika; MW-reflektierende Stoffe wie CDs sind undurchlässig, hier kommt es häufig zu Funken oder Plasmaeffekten; MW-absorbierende Stoffe wie Graphit koppeln stark mit der MW-Strahlung und erwärmen sich effizient.<figure xml:id="nadc20244142064-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Hu86P5jS3uoLQRo3bM3V"><figcaption><label>Abb.1: </label>Wie Mikrowellenstrahlung mit Festkörpern wechselwirkt: Absorbierende Stoffe erhitzen sich, transparente heizen sich höchstens leicht auf, reflektierende erzeugen Funken oder Plasma.</figcaption></figure></figure>Ausgehend von den drei Klassen an Festkörpern werden die Vorgänge allerdings komplexer: Unterschiedliche Prozesse dominieren den Verlustfaktor tan d. Zum Beispiel hängt dieser davon ab, ob der Stoff ein elektronischer oder ionischer Leiter ist oder ein Isolator. Ob die Probe in Stücken, als Granulat oder feines Pulver vorliegt, beeinflusst tan d ebenfalls.Außerdem ist der Verlustfaktor temperaturabhängig: Manche Festkörper absorbieren MW-Strahlung erst bei hohen Temperaturen, wodurch ihre Temperatur plötzlich sprunghaft steigen kann. Verschiedene Oxide können sich daher radikal unterschiedlich verhalten: SiO2 erwärmt sich kaum, wenn es Mikrowellenstrahlung ausgesetzt ist. NiO und Cr2O3 erwärmen sich stärker – die Temperatur von Cr2O3 steigt plötzlich stark, da mit höherer Temperatur auch sein dielektrischer Verlustfaktor steigt.7)<h2 type="main">Metalle im Mikrowellenofen</h2>Metallgegenstände sollten nicht der Mikrowellenstrahlung ausgesetzt werden, da sie die Strahlung reflektieren und Funken entstehen können. Das liegt daran, dass die Strahlung kaum in das Material eindringt. Das führt zu großen Feldgradienten und daraufhin zu elektrischen Entladungen, die als Funken sichtbar sind.Diese Effekte sind für Metallpulver unerheblich. Wie vor mehr als 30 Jahren festgestellt wurde, absorbieren Metallpulver Mikrowellenstrahlung und erhitzen sich in Minuten auf mehr als 1000 °C.8) Das liegt hauptsächlich am dielektrischen Heizen aufgrund der freien Ladungsträger.Auch andere Substanzen erwärmen sich stark durch Mikrowellenstrahlung: In ionischen Verbindungen, etwa Ionenleitern, tragen Ionenströme zum Erwärmen bei; die Strahlung regt schwache sekundäre Bindungen in Festkörpern wie Graphit an und heizt die Substanz so auf. Oft werden Reaktionsmischungen deshalb in Graphit eingebettet. Sie erwärmen sich dann von innen, wenn die Edukte mit der MW-Strahlung koppeln, und von außen durch das Suszeptormaterial Graphit.<h2 type="main">Synthese im Mikrowellenofen</h2>Unter den Produkten von Festkörperreaktionen sind Oxide, Chalkogenide, intermetallische Verbindungen sowie Carbide und Nitride. Protokolle und -vorschriften zur Synthese anorganischer Festkörper im Mikrowellenofen fasst Literatur 9 zusammen.Nachdem die Produkte im Mikrowellenofen reagiert haben, werden sie danach oft noch einmal Stunden bis Tage in einem Ofen erhitzt, damit sie möglichst optimal geordnet oder kristallin werden. Das ist besonders oft dann nötig, wenn leichte Fehlordnungen oder amorphe Bestandteile die Eigenschaften verschlechtern.<link href="#nadc20244142064-fig-0002">Abbildung2 zeigt die komplette Synthese. Zunächst werden die Edukte vermischt, entweder manuell mit einem Mörser oder automatisiert mit einer Kugelmühle, in der die Edukte bereits reagieren können. Das Mischen bringt die festen Reaktionspartner dazu, untereinander zu diffundieren. Die Ausgangsstoffe wandern dann entweder in einen Aluminatiegel oder für Reaktionen unter Inertbedingungen in eine unter Vakuum verschlossene Ampulle aus Quarzglas, das Mikrowellenstrahlen nicht absorbiert. Diese wird entweder direkt in den Mikrowellenofen hineingestellt oder davor in ein Suszeptormaterial eingebettet. Werden Reaktionstemperaturen weit über 500 °C erwartet, sitzt der Versuchsaufbau in einem temperaturstabilen Gehäuse, um die Innenwand des Mikrowellenofens vor zu großer Hitze zu schützen.<figure xml:id="nadc20244142064-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/DmfoRXcqRDuocjQFjBOD"><figcaption><label>Abb.2: </label>Synthese im Mikrowellenofen: 1) Die Ausgangsstoffe werden miteinander vermahlen. 2) Das Reaktionsgemisch wird zu einem Pressling verdichtet. 3) Der Pressling wird in einen Tiegel oder eine evakuierte Ampulle überführt und in ein thermisch isoliertes Gehäuse gesetzt. 4) Im Mikrowellenofen läuft die Reaktion ab.</figcaption></figure></figure>Mit Haushaltsmikrowellenöfen wurden schon Festkörper hergestellt, allerdings sind sie weder feuer- noch explosionssicher. Labormikrowellenöfen sind sicherer, haben einen größeren Innenraum und Leistung bis 1800 W. Nach der gewünschten Reaktionszeit wird das Produkt entweder langsam im Ofen abgekühlt oder abgeschreckt. Ein optisches Pyrometer zeichnet die Temperatur während der Reaktion auf. Dabei soll die Temperatur des Suszeptors gemessen werden, da dessen Emissionskoeffizient bekannt ist und in das Pyrometer eingegeben wird. Wird die Temperatur des Reaktionsgemischs direkt gemessen, ist die Messung mit einem größeren Fehler behaftet, da der Emissionskoeffizient eines sich ändernden Gemischs sich nur abschätzen lässt. Wird ein Suszeptor wie Graphit-Granulat verwendet, variieren Heizrate und finale Temperatur abhängig von der Mikrowellenleistung. Je höher die Leistung, desto höher Heizrate und Reaktionstemperatur – der Suszeptor erreicht Temperaturen über 1000 °C.<h2 type="main">Dem Mikrowelleneffekt auf der Spur</h2>Seit Jahrzehnten wird diskutiert, ob es einen „Mikrowelleneffekt“ gibt – bewirkt die elektromagnetische Strahlung Effekte, die über das Heizen hinausgehen?Experimente dazu sind schwierig: Es ist schwer, den Heizeffekt von einem möglichen Mikrowelleneffekt zu trennen, da beides simultan abläuft. Außerdem sind Methoden rar, die in die Reaktionen und Abläufe während der Interaktion der Substanzen mit der Mikrowellenstrahlung blicken.Ein im Jahr 2023 entwickelter Aufbau verspricht nun Einblicke:16)Ein Ramanspektrometer sammelt sekündlich spektroskopische Daten während des Heizens unter Mikrowellenbedingungen. So werden chemische Prozesse mit präziser Zeitauflösung verfolgt. Ein zweiter Ofen, der in den Strahlengang des Ramanspektrometers eingesetzt werden kann, liefert die entsprechenden Daten unter Heizbedingungen ohne Mikrowellenstrahlung.Dadurch lässt sich zum Beispiel vergleichen, bei welchen Temperaturen die chemischen Reaktionen auftreten oder welche Zwischenprodukte sich bilden. Ramanspektroskopie eignet sich auch für amorphe Spezies. Damit lassen sich auch Reaktionen untersuchen, die wegen niedriger Reaktionstemperaturen keine kristallinen Verbindungen liefern.<h2 type="main">Phasenumwandlung von TiO2 als Modellsystem</h2>Mit Ramanspektroskopie wurde die Strukturänderung des Titandioxids Anatas zu Rutil aufgezeichnet (<link href="#nadc20244142064-fig-0003">Abbildung 3): links im normalen Ofen, rechts im Mikrowellenofen. Beide Fälle zeigen, wann sich die Struktur ändert. Das starke Signal bei 150 cm–1 (Anatas) verschwindet, wenn die Temperatur der Phasenumwandlung erreicht ist. Stattdessen sieht man zwei neue Signale bei etwa 400 cm–1 und 600 cm–1 (Rutil).<figure xml:id="nadc20244142064-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/94aDwTbbSVOayt8DCIvg"><figcaption><label>Abb.3: </label>In-situ-Ramanspektren der TiO2-Phasenumwandlung von Anatas (A) zu Rutil (R). a) Änderung der Absorption bei Erwärmung. Ofenheizen links, Mikrowellenheizen rechts. b) Vergrößerung der Ramanspektren nahe der Phasenumwandlungstemperatur.</figcaption></figure></figure>Der Prozess im Mikrowellenofen läuft demnach schneller als unter konventionellen Ofenbedingungen. Die blaue Kurve in Abbildung 3a zeigt den Temperaturverlauf, allerdings wird die Temperatur nur bei Durchführung mit dem Ofen mit einem Thermoelement gemessen. Im Mikrowellenofen lässt sich die Temperaturmessung mit diesem Aufbau nicht messen. Jedoch lässt sich die Temperatur auch durch Änderung von Signalposition, -breite oder beidem aus den Daten ermitteln – daran arbeitet die Gruppe aktuell.Prinzipiell ermöglicht der Aufbau, diverse Festkörper zu untersuchen, während sie entstehen oder sich umwandeln, sofern sie ramanaktiv sind. Um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten, sollten auch Ex-situ-Charakterisierungsmethoden eingesetzt werden, auch wenn diese nur schnappschussartige Einblicke erlauben: Beispielsweise liefert Röntgendiffraktion Informationen zu Zusammensetzung und Struktur und Elektronenmikroskopie zu Morphologie sowie chemischer Zusammensetzung.In-situ-Ramanspektroskopie wird dafür sorgen, dass jede ramanaktive Spezies während des Heizens untersucht und identifiziert wird – mit Mikrowellen und konventionell.<h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>Bestrahlung mit Mikrowellen lässt manche Festkörper kalt, andere erhitzen sich und ändern dabei ihre Phase oder reagieren mit anderen Reaktionspartnern.Das ist nicht neu, aber jetzt lässt sich sekundengenau klären, was dabei passiert.Damit ließe sich einem Mikrowelleneffekt auf die Spur kommen, der über das bloße Heizen hinausgeht.Die Beiträge zur Serie Blickpunkt Anorganik verfassen seit Juni 2024 im Wechsel Christina Birkel und Simon Krause.<h2 type="main">Die Autoren</h2>Christina Birkel ist Professorin an der Arizona State University, USA, und Kooperationsprofessorin an der TU Darmstadt, wo sie das Gebiet der anorganischen Festkörper- und Materialchemie vertritt. Niels Kubitza hat im Jahr 2023 bei Birkel in Darmstadt promoviert und arbeitet seit Anfang es Jahres als Postdoktorand in einem Sonderforschungsbereich zu magnetischen Materialien, an dem Birkel beteiligt ist.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/SDTKb2gURO29ytjM5EhD"><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Ni4mH0GnSKytPM56E3gR"><ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20244142064-bibl-0001"><li xml:id="nadc20244142064-bib-0001">1 Gedye, R., Smith, F., Westaway, K., Ali, H., Baldisera, L., Laberge, L., Rousell, J., Tetrahedron Lett. 1986, 27, 279–282</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0002">2 Kappe, C. O., Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 6250–6284</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0003">3 Dallinger, D. Chem. Unserer Zeit 2013, 47, 356–366.</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0004">4 Martina, K., Cravotto, G., Varma, R. S., J. Org. Chem. 2021, 86, 13857–13872</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0005">5 Saloga, P. E. J., Kästner, C., Thünemann, A. F., Langmuir 2018, 34, 147–153.</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0006">6 Kitchen, H. J., Vallance, S. R., Kennedy, J. L., et al., Chem. Rev. 2014, 114, 1170–1206</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0007">7 Rao, K. J., Vaidhyanathan, B., Ganguli, M., and Ramakrishnan, P. A., Chem. Mater. 1999, 11, 882–895</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0008">8 El Khaled, D., Novas, N., Gazquez, J. A., Manzano-Agugliaro, F., Renew. Sustain. Energy Rev. 2018, 82, 2880–2892</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0009">9 Levin, E. E., Grebenkemper, J. H., Pollock, T. M., Seshadri, R., Chem. Mater. 2019, 31, 7151–7159.</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0010">10 Birkel, A., Darago, L. E., Morrison, et al., Solid State Sci. 2012, 14, 739–745.</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0011">11 Biswas, K., Muir, S., Subramanian, M. A., Matr. Res. Bull. 2011, 46, 2288–2290</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0012">12 Birkel, C., Zeier, W., Douglas, J. et al., Chem. Mater. 2012, 24, 2558–2565</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0013">13 Hamm, C. M., Diop, L. V. B., Zhang, H., Gutfleisch, O., Birkel, C. S. Phys. Status Solidi C 2017, 14, 1700027</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0014">14 Hamm, C. M., Schäfer, T., Zhang, H., Birkel, C. S., Z. Anorg. Allg. Chem. 2016, 642, 1397–1401</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0015">15 Kubitza, N., Beckmann, B., Jankovic et al., Chem. Mater. 2024, 36, 1375–1384</li><li xml:id="nadc20244142064-bib-0016">16 Jamboretz, J., Reitz, A., Birkel, C.S., J. Raman Spectrosc. 2023, 54, 296</li></ul>

Artikel

Festkörpersynthese im Mikrowellenofen

Mit oder ohne Sprudel? Permanent poröse Flüssigkeiten nehmen Gase in ihre Poren auf und setzen diese wieder frei – es gibt sogar wässrige poröse Materialien. Wichtige Bestandteile der neuen Materialklasse: anorganische Koordinationskäfige und Gerüstverbindungen sowie ionischen Flüssigkeiten.Um poröse Materialien herzustellen, sind Flüssigkeiten oft essenziell. Sie dienen als Lösungsmittel und oft als Templat, damit sich Poren bilden können. Dennoch ist das Schicksal der Flüssigkeiten in der Regel das gleiche: Nach der Synthese werden sie aus den Poren entfernt, damit diese sich anderweitig nutzen lassen. Für die fertigen porösen Materialien sind die Flüssigkeiten nicht mehr nötig.Die Präsenz permanenter Poren in Flüssigkeiten ist hingegen kontraintuitiv. Zwar enthalten viele Flüssigkeiten intermolekulare Kavitäten, doch diese verändern sich aufgrund der Molekularbewegung. Verglichen mit permanenten intrinsischen Poren in Festkörpern sind transiente Poren deshalb schwerer zu untersuchen und zu nutzen.Ist es dennoch möglich, permanente Poren in Flüssigkeiten zu integrieren und sie für Gastmoleküle wie Gase zugänglich zu machen?<h2 type="main">Festkörper oder Molekül: ein Typ für alle</h2>Das erste Konzept zu porösen Flüssigkeiten (PF) stammt aus dem Jahr 2007.1) Vermutlich existieren ältere Synthesearbeiten zu Flüssigkeiten, die Charakteristika von PFs aufweisen. Diese wurden jedoch nie zu permanenter Porosität in der Flüssigphase untersucht. Bis heute haben sich zwei grundlegende Ansätze zur PF-Herstellung entwickelt, von denen sich vier Typen ableiten (<link href="#nadc20244142062-fig-0001">Abbildung 1).<figure xml:id="nadc20244142062-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/XHEEv1nLStm2vE85NOwB"><figcaption><label>Abb.1: </label>Konventionelle Flüssigkeit und Typen poröser Flüssigkeiten mit Beispielen für Porenträger: tetraedrische Koordinationskäfige mit (Typ I) und ohne (Typ II) solvatisierende Seitenketten; poröse Gerüstverbindungen (Typ III) und teilweise geschmolzene Gerüstverbindungen (Typ IV).</figcaption></figure></figure>Typ I basiert auf flüssigen permanent-porösen Molekülen oder Partikeln und Typ IV auf der Schmelze poröser Festkörper, wobei die poröse Struktur teilweise erhalten bleibt. Beide Typen sind PF, die keine Lösungsmittel benötigen, um die Flüssigphase zu stabilisieren.Typ II und Typ III beruhen hingegen auf permanent-porösen Molekülen oder Festkörpern, die in einem Lösungsmittel gelöst oder dispergiert werden. Damit die Materialien porös bleiben, darf das Lösungsmittel nicht in die Poren eindringen.Es gibt keine strikte Definition, was eine PF ist. In der Regel wird jedoch von einer Flüssigphase nahe Raumtemperatur und Normaldruck ausgegangen. Aber auch Substanzen mit Schmelzpunkten über 100 °C können als PF angesehen werden, wenn ihre Flüssigphase permanente Porosität aufweist.<h2 type="main">Sand, Kohle und Salze</h2>Die ersten Versuche, PF zu synthetisieren, bestanden darin, poröse organische Käfige mit langkettigen Alkylketten zu funktionalisieren.2) Diese setzen den Schmelzpunkt herab. Dieser intuitive Ansatz ist charakteristisch für Typ-I-PF. Allerdings drangen die Seitenketten in der Flüssigphase in das Käfiginnere ein, sodass die Materialien weniger porös wurden.Die ersten PF eines anorganischen Porenträgers wurden im Jahr 2015 entwickelt. Dazu wurden die Oberflächen poröser Silicatnanopartikeln über Silanolanbindung mit langkettigen Polymerketten funktionalisiert (<link href="#nadc20244142062-fig-0002">Abbildung 2).3) Die sphärischen Partikel mit 14 nm Durchmesser waren hohl und mit einer mikroporösen Silikatschicht versehen. Diese ist für Gase wie CO2 und N2 durchlässig, hindert jedoch die Polymerketten daran, in den Porenraum einzudringen.<figure xml:id="nadc20244142062-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/kPToZ9MwTk6QPWfUvDva"><figcaption><label>Abb.2: </label>Poröse Flüssigkeiten des Typs I mit solvatisierenden Gruppen, basierend auf a) hohlen Silikatpartikeln und b) hohlen Kohlenstoffpartikeln. Im jeweils linken Gläschen befindet sich der trockene Festkörper ohne Funktionalisierung. Im rechten befinden sich die funktionalisierten Partikel als a) niedrig- und b) hochviskose Flüssigkeit. Drittes Gläschen visualisiert, dass die Partikel CO2 speichern. Bild links aus Quelle 3), rechts aus Quelle 4)</figcaption></figure></figure>Mit einem ähnlichen Ansatz lässt sich in ionischen Flüssigkeiten eine stabile Dispersion aus hohlen Kohlenstoffpartikeln bilden. Dazu wechselwirkt die ionische Flüssigkeit elektrostatisch mit der Partikeloberfläche.4) Auf gleiche Weise wurden Oberflächen von Zeolith-Nanopartikeln mit langkettigen Organosilanolen funktionialisiert, sodass sich ohne weiteres Lösungsmittel eine stabile poröse Dispersion bildete.5)Die Oberflächen poröser Nanopartikel zu funktionalisieren ist inzwischen ein zentraler Ansatz, um PF herzustellen. Dabei werden ionische Flüssigkeiten vor allem genutzt, da sie chemisch funktionalisierbar sind und durch ihren niedrigen Dampfdruck nicht austrocknen. So wurden auch molekulare Koordinationskäfige in eine permanent-poröse Flüssigphase überführt.6) Anders als die Beispiele davor entstehen sie in einer einstufigen Reaktion: Ein Trialdehyd und eine anilinfunktionalisierte ionische Flüssigkeit kondensieren, wobei sich ein dreizähniger Ligand bildet (<link href="#nadc20244142062-fig-0003">Abbildung 3). Dieser reagiert in situ mit Zinktrifluormethansulfonat. Dabei ergeben sich die funktionalisierten Koordinationskäfige in der Flüssigphase. Diese Typ-I-PF nimmt selektiv aus der Gasphase Alkohole und Fluorchlorkohlenwasserstoffe auf.<figure xml:id="nadc20244142062-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/qW13ugADQ3WnrTm520gE"><figcaption><label>Abb.3: </label>Poröse Flüssigkeit des Typs I aus funktionalisierten Koordinationskäfigen. Sie erzeugen einen Hohlraum, da Zink mehrfach von Pyridiniminen koordiniert wird. In diese Poren können sich halogenierte Kohlenwasserstoffe einlagern.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Flüssige Poren messen</h2>Wie charakterisiert man Porosität in der Flüssigphase? Poren einzuführen reduziert die Dichte. Diese lässt sich mit jener der Flüssigkeit ohne Poren vergleichen oder direkt durch Positronen-Annihilations-Spektroskopie analysieren,5,7) da die Positronen nicht mit dem leeren Raum in den Poren wechselwirken.Ähnlich zu porösen Festkörpern ist auch bei PF die Adsorption von Gastmolekülen wichtig, vor allem von Gasen. So lässt sich bestimmen, wie viel Porenvolumen zugänglich ist. Außerdem ist abschätzbar, ob sich die PF eignet, um Gase und Flüssigkeiten zu speichern oder voneinander zu trennen.3,6)Bei den Gasadsorptionsmessungen ist sowohl zu berücksichtigen, wie gut sich das Testgas in der unporösen flüssigen Phase löst, als auch der Dampfdruck der Flüssigkeit, da die Messung im partiellen Vakuum stattfindet. Da der freie Gastransport in der Flüssigphase um Größenordnungen geringer ist als in der Gasphase, werden PF während der Messung meist gerührt.8) In PF des Typs III beeinflusst zudem die Partikelgröße des dispergierten porösen Feststoffs das Porenvolumen und die Transporteigenschaften.9) Analysieren lassen sich Porosität und Wechselwirkung mit Gastmolekülen durch NMR-Spektroskopie, indem Flüssigkeiten6) oder Sondengase wie 129Xe zugegeben werden.10) Um passende Lösungsmittel-Porenträger-Kombinationen zu finden, setzen die Cooper- und die Greenway-Gruppe neben experimentellen Methoden computergestützte und automatisierte Analysen ein.11)<h2 type="main">Olivenöl, Silikon und flüssige Salze</h2>Waren PF-Interessierte anfangs auf Typ I und II fokussiert, die aus porösen Nanopartikeln und vor allem aus organischen Käfigen mit oder ohne Lösungsmittel bestehen, steht heute Typ III im Fokus. Dieser lässt sich aus mikroporösen Festkörpern wie Zeolithen oder metallorganischen Gerüstverbindungen (MOFs) herstellen. Sie werden in einem Lösungsmittel dispergiert; deshalb ist chemische Funktionalisierung unnötig. Als Lösungsmittel eignen sich Silikonöle, Polymere wie Polyethylenglykol (PEG) und PEG-Derivate, ionische Flüssigkeiten sowie natürliche Triglyceride oder Olivenöl12) – je größer oder verzweigter die Lösungsmittelmoleküle, desto besser. Neben der Sterik muss die Polarität des Lösungsmittels zu der Oberfläche des Partikels oder Festkörpers passen. Ist das nicht so, wie bei Sand in Öl, gibt es keine stabile Dispersion, und die Phasen trennen sich.<h2 type="main">Wasser mit Mikroporen, atmende poröse Flüssigkeiten</h2>Einige mikroporöse Materialien nehmen wenig Wasser in die Poren auf, obwohl Wasser sehr klein ist. Sie sind hauptsächlich hydrophob – aus Kohlenstoff oder hydrophoben Polymeren wie Teflon. In Wasser dispergieren lassen sich beispielsweise PEG-funktionalisierte Nanokristalle des MOFs ZIF-8 oder die Zeolithe Silikalit-1 und ZSM-513) – das liefert stabile Typ-III-PF (<link href="#nadc20244142062-fig-0004">Abbildung 4). Als eine Art anorganisches Hämoglobin können diese PF bei Normaldruck vier- bis fünfmal mehr Sauerstoff in Wasser lösen als Blut. Da sie in Wasser funktionieren, scheint eine Anwendung in der Medizin möglich.<figure xml:id="nadc20244142062-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/EgKHegUTIWbnU1BgNEAK"><figcaption><label>Abb.4: </label>Poröse Flüssigkeiten des Typs III in Wasser als Lösungsmittel mit funktionalisiertem a) ZIF-8 und b) Silikalit-1. c) Poröse Flüssigkeiten basierend auf dem flexiblen MOF ZIF-7 in Silikonöl. Teile der Abbildung aus Quelle 15).</figcaption></figure></figure>Bleiben wir beim Atmen. Ein paar dynamische poröse Festkörper zeigen Porenexpansion oder -kontraktion, wenn sie Gase aufnehmen beziehungsweise abgeben. Das kann zu unüblichem Gasadsorptionsverhalten und damit einer effizienteren Kapazität in der Gasspeicherung führen.14) Dieses Verhalten flexibler MOFs ist als Atmen bekannt und lässt sich auch in Typ-III-PF erzeugen:15) So wurden die MOFs ZIF-7 und ZIF-9 in einem Silikonöl dispergiert und zeigten auch als PF die sigmoidale Isothermen-Form und -Hysterese, die typisch ist für atmende poröse Festkörper und Flüssigkeiten.<h2 type="main">Poren zum Dahinschmelzen</h2>Warum poröse Materialien nicht einfach so wie organische Käfige schmelzen statt Funktionalisieren und Dispergieren? In den letzten Jahren wurden poröse Koordinationspolymere entdeckt, die bei unter 300 °C stabile Schmelzen und beim Abkühlen Gläser bilden. Das Schmelzen des MOFs ZIF-4 liefert eine Flüssigkeit, die immer noch Charakteristika der Gerüstverbindung aufweist – darunter kleine Poren.16) Da die Teilchen in der Schmelze mobil sind, ist allerdings nicht von einer permanenten PF auszugehen.<h2 type="main">Überblick</h2>Permanente Poren lassen sich unterschiedlich in Flüssigkeiten einbringen: Die Oberflächen poröser molekularer Käfige und nanoskaliger Partikel können mit flüssigkeitsbildenden Gruppen funktionalisiert werden (Typ I); molekulare Käfige (Typ II) oder poröse Festkörper (Typ III) lassen sich in einem Lösungsmittel lösen oder dispergieren, das nicht in den Porenraum eindringt.Die Schmelzen poröser Feststoffe als poröse Flüssigkeit (Typ IV) bedürfen weiterer Experimente: Zum einen gibt es nur etwa zwanzig Arbeiten zu schmelzenden MOFs, zum anderen wurden diese meist nicht auf Porosität untersucht. Die Schmelzen schließen aber konzeptionell an das wachsende Feld ionischer Flüssigkeiten an.Es ist wahrscheinlich, dass deutlich mehr PF als bisher bekannt existieren, jedoch nie auf Porosität untersucht wurden. Hilfreich könnte hier sein, experimentelle Standards zu entwickeln, mit denen sich poröse Flüssigkeiten charakterisieren und einordnen lassen.17)In den beschriebenen Beispielen nehmen poröse Flüssigkeiten unterschiedliche Gase auf, ähnlich wie poröse Feststoffe. Nutzen ließe sich dies insbesondere zur Gastrennung durch Extraktion mit Flüssigkeiten, analog zur CO2-Extraktion mit Aminen,18) um einen neuen und effizienteren Prozess zu konzipieren.19) Außerdem lassen sich mit PF Membranen aus porösen Feststoffen einfacher herstellen, da das Lösungsmittel nicht aus den Poren entfernt werden muss.20)Wie poröse Flüssigkeiten aus Komponenten wie Wasser und Zeolithen zeigen, funktionieren Typ-III-PF auch mit kleinen Lösungsmittelmolekülen wie Wasser. Wasser ist umweltfreundlich; Zeolithe bestehen aus Aluminium- und Siliciumverbindungen, die gut verfügbar sind und werden sowieso schon im Industriemaßstab hergestellt, anders als etwa MOFs.PF können ein entscheidendes Bindeglied zwischen Technologien poröser Festkörper- und Flüssigphasenchemie werden: Zum Beispiel lassen sich flexible PF mit struktureller Dynamik erzeugen, die hydraulische Flüssigkeiten mit neuartigen responsive Eigenschaften möglich machen.<h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>Obwohl sie flüssig sind, enthalten poröse Flüssigkeiten (PF) permanente Hohlräume.Es gibt PF mit oder ohne Lösungsmittel; manche enthalten molekulare Käfige, andere poröse Festkörper.Mit ihnen könnte man Sauerstoff im Blut transportieren oder Gase extrahieren.Das ist der erste Beitrag von Simon Krause für den Blickpunkt Anorganik. Christina Birkel und er betreuen im Wechsel die Beiträge der Reihe, die etwa alle zwei Monate erscheinen.<h2 type="main">Der Autor</h2>Diesen Beitrag hat Simon Krause verfasst. Er ist seit November 2021 unabhängiger Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart und forscht an dynamischen und responsiven porösen Materialien und Molekülen. Er ist froh, trotz Arbeit an einem Institut für Festkörperforschung über Flüssigkeiten berichten zu dürfen.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/sAtoBLQbOAfolWapLVAw"><ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20244142062-bibl-0001"><li xml:id="nadc20244142062-bib-0001">1 N. O‘Reilly, N. Giri, S. L. James, Chem. Eur. J. 2007, 13, 3020</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0002">2 G. Melaugh, N. Giri, C. E. Davidson, S. L. James, M. G. Del Pópolo, Phys. Chem. Chem. Phys. 2014, 16, 9422</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0003">3 J. Zhang, S.-H. Chai, Z.-A. Qiao et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2015, 54, 932</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0004">4 P. Li, J. A. Schott, J. Zhang et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 14958</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0005">5 Y. Liu, Y. Bai, T. Tian, Materials 2019, 12, 3984</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0006">6 L. Ma, C. J. E. Haynes, A. B. Grommet et al., Nat. Chem. 2020, 12, 270</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0007">7 N. Giri, M. G. Del Pópolo, G. Melaugh et al., Nature 2015, 527, 216</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0008">8 R. L. Greenaway, D. Holden, E. G. B. Eden et al., Chem. Sci. 2017, 8, 2640</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0009">9 S. Liu, B. Lai, S. L. James, ACS Appl. Mater. Interfaces 2024, 16, 16436</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0010">10 M. Boventi, M. Mauri, F. Alexander, S. L. James, R. Simonutti, F. Castiglione, J. Mol. Liq. 2023, 370, 121038</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0011">11 R. J. Kearsey, Ben M. Alston, M. E. Briggs, R. L. Greenaway, A. I. Cooper, Chem. Sci. 2019, 10, 9454–9465</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0012">12 J. Cahir, M. Y. Tsang, B. Lai et al., Chem. Sci. 2020, 11, 2077</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0013">13 D. P. Erdosy, M. B. Wenny, J. Cho et al., Nature 2022, 608, 712</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0014">14 S. Krause, N. Hosono, S. Kitagawa, Angew. Chem. Int. Ed. 2020, 59, 15325</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0015">15 A. Koutsianos, R. Pallach, L. Frentzel-Beyme et al., Nat. Commun. 2023, 14, 4200</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0016">16 R. Gaillac, P. Pullumbi, K. A. Beyer et al., Nat. Mater. 2017, 16, 1149</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0017">17 B. D. Egleston, A. Mroz, K. E. Jelfs, R. L. Greenaway, Chem. Sci. 2022, 13, 5042</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0018">18 M. Z. Ahmad, A. Fuoco, Curr. Res. Green Sustain. Chem. 2021, 4, 100070</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0019">19 H. Mahdavi, S. J. D. Smith, X. Mulet, M. R. Hill, Mater. Horiz. 2022, 9, 1577</li><li xml:id="nadc20244142062-bib-0020">20 A. Knebel, A. Bavykina, S. J. Datta et al., Nat. Mater. 2020, 19, 1346</li></ul>

Poröse Flüssigkeiten

Manche Synthesen erfordern ungewöhnliche Reaktionstechniken oder Versuchsaufbauten – da läuft auch mal ein Küchenmixer im Labor. Und was klassisch in homogener Lösung in einem organischen Lösemittel unter Rückfluss reagiert, kann auch mechanochemisch in einer Kugelmühle funktionieren. So lassen sich sogar Moleküle realisieren, die als in Lösung unmöglich herstellbar gelten.Für Reduktionen wird in der anorganischen Molekülchemie oft Natrium oder Kalium genutzt. Beide Alkalimetalle lagern meist unter Mineralöl und lassen sich mit dem Messer schneiden. Waschen mit aliphatischen Lösemitteln wie n-Hexan entfernt das Öl und liefert sauberes Metall, <link href="#nadc20244142653-fig-0001">das in der Glovebox unter Schutzgasatmosphäre weiter zerkleinert und dann in Reaktionsgefäße überführt werden kann.<figure xml:id="nadc20244142653-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/ss0JHLhQR7S2dq3Xpbvm"><figcaption><label>Abb.1: </label>Etwa so sieht ein Mahlset für die Kugelmühle aus. Bild: Valerioa / Adobe Stock</figcaption></figure></figure>Für Reduktionen ist das reine Metall nicht immer die erste Wahl, denn es hat eine verhältnismäßig geringe aktive Oberfläche. Gängige Alternativen mit größerer Oberfläche sind Dispersionen etwa von Natrium auf Silicagel oder Graphit, Legierungen wie Na/Hg sowie Natrium- oder Kaliumspiegel.Bei festen Dispersionen muss das Trägermaterial inert gegenüber dem Metall sein. Zum Beispiel dispergierten Chen, Huang und Mitarbeitende Natrium auf Natriumchlorid; sie erhielten so zirka zehn Gewichtsprozent Natrium auf NaCl als einfach zu handhabendes Reduktionsmittel.1) Das gelang mit einer Kugelmühle – das Stichwort lautet Mechanochemie.<h2 type="main">Mechanochemie</h2>Mechanochemie umfasst chemische Umwandlungen, die durch Anwendung anisotroper mechanischer Kräfte auf Feststoffe ausgelöst werden. Die Press-, Scher- und Faltvorgänge, die seit Jahrhunderten mit Mörser und Stößel ausgeführt werden, sind wegen ihrer Einfachheit auch heute noch beliebt in den Materialwissenschaften, der anorganischen und organischen Synthese. Inzwischen wurden Mörser und Stößel oftmals gegen Kugelmühlen getauscht.Am häufigsten sind Planeten-Kugelmühlen. Darin stellt jeder Mahlbecher einen „Planeten“ dar. Diese Mahlbecher werden mit Mahlkugeln und den Reaktanden befüllt und auf einer kreisförmigen Plattform fixiert, dem Sonnenrad. Dreht sich das Sonnenrad, beginnt der Mahlbecher, um seine eigene Achse zu rotieren, jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die so aktivierten Zentrifugal- und Corioliskräfte führen zu einer starken Beschleunigung der Mahlkugeln (<link href="#nadc20244142653-fig-0002">Abbildung 1, oben). Dieser Energieeintrag ist für chemische Synthesen nutzbar, und so eignen sich Kugelmühlen nicht nur zur Herstellung feinster Pulver. Eine weitere vielgenutzte Form sind Mixer-Mills, bei denen der Mahlbecher mit einer bestimmten Frequenz mechanisch geschüttelt wird. Die Iupac bezeichnete Mechanochemie kürzlich als eine von zehn transformativen – im Sinne nachhaltiger – Techniken, neben beispielsweise Feststoffbatterien, Flow-Chemie oder dem 3-D-Bioprinting.2)<figure xml:id="nadc20244142653-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/H9CaU47QJmCnWuIF2r5K"><figcaption><label>Abb.2: </label>Oben: Grundprinzip einer mechanochemischen Reaktion mit einer Kugelmühle. Mitte: Mechanochemische Grignard-Reaktion und Abbildung des intermediär gebildeten Grignard-Reagenzes. Unten: Mechanochemische Darstellung eines RhIII-Katalysators und Einsatz in einer CH-Funktionalisierungsreaktion.</figcaption></figure></figure>Mechanochemische Reaktionen wurden von Chemiker:innen des 20. Jahrhunderts weitestgehend ignoriert.3) Heute jedoch gilt die Mechanochemie als hervorragende Methode der „Grünen Chemie“, da sie eine Möglichkeit bietet, die Menge an Lösungsmittel zu reduzieren oder Flüssigkeit ganz zu vermeiden. Meistens funktioniert sie bei Raumtemperatur – die Zentrifugal- und Corioliskräfte liefern die Energie, für die sonst Hitze nötig ist.<h2 type="main">Grignard in der Mühle</h2>Grignard-Reagenzien werden traditionell hergestellt, indem ein Alkyl- oder Arylhalogenid mit Magnesiummetall zur Reaktion gebracht wird. Das Metall liegt in der Regel in Form von „Drehspänen“ vor; das Lösungsmittel ist meist Diethylether oder Tetrahydrofuran (THF).Aufgrund der hohen Reaktivität der Grignard-Reagenzien erfordern deren Herstellung und die anschließenden Reaktionen normalerweise Schutzgastechniken und wasserfreie Lösungsmittel. Und Grignard-Reaktionen sind zum Teil unberechenbar: Entweder sind sie schwer zu initiieren, oder sie beginnen spontan unter starker Wärmeentwicklung – oder beides, denn meist bedingt eines das andere.All diese Nachteile umgeht die mechanochemische Synthese von Grignard-Verbindungen. Magnesiumspäne, das entsprechende Arylbromid und minimale Mengen THF (zwei Äquivalente bezogen auf Magnesium) werden in einen Mahlbecher gegeben, Kugeln hinzugefügt, und nach einer Stunde Mahlen ist eine orangefarbene Paste entstanden (Abbildung 1, Mitte). Dieser wird an Luft der gewünschte Aldehyd beigemengt.4) So lassen sich etliche sekundäre Alkohole einfach darstellen. Auch schwer lösliche Arylbromide sind auf diese Weise umsetzbar; in diesem Fall wird ein Vielfaches der Ausbeute in Lösung erhalten (etwa 40 Prozent statt weniger als einem Prozent).Auch in die Katalyse hat die Mechanochemie Eingang gefunden. Zum Beispiel entwickelten Hernández und Bolm ein zweistufiges Verfahren, das im ersten Schritt die Mechanosynthese eines Rhodium(III)-Katalysators umfasst. Dieser dient dann im zweiten Schritt als Katalysator für die C-H-Aktivierung durch Kugelmahlen (Abbildung 1, unten).5)<h2 type="main">Was tun ohne Kugelmühle?</h2>Apparaturen für anaerobes Arbeiten, etwa eine Schlenkline, sind in den meisten anorganischen Laboratorien vorhanden. Aber nicht alle Arbeitsgruppen verfügen über eine Kugelmühle. Für diesen Fall haben sich Jones und Mitarbeitende überlegt, das NaCl zunächst mit einem regulären Küchenmixer hochfein zu zermahlen. Ein solcher Standardmixer ist für etwa 50 Euro erhältlich und steht auch in unseren Laboratorien. Eine Kugelmühle dagegen kostet oft etwa 10 000 Euro.Nach dem Mahlen muss der NaCl-Staub in einem Schlenkkolben bei 300 °C und dynamischem Vakuum für mehrere Stunden trocknen. Diesem trockenen NaCl werden fünf Gewichtsprozent (Schreibweise: 5 % w/w, Na/NaCl) metallisches Natrium und ein großer Magnetrührfisch zugefügt. Rührt diese Mischung kurz oberhalb der Schmelztemperatur von Natrium – also bei etwa 100 bis 110 °C – für zirka 30 Minuten, entsteht ein blaugraues Pulver. Es lässt sich unter Argonatmosphäre unbegrenzt aufbewahren; an der Luft zersetzt es sich schnell und sollte unter Schutzgas gehandhabt werden.Wie Rasterelektronenmikroskopieaufnahmen (SEM) zeigen, sind die ungleichmäßig mit Natrium überzogenen NaCl-Kristalle zwischen 10 und 100 μm groß (<link href="#nadc20244142653-fig-0003">Abbildung 2). So ist die aktive Oberfläche des Natriums signifikant größer als die eines Natriumspiegels.<figure xml:id="nadc20244142653-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/NPpcFos2TM2MvE29mnbJ"><figcaption><label>Abb.3: </label>Links: Rasterelektronenmikroskopbilder von a) mit Küchenmixer gemahlenem NaCl-Pulver und b) teilweise mit Natrium (dunkelgraue Flächen) überzogenen NaCl-Kristallen.19) Rechts: Mit einer Dispersion von Na auf NaCl lassen sich MgI-Dimere effizient herstellen.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Warum brauchen wir feste Dispersionen?</h2>Hintergrund der Entwicklung dieses Reduktionsmittels war die Herstellung von MgI-Dimeren, welche Cameron Jones‘ Gruppe erstmals im Jahr 2007 präsentiert hatte.6) Diese Dimere wurden bis dahin ausgehend von [LMgI(OEt2)] (L = ArNacnac; Nacnac = HC(MeCNAr)2; Ar = Mes, Dep, Dip) über einem Natriumspiegel synthetisiert.7) Das Verfahren erlaubt Synthesen mit meist weniger als 3 g Ausgangsmaterial oder – bei mehr Edukt – mit variablen Ausbeuten meist unter 60 Prozent. Zudem müssen die Produkte kristallisiert werden. Mit 5 % w/w, Na/NaCl lassen sich die Synthesen in den Multigrammmaßstab skalieren, und die MgI-Dimere werden nach Filtration und Waschen mit n-Hexan so rein erhalten, dass Umkristallisation unnötig ist (Abbildung 2, rechts). Auch Dispersionen des Typs 5 % w/w, K/KI lassen sich herstellen, sie ersetzen Kaliummetall.8)Erst kürzlich wurde über eine Dispersion von 5% w/w, Li/LiCl berichtet.9) Der Vorteil einer solchen Dispersion: Sie ersetzt Lithiumsand, der pyrophor und schwierig herzustellen ist. Mit der Lithiumdispersion synthetisierten Martin und Mitarbeitende tetraphenylsubstituiertes 1,4-Dilithio-1,3-butadien, das sie mit Dimethylzinndichlorid in das korrespondierende Stannol umwandelten. Die Reaktionszeit verkürzte sich gegenüber der Verwendung von Lithiumgranulat von 20 auf 2 Stunden, und die Ausbeute stieg von 63 auf 80 % (<link href="#nadc20244142653-fig-0004">Abbildung 3, Reaktion 1). Stannole sind wichtige Ausgangsverbindungen für Borole oder Phosphole.<figure xml:id="nadc20244142653-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/VLXWMz3ETi63jY9wYK7E"><figcaption><label>Abb.4: </label>Beispiele, wie feste Dispersionen der Alkalimetalle Li, Na und K auf ihren entsprechenden Halogenidsalzen in der anorganischen Synthesechemie genutzt werden.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Potente Dispersionen einsetzen</h2>Power und Mitarbeitende nutzten 5% w/w, Na/NaCl zur Reduktion eines Terphenyldiiodoalans. Dadurch erhielten sie das erste arylsubstituierte Alandiyl mit einem einfach koordinierten Aluminiumatom (Abbildung 3, Reaktion 2).10)Die Gruppe um Werncke nutzte 5 % w/w, Na/NaCl, um quasi-lineare anionische Eisen(I)-Silylamide herzustellen, die anders nur schwierig zugänglich sind (Abbildung 3, Reaktion 3).11)Kürzlich fing die Gruppe um Harder eine radikalische MgI-Spezies ab, indem sie das Metallzentrum mit einem cyclischen Alkylaminocarben-Liganden (CAAC) (Abbildung 3, Reaktion 4) stabilisierte. CAACs sind starke π-Akzeptoren; Dichtefunktionaltheorie(DFT)-Rechnungen zufolge ist Mg positiv geladen (+1,73) und die CAAC-Einheit negativ (−0,82). Trotz der CAAC-Stabilisierung ist der Komplex bei Raumtemperatur in Benzol instabil: Er zersetzt sich mit einer Halbwertszeit von weniger als 30 Minuten zu einer MgII-Spezies, indem die CAAC-Einheit sich zersetzt. Darum lässt sich der Komplex ausschließlich durch die Festkörperreaktion von [tBuC(NDip)2MgI(OEt2)] mit 5 % w/w, K/KI in einer Kugelmühle herstellen. Dabei entsteht ein tiefviolettes Pulver, das die Verbindung [tBu(NDip)2MgI(CAAC)]∙ enthält. Extrahieren mit n-Pentan und Kristallisation liefern schwarze Kristalle dieses formalen MgI-Radikals in 15 % Ausbeute.12) In Toluol entsteht bei der Reduktion mit K/KI nur das Zersetzungsprodukt des Radikals (Abbildung 3, Reaktion 4). Wie die Gruppe in einer kurz darauf erschienenen Studie zeigte, sind MgI-Dimere auch mechanochemisch mit Na/NaCl oder K/KI als Reduktionsmittel in einer Kugelmühle zugänglich.13)<h2 type="main">Unmögliche Moleküle</h2>Ein Großteil der Faszination der Mechanochemie beruht darauf, dass sie Produkte oder Reaktionen zugänglich macht, die in Lösung nicht ohne Weiteres möglich sind. Ein Beispiel ist das adamantoide tert-Butylphosphazan: Es galt wegen seiner Sterik als unzugänglich, wurde aber im Jahr 2016 durch ionen- und flüssigkeitsassistiertes Mahlen (ILAG) hergestellt (<link href="#nadc20244142653-fig-0005">Abbildung 4A, S. 71).14) Solche PN-Käfige wurden im letzten Blickpunkt Anorganik vorgestellt [Nachr. Chem. 2024, 72(2), 75].<figure xml:id="nadc20244142653-fig-0005"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/TaPa1tLnTzuwTySrCQjA"><figcaption><label>Abb.5: </label>Kugel-und-Stab-Darstellungen solcher Moleküle, die als in Lösung unmöglich herzustellen gelten, sich aber mechanochemisch synthetisieren lassen. A: tert-Butyltetraphosphaazan; B: Bisalkylaluminylkalium-Dimer; C: Di(indenyl)beryllium; D: Triallylaluminium; E: Tetraallylzinn(IV).</figcaption></figure></figure>Ein anderes Beispiel ist die Reduktion eines Diiodocycloaluminapentans mit einer Na/K-Legierung. Diese Reaktion gelingt nur in einer Kugelmühle mit kleinen Mengen O(SiMe3)2 (500 Mikroliter für 22 Mikromol Edukt). Nach Umkristallisieren aus dem gleichen Lösemittel wird das hochreaktive Aluminyl-Kaliumdimer in 20 % kristalliner Ausbeute erhalten (Abbildung 4B).15)Ein weiteres Molekül, das als in Lösung unmöglich herzustellen gilt, ist Di(indenyl)beryllium. Salzmetathesereaktionen zwischen Indenylkalium [C9H7]K und BeCl2 oder BeBr2 in Et2O oder THF führten nicht zum gewünschten Produkt. Werden BeCl2 und [C9H7]K jedoch in einer Kugelmühle zusammengegeben und bei 600 Umdrehungen pro Minute für eine Stunde miteinander vermahlen, so resultiert nach Extraktion mit Hexanen Be[C9H7]2. Es hat ähnlich wie Beryllocen eine Slipped-Sandwich-Struktur (Abbildung 4C).16)Demselben Labor entstammen weitere Moleküle, die in Lösung nicht darstellbar sind oder nur eine kurze Lebensdauer haben: So liefert AlBr3 kombiniert mit dem sterisch anspruchsvollen Allyl-Anionenäquivalent K[(C3H3(SiMe3)2] im Verhältnis von 1:3 in einer Planetenkugelmühle nach fünf Minuten Mischzeit das unsolvatisierte Al[C3H3(SiMe3)2]3 (Abbildung 4D)17) – unsolvatisierte Aluminiumallyle waren zuvor nicht zugänglich.Durch Kugelmahlen wurde zudem die Tetraallylzinn-Verbindung Sn[(C3H3(SiMe3)2]4 erhalten: ein stabiler Feststoff, der sich in Lösung schnell zersetzt (Abbildung 4E).18)Der AutorChristian Hering-Junghans ist Themenleiter am Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock. Seine Gruppe entwirft Liganden auf Basis niedervalenter Phosphorverbindungen und untersucht Gruppe-13/15-Mehrfachbindungssysteme. Im Oktober 2023 hat er eine Vertretungsprofessur an der Universität Magdeburg angetreten.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/F8MPlnSFSw6zKwsoHq6g"><h2 type="main">Auf dem Prüfstand: Mechanochemie für die Pharmaindustrie</h2>Mechanochemie findet nicht nur in Kugelmühlen statt, sondern bedeutet auch Doppelschneckenextrusion oder Sprühtrocknung. Da keine oder nur wenig Lösemittel nötig sind und das Verfahren bei Raumtemperatur läuft, gilt es als umweltfreundlich.Seit November 2022 läuft das Verbundprojekt Impactive (innovative mechanochemical processes to synthezise green active pharmaceutical ingredients) an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Darin entwickeln Franziska Emmerling und Kolleg:innen ein Verfahren, um Wirkstoffe wie Krebsmedizin, Antidiabetika oder Blutdrucksenker mechanochemisch herzustellen. Zur Substanz Imatinib (Wirkstoff des Novartis-Medikaments Glivec oder Gleevec) gibt es bereits eine Veröffentlichung.Imatinib ist ein Tyrosinkinaseinhibitor und dient zur Behandlung maligner Tumore, etwa der chronisch myeloischen Leukämie oder gastrointestinalen Stromatumoren.Impactive-Website: <url href="http://www.mechanochemistry.eu"><a href="https://mechanochemistry.eu" target="_blank">mechanochemistry.eu</a></url><h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>In Kugelmühlen lassen sich Synthesen durchführen – oft bei Raumtemperatur, und sie erfordern nur wenig oder gar kein Lösungsmittel.Auch Pulver lassen sich darin herstellen, etwa feste Dispersionen für Reduktionen.Wenn das Geld für eine Kugelmühle fehlt, kann ein Küchenmixer eine gute Alternative sein.Blickpunkt Anorganik berichtet über präparative Techniken, Analysetechniken, Reinigungsverfahren, den richtigen Umgang mit gefährlichen Stoffen und mehr. Die Serie betreuten über die letzten zwölf Hefte Andrea Pannwitz und Christian Hering-Junghans.<ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20244142653-bibl-0001"><li xml:id="nadc20244142653-bib-0001">1 M. Zhang, Q. Pei, W. Chen, L. Liu, T. He, P. Chen, RSC Advances 2017, 7, 4306</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0002">2 F. Gomollón-Bell, Chem. Int. 2019, 41, 12</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0003">3 L. Takacs, Chem. Soc. Rev. 2013, 42, 7649</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0004">4 R. Takahashi, A. Hu, P. Gao et al., Nat. Commun. 2021, 12, 6691</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0005">5 J. G. Hernández, C. Bolm, Chem. Commun. 2015, 51, 12582</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0006">6 S. P. Green, C. Jones, A. Stasch, Science 2007, 318, 1754</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0007">7 R. Peloso, I. Resa, A. Rodríguez et al., Inorg. Synth. 2018, 37, 33</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0008">8 J. Hicks, M. Juckel, A. Paparo, D. Dange, C. Jones, Organometallics 2018, 37(24), 4810</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0009">9 X. Su, L. E. Laperrierea, C. D. Martin, New J. Chem. 2021, 45, 14913</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0010">10 J. D. Queen, A. Lehmann, J. C. Fettinger, H. M. Tuononen, P. P. Power, J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 20554</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0011">11 R. Weller, I. Müller, C. Duhayon et al., Dalton Trans. 2021, 50, 4890</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0012">12 D. Jędrzkiewicz, J. Mai, J. Langer et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2022, 61, e202200511</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0013">13 D. Jędrzkiewicz, J. Langer, S. Harder, Z. Anorg. Allg. Chem. 2022, 648, e202200138</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0014">14 Y. X. Shi, K. Xu, J. K. Clegg et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2016, 55, 12736</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0015">15 S. Kurumada, R. Yamanashi, K. Sugita et al., Chem. Eur. J. 2024, 30, e202303073</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0016">16 R. F. Koby, N. D. Schley, T. P. Hanusa, Angew. Chem. Int. Ed. 2021, 60, 21174</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0017">17 N. R. Rightmire, T. P. Hanusa, A. L. Rheingold, Organometallics 2014, 33, 5952</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0018">18 R. F. Koby, T. P. Hanusa, N. D. Schley, J. Am. Chem. Soc. 2018, 140, 15934</li><li xml:id="nadc20244142653-bib-0019">19 Reproduziert mit Erlaubnis von Organometallics 2018, doi: <accessionid ref="info:doi/10.1021/acs.organomet.8b00803">10.1021/acs.organomet.8b00803</accessionid>; Copyright 2018 American Chemical Society</li></ul>

Mixen und Mahlen statt Lösen und Rühren

Manche Polymere haben ein anorganisches Rückgrat, gleichen aber in ihrer Elektronenkonfiguration oder Geometrie kohlenstoffbasierten Kunststoffen. Aus manchen dieser Hauptgruppenelement-basierten Materialien lassen sich Block-Copolymere oder Wirkstoffträger synthetisieren, und einige sind sogar einfacher herzustellen als ihre Kohlenstoff-Pendants.Anfang des 20. Jahrhunderts befasste sich der englische Chemiker Frederic S. Kipping mit der Chemie des Elements Silicium, dessen Nutzen für die organische Chemie damals weitgehend unerforscht war. Bei dem Versuch, Verbindungen mit Si-C-Bindung zu synthetisieren, erhielt er oft harzige Substanzen, die sich nicht destillieren ließen: die Silikone. Kipping beschäftigte sich insbesondere mit Organochlorsilanen und wie sie sich zu Silanolen umsetzen lassen. Diese kondensierten jedoch zu Oligomeren. Kipping erkannte zwar, dass „Silikone“ wie [(C2H5)2SiO]n und [(PhCH2)(CH3)SiO]n thermisch stabile Oligomere sind, dass „Benzylkieselsäure“ als Kleber wirkt und „Diphenylsilikon“ Filme bildet.1) Anwendungen fand er jedoch nicht. Erst in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts rückten Silikone wieder in den Fokus der Forschung. So fanden Eugene Rochow und Richard Müller unabhängig effiziente Routen zu Methylchlorsilanen, ausgehend von Methylenchlorid und Rohsilicium <link href="#nadc20244141544-fig-0001">an einem Kupferkatalysator (Abbildung 1). Der preisgünstige Zugang zu den Vorstufen etablierte die Silikone, Polymere mit einem anorganischen Rückgrat aus [SiR2-O]n-Einheiten. Über die Substitutenten R lassen sich deren Eigenschaften gezielt einstellen.<figure xml:id="nadc20244141544-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/FrVipnMeRza6ZJlGONPY"><figcaption><label>Abb.1: </label>Darstellung von Dichlordimethylsilanen (Nebenprodukte nicht dargestellt) nach Müller und Rochow sowie Hydrolyse zu Silanolen, die unter Polykondensation das Silikon Poly-Dimethylsiloxan (PDMS) ergeben.</figcaption></figure></figure>Der häufigste Vertreter der Silikone ist Polymethyldisiloxan ([SiMe2-O]n, PDMS) (Abbildung 1), das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Den Kontaktlinsenträger:innen unter Ihnen helfen sie, diesen Artikel zu lesen, außerdem sind Silikone Bestandteile imprägnierter Jacken, medizinischer Anwendungen und mancher Wandfarben.Silikone sind nicht nur gegen Hitze und Licht beständig, sondern auch chemisch, da Si-O- und Si-C-Bindungen thermodynamisch stabil sind. Durch die Zugabe von Trichlormethylsilanen entstehen bei der Polymerisierung Verzweigungen, die das Material weicher machen. Da so keine zusätzlichen Weichmacher nötig sind, werden Silikone in Medizinprodukten wie Kathetern eingesetzt.Neben Silikon gibt es weitere polymere Materialien, deren Rückgrat nicht nur aus Kohlenstoff besteht. Sie enthalten Hauptgruppenelemente wie N, P, O, B oder Si. Einige Vertreter sollen in diesem Blickpunkt genauer betrachtet werden.<h2 type="main">Polyamino- und Polyphosphinoborane statt Polyalkene</h2>Isoelektronisch sind Moleküle oder Ionen dann, wenn die Zahl der Atome und der Elektronen sowie die Elektronenkonfiguration gleich sind. Isostere sind Spezialfälle, die isoelektronisch sind und außerdem die gleiche Gesamtladung haben: Isoster sind beispielsweise Aminoboran H2B-NH2 (oder H2B=NH2) und Ethen H2C=CH2. Wie bei Alkenen sollten also Aminoborane des Typs R(H)N-BH2 zu Polyaminoboranen des Typs [R(H)N-BH2]n polymerisieren. Das Rückgrat enthält im Gegensatz zu Polyalkenen polarisierte N–B-Bindungen, was die physikalischen und chemischen Eigenschaften dieser Polymere beeinflusst. Das Interesse an Aminoboranen beruht auf ihrem Potenzial als Präkeramiken, aus denen sich der Hochtemperaturwerkstoff Bornitrid abscheiden lässt.2) Dieser lässt sich zwar kosteneffizient herstellen, jedoch meist nur in Pulverform. Wie Pionierarbeiten der Manners-Gruppe zeigen, katalysieren Iridium(III)dihydrid-Komplexe die Dehydrokupplung von N-Methylaminboran H2(Me)N−BH3.3) Das liefert ein Polymer isoster zu Polypropylen. Die Monomereinheit ist transientes H(Me)N=BH2, das alternierende Lewis-saure Bor- und Lewis-basische Stickstoffzentren enthält. Diese machen es thermisch instabil, und über unkontrollierte Kopf-Schwanz-Dimerisierung können sich daraus Dimere, Trimere und Oligomere bilden.Mechanistische Studien sind daher nötig, um die kontrollierte lineare Kopf-Schwanz-Polymerisation ausgehend von Aminboranen zu optimieren. Darauf aufbauend lassen sich Eigenschaften einstellen, etwa die Taktizität, also die Anordnung der Seitenketten (vgl. Polypropylen). In den vergangenen 15 Jahren wurden wesentliche Fortschritte auf diesem Gebiet erzielt: Wie aktuelle Studien von Weller und Mitarbeitenden <link href="#nadc20244141544-fig-0002">an neutralen oder kationischen Rhodium-Präkatalysatoren zeigen (Abbildung 2, (1)), bildet sich das Monomer Me(H)N=BH2 an neutralen [Rh-H]-Spezies. Das Monomer vollzieht dann eine Kopf-Schwanz-Polymerisation am Kettenende durch nukleophile B−N-Bindungsbildung, wobei das B-Ende der Kette an das Rh-H geknüpft ist.4) Ein Kettenabbruch erfolgt dann durch Protonierung am N-Terminus oder durch Kettenübertragung durch H2(Me)N−BH3.5) Wie neueste Studien zeigen, lassen sich die Polyaminoborane selektiv zu cyclischen Triborazanen abbauen. Das gelingt mit Reagenzien wie N-heterocyclischen Carbenen oder Na[N(SiMe3)2].6)<figure xml:id="nadc20244141544-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/kz1wduXaRpyeWyuJjtEo"><figcaption><label>Abb.2: </label>Synthese von Polyamino- und Polyphosphinoboranen mit Übergangsmetallkatalysatoren. Zwei Katalysatoren (1) und (2) sind dargestellt.</figcaption></figure></figure>Ähnlich dehydropolymerisieren Phosphinborane (PB) des Typs H2(R)P−BH3 zu den entsprechenden Polyphosphinoboranen. Mit 1 Mol-% [CpFe(CO)OTf] polymerisiert H2(Ph)P−BH3 bei 100 °C in Toluol (Abbildung 2, (2)).7) Mit einem Rh-Katalysator lassen sich sogar Blockcopolymere aus zwei verschiedenen Phosphinboranen herstellen, deren Ketten sich selbstorganisiert immer gleich aufwickeln.8) PB-Polymere sind interessant als lithografische oder feuerfeste Beschichtungen und als Vorstufen für PB-Keramikmaterialien.<h2 type="main">Polyphosphazene und Polyphosphonate</h2>Isovalenzelektronisch zu Silikonen sind Polyphospazene (PPZ), in denen [PR2=N]n-Gruppen als Baueinheit vorliegen. Henry Allcock hat Polyphosphazene in den Fokus der anorganischen Chemie gebracht und daraus Materialien hergestellt.PPZ sind biokompatibel, biologisch abbaubar, bilden flexible Ketten und lassen sich leicht chemisch modifizieren.9) Bereits im Jahr 1890 stellte Stokes <link href="#nadc20244141544-fig-0003">fest, dass [N=PCl2]3 (Abbildung 3, (3)) beim Erhitzen zu einem gummiartigen Elastomer wird, das später als „anorganischer Gummi“ bezeichnet wurde.10)<figure xml:id="nadc20244141544-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Mg6tsYSpRuyMXPPNlKI2"><figcaption><label>Abb.3: </label>Zugänge zu Polyphosphazenen (PPZ) und Darstellung von Polyphosphonaten.</figcaption></figure></figure>Klassisch werden PPZs aus (NPCl2)3 in einer thermischen Ringöffnungspolymerisation (ROP) hergestellt. Die so erhaltene chlorierte Vorstufe [N=PCl2]n lässt sich durch nukleophile Substitution am Phosphor beliebig funktionalisieren. Bei Raumtemperatur gelingt dies ausgehend von Cl3P=NSiMe3 (Abbildung 3, (4)) in Gegenwart katalytischer Mengen PCl5 in einem Kettenwachstums-Polykondensationsprozess. Diese Polymerisation verläuft lebend, also ohne Abbruchreaktionen oder Kettenübertragungen. Dabei lassen sich die Kettenlängen ein- und Block-Copolymere darstellen.11) Zudem werden neue Möglichkeiten erforscht, den nukleophilen Substitutionsschritt an [Cl2P=N]n zu umgehen. Beispielsweise wurden halogensubstituierte Iminophosphorane XR2P=NSiMe3 (X = Halogen, Abbildung 3, (5)) direkt polymerisiert, wobei P(OMe3) die Reaktion vermittelt.12)Damit Polyphosphazene als Trägermaterial für Wirkstoffe dienen und diese kontrolliert freisetzen, müssen sie biologisch abbaubar sein. PPZ zerfallen schnell, aber kontrolliert in Phosphat und Ammoniak, die biochemisch abgebaut werden.13)Polyphosphonate enthalten ein P-O-Rückgrat und basieren auf einer [PR(O)-O]n-Grundeinheit, wobei sie formal Polymere der Dioxophosphorane RPO2 sind. Dioxophosphorane sind die Phosphoranaloga der Nitroverbindungen. Sie wurden erstmals Ende des 19. Jahrhunderts von Michaelis und Rothe aus Phosphonsäurechloriden und Phosphonsäuren dargestellt.14) Dabei handelte es sich allerdings, wie spätere Studien zeigen, um cyclische Phosphonate (Abbildung 3, (6)). Aus diesen werden durch Ringöffnungspolymerisation (ROP) Polyphosphonate mit bis zu 70 Einheiten dargestellt, die Filme bilden. Die sind freistehend, zerfließen also nicht, wenn sie mit einer Pinzette angehoben werden.Lewis-Basen zersetzen diese, was zur Selbstheilung solcher Polymere beitragen könnte.15) Polymere mit einem P/N- oder P/O-Rückgrat werden entweder bereits verwendet, insbesondere in Medizinprodukten, oder sie sind aussichtsreiche Kandidaten für Materialien.<h2 type="main">3-D-Baueineinheiten</h2>Polymerrückgrate basieren größtenteils auf eindimensionalen Ketten (zum Beispiel Polyolefine, Polyaminoborane), zweidimensionalen Ringen (Polyarene) oder einer Kombination aus Ketten und Ringen (Polyaramide). Dreidimensionale Strukturen wie molekulare Käfige in den Rückgraten hochmolekularer organischer Polymere sind jedoch kaum vertreten. Polymere Kohlenwasserstoffe (KWs) mit dreidimensionalen Baueinheiten sind rar, da die Monomere wie Bicyclo[1.1.1]pentan oder Cubane gespannte Systeme und durch spezielle Synthesen aufwendig herzustellen sind. Dennoch wurden Poly([1.1.1]-propellane) mit einem löslichkeitsvermittelnden Substituenten am Monomer <link href="#nadc20244141544-fig-0004">und lösliche Poly(1,3-Adamantane) synthetisiert (Abbildung 4, oben links).<figure xml:id="nadc20244141544-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/aguRT8bnSfmjoiSdvTDV"><figcaption><label>Abb.4: </label>Polymere mit dreidimensionalen Baueinheiten.</figcaption></figure></figure>Anorganische Käfigverbindungen sind leichter herzustellen als KWs. Besonders relevant für den Einbau in Polymere sind die dodekaedrischen Carborane (DCB) mit zehn B-H- und zwei C-H-Einheiten,16) mit C-H-Einheiten in ortho-, meta- oder para-Stellung (Abbildung 4, oben rechts). Sie sind durch die Hydroborierung von Acetylen und Decaboran zugänglich. Copolymere von m-DCB mit Dimethylsiloxan-Einheiten, zum Beispiel [(m-DCB)(Me2SiO)2]n (n = 55), sind thermisch stabil. Daher dienen sie als Hochtemperaturelastomere (bis 500 °C) und als Bestandteil von Säulen in der Hochtemperatur-Gaschromatographie.17) Zum Vergleich: Carboranfreie Poly(siloxan)-Elastomere und Säulenmedien zersetzen sich unter 350 °C.Silsesquioxane, also Siloxane mit der empirischen Formel RSiO1,5, hat erstmals Kipping hergestellt. Sie können geschlossene, käfigartige oligomere Strukturen haben. Die oligomeren Silsesquioxane (POSS) lassen sich aus RSiCl3-Derivaten und Wasser herstellen. Das häufigste kubische Derivat hat acht Siliciumecken, die mit den gleichen oder verschiedenen organischen Substituenten (RPOSS; Abbildung 4, unten links) dekoriert werden können. Wie die Carborane versteifen POSS-Einheiten die Polymere. Alternierende Copolymere aus RPOSS-Käfig (R = Me, Ph) und Poly(dimethylsiloxan) (PDMS) ähneln in ihrer Struktur einer Halskette. Sie haben höhere Glasübergangs- und Zersetzungstemperaturen als reine PDMS.18) Weitere Eigenschaften, die POSS-Einheiten vermitteln, sind optische Transparenz, dielektrische Leitfähigkeit und eine hohe Fluoridionen-Affinität, die in der Sensorik genutzt werden kann.Eine seit langem bekannte, aber wenig beachtete Klasse von 3-D-Baueinheiten sind dreidimensionale adamantanoide PN-Käfige, die aus PCl3 und Bissilylaminen thermisch oder mechanochemisch entstehen.19) Um daraus kovalent gebundene Polymere mit tetraedrischen Verknüpfungseinheiten zu erhalten, müssen zunächst die Phosphoratome durch Zugabe von Me3SiN3 zu den korrespondierenden Iminophosphoranen oxidiert werden (Abbildung 4, unten rechts, (3D-R)).20)PN-Käfige, die als lineare Linker fungieren, werden aus Dialkylhydrazindihydrochloriden mit P(NMe2)3 in einer Aminolyse-Reaktion und anschließender Oxidation mit Me3SiN3 erhalten (Abbildung 4; (2D-R)).21) Wird zum Beispiel der methylsubstituierte Käfig (3D-Me) mit R-PCl2 umgesetzt, so wird Me3SiCl quantitativ eliminiert, und es bildet sich ein vernetztes Polymer (Abbildung 4, Ausschnitt aus Polymer). In THF quillt dieses und verdoppelt seine Masse. Wird das Lösemittel reversibel entzogen, entsteht ein brüchiges Material, das nicht gasdurchlässig ist. Beim Erhitzen setzt sich dieses Material unter Abspaltung von KWs zu P3N5 um, sodass es als stickstoffreiche Präkeramik dienen könnte. Die ditopischen PN-Käfige (2D-R) bilden mit R-PCl2 lineare Polymere, die abhängig von R brüchige oder gelartige Filme bilden, die an Luft bis zu drei Wochen stabil sind.Der AutorChristian Hering-Junghans ist Themenleiter am Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock. Seine Gruppe entwirft Liganden auf Basis niedervalenter Phosphorverbindungen und untersucht Gruppe-13/15-Mehrfachbindungssysteme. Im Oktober 2023 hat er eine Vertretungsprofessur an der Universität Magdeburg angetreten.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/vT8sKsBRrmHXgZ1B7GJw"><h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>Manche Materialien ähneln organischen Polymeren, ihr Gerüst besteht aber aus Hauptgruppenelementen wie Si, B, P, N und O.Polymere mit Käfigstruktur lassen sich aus Hauptgruppenelementen teils leichter herstellen als aus Kohlenwasserstoffen.Wegen ihrer besonderen Eigenschaften sind Silikone unter anderem Teil von Medizinprodukten. Andere Polymere werden als temperaturstabile, selbstheilende oder Sensormaterialien erforscht.<ul class="references" xml:id="nadc20244141544-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20244141544-bib-0001">1 G. Martin, F. S. Kipping, J. Chem. Soc., Trans. 1909, 95, 302–314</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0002">2 A. E. Naclerio, P. R. Kidambi, Adv. Mater. 2023, 35, 2207374</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0003">3 A. Staubitz, A. Presa-Soto, I. Manners, Angew. Chem. Int. Ed. 2008, 47, 6212–6215</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0004">4 D. E. Ryan, K. A. Andrea, J. J. Race, T. M. Boyd, G. C. Lloyd-Jones, A. S. Weller, ACS Catal. 2020, 10, 7443–7448</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0005">5 D. Han, F. Anke, M. Trose, T. Beweries, Coord. Chem. Rev. 2019, 380, 260–286</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0006">6 M. J. Cross, C. N. Brodie, D. G. Crivoi, J. C. Goodall, D. E. Ryan, A. J. Martínez-Martínez, A. Johnson, A. S. Weller, Chem. Eur. J. 2023, 29, e202302110</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0007">7 A. Schäfer, T. Jurca, J. Turner, J. R. Vance, K. Lee, V. An Du, M. F. Haddow, G. R. Whittell, I. Manners, Angew. Chem. Int. Ed. 2015, 54, 4836</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0008">8 J. J. Race, A. Heyam, M. A. Wiebe, J. Diego-Garcia Hernandez, C. E. Ellis, S. Lei, I. Manners, A. S. Weller, Angew. Chem. Int. Ed. 2023, 62, e202216106</li><li xml:id="nadc20244141544-bib-0009">9 a) H. R. 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