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Zucker elektrochemisch oxidieren

Nachrichten aus der Chemie, Januar 2024, S. 67-69, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Früher war organische Elektrochemie selten selektiv und mit technischen Hürden verbunden, heute ist sie oft die einfachste Option, um Zucker zu oxidieren. Dabei ist sie wählerisch – denn eine der drei sekundären Hydroxygruppen von Glucosiden ist anders als die anderen.

Zuckermoleküle enthalten mehrere ähnliche Hydroxylgruppen. Einzelne davon umzuwandeln, um beispielsweise verschiedene Zucker ineinander zu überführen, ist für Chemiker:innen herausfordernd. Atomökonomisch wäre es, ungeschützte Zucker direkt seitenselektiv zu Carbonylgruppen zu oxidieren.

Neben Glucose oder Fructose gibt es seltene Zucker (rare sugars), von denen manche nützlich sein können.1) Der Süßstoff Tagatose etwa ist appetithemmend, und Arabinose beeinflusst den Glucose- und Insulinhaushalt im Körper.

Aus Sicht der organischen Chemie sind seltene Zucker aufgrund anspruchsvoller Synthesewege und biologischer Aktivität spannende Zielmoleküle, die klassisch mit komplexen Schutzgruppenstrategien hergestellt werden. Zucker seitenselektiv zu funktionalisieren, würde Reaktionen atomökonomischer machen sowie Metallkatalysatoren und Abfall vermeiden.

Zucker selektiv oxidieren

Bereits in den 1990er Jahren oxidierte Hans Schäfer Glucose selektiv unter basischen Bedingungen an der C-6-Position zu Gluconsäure (2) (Abbildung 1, S. 68).2) 2,2,6,6-Tetramethylpiperidin-1-oxylradikal (Tempo) bildet elektrochemisch das Nitrosoniumion (I), das insbesondere primäre Alkohole zu Aldehyden und Carbonsäuren oxidiert (Abbildung 2 links, S. 69). Anomergeschützte Zucker sind hervorragende Substrate für diese elektroorganische Oxidationsreaktion, und die entsprechenden Carbonsäuren entstehen in bis zu quantitativen Ausbeuten (Abbildung 1). Das gebildete Hydroxylamin II reduziert an der Kathode anschließend wieder zu Tempo. Dieses lässt sich aus der Reaktion zurückgewinnen.

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Vorgeschlagene Mechanismen für die elektrochemische Oxidation von Glucosiden mit Tempo und Chinuclidin.
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Redox-mediierte Funktionalisierung von Glucosiden: elektrochemisch und photokatalytisch.

C-2, C-3 und C-4 oxidieren

Mit Elektrosynthese komplexe Moleküle wie Zucker umzusetzen, wird seit etwa 2010 wieder verstärkt genutzt. Heute stehen in vielen Laboren in Deutschland Laborgeräte für elektrochemische Synthesen.3) Einheitliche und käufliche Aufbauten machen Reaktionen reproduzierbar und senken die Aktivierungsbarriere für Einsteiger.

Daher ist erstaunlich, dass die selektive Oxidation von Zuckern seit Schäfers Erfindung kaum Fortschritte gemacht hat. Die Oxidation an der C-6-Position wurde weiterentwickelt und Tempo als Mediator für primäre Alkohole weiter untersucht. Direkte Oxidationen an den anderen Positionen, C-2, C-3 und C-4, kamen erst später ins Repertoire.

Die Minnaard-Gruppe hat als erste im Jahr 2013 direkt Glucose C-3-oxidiert.4) Ein Palladium-Phenanthren-Katalysatorsystem mit Benzochinon oder molekularem Sauerstoff als Oxidationsmittel oxidierte selektiv die C-3-Position. Dort ist die Hydrizität, also der Hydridcharakter des Wasserstoffs, am stärksten, wie theoretische Studien zeigen. Der Grund: Das Sauerstoffatom im Ring stabilisiert positive Partialladungen an den benachbarten C-1 und C-5 sowie am gegenüberliegenden C-3. Dadurch wird das Wasserstoff hydridartiger. C-2 und C-4 erhalten dagegen negative Partialladungen und deren Wasserstoffe haben Protonencharakter.5)

Der Katalysator basiert jedoch zum einen auf teurem Palladium; zum anderen wird die Oxidation fehleranfälliger, da die Qualität des Katalysators je nach Charge schwankt.

C-3 elektrochemisch oxidieren

Ideal wären palladiumfreie Reaktionen ohne giftige Lösungsmittel, ohne teure Edelmetalle und mit reproduzierbaren Ergebnissen. Chinuclidin eignet sich als Reagenz zum Wasserstoffatomtransfer (hydrogen atom transfer, HAT), um Kohlenhydrate photokatalytisch zu hydrieren, wie Mark Taylor und Adriaan Minnaard gezeigt haben.6) Es entsteht ein kohlenstoffzentriertes Radikal, das in beiden Studien von elektronenarmen Doppelbindungen in einer Giese-Reaktion abgefangen wird (Abbildung 2, rechts).7) Dabei entstehen alkylierte Produkte wie (3) in Ausbeuten von 30 Prozent bis 70 Prozent (Abbildung 1).

Vom Radikal zum Keton

Kann das Radikal an der C-3 Position weiter reagieren und schließlich zum Keton eliminieren? Auf der Suche nach metallfreien und elektrochemischen Alternativen hat uns die Gruppe von Phil Baran inspiriert. Diese verwendete Chinuclidin als Redoxmediator, um starke C(sp3)–H-Bindungen homolytisch zu spalten. Die Bindungsenergien betragen etwa 100 kcal mol–1 (bond dissociation energy, BDE).8) Die C(sp3)–H-Bindungen in Kohlenhydraten sind schwächer. Dort lassen sich vor allem sekundäre Positionen aktivieren, da sie stabilere Radikale bilden. Bereits mit den Bedingungen der Baran-Gruppe ließ sich α-Methyl-D-glucopyranosid (1) selektiv an der C-3 Position zum entsprechenden Ketozucker (4) oxidieren. Graphitelektroden und Acetonitril als Lösungsmittel lieferten das Produkt in einer ungeteilten Zelle, was den apparativen Aufwand gering hält. Chinuclidin als HAT-Mediator – zusammen mit 1,1,1,3,3,3-Hexafluoroisopropanol (HFIP) als Wasserstoffbrückenbindungsreagenz und Puffer – lieferte den ungeschützten Ketozucker in 56 Prozent isolierter Ausbeute. Die Reaktion vermeidet Schutzgruppen und verbessert so die Atomökonomie. Mit Chinuclidin und HFIP als Elektrolytsystem oxidierten diverse teilgeschützte α-Methyl-Monosaccharide zu den entsprechenden C-3-Ketonen in Ausbeuten von 21 Prozent bis 70 Prozent. β-Funktionalisierte Monosaccharide in diesen Oxidationsreaktionen reagieren schlechter als die α-funktionalisierten Analoga. Rechnungen mit Dichtefunktionaltheorie (DFT) zufolge liegt dies an den stabilisierenden Wechselwirkungen zwischen dem α-Substituent und Chinuclidin.9)

Seltene Deoxykohlenhydrate und 2-Acetaminoglucose(GlcNAc)-Derivate reagieren unter diesen Bedingungen ebenfalls in Ausbeuten bis 67 Prozent. Das Disaccharid Trehalose liefert das doppelt oxidierte Produkt in 42 Prozent isolierter Ausbeute. Schutzgruppen waren nötig, da sich die Verbindung kaum in Acetonitril löst. Gleiches gilt für weitere Disaccharide. Eine größere Eintopfelektrolysezelle lieferte ein halbes Gramm des Ketoprodukts von TBDMS-geschütztem α-Methyl-D-glucopyranosid.

Für zuverlässige Reaktionen sind stabiler Strom sowie stabile und homogene elektrische Doppelschichten an den Elektroden notwendig, die von vielen Ionen in Lösung profitieren. Tetramethylammoniumtetrafluoroborat sollte die Reaktion daher zuverlässiger machen, indem es Schwankungen in der Leitfähigkeit vermindert. Allerdings sind schon Chinuclidin und HFIP als Elektrolytsystem leitfähig genug unter den galvanostatischen Bedingungen.

C-2, C-4 und die Hydroxygruppen anderer Zucker

Elektrochemische C-2- oder C-4-selektive Funktionalisierungen sind bisher nicht bekannt. Beide Positionen sind schlecht zugänglich, sowohl sterisch als auch elektronisch. Transiente Schutzgruppen, also solche, die nur während der Reaktion temporär eingeführt werden, könnten die Reaktivitätsunterschiede überbrücken. Da Chinuclidin eine teure Base ist, würde sich ein Wechsel der Redoxmediatoren lohnen. Bislang gelingt die redoxmediierte Katalyse nur mit Glucosiden, nicht mit Mannosiden oder Galactosiden.

Die Kombination von organischer Elektrochemie und Zuckerchemie kann Kohlenhydrate als biologischen Rohstoff nutzbar machen.

Seltene oder nichtnatürliche Kohlenhydrate haben als Bausteine für Lacke oder Tenside gegenüber erdölbasierten Materialien den Vorteil, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen stammen.

Organische Chemiker:innen sind daher aufgerufen, die Schwierigkeiten anzugehen und alle Seiten der Zucker aus dem Blickwinkel der Elektrochemie zu betrachten.

Der Autor

Sebastian Beil ist seit Mai 2021 Juniorprofessor an der Universität Groningen. Er studierte Chemie in Kiel und promovierte im Jahr 2019 in Mainz bei Siegfried Waldvogel zu elektroorganischen Umwandlungen. Am Forschungsinstitut Scripps Research in La Jolla erforschte er bei Phil Baran hochreduktive elektrochemische Umwandlungen. Als Postdoc bei Max von Delius in Ulm arbeitete er an synthetischen Kohlenstoffallotropen und forschte dann in der Gruppe von David MacMillan an der Universität in Princeton an Photoredoxreaktionen.https://media.graphassets.com/vWjUlbnRRBGyvrhXELuP

  • 1 A. Ahmed, T. A. Khan, D. Dan Ramdath, C. W. C. Kendall, J. L. Sievenpiper, Nutr. Rev. 2022, 80, 255–270.
  • 2 K. Schnatbaum, H. J. Schäfer, Synthesis 1999, 1999, 864–872.
  • 3 M. Yan, Y. Kawamata, P. S. Baran, Chem. Rev. 2017, 117, 13230–13319.
  • 4 M. Jäger, M. Hartmann, J. G. de Vries, A. J. Minnaard, Angew. Chem. Int. Ed. 2013, 52, 7809–7812.
  • 5 I. C. Wan, T. A. Hamlin, N. N. H. M. Eisink et al., Eur. J. Org. Chem. 2021, 2021, 632–636.
  • 6 a) I. C. Wan, M. D. Witte, A. J. Minnaard, Chem. Commun. 2017, 53, 4926–4929; b) V. Dimakos, H. Y. Su, G. E. Garrett, M. S. Taylor, J. Am. Chem. Soc. 2019, 141, 5149–5153.
  • 7 B. Giese, Angew. Chem. Int. Ed. 1983, 22, 753–764.
  • 8 Y. Kawamata, M. Yan, Z. Liu, D.-H. Bao, J. Chen, J. T. Starr, P. S. Baran, J. Am. Chem. Soc. 2017, 139, 7448–7451.
  • 9 J. A. Turner, T. Adrianov, M. S. Taylor, J. Org. Chem. 2023, 88, 5713–5730.

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