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Krebsmedikamente zum Anschalten

Nachrichten aus der Chemie, Januar 2024, S. 59-61, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Arzneimittel gegen Krebs haben durch ihren potenten, aber meist unspezifischen Wirkmechanismus Nebenwirkungen für Patientinnen und Patienten. Klartext-Preisträger Jan G. Felber hat neuartige molekulare Mäntel entwickelt, um therapeutische Wirkstoffe gezielt zu aktivieren – und zwar durch enzymatische Prozesse im Krebsgewebe.

Enzymatische Reduktionsreaktionen sind zentral bei der Steuerung des Zellstoffwechsels, bei Zellteilung und -differenzierung sowie bei der biologischen Antwort in erkrankten Zellen, etwa in einem Krebstumor. Diese komplex zusammengeschalteten Enzymkaskaden basieren auf Thiol-/Disulfidreduktasen (Oxidoreduktasen).1)

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Am 4. Februar ist Weltkrebstag: Eine lavendelfarbene Schleife (oder „Krebsband“) steht für allgemeine Krebsaufklärung und das Bewusstsein für alle Arten von Krebs. Bild: irkus / Adobe Stock

Das Ziel von Jan Felbers Forschung an der LMU München war ein neuer molekularer Anschaltmechanismus auf Basis künstlicher Disulfid-Einheiten, der solche zellulären Oxidoreduktasen nutzt, um Farb- oder Wirkstoffe zu aktivieren. Dazu hat er das Disulfid als eine Art molekularen Mantel kovalent an ein aktives Molekül gebunden und dessen Wirkung dadurch maskiert. Enzymatische Reduktion des Disulfids spaltet diesen Mantel ab, woraufhin das Molekül wirken kann. Es lässt sich dann entweder diagnostisch oder therapeutisch nutzen (Abbildung 1A, S. 60).

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Überblick über Disulfid-basierte molekulare Anschalt-Einheiten. A) Enzymatische Reduktion durch Oxidoreduktasen als Anschaltmechanismus für phenolische Farb- und Wirkstoffe. B) Glutathion(GSH)-Stabilität von Disulfidstrukturen als Basis für selektiv aktivierte molekulare Konjugate. C) Das auf cyclischem 1,2-Thiaselenan basierende RX1 dient als molekulare Sonde für die zelluläre Thioredoxin-Reduktase(TrxR)-Aktivität. D) Duocarmycin als anschaltbarer Krebswirkstoff für die therapeutische Anwendung.

Selektive Sonden und Glutathion-stabile Disulfid-Einheiten

Werden niedermolekulare Sonden genutzt, die auf reduktiv anschaltbaren Farbstoffen basieren, erfordert dies nicht, wie bisherige Methoden,2) die Zellen genetisch zu verändern. Das Prinzip ist auf unterschiedliche Farbstoffe übertragbar. Der praktische Einsatz solcher Sonden war jedoch bisher begrenzt: durch mangelnde Enzymspezifität, ungeeignete spektrale Eigenschaften oder chemische Instabilität. Um dieses Problem zu lösen, hat Felber erstmals lineare und neuartige mono- und bicyclische Disulfidmotive in solchen Sonden systematisch untersucht. Zwar wurden seit Jahren lineare Disulfide so eingesetzt. Wie Felber jedoch zeigte, sind sie grundsätzlich nicht für selektive Sonden geeignet. Denn sie werden schnell und irreversibel durch den Redox-Cofaktor Glutathion (GSH) gespalten.3)

Die einzigen zuvor erforschten Disulfid-Ringsysteme waren kinetisch labile fünfgliedrige cyclische Disulfide (1,2-Dithiolane). Deren angeblich selektive Aktivierung durch die Oxidoreduktase Thioredoxin-Reduktase (TrxR) ist in der Literatur bezüglich der chemischen Stabilität des Fünfrings kontrovers diskutiert worden. Wie Felber jedoch mit zellulärer TrxR-Modulation belegt, sind 1,2-Dithiolane nicht einmal in den käuflichen Thioredoxine-Reductase-Fluorescent-Substrate(TRFS)-Sonden selektive Substrate für Oxidoreduktasen.4) Sie werden in Zellen vornehmlich durch GSH aktiviert (Abbildung 1B).5)

Stabilisierte cyclische Disulfide und Thioredoxin

Stabilere Ringsysteme und damit robustere Redox-Sonden hat das Team der LMU München schließlich in Form bicyclischer sechsgliedriger Disulfide entwickelt: Piperidin-1,2-Dithiane. Sie haben unter Disulfiden die niedrigsten bisher bekannten Reduktionspotenziale und erwiesen sich als erste vollständig GSH-stabile Disulfid-Einheiten. Die molekulare Wirkung aktiviert ausschließlich das stärkste Redoxprotein Thioredoxin (Trx).3)

Piperazin-1,2-Dithiane der zweiten Generation eignen sich durch den zweiten Stickstoff im molekularen Rückgrat besonders, um multifunktionale Konjugate zu entwickeln (Abbildung 1B). Auch bei Derivatisierung am Kernmotiv bleiben die selektiven Reduktionseigenschaften erhalten. Die neuesten molekularen Sonden reagieren bei schneller Aktivierung in Minuten ebenso spezifisch auf das Redoxprotein Thioredoxin, und das sogar in lebenden Zellen. Darüber hinaus eignen sich diese Einheiten nicht nur zur Bildgebung oder zur Aktivierung von Therapeutika, sondern auch für die Biokonjugation oder die Proteinsynthese.6)

Auf der Suche nach neuen Inhibitoren

Während stabilisierte cyclische Disulfide selektiv Thioredoxin ansteuern, sollte mit dem gleichen Konzept auch die vorgelagerte Reduktase TrxR selektiv adressiert werden. Dieses spezielle Enzym ist eines der 25 menschlichen Selenoproteine. Inspiriert durch das einzigartige Selenolthiol in dessen aktivem Zentrum7) erforschte Lukas Zeisel das zuvor unbekannte unsymmetrische cyclische 1,2-Thiaselenan. Er wollte es als chemokompatibles Motiv zur selektiven Reduktion durch TrxR nutzen. Die auf dem Thiaselenan basierende Sonde RX1 erwies sich als GSH-stabil, zeigte exzellent messbaren zellulären Umsatz und macht in der Zelle selektiv die TrxR-Aktivität sichtbar. Um RX1 zu validieren, wurden Experimente mit TrxRU498C-Mutation, genetischem TrxR-Knockout sowie unter Einsatz chemischer TrxR-Inhibition in Zellen gemacht (Abbildung 1C).8)

TrxR ist essenziell für die Zellsteuerung und das Überleben der Zelle während des Tumorwachstums und daher ein Angriffspunkt für die Krebsforschung. Eine zuverlässige molekulare Sonde zellulärer TrxR-Aktivität eignet sich deshalb für das Hochdurchsatz-Screening neuer TrxR-selektiver Inhibitoren. Ein erstes Inhibitor-Screening wurde durchgeführt (National Institutes of Health, USA), und die gefundenen zellulär wirksamen Hemmstoffe wurden durch eine frühere Studie zu zellfreien TrxR-Inhibitoren validiert.9)

Struktur-Aktivitätsdatenbank für medizinische Chemiker

Um mit dem modular einsetzbaren, auf cyclischen Disulfiden basierenden Anschaltmechanismus gezielt Therapeutika zu aktivieren, eignen sich etwa die DNA-Alkylierungsmittel der Duocarmycin-Klasse. Wie diese in den letzten 40 Jahren pharmazeutisch verändert wurden, zeigt grafisch die Literaturstelle 10). Die chemischen Innovationen umfassen dabei Studien zur Struktur-Aktivitäts-Beziehung (SAR) oder Krebstherapeutika basierend auf Anschalt-Einheiten und dem klinischen Erfolg bei Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADCs).

Reduktiv aktivierbare Therapeutika: Anwendung bei Krebs

In soliden Tumoren herrschen oft Sauerstoffmangelbedingungen (Hypoxie), wodurch zelluläre Redox-Enzymkaskaden wie Trx/TrxR überreguliert sein können. Dies erhöht mitunter die reduktive Aktivität innerhalb eines Krebstumors und ließe sich als therapeutische Achillesferse solcher Tumoren nutzen.

Mit diesem Ziel hat Felber in Oliver Thorn-Sesholds Gruppe stabilisierte Disulfideinheiten genutzt, um den Duocarmycin-Wirkstoff zu maskieren. Zwölf therapeutische Kandidaten wurden auf ihre Wirksamkeit getestet. Die jeweils durch Trx oder TrxR vermittelte Aktivierung und die GSH-Stabilität wurde in vitro gezeigt, und es gab eine Korrelation zwischen der Cytotoxizität in Zellkultur und dem Thioredoxin-System (Abbildung 1D).

Vielversprechende Kandidaten wurden darüber hinaus in 176 Krebszelltypen getestet und erstmals genutzt, um die Reduktaseaktivität jeder dieser Krebsarten einzuordnen. Bei Einsatz in Mäusen waren die Wirkstoffkandidaten gut verträglich und wirkten in vivo in zwei Tumormodellen krebshemmend.11)

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate

Der gezielte Transport und die Freisetzung von Anti-Krebs-Mitteln in erkranktem Krebsgewebe gelingen in einem modernen Ansatz, der hochpotente, anschaltbare Wirkstoffe und krebsspezifische Antikörper kombiniert. Solche monoklonalen Antikörper erkennen spezielle Markierungen auf der Krebszellenoberfläche und führen dazu, dass nur Krebszellen das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) aufnehmen und es dort seine Wirkung entfaltet.

Neue Mechanismen zur Abspaltung der Wirkstoffe von solchen komplexen Biokonjugaten werden dringend benötigt. Daher ist der neue, auf bicyclischen Disulfiden basierende Anschaltmechanismus für die aktuelle Entwicklung therapeutischer ADCs vielversprechend.

Sichere und wirksame ADCs basieren auf der stabilen Biokonjugation an einen spezifischen Antikörper und der zuverlässigen Abspaltung eines potenten, jedoch verträglichen Krebswirkstoffs.

Drei Fragen an den Preisträger: Jan G. Felber

Was hat Sie bewogen, an Krebsmedizin zu forschen?

Es ist bereits viel über die Komplexität der unterschiedlichen Krebsarten und ihrer jeweiligen Biologie bekannt. Mit diesem Wissen lassen sich jetzt Medikamente entwickeln, die Menschen besser helfen. Das motiviert mich.

Warum ist es Ihnen wichtig, Forschung allgemeinverständlich zu machen?

Bei der Entwicklung von Therapeutika hat Forschung ja einen sehr realen Bezug zum Leben von Menschen. Forschungsergebnisse zu erklären und zu verbreiten ist zentral, um das Vertrauen dieser Menschen in wissenschaftliche Grundlagen ihrer Medizin zu stärken.

Der beste Ratschlag, den ich bekommen habe, lautet:

Beginne ein neues Projekt mit dem Experiment, das dir am schnellsten die Antwort auf die zentrale Frage liefert. Nimm das Ergebnis so wie es ist und entwickle das Projekt daraus weiter. So kommt man meist auf unerwartete Ideen, die man vorher nicht planen kann.

Jan G. Felber, Jahrgang 1993, entwickelt neue Methoden für die gezielte Krebstherapie beim Münchner Biotech-Unternehmen Tubulis. Für die Ergebnisse seiner Promotion bei Oliver Thorn-Seshold an der LMU München erhielt er den Förderpreis Biochemie der GDCh und den Promotionspreis Excellence in Medicinal Chemistry der European Federation for Medicinal Chemistry. Für die verständliche Kommunikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse erhielt er im Jahr 2023 den Klartext-Preis der Klaus-Tschira-Stiftung. Foto: Annette Mueckhttps://media.graphassets.com/G3pJkQMsTgWIqBjTONnS

  • 1 D. P. Jones, H. Sies, Antioxid. Redox Signal. 2015, 23(9), 734; doi: 10.1089/ars.2015.6247
  • 2 M. Gutscher, A.L. Pauleau, L. Marty et al., Nat. Methods 2008, 5(6), 553; doi: 10.1038/nmeth.1212
  • 3 J. G. Felber, L. Zeisel, L. Poczka et al., J. Am. Chem. Soc. 2021, 143(23), 8791; doi: 10.1021/jacs.1c03234
  • 4 L. Zhang, D. Duan, Y. Liu et al., J. Am. Chem. Soc. 2014, 136(1), 226; doi: 10.1021/ja408792k
  • 5 J. G. Felber, L. Poczka, K. C. Scholzen, Nat. Commun. 2022, 13(1), 1754; doi: 10.1038/s41467–022–29136–4
  • 6 L. Zeisel, J. G. Felber, K. C. Scholzen et al., ChemRxiv 2023, doi: 10.26434/chemrxiv-2023-tm21m
  • 7 K. Fritz-Wolf, . S. Kehr, M. Stumpf, S. Rahlfs, K. Becker, Nat. Commun. 2011, 2(1), 383; doi: 10.1038/ncomms1382
  • 8 L. Zeisel, J. G. Felber, K. C. Scholzen, Chem 2022, 8(5), 1493; doi: 10.1016/j.chempr.2022.03.010
  • 9 S. Prast-Nielsen, T. S. Dexheimer, L. Schultz et al., Free Radic. Biol. Med. 2011, 50(9), 1114, doi: 10.1016/j.freeradbiomed.2011.01.020
  • 10 J. G. Felber, O. Thorn-Seshold, JACS Au 2022, 2(12), 2636; doi: 10.1021/jacsau.2c00448
  • 11 J. G. Felber, A. Kitowski, L. Zeisel et al., ACS Cent. Sci. 2023, 9(4), 763; doi: 10.1021/acscentsci.2c01465

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