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Hybriddichtefunktionale – die nächste Generation/Trendbericht Theoretische Chemie 2024 (3/3)
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Zeitabhängige Simulationen der Elektronendynamik gewinnen für optische Materialien und lichtinduzierte Photoreaktionen an Gewicht. Verständliche visuelle Ergebnisdarstellungen und moderne effiziente Rechenverfahren helfen dabei, die Technik zu verbreiten. Renaissance der Semiempirik: In jüngerer Zeit tragen semiempirische Methoden wieder vermehrt dazu bei, die Vorhersagekraft quantenchemischer Simulationen zu steigern. Dichtefunktionaltheorie: Auf der Suche nach einem universellen Austauschkorrelationsfunktional sind mathematisch flexible Ansätze für Hybridfunktionale besonders vielversprechend, etwa lokale Hybridfunktionale oder Hybridfunktionale mit lokaler Reichweitenseparierung.
Hybriddichtefunktionale – die nächste Generation
Mit der Einführung von Hybriddichtefunktionalen gelang der Durchbruch der Kohn-Sham-Dichtefunktionaltheorie (DFT) für die Berechnung molekularer Strukturen sowie thermochemischer, kinetischer und spektroskopischer Eigenschaften von Molekülen. Hybridfunktionale kombinieren Näherungen zur Austausch- und Korrelationswechselwirkung zwischen den Elektronen mit der exakten Austauschenergie aus der Hartree-Fock-Methode. Viele physikochemische Eigenschaften wie Reaktionsenergien, Ionisierungspotenziale oder Bandlücken sind nahezu linear abhängig vom Anteil des exakten Austauschs und Funktionale mit mehr exaktem Austausch eignen sich typischerweise besser für Hauptgruppenmoleküle als für Übergangsmetallkomplexe. DFT beschreibt deshalb die Elektronenstruktur an Grenzflächen oder in Donor-Akzeptor-Systemen weniger gut als ihre einzelnen Komponenten. Auf der Suche nach einem universellen Austauschkorrelationsfunktional ist die Entwicklung mathematisch flexiblerer Ansätze für Hybridfunktionale daher besonders vielversprechend. Im Folgenden werden zwei verschiedene Konzepte diskutiert: zum einen lokale Hybridfunktionale, die bereits für eine große Bandbreite an Eigenschaften etabliert sind,1) und zum anderen Hybridfunktionale mit lokaler Reichweitenseparierung,2) die erst seit einigen Jahren genauer betrachtet werden.
Lokale Hybridfunktionale
In lokalen Hybridfunktionalen passt sich der prozentuale Anteil des exakten Austauschs über eine lokale Mischfunktion (LMF) in Abhängigkeit von der Elektronendichte (und verwandten Variablen, wie den Gradienten und die kinetische Energiedichte) an die unterschiedlichen Bereiche eines Moleküls an. Obwohl dieser Ansatz schon vor über 20 Jahren in der Literatur diskutiert wurde, nahm die Entwicklung erst mit einer effizienten selbstkonsistenten Implementierung dieser Funktionale neuen Schwung auf.3) Diese beinhaltet eine seminumerische Berechnung der Zwei-Elektronen-Vier-Zentren-Integrale für den exakten Austausch: auf dem DFT-Integrationsgitter werden Coulomb-Integrale zwischen zwei Zentren analytisch berechnet, mit den Beiträgen der anderen Zentren kontrahiert, der LMF gewichtet und anschließend aufsummiert. Mittlerweile ist der Rechenaufwand für Grund- und angeregte Zustände4) mit dem von globalen Hybridfunktionalen wie B3LYP vergleichbar.
Insbesondere Kern-Valenz-, Singulett-Triplett- und Rydberg-Anregungen lassen sich mit lokalen Hybridfunktionalen gut beschreiben.5) Die korrekte Dissoziation kovalenter Bindungen oder Ionisierungsenergien und Bandlücken sind für Dichtefunktionale, die vor allem für energetische Eigenschaften optimiert wurden, und auch für lokale Hybridfunktionale der ersten Generation nach wie vor eine Herausforderung. Vor Kurzem wurden lokale Hybridfunktionale daher um zwei wichtige Merkmale erweitert: i) eine Korrektur für (starke) statische Korrelation und ii) zusätzliche Reichweitenseparierung.
Statische Korrelation ist entscheidend für die Dissoziation kovalenter Bindungen und spielt eine große Rolle in der Übergangsmetallchemie. In der DFT ist sie zu großen Teilen in angenäherten Austauschdichtefunktionalen enthalten.6) Entsprechend wird statische Korrelation zweckmäßig als Differenz zwischen DFT- und exaktem Austausch definiert und in aktuellen lokalen Hybriden über ein lokales Maß in den entscheidenden Regionen eines Moleküls hinzugefügt.7) Im Vergleich zu anderen Hybridfunktionalen sind die berechneten Dissoziationskurven einiger Dimere der zweiten und dritten Periode ohne Bruch der Spinsymmetrie physikalisch sinnvoller. Auch Atomisierungsenergien von Hauptgruppenmolekülen mit nachgewiesenem Multireferenzcharakter sind durch den zusätzlichen Term für starke Korrelation genauer bestimmbar.
Keines der zuvor beschrieben lokalen Hybridfunktionale zeigt den exakten asymptotischen Verlauf des zugehörigen Austauschkorrelationspotenzials.8) Um dieses wichtige Kriterium zu erfüllen, wurde zusätzlich eine Reichweitenseparierung des Coulomboperators, wie in den reichweitenseparierten (RS) Hybridfunktionalen CAM-B3LYP9) oder wB9710) eingeführt.11) Das resultierende RSLH (Range Separated Local Hybrid)-Funktional konvergiert zu hundert Prozent exaktem Austausch für große interelektronische Abstände (Abbildung 1). Die kurzreichweitige Austauschwechselwirkung zwischen den Elektronen wird weiterhin über eine lokale Mischung der exakten und einer semilokalen DFT-Näherung bestimmt. Im Vergleich zu reinen LHs lassen sich mit diesen RSLHs Ionisierungsenergien, Elektronenaffinitäten aus den HOMO- bzw. LUMO-Energien für kleinere organische Akzeptormoleküle und Chromophore genauer berechnen. Dies ist bemerkenswert, da die Parameter lediglich an einem Datensatz mit Grundzustandsenergien optimiert wurden. Durch die Einführung des langreichweitigen exakten Austauschs können außerdem Ladungstransferanregungen genauer bestimmt werden.
Auch wenn die mathematische Form des gesamten Funktionals und der lokalen Mischfunktion physikalisch motiviert sind, enthalten die erfolgreichsten lokalen Hybridfunktionale neun Parameter, die an thermochemische Daten und Dissoziationskurven gefittet wurden. Vier davon entfallen auf das Korrelationsfunktional. Insgesamt sind es deutlich weniger als in anderen hochparametrisierten globalen Hybrid- oder reichweitenseparierten Funktionalen, sodass eine bessere Übertragbarkeit auf andere Eigenschaften und Systeme erwartet wird. Die aktuell besten Austauschkorrelationsfunktionale aus der Familie der RSLHs, wLH23t und Varianten,12) enthalten eine Korrektur für starke Korrelation und verwenden hundert Prozent exakten Austausch für große interelektronische Abstände in Regionen, in denen die Elektronen schwach oder moderat korreliert sind. Eine endgültige Empfehlung für ein spezifisches lokales Hybridfunktional steht allerdings wegen der kontinuierlichen Weiterentwicklung noch aus.
Ein besonders interessantes Anwendungsgebiet für lokale Hybridfunktionale sind Grenzflächen in Energiekonversionsmaterialien, zum Beispiel Grätzelzellen, an denen sich die Elektronenstruktur abrupt ändert. Der Wirkungsgrad der Solarzelle lässt sich anhand der Effizienz des Ladungstransfers zwischen einem Farbstoffmolekül und dem Halbleiter abschätzen. Modellsysteme zeigten, dass lokale Hybridfunktionale momentan den besten Kompromiss bieten für die Charakterisierung der Elektronenstruktur an der Grenzfläche und die Berechnung der UV-Vis-Spektren des isolierten Farbstoffs und des kombinierten Systems.13) Mit reichweitenseparierten Funktionalen wie CAM-B3LYP oder dem oben beschriebenen RSLH können experimentelle Absorptionsmaxima insbesondere für größere Donor-Akzeptor Farbstoffe mit π-Brücken etwas genauer reproduziert werden. Allerdings ergibt der langreichweitige exakte Austausch in diesen Funktionalen eine unphysikalische Anordnung der Energieniveaus an der Grenzfläche zwischen Farbstoff und TiO2-Cluster.14) Dies geht einher mit einer geringen Hybridisierung zwischen den elektronischen Zuständen des Farbstoffs und des Clusters und ineffizienter Ladungsinjektion, die im Widerspruch zu experimentellen Beobachtungen steht. Eine Lösung für dieses Dilemma könnten die im nächsten Abschnitt beschriebenen Hybridfunktionale mit lokaler Reichweitenseparierung sein.
Lokale Reichweitenseparierung
In reichweitenseparierten (RS) Austauschfunktionalen wird die Austauschenergie in zwei Terme für kleine und große interelektronische Abstände unterteilt. Dieser Aufteilung liegt eine Separierung des Coulomboperators für kurze und lange interelektronische Wechselwirkungen zugrunde, wobei der Übergang kontinuierlich verläuft. Dementsprechend lassen sich zwei verschiedene Näherungen für die Austauschwechselwirkung in den beiden Regimen verwenden. Für Moleküle haben sich Austauschfunktionale mit langreichweitigem exakten Austausch etabliert, während sich in Festkörpern exakter Austausch ausschließlich bei kleinen interelektronischen Abständen eignet, um auch unter Berücksichtigung periodischer Randbedingungen das Screening der Austauschwechselwirkung zu simulieren. In allen Fällen entscheidet ein konstanter Parameter, wie schnell der Wechsel von DFT zu exaktem Austausch verläuft. Dieser Parameter wurde in den oben genannten Funktionalen an empirische, thermochemische Daten gefittet, ist aber inhärent von der Dichte und damit systemabhängig.15) Insbesondere für die Bestimmung spektroskopischer Eigenschaften ist es daher vorteilhaft, den RS-Parameter für ein System zu optimieren, sodass das IP-Theorem:
bestmöglich erfüllt ist.16) Dieses IP-Tuning genannte Vorgehen kann insbesondere für größere Moleküle aufwendig werden. Außerdem ist es ungeeignet für Atomisierungs- oder Reaktionsenergien, da Bindungen gebrochen werden und es unterschiedliche Werte für die einzelnen Fragmente annimmt.
Wenn anstelle des konstanten RS-Parameters eine Funktion der Dichte und damit verwandten Größen eingesetzt wird, spricht man von lokaler Reichweitenseparierung (LRS). In diesem Fall ändert sich der interelektronische Abstand, bei dem von kurzreichweitigem DFT- zu exaktem Austausch gewechselt wird in Abhängigkeit der Elektronendichte und damit abhängig von der Position des Referenzelektrons im Molekül (Abbildung 2). Auch dieses Konzept wurde bereits früher in der Literatur als vielversprechend diskutiert, eine numerisch exakte Implementierung jedoch erst kürzlich realisiert.17) Dabei erfolgt, wie bei lokalen Hybridfunktionalen, die Berechnung der nicht-standardisierten Vier-Zentren-Integrale für den exakten Austausch unter Verwendung eines seminumerischen Ansatzes. Die neuesten Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit der Konstruktion einer RS-Funktion, die von physikalischen Bedingungen an das gesamte Austauschkorrelationsfunktional geleitet wird. Abgesehen vom oben erwähnten asymptotischen Verlauf des gesamten Austauschkorrelationspotenzials sollte in Regionen mit hoher Elektronendichte und in Einorbitalregionen ausschließlich exakter Austausch verwendet werden. Ein weiterer Parameter in der LRS-Funktion wird durch die Gradientenentwicklung der Austauschenergie festgelegt.18) Das resultierende LRS-Funktional (wBT23) ermöglicht eine genaue Berechnung von Bandlücken aus den Grenzorbitalenergien verschiedener Systeme.19) Aufgrund des insgesamt hohen Anteils von exaktem Austausch sind Atomisierungsenergien allerdings mit größeren Fehlern behaftet. In einer explorativen Studie wurde untersucht, ob durch eine Kombination aus LRS und RSLH eine ausgewogene Beschreibung spektroskopischer und energetischer Eigenschaften ermöglicht wird.20) Sie zeigt, dass die LMF und die lokale Reichweitenseparierungsfunktion besser aufeinander abgestimmt werden müssen.
Ausblick
Um das volle Potenzial der LRS für die Berechnung angeregter Zustände auszuschöpfen, ist der nächste entscheidende Schritt eine Erweiterung der aktuellen Implementierung auf zeitabhängige DFT. Die hier diskutierten flexiblen Hybridfunktionale sind außerdem vielversprechend für die Untersuchung von Reaktionen auf Oberflächen und die Charakterisierung der Elektronenstruktur an Grenzflächen zwischen verschiedenen Halbleitern. Für solche Systeme ist eine Implementierung der Funktionale mit periodischen Randbedingungen erforderlich.
Drei Fragen an die Autorin: Hilke Bahmann
Welche Erkenntnis der letzten zwölf Monate war für Ihre Forschung besonders wichtig?
Die vielversprechende Kombination der Konzepte „lokale Hybridisierung” und „lokale Reichweitenseparierung” scheint bisher wenige Vorteile gegenüber flexiblen Hybridfunktionalen der einen oder anderen Kategorie zu bieten. Hier stellt sich die Frage, wie das Potenzial eines lokalen Hybridfunktionals mit lokaler Reichweitenseparierung vollständig ausgeschöpft werden kann.
Was brauchen Sie im Beruf, was Sie im Studium nicht gelernt haben?
Ich muss häufig Manuskripte, Abschlussarbeiten oder Projektvorhaben mit Bezug auf mein Forschungsgebiet beurteilen und konstruktives Feedback geben. Im Studium lag der Schwerpunkt auf wissenschaftlichen Grundlagen und der Präsentation eigener Arbeit in Form von Vorträgen oder Berichten.
Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen?
Der Schlüssel für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für mich eine kategorisch gleichberechtigte Aufteilung der Kinderbetreuung mit meinem Partner, um die nötigen Freiräume in unterschiedlichen Karrierephasen zu schaffen. Wichtig sind auch flexible Arbeitszeiten, ein stabiles Netzwerk zur Unterstützung sowie ein verständnisvoller Umgang im Arbeitsumfeld mit Einschränkungen aufgrund familiärer Verpflichtungen.
Hilke Bahmann hat in Würzburg Chemie studiert und promoviert. Während des Studiums und der Promotion war sie mehrfach als Wissenschaftlerin zu Gast an der Université de Montréal. Es folgten Postdocaufenthalte an der TU Berlin, der Universität Potsdam und der Vrije Universiteit Amsterdam. Seit September 2019 leitet sie eine unabhängige Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, zunächst an der Universität des Saarlandes. Im April 2022 folgte sie dem Ruf auf eine TT-Juniorprofessur für theoretische Chemie an die Bergische Universität Wuppertal.
Die Fragen wählen die Autor:innen aus einem redaktionell erstellten Fragenkatalog.
- 1 T. M. Maier, A. V. Arbuzniko, M. Kaupp, WIREs Comput. Mol. Sci. 2019; 9:e1378
- 2 A. V. Krukau, G. E. Scuseria, J. P. Perdew, A. Savin, J. Chem. Phys. 2008, 129 (12), 124103
- 3 H. Bahmann, M, Kaupp, J. Chem. Theory Comput. 2015, 11 (4), 1540–1548
- 4 T. M. Maier, H. Bahmann, M. Kaupp, J. Chem. Theory Comput. 2015, 11 (9), 4226–4237
- 5 T. M. Maier, H. Bahmann, A. V. Arbuznikov, M. Kaupp, J. Chem. Phys. 2016, 144(7), 074106
- 6 O. V. Gritsenko, P. R. T. Schipper, E. J. Baerendss , J. Chem. Phys. 1997, 107 (13), 5007–5015
- 7 A. Wodyński, M. Kaupp, J. Chem. Theory Comput. 2022 18 (10), 6111–6123
- 8 T. Schmidt, E. Kraisler, L. Kronik, S. Kümmel, Phys. Chem. Chem. Phys. 2014,16, 14357–14367
- 9 T. Yanai, D. Tew, N. Handy, Chem. Phys. Lett. 2024, 393, 51–57.
- 10 N. Mardirossian, M. Head-Gordon, Phys. Chem. Chem. Phys. 2014,16, 9904–9924
- 11 S. Fürst, M. Haasler, R. Grotjahn, M. Kaupp, J. Chem. Theory Comput. 2023,19 (2), 488–502
- 12 S. Fürst, M. Kaupp, A. Wodyński, J. Chem. Theory Comput. 2023, 19 (23), 8639–8653
- 13 D. Gemeri, J.C. Tremblay, M. Pastore, H. Bahmann, Chemical Physics 2022, 559, 111521
- 14 M. Pastore, S. Fantacci, F. De Angelis, J. Phys. Chem. C 2013, 117 (8), 3685–3700
- 15 E. Livshits, R. Baer, Phys. Chem. Chem. Phys., 2007,9, 2932–2941
- 16 T. Stein, H. Eisenberg, L. Kronik, R. Baer, Phys. Rev. Lett. 105, 266802,2010
- 17 S.Klawohn, H. Bahmann, J. Chem. Theory Comput. 2020, 16 (2), 953–963
- 18 T. M. Maier, Y. Ikabata, H. Nakai, J. Chem. Phys. 2021, 154 (21), 214101
- 19 M. Brütting, H. Bahmann, S. Kümmel, J. Chem. Phys. 2024, 160 (18), 181101
- 20 M. Brütting, H. Bahmann,. S. Kümmel, J. Phys. Chem. A 2024 128 (26), 5212–5223
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