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Enzyme gegen die Plastikflut

Nachrichten aus der Chemie, März 2024, S. 74-75, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Plastikmüll reichert sich in den Ozeanen an und gefährdet weltweit die natürliche Artenvielfalt. Die Suche nach neuen Methoden, um die Kunststoffe abzubauen, richtet sich jetzt auf Mikroorganismen und ihre Enzyme.

Der Müll im Meer schadet bereits Natur und Umwelt – ein Problem, das sich gerade zur globalen Krise ausweitet. Daher sind dringend Verfahren nötig, mit denen sich die im Umlauf befindlichen Kunststoffe abbauen und recyclen lassen.

Große Hoffnungen ruhen auf Mikroorganismen und deren Enzymen. Obwohl Plastikmüll in der Umwelt nicht erkennbar abgebaut wird, kommen Enzyme, die diesen Abbau katalysieren, durchaus in Organismen vor. Bereits 200 solcher Enzyme sind identifiziert, darunter 80 für den als inert geltenden Kunststoff Polyethylenterephthalat (PET).

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Neue Enzyme könnten helfen, nicht nur PET abzubauen, sondern auch das Polyurethan, mit dem häufig Fischernetze beschichtet sind. Foto: bettysphotos / Adobe Stock

Nun gilt es, daraus wirtschaftlich umsetzbare Verfahren zu entwickeln.

Ein Enzym aus Archaeen

Die Arbeitsgruppen von Ruth Schmitz in Kiel und Wolfgang Streit in Hamburg haben vor kurzem die Bandbreite der PET-abbauenden Katalysatoren um ein neuartiges Enzym erweitert. Stammten bisher alle bekannten PETasen aus Bakterien oder Pilzen, so wurden die norddeutschen Forscher:innen in der Domäne der Archaeen fündig. Unter den Genen des noch nicht kultivierten Archaeon Candidatus Bathyarchaeota archaeon B1_G2 fanden sie ein Enzym, das sie PET46 nannten, da es PET ebenso wirksam abbaut wie die bekannten natürlichen PET-Enzyme.1) Die Forschenden stellten dieses Enzym in Escherichia coli her und charakterisierten es, einschließlich einer Kristallstruktur mit 1,7 Å Auflösung.

Der neue Biokatalysator hat einige besondere Vorteile: PET46 zerlegt nicht nur die Polymere aus zerkleinertem PET-Müll zu Oligomeren, sondern auch diese Zwischenprodukte. Zudem arbeitet das Enzym bei gemäßigten Temperaturen von 30 bis 70 °C.

Struktur und Abbaumechanismus unterscheiden sich völlig von denen bekannter PET-abbauender Enzyme. Stattdessen ähnelt es den Feruloyl-Esterasen, die die Ligninfasern im Holz abbauen. Wie diese Enzyme weist auch PET46 einen molekularen Deckel über seinem aktiven Zentrum auf.

Für die Entwicklung biotechnischer Verfahren zum PET-Recycling eröffnet dieses Enzym somit neue Perspektiven. Zum einen ist denkbar, dass es ähnliche Enzyme auch in anderen Ökosystemen gibt, in denen man noch nicht nach ihnen gesucht hat – etwa in Waldböden, wo Totholz verrottet. Zum anderen bietet ein mechanistisch andersartiges Enzym mehr Möglichkeiten für die Prozessentwicklung. Für einen wirtschaftlich gangbaren Recyclingprozess wird man diese Enzyme noch künstlich modifizieren müssen, und je mehr Enzyme zur Wahl stehen, desto besser die Chance, dass dieses Bemühen letztlich zum Erfolg führt.

Einen Schritt weiter ist die Entwicklung schon beim in verrottenden Blättern entdeckten Enzym LCC (leaf-branch compost cutinase). Dieses baut in der Natur die wachsartige Oberfläche von Blättern ab. Dass es auch PET zersetzt, war bereits im Jahr 2010 in Japan entdeckt worden.

Inzwischen hat die Arbeitsgruppe von Alain Marty an der Universität Toulouse dieses Enzym für den PET-Abbau optimiert.2) Mit der im Jahr 2011 gegründeten Firma Carbios in Clermont-Ferrand hat Marty einen Recyclingprozess entwickelt, der sich sowohl für PET-Flaschen als auch für Polyester-haltige Kleidung eignet. In beiden Fällen muss das Material nicht rein vorliegen, da die entstehenden Monomere leicht von Rückständen zu trennen sind.

Die Firma will im Jahr 2025 eine Pilotanlage in Longlaville (Lothringen) in Betrieb nehmen, die bis zu 50 000 Tonnen PET verarbeiten kann pro Jahr. Zudem will Carbios dann Lizenzen für das Verfahren an andere Firmen vergeben, um eine schnelle Ausbreitung zu ermöglichen.

Polyurethan-Beschichtungen

Ein Kunststoff kommt selten allein: In vielen synthetischen Produkten finden sich mehrere Arten von Polymeren mit verschiedenen Eigenschaften. So werden Textilien oder Fischernetze oft mit Polyurethanen wie Impranil DLN-SD beschichtet, welche das Material beständiger machen sollen. Die Beschichtungen erschweren allerdings den Abbau und damit das Recycling solcher Materialien.

Es sind bereits einige Enzyme beschrieben, die Polyurethane zerkleinern. Sie zerstören aber nicht die charakteristische Carbamatbindung, sondern sind unspezifische Esterasen wie LCC, die auch PET und andere Polyester in Oligomere zerlegen. Im Fall der Polyurethane trennen diese Enzyme die Ketten durch Esterhydrolyse, lassen aber die Carbamatbindung unangetastet.

Die Arbeitsgruppen von Nick Wierckx am Forschungszentrum Jülich und Karl-Erich Jaeger an der Universität Düsseldorf haben jetzt einen Bakterienstamm charakterisiert, der Polyurethanbeschichtungen wie Impranil vollständig abbaut und sogar als einzige Kohlenstoffquelle nutzt:3) Es handelt sich um das Bakterium Halopseudomonas formosensis, das ursprünglich aus einem Komposthaufen isoliert wurde. Das Bakterium ist hitzetolerant und zersetzt Polymere bei bis zu 50 °C. Diese Bakterienart war bisher so wenig erforscht, dass die Arbeitsgruppen für ihre Studien erst genetische Werkzeuge entwickeln musste,4) um ein Bakterium dieser Gattung erstmals genetisch manipulieren zu können. Die Forscher:innen hoffen, dass sich auf dieser Grundlage biotechnische Prozesse entwickeln lassen, die sich zum Recycling komplexer synthetischer Materialien eignen.

Nylon

Ein weiteres Sorgenkind im Plastikrecycling ist Nylon. Daraus werden nicht nur Strümpfe hergestellt, sondern auch tonnenschwere Fischernetze. Haben diese das Ende ihrer Lebensdauer erreicht, werden sie oft einfach im Meer treiben gelassen. Sie machen einen Großteil des Plastikmülls im Meer aus, der sich in den großen Meereswirbeln anreichert und etwa im Pazifischen Müllstrudel (Great Pacific Garbage Patch) zu sehen ist.

Ein großer Teil dieses schwimmenden Müllbergs besteht aus Polycaprolactam (Nylon-6, Handelsname im Textilbereich: Perlon). Anders als das klassische Nylon-66 wird es durch Ringöffnungs-Kondensation aus Caprolactam hergestellt, die chemischen und physikalischen Eigenschaften unterscheiden sich kaum. Das Verfahren entwickelte in den 1930er Jahren die IG Farben, um die Patente auf die Nylonherstellung aus zwei linearen Bausteinen zu umgehen.

Nylon-6 gilt weiterhin als biologisch nicht abbaubar, obwohl Amidbindungen auch in Biomolekülen vorkommen und in Zellen von Enzymen gespalten werden. Möglicherweise bauen Enzyme die Polymere deshalb schlecht ab, weil die Polyamidketten durch Wasserstoffbrücken quervernetzt sind und dadurch schlecht zugänglich sind.

Nun hat die Arbeitsgruppe von Tobin Marks an der Northwestern University in Evanston einen anorganischen Katalysator entwickelt, der Nylon-6 in seine Bausteine zerlegt, also Caprolactam erzeugt.5) Dieses lässt sich dann direkt zu neuen, hochwertigeren Nylonprodukten umsetzen.

Der Katalysator ist ein ansa-Komplex, also ein Metallocen, in dem ein Henkel die beiden aromatischen Ringe verbindet. Diese metallorganische Verbindung kann ohne Lösungsmittel direkt im geschmolzenen Kunststoff eingesetzt werden. Sie wirkt hochselektiv und erzeugt somit auch bei verunreinigtem Material keine Nebenprodukte. Bis zu 99 Prozent des Polyamids werden zum Monomer umgesetzt, und alle anderen Materialien bleiben zurück.

Jetzt muss nur noch die Fischereiindustrie ihre alten Netze an Land bringen, damit auch diese dem Recycling zugänglich werden.

Der promovierte Chemiker Michael Groß arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. michaelgross.co.uk

AUF EINEN BLICK

Ein neu entdecktes Enzym aus Archaeen baut Polyethylenterephthalat (PET) ab. Seine Struktur und der Abbaumechanismus sind völlig anders als die bekannter PET-abbauender Enzyme.

Auch Bakterien und Katalysatoren können Kunststoffe abbauen, etwa Polyurethan und Nylon.

Kurz vor der industriellen Nutzung steht das Enzym LCC: Es soll ab dem Jahr 2025 in Lothringen bis zu 50 000 Tonnen PET jährlich zerlegen.

  • 1 P. Perez-Garcia, J. Chow, E. Costanzi et al., Commun. Chem. 2023, doi: 10.1038/s42004-023-00998-z
  • 2 V. Tournier, C. M. Topham, A. Gilles, Nature 2020, doi: 10.1038/s41586–020–2149–4
  • 3 J. de Witt, R. Molitor, J. Gätgens et al., Microb. Biotechnol. 2023, doi: 10.1111/1751–7915.14362
  • 4 L. Kruse, A. Loeschcke, J. de Witt et al., Microb. Biotechnol. 2023, doi: 10.1111/1751–7915.14369
  • 5 L. Ye, X. Liu, K. B. Beckett et al., Chem 2023, doi: 10.1016/j.chempr.2023.10.022

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