150 Jahre chemische Gesellschaften in Deutschland

Spurensuche

Bildung & Gesellschaft

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Gute Traditionen, schlechte Traditionen

Chemiegemeinschaft hinter der Mauer

<p>Im Jahr 1887 gr&uuml;ndete sich der Verein Deutscher Chemiker, die zweite Vorl&auml;uferorganisation der GDCh. Als wichtigstes Verm&auml;chtnis hinterlie&szlig; die industrienahe Berufsgesellschaft: das Journal Angewandte Chemie.</p>
<p>Die Deutsche Chemische Gesellschaft (DChG) unter August Wilhelm Hofmann war 20 Jahre alt, da entstand ihr eine Konkurrenzvereinigung: die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r angewandte Chemie. Sie vereinte vor allem in der Industrie t&auml;tige Chemiker einschlie&szlig;lich Inhabern und Direktoren chemischer Fabriken.</p>
<p>Hervorgegangen war die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r angewandte Chemie aus dem Verein analytischer Chemiker, gegr&uuml;ndet 1877. Diese Fachchemikervereinigung war allerdings auch nach zehn Jahren noch nicht richtig in Schwung gekommen und z&auml;hlte im Jahr 1887 deutschlandweit nur 180 Mitglieder. Ferdinand Fischer, Mitglied des Vereins deutscher Ingenieure, regte die Umwandlung des Vereins in die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r angewandte Chemie an, so geschehen am 27. November 1887 in Frankfurt am Main.</p>
<p>Neun Jahre sp&auml;ter, im Jahr 1896, benannte sich die Organisation auf Antrag von Carl Duisberg in Verein Deutscher Chemiker (VDCh) um. Inzwischen waren viele Vertreter der grundlagenorientierten, nichtangewandten Chemie Mitglied geworden, so dass der alte Name nicht mehr passend erschien. Die Mitgliederzeitschrift der Gesellschaft, unter der Redaktion von Ferdinand Fischer und 1887 als Zeitschrift f&uuml;r die chemische Industrie begr&uuml;ndet, behielt allerdings ihren Namen, den sie seit 1888 trug: Zeitschrift f&uuml;r angewandte Chemie.</p>
<h2>Mehr Industrie, mehr Nationalismus</h2>
<p>Im Jahr 1925 war der Verein Deutscher Chemiker mit etwa 10 000 Mitgliedern fast doppelt so gro&szlig; wie die DChG. Mindestens zwei Drittel der VDCh-Mitglieder waren in der chemischen Industrie t&auml;tig, sagt Jeffrey Johnson, Wissenschaftshistoriker an der Villanova University in Pennsylvania, USA. Johnson hat in seinen Arbeiten die Unterschiede zwischen DChG und VDCh analysiert: &bdquo;Der VDCh war mehr eine Gesellschaft der Angestellten. Sie waren alle akademisch ausgebildet, viele hatten Doktortitel, aber sie arbeiteten eben nicht an einer Universit&auml;t, sondern in einer industriellen Umgebung.&ldquo; In ihrem Aufbau mit Fachgruppen und Bezirksvereinen &auml;hnelte der VDCh der heutigen GDCh.</p>
<p>Zwar war auch die DChG keine rein akademische Gesellschaft; sie z&auml;hlte viele Chemiker aus der Industrie zu ihren Mitgliedern. Die enge Beziehung zur Industrie war vor allem August Wilhelm Hofmann zu verdanken, der w&auml;hrend seiner 20 Jahre in England erkannt hatte, dass &bdquo;der wunderbare Aufschwung der Industrie nicht selten der Wissenschaft die Mittel f&uuml;r ihren weiteren Aufbau&ldquo; liefert.<sup>1)</sup> Trotzdem lag der Fokus der DChG eher auf der Wissenschaft als solcher, weniger auf industriellen Fragen. Hofmann hatte die Statuten der DChG &auml;hnlich denen der Chemical Society in England gestaltet, der er w&auml;hrend seiner Londoner Zeit angeh&ouml;rt und 1861 bis 1863 auch als Pr&auml;sident vorgestanden hatte.</p>
<p>Es gab einen noch gr&ouml;&szlig;eren Unterschied zwischen VDCh und DChG, erl&auml;utert Jeffrey Johnson: ihre Internationalit&auml;t. &bdquo;Der VDCh war vor allem ein Verein f&uuml;r deutsche Chemiker, mit Betonung auf &sbquo;deutsche&lsquo; . Er hatte nie mehr als f&uuml;nf bis zehn Prozent nichtdeutsche Mitglieder.&ldquo; Der VDCh als industriebetonter Verein reagierte empfindlicher auf Konkurrenz aus dem Ausland, etwa bei Patenten und technischen Verbesserungen, vermutet Johnson: &bdquo;Das machte die Auffassung des Vereins viel deutschnationalistischer.&ldquo; Deutlich wurde das nach 1933. Im Gegensatz zur DChG setzte der VDCh der Gleichschaltung durch Hitler im Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik keinen gro&szlig;en Widerstand entgegen. Nach der neugefassten VDCh-Satzung mussten Mitglieder ab Mai 1936 &bdquo;Reichsb&uuml;rger im Sinne des N&uuml;rnberger Gesetzes&ldquo; sein. Aufgabe des Vereins war unter anderem &bdquo;die Erziehung seiner Mitglieder zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.&ldquo;<sup>2)</sup></p>
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<figcaption><label>Abb. 1: </label>Potsdamer Stra&szlig;e 103 in Berlin: Hier residierte von 1926 bis 1939 der Verein deutscher Chemiker. <named-content>Fotos: Brigitte Osterath</named-content></figcaption>
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<p>Die DChG hingegen hatte stets etwa 35 bis 40 Prozent nichtdeutsche Mitglieder, darunter Schweizer und &Ouml;sterreicher, Franzosen, Briten und US-Amerikaner. Damit hatte die DChG den gr&ouml;&szlig;ten Anteil internationaler Mitglieder, verglichen mit allen anderen chemischen Gesellschaften der Zeit. Die DChG sperrte sich relativ lange, beispielsweise j&uuml;dische Mitglieder aus der Gesellschaft auszuschlie&szlig;en, und gab dem Druck von oben erst im Jahr 1938 nach.</p>
<h2>Vereinszeitschriften boomen</h2>
<p>Das Organ des Vereins Deutscher Chemiker, die Zeitschrift f&uuml;r angewandte Chemie, war auf die Bed&uuml;rfnisse des praktischen Chemikers zugeschnitten. Sie erschien zun&auml;chst halbj&auml;hrlich und informierte &uuml;ber wissenschaftliche Fortschritte, praktische Erfahrungen und Vereinsangelegenheiten. Aufgrund ihres gro&szlig;en Erfolgs wuchs die Zahl der Ausgaben schnell: Ab 1894 erschien die Zeitschrift zweiw&ouml;chentlich, ab 1896 w&ouml;chentlich.</p>
<p>Die DChG gab die Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft heraus, kurz Berichte genannt. Diese erschienen ebenfalls zun&auml;chst halbj&auml;hrlich, sp&auml;ter monatlich. Ihr weltweites Renommee war laut Wissenschaftshistoriker Jeffrey Johnson der Grund daf&uuml;r, dass die DChG so viele Mitglieder im Ausland hatte. &bdquo;Deutschland war damals weltweit das Zentrum f&uuml;r organische Chemie&ldquo;, sagt er, &bdquo;und als Chemiker musste man sich dar&uuml;ber auf dem Laufenden halten.&ldquo; Die Berichte waren der einfachste Weg. Viele Wissenschaftler im Ausland verstanden damals Deutsch, denn das war bis in die 1920er Jahre die Wissenschaftssprache.</p>
<p>Die DChG &uuml;bernahm im Jahr 1897 zudem die Herausgabe des Chemischen Zentralblatts, im Jahr 1830 als Pharmaceutisches Centralblatt gegr&uuml;ndet. Auch Beilsteins Handbuch der organischen Chemie, 1881/82 erstmals ver&ouml;ffentlicht, war ab 1896 in der Hand der Gesellschaft.</p>
<p>Neben DChG und VDCh gab es noch den 1877 gegr&uuml;ndeten Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie. Aus ihm wurde nach dem zweiten Weltkrieg der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Auch er brachte eine Mitgliedszeitschrift heraus, die Chemische Industrie.</p>
<h2>Ein Verlag &uuml;bernimmt</h2>
<p>F&uuml;r die chemischen Gesellschaften wurde es zunehmend schwieriger, ihre Zeitschriften und anderen Druckwerke selbst herauszugeben. Die Menge der Informationen nahm stetig zu und damit auch die gedruckten Seiten und die Ver&ouml;ffentlichungskosten. Nach dem ersten Weltkrieg stiegen zudem die Papierpreise aufgrund von Papierknappheit und Inflation. Ein Kilogramm holzfreies Papier etwa, das im Juli 1914 noch f&uuml;r 42 Pfennig zu haben war, kostete im September 1922 &uuml;ber 200 Mark.<sup>3)</sup></p>
<p>Die L&ouml;sung fand sich im April 1921 mit Gr&uuml;ndung des Verlags Chemie (VCH). Die Idee dahinter: die Publikationen der chemischen Gesellschaften zu b&uuml;ndeln und von einem einzigen Verlag herausgeben zu lassen. Der Verlag Chemie sollte die Publikationen der drei chemischen Gesellschaften herausbringen und war dar&uuml;ber hinaus erm&auml;chtigt, andere Werke chemischen Inhalts zu ver&ouml;ffentlichen. Den Verlags leitete der Leipziger Verleger Hermann Degener. Der Verlag Chemie verlegte auch Justus Liebig&rsquo;s Annalen der Chemie, eine Konkurrenzzeitschrift zu den Berichten.</p>
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<figcaption><label>Abb. 2: </label>Das Logo des Verlags Chemie hat sich &uuml;ber die Jahrzehnte hinweg immer wieder gewandelt. <named-content>Foto: Mario M&uuml;ller</named-content></figcaption>
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<h2>Wie der Verlag nach Weinheim kam</h2>
<p>Seinen Sitz hatte der Verlag Chemie in Leipzig und in Berlin, dort zun&auml;chst im Hofmann-Haus. Nach Aufl&ouml;sung der Nebenstelle in Leipzig und getrieben von Platzmangel zog die Redaktion 1938/39 in die Woyrschstra&szlig;e 37 um, heute Genthiner Stra&szlig;e. Im zweiten Weltkrieg galt der Verlag als kriegswichtiges Unternehmen und konnte daher auch weiterhin seine Publikationen herausbringen, darunter die Zeitschrift f&uuml;r angewandte Chemie, die seit 1932 einfach Angewandte Chemie hie&szlig;, von 1942 bis 1945 aber als Die Chemie herauskam.</p>
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<figcaption><label>Abb. 3: </label>Standort des Verlags Chemie in Berlin ab 1939 &ndash; heute Genthiner Stra&szlig;e und Sitz eines M&ouml;belhauses.</figcaption>
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<p>Am 30. Januar 1944 fielen Brandbomben auf das Verlagsgeb&auml;ude und zerst&ouml;rten es v&ouml;llig. &bdquo;Als der Krieg zu Ende ging, war der Verlag auf den Inhalt eines Rucksacks reduziert&ldquo;, erz&auml;hlt J&uuml;rgen Kreuzhage, Sohn des damaligen Verlags-Gesch&auml;ftsf&uuml;hrers Eduard Kreuzhage. Letzterer m&uuml;hte sich nach dem Krieg sehr darum, den Verlag in Heidelberg wieder aufzubauen &ndash; wegen der vergleichsweise liberalen Medienpolitik in der amerikanisch verwalteten Zone. In Heidelberg lebte damals Richard Kuhn, letzter Pr&auml;sident der DChG, und auch die Entfernung zum damaligen Hauptsitz des VDCh in Frankfurt war nicht gro&szlig;.</p>
<p>Eduard Kreuzhage bekam von der amerikanischen Milit&auml;rregierung im Jahr 1947 die pers&ouml;nliche Lizenz, den Verlag Chemie als gesch&auml;ftsf&uuml;hrender Gesellschafter neu zu gr&uuml;nden. &bdquo;Die Lizenz hing gerahmt an der Wand im B&uuml;ro meines Vaters&ldquo;, erinnert sich J&uuml;rgen Kreuzhage. Lizenzen erteilte die Besatzungsmacht nur Personen, nicht Vereinen oder Gesellschaften. Erst sp&auml;ter, nach Gr&uuml;ndung der Bundesrepublik Deutschland, konnten Vereine wie die GDCh wieder direkt am Verlagswesen teilhaben.</p>
<p>Die Wahl f&uuml;r den Verlagsort fiel im Jahr 1949 auf Weinheim, da dort eine Druckerei leer stand und das Geb&auml;ude zu mieten war. Seine neue Heimat, die Zwei-Burgen-Stadt an der Bergstra&szlig;e, gefiel dem damals 13-j&auml;hrigen J&uuml;rgen Kreuzhage gut: &bdquo;Es war dort nichts zerst&ouml;rt, der Krieg war an der Stadt total vorbeigegangen. Auch gab es in einem eigenen Wohnhaus zwei Zimmer f&uuml;r uns vier Kinder. Ja, es hat uns dort sehr gefallen.&ldquo;</p>
<p>Eduard Kreuzhage arbeitete hart f&uuml;r den Erfolg des Verlags Chemie, berichtet sein Sohn. &bdquo;Mein Vater hat den Verlag gelebt, 24 Stunden lang, 7 Tage die Woche.&ldquo; Er erinnert sich daran, dass er mit seinem Vater jeden Sonntag mit dem Bollerwagen zur Post ging, um dort eingetroffene Sendungen abzuholen. &bdquo;Mein Vater wollte nicht bis Montag warten, sie zu lesen.&ldquo; Auch auf eine vierw&ouml;chige Spanienreise im Jahr 1950 habe sich sein Vater die Post in die Hotels schicken lassen. &bdquo;Der Verlag stand eben immer im Vordergrund.&ldquo;</p>
<h2>Verlag Chemie heute</h2>
<p>Seit 1996 geh&ouml;rt der Verlag Chemie zu John Wiley &amp; Sons und nennt sich Wiley-VCH; sein Sitz ist noch immer in Weinheim. Wer das Verlagsgeb&auml;ude in der Boschstra&szlig;e 12 betritt, merkt, dass es hier nicht mehr nur um Chemie geht: Das Verlagsspektrum hat sich &ndash; auch aufgrund des neuen Mutterverlags &ndash; stark erweitert. In der Eingangshalle liegen die Angewandte Chemie, Chemistry &ndash; A European Journal und Propellants, Explosives, Pyrotechnics aus, gleich daneben das Physik-Journal, Structural Concrete und BIM &ndash; Building Information Modeling sowie B&uuml;cher zu Musiktheorie, Strafrecht und erfolgreichem Verkaufen.</p>
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<figcaption><label>Abb. 4: </label>Das Verlagsgeb&auml;ude von Wiley-VCH in Weinheim heute.</figcaption>
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<p>&bdquo;In den 70er Jahren hat sich das reine Chemie-Verlagswesen zun&auml;chst ausgedehnt auf die Naturwissenschaften allgemein&ldquo;, erinnert sich Zeitzeuge Detlef Schermer, Chemiker und Sohn von Hans Schermer, der von 1967 bis 1980 Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer des Verlags war. &bdquo;Dann kamen allgemeinverst&auml;ndlichere, publikationswirksame Zeitschriften dazu wie Spektrum der Wissenschaft&ldquo;, inzwischen ein Teil der Verlagsgruppe Springer Nature. Neben Zeitschriften sind B&uuml;cher das zweite Standbein des Verlags &ndash; darunter die F&uuml;r-Dummies-Serie sowie Lehrb&uuml;cher wie der Vollhardt und der Atkins. &bdquo;Wenn ich mir die F&uuml;r-Dummies-Serie ansehe, dann ist das ja alles &ndash; bis hin zu &sbquo;Traummann finden f&uuml;r Dummies&lsquo;&lsquo;&lsquo;, sagt der 69-J&auml;hrige und lacht. &bdquo;Der Verlag ist weit aus seinen Anf&auml;ngen herausgewachsen.&ldquo;</p>
<p>Seit der &Uuml;bernahme durch Wiley sei auch alles viel internationaler geworden, befindet Schermer: &bdquo;Zur Zeit meines Vaters kamen alle Mitarbeiter aus dem Odenwald oder aus Weinheim.&ldquo; Das ist nun nicht mehr so. Rund um das Atrium des Verlags h&auml;ngen Flaggen aus aller Welt &ndash; die 29 Ursprungsl&auml;nder der Verlagsmitarbeiter. Von den jetzt 434 Mitarbeitern in Weinheim stammen 91 &ndash; &uuml;ber ein F&uuml;nftel &ndash; aus dem Ausland. Bei einem Rundgang durch das Verlagsgeb&auml;ude h&ouml;rt man zwar noch haupts&auml;chlich Deutsch, aber es gibt viele Mitarbeiter, die nur Englisch sprechen.</p>
<h2>Internationales Flaggschiff-Journal</h2>
<p>Trotz ihres einstigen weltweiten Renommees: Die Chemischen Berichte und Liebigs Annalen existieren heute in ihrer urspr&uuml;nglichen Form nicht mehr. Beide Zeitschriften sind im Jahr 1998 mit weiteren europ&auml;ischen nationalen Journalen im European Journal of Organic Chemistry und im European Journal of Inorganic Chemistry aufgegangen, verlegt bei Wiley-VCH. Das Chemische Zentralblatt wurde bereits im Jahr 1969 eingestellt.</p>
<p>Nicht so das einstige Organ des Vereins Deutscher Chemiker: &bdquo;Die Angewandte ist das absolute Flaggschiff des Verlags&ldquo;, sagt Eva Wille, Vice President beim Verlag Wiley-VCH. Mit ein Grund f&uuml;r den Erfolg der Zeitschrift, auch in der heutigen Zeit, sei ihre Zweisprachigkeit: &bdquo;Die Angewandte hat unheimlich davon profitiert, dass man im Jahr 1962 eine International Edition gegr&uuml;ndet hat.&ldquo; Man habe damit die Zeitschrift f&uuml;r Autoren aus aller Welt und vor allem aus den USA ge&ouml;ffnet und f&uuml;r eine internationale Leserschaft interessant gemacht. 90 Prozent aller eingehenden Manuskripte stammen heutzutage aus dem Ausland, vor allem aus den USA, China und Japan.</p>
<p>J&uuml;rgen Kreuzhage, 1963 nach einem zweij&auml;hrigen Verlagsvolontariat in den USA frisch in den Verlag Chemie eingestiegen, war damals daf&uuml;r verantwortlich, den Auslandsmarkt, unter anderem f&uuml;r die Angewandte Chemie International Edition zu erschlie&szlig;en &ndash; eine laut Kreuzhage &bdquo;nicht ganz leichte, aber am Ende l&ouml;sbare Aufgabe&ldquo;, auf deren Erf&uuml;llung er sehr stolz ist. &bdquo;Das war auch im Interesse der deutschen Wissenschaftler, die dort publizierten, weil ihr Renommee nat&uuml;rlich stieg, wenn diese Zeitschrift auch im Ausland intensiv gelesen wurde.&ldquo; 1967 folgte J&uuml;rgen Kreuzhage seinem Vater als Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer des Verlags nach.</p>
<h2>&bdquo;Chemie ist alles, was Chemiker machen&ldquo;</h2>
<p>Trotz Globalisierung und Englisch als Welt- und Wissenschaftssprache: Auch die deutsche Version der Angewandten gibt es noch heute. Daf&uuml;r erhielt die Redaktion im Jahr 2007 den Institutionenpreis des Vereins Deutsche Sprache. Aber wer glaubt, das Festhalten an einer deutschen Version sei rein ideell begr&uuml;ndet und ein Verlustgesch&auml;ft, der irrt, sagt Chefredakteur Peter G&ouml;litz: &bdquo;Auch die deutsche Angewandte ist finanziell eine gesunde Geschichte.&ldquo; Daran, sie abzuschaffen, denke man jedenfalls nicht.</p>
<p>25 Redaktionsmitarbeiter, darunter 20 promovierte Chemiker, sorgen daf&uuml;r, dass die Angewandte Chemie ihren Ruf als Topjournal beibeh&auml;lt. 12 000 Zuschriften gehen pro Jahr ein, 4000 lehnt die Redaktion sofort ab, noch bevor sie an einen Gutachter gehen. Ver&ouml;ffentlicht werden am Ende nur etwa 2700. Peter G&ouml;litz ist stolz auf die redaktionelle Betreuung: &bdquo;Wir machen uns Gedanken und springen nicht auf jeden Zug sofort auf.&ldquo; Dass G&ouml;litz trotz 37 Jahren als Chefredakteur noch immer von seinem &bdquo;Traumjob&ldquo; spricht, liege auch an der Breite der Themen: &bdquo;Wir sehen die Chemie nicht so eng.&ldquo; Schlie&szlig;lich sei alles, was Chemiker machen, Chemie. Und damit Thema der Angewandten &ndash; seit inzwischen 129 Jahren.</p>
<p>Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in Bonn. <a href="https://www.writingscience.de" target="_blank" rel="noopener">www.writingscience.de</a></p>
<h2>Die GDCh und Wiley-VCH</h2>
<p>DChG und VDCh waren bis zum Zweiten Weltkrieg Mitgesellschafter des Verlags Chemie. Diese Aufgabe hat heute die GDCh bei Wiley-VCH inne. Sie ist damit (Mit-)Herausgeberin und (Mit-)Eigent&uuml;merin vieler Fachzeitschriften. Die Angewandte Chemie etwa befindet sich im Alleinbesitz der GDCh.</p>
<p>Das bedeutet unter anderem, dass ein Teil der Gewinne aus dem Vertrieb von Zeitschriften an die Gesellschaft gehen. Auch ernennt die GDCh einen Verlagsbeirat, der Wiley-VCH hinsichtlich der Publikationst&auml;tigkeit in der Chemie und angrenzender Fachgebiete ber&auml;t.</p>
<h2>Serie Spurensuche</h2>
<p>In diesem Jahr feiert die GDCh 150 Jahre chemische Gesellschaften in Deutschland. Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Brigitte Osterath ist f&uuml;r die Nachrichten aus der Chemie auf Spurensuche an den Orten, die f&uuml;r die Geschichte der GDCh und ihrer Vorg&auml;ngerorganisationen von Bedeutung waren.</p>
<div><img src="https://media.graphcms.com/XPDjOMKUQHSQFKgCchbG"></div>
<p></p>
<h2>Literatur</h2>
<ul>
<li><sup>1 </sup>Ber. dtsch. chem. Ges. 1868, 3.</li>
<li><sup>2 </sup>W. Ruske, 100 Jahre Deutsche Chemische Gesellschaft, Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1967.</li>
<li><sup>3 </sup>W. Ruske, Verlag Chemie 1921&ndash;1971, Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1971.</li>
</ul>

Vom Verein zum Verlag

Nahezu spurlos verschwunden

<p>Erster Pr&auml;sident der vor 150 Jahren gegr&uuml;ndeten Deutschen Chemischen Gesellschaft war August Wilhelm Hofmann. Die Idee f&uuml;r eine chemische Gesellschaft brachte er aus London mit, wo er 20 Jahre gelehrt hatte und sehr beliebt war.</p>
<p>Wer London auf der Suche nach Hofmanns Spuren durchforstet, bemerkt schnell: Vor allem im 19. Jahrhundert waren deutsche Chemiker hier hoch angesehen. &bdquo;F&uuml;r die Briten war die deutsche Chemie damals in ganz Europa f&uuml;hrend, vor allem was organische Chemie anging&ldquo;, sagt der englische Chemiehistoriker Bill Brock. Der 80-j&auml;hrige Brock ist Emeritus der Universit&auml;t Leicester und hat ein Buch &uuml;ber Justus von Liebig und seine enge Beziehung zu England geschrieben.<sup>1)</sup></p>
<p>Von Liebig h&auml;ngt auch ein zwei Quadratmeter gro&szlig;es &Ouml;lportr&auml;t im Haus der Royal Society of Chemistry. &bdquo;Die Briten liebten Liebig leidenschaftlich&ldquo;, erz&auml;hlt Brock. &bdquo;Er war im Vereinigten K&ouml;nigreich der 1840er Jahre eine ganz gro&szlig;e Nummer.&ldquo; Liebig hatte erstmals Teile von Tieren und Pflanzen auf ihre Zusammensetzung analysiert. In den Zeiten der Industrialisierung versprach Liebigs Chemie, die Ertr&auml;ge in der Landwirtschaft zu steigern und damit genug Nahrung f&uuml;r die wachsende Bev&ouml;lkerung zur Verf&uuml;gung zu stellen. Die Briten waren begeistert.</p>
<h2>Wanted: Chemikerfabrik</h2>
<p>Liebig zog in seinem Labor in Gie&szlig;en etliche bekannte Chemiker heran, darunter August Kekul&eacute;, Carl Remigius Fresenius und Joseph von Scherer, der sp&auml;ter das Fachgebiet der klinischen Chemie begr&uuml;ndete, sowie den jungen August Wilhelm Hofmann. Eine solche &bdquo;Chemikerfabrik&ldquo; wollte man in England auch haben, erkl&auml;rt Wissenschaftshistoriker Frank James von der Royal Institution of Great Britain, einer Organisation, welche die Verbreitung der Wissenschaft im allt&auml;glichen Leben f&ouml;rdert. Um britische Chemiker zu &bdquo;produzieren&ldquo;, gr&uuml;ndete man im Jahr 1845 das Royal College of Chemistry in London, sagt James. Hier sollten junge Wissenschaftler lernen, wie man im Labor experimentiert und beispielsweise Pflanzen, Wasser und B&ouml;den analysiert.</p>
<p>Ein Deutscher sollte als Leiter der neuen Hochschule her. Aber weder Liebig selbst noch seine Zeitgenossen Robert Wilhelm Bunsen &ndash; gerade Professor in Marburg &ndash; oder Heinrich Will, der in Gie&szlig;en sp&auml;ter Liebigs Nachfolger wurde, wollten nach London gehen. So fiel die Wahl schlie&szlig;lich auf den gerade 28-j&auml;hrigen August Wilhelm Hofmann, den Liebig empfohlen hatte. Hofmann hatte bei ihm promoviert und war seit einem Jahr Privatdozent f&uuml;r Chemie an der Universit&auml;t Bonn. Er war bereits viel gereist, unter anderem nach Italien, und war sehr fremdsprachenaffin. Hofmann nahm das Londoner Angebot an.</p>
<h2>Gedenktafel in der Einkaufszeile</h2>
<p>Die Oxford Street ist heute Londons gesch&auml;ftigste Einkaufsstra&szlig;e. Ein Hochglanzgesch&auml;ft reiht sich ans n&auml;chste, Passanten mit Einkaufst&uuml;ten hasten vorbei, Londons rote Doppeldeckerbusse und schwarze Taxis rollen vor&uuml;ber. Das schmale unscheinbare Haus mit der Nummer 299 scheint nichts Besonderes zu sein, aber eine metallene, etwas angelaufene Gedenktafel belehrt die Passanten eines Besseren: Hier befand sich in den Jahren von 1845 bis 1872 das Royal College of Chemistry, an dem Hofmann lehrte. In der nationalen historischen St&auml;tte der Chemie residieren heute Consulting-Unternehmen, eine Zeitarbeitsagentur und der Nachrichtendienst der &auml;gyptischen Botschaft.</p>
<p>Nobler wirkt es am Hanover Square Nummer 16 &ndash; von der riesigen Baustelle derzeit mal abgesehen. In einem mehrst&ouml;ckigen Haus gleich an einem &ouml;ffentlichen Park hatten Hofmann und das Royal College of Chemistry gleich nach Hofmanns Ankunft in London 1845 zun&auml;chst Quartier bezogen. Aber das Geld wurde knapp, und das College war gezwungen, in die g&uuml;nstigeren R&auml;ume in der Oxford Street umzuziehen.</p>
<h2>&bdquo;Kein zweites Gie&szlig;en&ldquo;</h2>
<p>In welchem Geb&auml;ude auch immer &ndash; Hofmann tat, was die Briten sich von ihm erhofft hatten: Er brachte Liebigs Labor, seine Lehr- und Forschungsmethoden nach London. Wissenschaftshistoriker Robert Bud vom Londoner Science Museum sagt, einige Historiker h&auml;tten die These aufgestellt, Hofmann habe eine deutsche Universit&auml;t in London etabliert &ndash; aber dieser Ansicht widerspricht er: &bdquo;Es war kein zweites Gie&szlig;en und keine Universit&auml;t im Humboldtischen Sinne, sondern ein britisches College in der Art einer technischen Hochschule.&ldquo; Hofmann lehrte vor allem praktische Dinge. Die meisten seiner Sch&uuml;ler wurden sp&auml;ter keine Professoren, sondern Landwirte, Apotheker oder Berater, die f&uuml;r Industrieunternehmen chemisch-technische Probleme l&ouml;sten.</p>
<p>Trotzdem ver&auml;nderte Hofmann die Wissenschaftsszene in Gro&szlig;britannien enorm, sagt Frank James: &bdquo;Er f&uuml;hrte Chemie erstmals im gro&szlig;en Ma&szlig;stab ein.&ldquo; Hofmann hatte viele Sch&uuml;ler und damit Nachfolger auf den britischen Inseln. &bdquo;Chemiker heutzutage lieben es, ihren Chemie-Stammbaum zur&uuml;ckzuverfolgen&ldquo;, sagt Frank James. &bdquo;Alle Chemiker in Gro&szlig;britannien landen dabei irgendwann bei Hofmann und damit auch bei Liebig.&ldquo;</p>
<h2>&bdquo;Ein netter Kerl&ldquo;</h2>
<p>In Biografien wird Hofmann als &bdquo;liebensw&uuml;rdig&ldquo; beschrieben, mit &bdquo;sprudelndem Humor&ldquo; und einem &bdquo;Witz, der nie verletzend war.&ldquo;<sup>2)</sup> Bill Griffith, emeritierter Chemieprofessor am Imperial College London und Mitglied der Gruppe &bdquo;Geschichte der Chemie&ldquo; der Royal Society of Chemistry, berichtet: &bdquo;Hofmann war sehr beliebt, kontaktfreudig und charismatisch. Er muss ein netter Kerl gewesen sein. Sowohl seine Studenten als auch seine Kollegen sagten nur Gutes &uuml;ber ihn.&ldquo;</p>
<p>Hofmann sei Kosmopolit gewesen, f&uuml;gt Bill Brock hinzu, der den Briefwechsel zwischen Liebig und Hofmann als Buch zusammengestellt hat.<sup>3)</sup> &bdquo;Er kam mit jedem zurecht, in allen Formen und Gr&ouml;&szlig;en.&ldquo; Brock ist sich sicher: Hofmann hat London geliebt. Frederick Abel, ein Sch&uuml;ler Hofmanns, habe mal erz&auml;hlt, dass Hofmann bei seinem Sommerurlaub in Deutschland gesagt habe, er k&ouml;nne es nicht erwarten, nach England zur&uuml;ckzukehren.</p>
<p>Sein Londoner Zuhause war ab 1846 der Fitzroy Square Nummer 9 im heutigen Stadtteil Fitzrovia. Eine blaue Tafel ziert das wei&szlig;e Haus mit dem schwarzen schmiedeeisernen Zaun davor und verk&uuml;ndet: &bdquo;A. W. Hofmann, Chemieprofessor, lebte hier&ldquo;. Die Gegend ist chic &ndash; gebaut wurden die Geb&auml;ude f&uuml;r aristokratische Familien. Auch viele Schriftsteller lebten damals hier, etwa Virgina Woolf und George Bernard Shaw. Heute befinden sich am Fitzroy Square die Botschaften von Liberia und Mosambik; viele H&auml;user, auch das von Hofmann, stehen unter Denkmalschutz. Der gro&szlig;e, hoch eingez&auml;unte Park in der Mitte des Platzes ist &uuml;brigens nicht &ouml;ffentlich zug&auml;nglich &ndash; Privatgel&auml;nde.</p>
<h2>Der Club der Chemiker</h2>
<p>Schon in fr&uuml;hen Jahren h&auml;tten sich Chemiker fern ihrer Labore miteinander getroffen, um Privates sowie Chemisches zu besprechen, erz&auml;hlt mir Frank James: &bdquo;Bereits in den 1790er Jahren gab es eine Art zwanglosen Dinnerverein, genannt Der Chemische Club.&ldquo; Dazu geh&ouml;rte beispielsweise Humphry Davy, der durch Elektrolyse erstmals Natrium, Kalium und Calcium darstellte.</p>
<p>Der Chemikerclub war mit ungef&auml;hr 15 Mitgliedern nur klein &ndash; und typisch englisch, sagt James: &bdquo;Zu unserer Kultur geh&ouml;rt es, sich zum Abendessen zu treffen.&ldquo; Dabei wurde nebenbei &uuml;ber wissenschaftliche Angelegenheiten gesprochen.</p>
<p>Vermutlich entstand aus einem solchen Dinner Club die Chemical Society of London. Sie gr&uuml;ndete sich im Jahr 1841 mit zun&auml;chst 77 Mitgliedern und bildete sp&auml;ter mit anderen Organisationen die heutige Royal Society of Chemistry. Der Chemiker Robert Warington war die treibende Kraft hinter der Gr&uuml;ndung der Chemical Society of London. &bdquo;Es schien eine gute Idee zu sein, eine Gesellschaft zu erschaffen, die Artikel publiziert, Vorlesungen h&auml;lt, vielleicht ein Museum unterh&auml;lt sowie eine Bibliothek&ldquo;, sagt Bill Brock.</p>
<p>&bdquo;Als Wissenschaftler kann man in seinem Labor sitzen und alles M&ouml;gliche tun&ldquo;, f&uuml;gt Frank James von der Royal Institution hinzu, &bdquo;aber was bringt das, wenn man es anderen Menschen nicht mitteilt? Man braucht Journals und Plattformen, um seine Wissenschaft an ein Publikum zu vermitteln. Ich denke, in den 1840er Jahren begriffen die Menschen, dass chemische Gesellschaften sich daf&uuml;r eigneten.&ldquo;</p>
<h2>Hofmann und die Society</h2>
<p>Die Chemical Society of London war trotz ihres Namens eine nationale Gesellschaft, sagt der Historiker Robert Bud, der zu diesem Thema promoviert hat.<sup>4)</sup> &bdquo;Ihre Mitglieder kamen aus dem ganzen Land.&ldquo; Die meisten waren keine Akademiker, sondern beratende Chemiker, die f&uuml;r die Industrie arbeiteten. &bdquo;Es war eine Gesellschaft der praktischen Leute &ndash; genauso wie Hofmanns Royal College of Chemistry f&uuml;r praktische Menschen war. Die Chemical Society machte der Gemeinschaft akademisches Wissen zug&auml;nglich.&ldquo;</p>
<p>Hofmann sei ganz klar ein Akademiker gewesen, sagt Bill Brock, dabei aber auch der Industrie zugetan. &bdquo;Er sah, dass der Baum der akademischen Chemie reiche Fr&uuml;chte f&uuml;r die angewandte Chemie tragen w&uuml;rde, etwa in der Farbstoffindustrie und der D&uuml;ngemittelindustrie.&ldquo;</p>
<p>Nachdem Hofmann in London eingetroffen war, brachte er sich stark in die junge Chemical Society of London ein. Er engagierte sich f&uuml;r das bis dahin nur unregelm&auml;&szlig;ig erscheinende Journal der Gesellschaft und machte daraus zun&auml;chst ein quartalsm&auml;&szlig;ig, sp&auml;ter monatlich erscheinendes Blatt, das Journal of the Chemical Society. In den Jahren 1861 bis 1863 war Hofmann schlie&szlig;lich Pr&auml;sident der Gesellschaft.</p>
<p>Nach seiner R&uuml;ckkehr nach Deutschland im Jahr 1865 betrieb Hofmann auch dort die Gr&uuml;ndung einer chemischen Gesellschaft. Im Jahr 1867 entsteht die Deutsche Chemische Gesellschaft zu Berlin nach dem Vorbild der Chemical Society of London.</p>
<h2>Zur&uuml;ck in die Heimat</h2>
<p>Nach 20 Jahren in England erhielt Hofmann einen Ruf von der Friedrich-Wilhelms-Universit&auml;t Berlin. Und dieses Angebot war einfach zu gut, meint Hofmann-Experte Bill Brock: &bdquo;Ich w&uuml;rde einen Lehrstuhl ohne finanzielle Einschr&auml;nkungen in Berlin auch nicht ablehnen. Die preu&szlig;ische Regierung baute ihm buchst&auml;blich einen Wissenschaftspalast: ein riesiges Laborgeb&auml;ude, nur f&uuml;r ihn, mit seinem eigenen Wohnbereich und einem Ballsaal.&ldquo;</p>
<p>So entschied sich Hofmann daf&uuml;r, zur&uuml;ckzugehen &ndash; so wohl er sich in London auch gef&uuml;hlt haben mag. Dabei hatte ihn sein ehemaliger Lehrer Liebig im Jahr 1863 in einem Brief warnend mitgeteilt, dass Berlin der allerletzte Ort w&auml;re, an den er gehen m&ouml;chte.<sup>3)</sup> Liebig, der inzwischen einen Lehrstuhl in M&uuml;nchen hatte, begr&uuml;ndete das mit dem gro&szlig;en Anteil der Lehre an der Berliner Universit&auml;t: &bdquo;Was g&auml;be ich darum, wenn ich die geistt&ouml;tenden Pr&uuml;fungen der Mediziner und Pharmazeuten hier in M&uuml;nchen absch&uuml;tteln k&ouml;nnte, aber in Berlin sind sie vernichtend.&ldquo;</p>
<p>Bill Brock vermutet, auch der fr&uuml;he Tod des gesch&auml;tzten Prinzgemahls Albert (Kasten S. 157) habe Hofmann bewegt, nach Deutschland zur&uuml;ckzukehren.</p>
<p>Peter Morris, emeritierter Wissenschaftshistoriker am Science Museum, glaubt, es habe noch etwas anderes reingespielt. Deutschland habe sich zwei Jahrzehnte nach der gescheiterten 1848er Revolution sehr dynamisch entwickelt: &bdquo;Es war klar, dass sich in Deutschland einiges bewegte, sowohl in der chemischen Industrie, etwa in der Farbstoffindustrie, als auch allgemein&ldquo;, sagt Morris. &bdquo;An einem Punkt in naher Zukunft w&uuml;rde es eine Einigung Deutschlands geben. Ein Mensch wie Hofmann wollte so einen Aufschwung sicher nicht verpassen, er wollte Teil des neuen Deutschlands sein.&ldquo;</p>
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<figcaption><label>Abb. 1: </label>299 Oxford Street: Hier befand sich viele Jahre Hofmanns Lehr- und Forschungslabor.</figcaption>
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<figcaption><label>Abb. 2: </label>16 Hanover Square: In diesem Haus wohnte und lehrte Hofmann im Jahr 1845, bis das Royal College of Chemistry in die Oxford Street umzog.</figcaption>
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<figcaption><label>Abb. 3: </label>Am noblen Fitzroy Square wohnte Hofmann w&auml;hrend seiner Jahre in London. Die blaue Gedenkplakette erinnert an ihn.</figcaption>
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<figcaption><label>Abb. 4: </label>Das Geb&auml;ude der Royal Society of Chemistry im Burlington Haus.</figcaption>
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<figcaption><label>Abb. 5: </label>Unbeschriftet und doch erkannt: Hofmann-B&uuml;ste im Haus der Royal Society of Chemistry.</figcaption>
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<figcaption><label>Abb. 6: </label>London Eye und die Themse. <named-content>Alle Fotos: Brigitte Osterath</named-content></figcaption>
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<h2>Die Chemie Hofmanns</h2>
<p>August Wilhelm Hofmann promovierte bei Justus von Liebig &uuml;ber die &bdquo;chemische Untersuchung von organischen Basen im Steinkohlenteer&ldquo;. Seine Forschungen zu Anilin legten die Basis f&uuml;r die sp&auml;tere Farbstoffchemie. Hofmann setzte erstmals Ammoniak zu Ethylaminen um und synthetisierte quart&auml;re Amine. Er entwickelte den Hofmannschen Wasserzersetzungsapparat, der w&auml;ssrige L&ouml;sungen elektrolytisch zerlegt. Nach ihm benannt sind die Hofmann-Umlagerung von Carbons&auml;ureamiden und die Hofmann-Regel f&uuml;r intramolekulare Eliminierungen mit sterisch anspruchsvollen Basen.</p>
<h2>Ein k&ouml;niglicher Freund</h2>
<p>August Wilhelm Hofmann war b&uuml;rgerlicher Abstammung, zum von Hofmann wurde er erst mit der Adelung an seinem 70. Geburtstag im Jahr 1888.</p>
<p>Doch schon zu Beginn seiner Zeit in London hatte er in Prinz Albert einen einflussreichen adeligen F&ouml;rderer. Die junge K&ouml;nigin Victoria hatte den deutschen Herzog Albert von Sachsen-Coburg und Gotha im Jahr 1840 geheiratet &ndash; eine richtige Liebeshochzeit, hei&szlig;t es.</p>
<p>Der Prinzgemahl kannte Liebig gut, lernte bald auch Hofmann kennen und bahnte ihm den Weg nach London: Er organisierte eine Beurlaubung an der Universit&auml;t Bonn, an der Hofmann gerade zu lehren begonnen hatte. Au&szlig;erdem soll Prinz Albert versprochen haben, Hofmann eine reibungsfreie R&uuml;ckkehr nach Deutschland zu erm&ouml;glichen, sollte die Idee mit dem Royal College of Chemistry schief gehen.</p>
<p>Englische Wissenschaftshistoriker sprechen mit Hochachtung von Prinz Albert. Er machte sich f&uuml;r Wissenschaft und Technik in Gro&szlig;britannien stark und organisierte die erste Weltausstellung in London im Jahr 1851. Er starb 1861 im Alter von 42 Jahren.</p>
<h2>Serie Spurensuche</h2>
<p>In diesem Jahr feiert die GDCh 150 Jahre chemische Gesellschaften in Deutschland. Die Chemikerin und Wissenschaftsjournlistin Brigitte Osterath ist f&uuml;r die Nachrichten aus der Chemie auf Spurensuche an den Orten, die f&uuml;r die Geschichte der GDCh und ihrer Vorg&auml;ngerorganisationen von Bedeutung waren.</p>
<h2>Quellen und zum Weiterlesen</h2>
<ul>
<li><sup>1 </sup>W. H. Brock, Justus von Liebig: The Chemical Gatekeeper, Cambridge University Press, Cambridge, 1997.</li>
<li><sup>2 </sup>B. Lepsius, August Wilhelm von Hofmann, In: Das Buch der gro&szlig;en Chemiker [Hrsg. G. Bugge]. Bd. II: Von Liebig bis Arrhenius, Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1955, S. 136 ff.</li>
<li><sup>3 </sup>Justus von Liebig und August Wilhelm Hofmann in ihren Briefen, von 1841&ndash;1873 [Hrsg. W.H. Brock], Wiley-VCH, Weinheim1985.</li>
<li><sup>4 </sup>R. Bud, The Discipline of Chemistry: The Origins and early years of the Chemical Society of London, Dissertation, University of Pennsylvania, 1980.</li>
<li><sup>5 </sup>P. Morris, The Matter Factory: A History of the Chemistry Laboratory, Reaktion Books, London, 2015.</li>
<li><sup>6 </sup>W. P. Griffith, H. Gay, The Chemistry Department at Imperial College London, A history, 1845&ndash;2000, World Scientific, London, 2016.</li>
<li><sup>7 </sup>C. Meinel, August Wilhelm Hofmann &ndash; ,,Regierender Oberchemiker&ldquo;, Angew. Chem. 1992, 104, 1293.</li>
<li><sup>8 </sup>R. Bud, G. Roberts, Science Versus Practice: Chemistry in Victorian Britain, Manchester University Press, Manchester, 1984.</li>
</ul>

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