Leitartikel

Ein Leitartikel von Wolfram Koch
Erinnert sich jemand? Dieses Bob-Dylan-Zitat w&auml;hlte ich als &Uuml;berschrift meines ersten Leitartikels als neuer Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer der GDCh. Das war im November 2002, ist nun also &uuml;ber 20 Jahre her, doch die &Uuml;berschrift passt heute wieder. Ist dies doch nun mein letzter Leitartikel in den Nachrichten aus der Chemie. Zum 1. August werde ich die Gesch&auml;ftsf&uuml;hrung in die H&auml;nde meines Nachfolgers Dr. Tom Kinzel &uuml;bergeben. Ich darf mit Dankbarkeit auf insgesamt mehr als ein Vierteljahrhundert bei der GDCh, davon knapp 22 Jahre als Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer zur&uuml;ckblicken. Eine lange Zeit, in der sich tats&auml;chlich viel ge&auml;ndert hat. Eine lange Zeit, die auch nie langweilig war, sondern, um ein weiteres Zitat &ndash; dieses Mal von Leonard Cohen &ndash; zu verwenden, genau das Gegenteil von &bdquo;They sentenced me to twenty years of boredom&ldquo;.
Ich hatte das Privileg, mit einem hoch motivierten sowie kompetenten und professionellen Team im Frankfurter Carl-Bosch-Haus zusammenarbeiten zu d&uuml;rfen. Gleichzeitig erlebte ich mit den vielen Pr&auml;sidentinnen und Pr&auml;sidenten (insgesamt waren es zw&ouml;lf in meiner Zeit als Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer) und den anderen Mitgliedern der jeweiligen Vorst&auml;nde ein konstruktives und vertrauensvolles Verh&auml;ltnis (die wenigen Ausnahmen best&auml;tigen auch diese Regel), immer mit dem gemeinsamen Ziel, unserer GDCh und ihren Zielen zu dienen, sie weiterzuentwickeln und den Erwartungen unserer Mitglieder bestm&ouml;glich gerecht zu werden.
Dass dies in all den vergangenen 75 Jahren weitgehend erfolgreich war, ist der Fokus dieser Ausgabe der Nachrichten aus der Chemie, die dem Dreivierteljahrhundert-Jubil&auml;um der 1949 gegr&uuml;ndeten GDCh gewidmet ist. Auf das in diesen 75 Jahren Erreichte k&ouml;nnen wir stolz sein: Mit etwa 30 000 Mitgliedern sind wir die mit Abstand gr&ouml;&szlig;te chemische Fachgesellschaft in der EU und eine der gr&ouml;&szlig;ten weltweit &ndash; unsere Stimme wird geh&ouml;rt! Unsere zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, darunter die Journale von Chemistry Europe, dem Zusammenschluss mit weiteren 15 europ&auml;ischen chemischen Gesellschaften, die ebenfalls mit Partnergesellschaften herausgegebene Zeitschrift Analytical and Bioanalytical Chemistry und vor allem unser Flaggschiffjournal Angewandte Chemie unterst&uuml;tzen mit gro&szlig;em Erfolg die weltweite chemische Gemeinschaft. Die unter dem Dach der GDCh angesiedelten mittlerweile rund 15 Stiftungen (weitere sind schon in der Pipeline) sind wichtige Pfeiler unserer gemeinn&uuml;tzigen Arbeit zur F&ouml;rderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und zur Auszeichnung hervorragender Leistungen in der Chemie. Fachgruppen, die Teilbereiche der Chemie abdecken und sich permanent weiterentwickeln, das kreative JungChemikerForum und die nicht minder erfolgreichen Seniorexperten Chemie sind weitere Erfolgsparameter der dynamischen Entwicklung unserer Gesellschaft.
Es darf kein Ausruhen geben. Die GDCh wird sich auch k&uuml;nftig engagiert und mit Kreativit&auml;t allen Herausforderungen stellen. Vieles ist im Fluss, dennoch bleibt die Daseinsberechtigung der GDCh, so wie sie in &sect; 2 unserer Satzung definiert ist, die Grundlage all unseres Handelns: n&auml;mlich die &bdquo;F&ouml;rderung der Wissenschaft im Fachgebiet der Chemie und angrenzender Gebiete&ldquo;.
Ein letzter Griff in die Zitatekiste. Ich w&uuml;nsche der GDCh mit Bob Dylan &bdquo;May you stay forever young&ldquo; und unseren Mitgliedern ein herzliches, von Mr. Spock inspiriertes vulkanisches &bdquo;Live long and prosper&ldquo;. Schlie&szlig;lich w&uuml;nsche ich meinem Nachfolger, Dr. Tom Kinzel, viel Erfolg und stets eine gl&uuml;ckliche Hand am Steuer der GDCh-Gesch&auml;ftsstelle. Ich bin &uuml;berzeugt, dies ist einer der besten, spannendsten und erf&uuml;llendsten Jobs f&uuml;r einen Chemiker oder eine Chemikerin in Deutschland. Ihm rufe ich eine Kombination aus David Bowie und Captain Kirk zu: &bdquo;Major Tom, the bridge is yours!&ldquo;
Prof. Wolfram Koch Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer der GDCh Frankfurt am Main<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/FDaQ0zZSZ23hEBQOL8eW">

Meinungsbeitrag

The Times They Are A‐Changin’

Ein Leitartikel von Marc Struhalla
Unsere Wirtschaft organisiert ihre Wertsch&ouml;pfungsketten neu. Die Stichworte lauten: Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, Nutzung k&uuml;nstlicher Intelligenz, Biologisierung der Chemie oder Dekarbonisierung. Wir werden die Industrie nur dann auf eine nachhaltige Produktion umstellen und die Erderw&auml;rmung nur dann eind&auml;mmen k&ouml;nnen, wenn neue Technologien im energetischen und stofflichen Bereich wesentliche Beitr&auml;ge leisten. Die Biotechnologie hat das Potenzial, hierbei eine herausragende Rolle zu spielen: in Deutschland und Europa und sowohl in Akademie als auch in der Industrie. Wir sind in der fermentationsbasierten Industrieproduktion weltweit f&uuml;hrend. Und trotzdem kommt in der Biotech-Branche hierzulande keine Aufbruchstimmung auf. Warum ist das so?
Spricht man mit Vertretern aus den Unternehmen und den Branchenverb&auml;nden, landet man schnell bei M&auml;ngeln in den Rahmenbedingungen. Es fehlten staatliche F&ouml;rdermittel und Zusch&uuml;sse. Der Staat m&uuml;sse der Biotechbranche mehr finanzielle Unterst&uuml;tzung zukommen lassen. Der Risikokapitalmarkt sei zu wenig ausgepr&auml;gt; es flie&szlig;e zu wenig Venture Capital in die Unternehmen. Es m&uuml;ssten zus&auml;tzliche gesetzliche Anreize daf&uuml;r geschaffen werden, dass privates und institutionelles Verm&ouml;gen in Risikokapitalfonds flie&szlig;t. Die B&uuml;rokratie sei ausufernd und stelle Start-ups zu viele H&uuml;rden in den Weg. Es fehle an einem funktionierenden Kapitalmarkt, &uuml;ber den sich junge Technologieunternehmen &uuml;ber die B&ouml;rse finanzieren k&ouml;nnen. Und so weiter und so fort. Es kommt der Eindruck auf, als w&uuml;rde erwartet, dass der Staat Gr&uuml;nderinnen und Gr&uuml;nder auf einer S&auml;nfte zum Unternehmenserfolg tragen soll.
Spricht man mit den jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, dann gewinnt man den Eindruck, dass der Fokus des eigenen Engagements eher darauf liegt, den Laden am Laufen zu halten und sicherzustellen, dass Geh&auml;lter und Miete bezahlt werden k&ouml;nnen. Oft beteiligen sich Start-ups an F&ouml;rdermittelantr&auml;gen, deren inhaltliche Ausrichtung nicht mit der Unternehmensstrategie &uuml;bereinstimmt. Insbesondere die Forderung nach gro&szlig;en, internationalen Konsortien mit gro&szlig;er Beteiligung von kleinen Unternehmen in der Forschungsprojektf&ouml;rderung auf europ&auml;ischer Ebene f&uuml;hrt zu einer Fehlallokation von Steuergeldern. Die Erfolgsaussichten bei der Beantragung sind sehr niedrig, also machen alle &uuml;berall mit und bearbeiten am Ende Projekte, die nicht auf die Unternehmensziele einzahlen. So k&ouml;nnen keine nachhaltigen Unternehmenswerte geschaffen werden, und so bringen die F&ouml;rderprojekte auch zu wenig ein.
F&uuml;r erfolgreiches Unternehmertum braucht es Mut und Risikobereitschaft. Aber auch einen klaren Plan und gro&szlig;e Ziele. Wo k&ouml;nnen wir im Markt einen Unterschied machen, wo werden wir gewinnen? Die beschr&auml;nkten Ressourcen m&uuml;ssen genau darauf ausgerichtet sein. Und trotzdem braucht es auch den Mut, eine eingeschlagene Richtung zu &auml;ndern. Eine hohe Wendigkeit ist eine der zentralen St&auml;rken von Start-ups.
Die h&auml;ufig zu h&ouml;rende Kritik an den Rahmenbedingungen und die Forderung nach deren Verbesserungen ist grunds&auml;tzlich richtig. Aber wir sollten auch in den Blick nehmen, dass im Einzelfall die Gr&uuml;nderteams hinter den Start-ups den entscheidenden Beitrag leisten m&uuml;ssen. Die Herausforderung ist, eine hoffentlich geniale Idee zu einem herausragenden Erfolg zu entwickeln &ndash; innerhalb der Rahmenbedingungen, die man vorfindet. Nicht die besten Ideen, sondern die besten Gr&uuml;nderinnen und Gr&uuml;nder werden Erfolg haben, unabh&auml;ngig davon, wie viele Steine in ihrem Weg liegen.
Der Biochemiker Marc Struhalla ist Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer des Leipziger Enzymherstellers c-Lecta &ndash; und war 2004 einer der Gr&uuml;nder dieses Start-ups.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/fYagYcTDSxSb8KlsV9Io">

Mehr Aufbruchstimmung

Ein Leitartikel von Guido F. HerrmannWohl fast alle GDCh-Mitglieder kommen mit dem schnellen Wandel und den Umbrüchen im wissenschaftlichen Publizieren in Kontakt: als Leser, als Autorin, als Universitätsreferent, als Peer Reviewer, als Studierender, als Forscherin in der Industrie.Die GDCh publiziert neben der Angewandten Chemie eine umfangreiche Zahl schlagkräftiger wissenschaftlicher Journale. Die GDCh ist Gründungsmitglied von Chemistry Europe, einer Vereinigung von 16 europäischen chemischen Gesellschaften. Chemistry Europe publiziert 20 Zeitschriften. Seit dem Jahr 1996 wurden 127 000 Beiträge publiziert, und 1145 Board Members aus 52 Ländern sichern zurzeit die wissenschaftliche Qualität.Wie kann das Wissen über den wissenschaftlichen Fortschritt optimal vermittelt und wie können die dabei Beteiligten bestens unterstützt werden – auch wenn sich Technik und Nutzungsgewohnheiten rasant ändern?Ich habe das Privileg, diese Prozesse seit langer Zeit beobachten, begleiten und gestalten zu dürfen. Ab den frühen 90er-Jahren leitete das Internet eine völlige Umgestaltung der wissenschaftlichen Infrastruktur ein. Die wissenschaftlichen Verlage haben schnell reagiert und innerhalb weniger Jahre waren die Prozesse digitalisiert, und alle Inhalte standen den Nutzern auf elektronischem Weg zur Verfügung.Gleichzeitig entwickelte sich eine Diskussion um neue Nutzungsformen, den freien Zugang zu Inhalten und die Finanzierung des Systems. Diese Überlegungen kulminierten unter der Ägide der Max-Planck-Gesellschaft und der Allianz der Wissenschaftsorganisationen im Oktober 2003 in der Berliner Erklärung zu Open Access. Es konnte damals der Eindruck entstehen, dass Open Access der Schlüssel zur schnellen Lösung aller Probleme sei. Kennzeichnend war, dass die Beteiligten (Bibliotheken, Wissenschaft, Wissenschaftsförderer, wissenschaftliche Gesellschaften, Wissenschaftsverlage) sehr antagonistisch diskutierten und künftige gemeinsame Lösungen in Frage gestellt waren.20 Jahre später wissen wir: Nachhaltige Konzepte für Open Access zu etablieren hat sich zu einem Generationenthema entwickelt. Konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten ist eine unbedingte Voraussetzung für den Erfolg. Eine Katalysatorrolle in diesem Prozess und insbesondere für Deutschland kommt dem Projekt Deal zu.Das Projekt Deal ist eine Initiative der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. Im Auftrag aller deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen gestaltet Deal unter der Federführung der Hochschulrektorenkonferenz bundesweite transformative Publish-and-Read-Vereinbarungen.Wiley-VCH, als Partner der GDCh, ermöglicht zusammen mit dem Projekt Deal seit 2019 den bundesweiten Zugriff auf alle Inhalte wissenschaftlicher Zeitschriften. Publizierende deutscher Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen begrüßen und nutzen die problemlose Publikation ihrer Arbeiten unter Open Access. Die Erfolge sind beachtlich: Die Nutzung der Journale stieg um 83 Prozent, 95 Prozent aller Arbeiten werden open access publiziert. Somit ist die Sichtbarkeit und Relevanz der wissenschaftlichen Journale der GDCh und von Chemistry Europe weltweit gestiegen.Wichtige Meilensteine sind erreicht. Jedoch ist aus meiner Sicht Open Access nur ein Schritt zur Entwicklung einer Open-Science-Infrastruktur. Diese integriert alle Aspekte der Forschung: Forschungsdaten, Repositorien, Preprints oder Tools der künstlichen Intelligenz.Die Zusammenarbeit muss in den nächsten Jahren noch deutlich intensiviert werden. Ich freue mich sehr, dies zusammen mit den Beteiligten an den deutschen Universitäten, den Bibliotheken, mit den Forschungsförderern und den Experten der GDCh zu gestalten. Das Ziel bleibt: Forschende, Leserinnen und Autoren beim Erreichen ihrer individuellen Forschungsziele bestmöglich zu unterstützen.Dr. Guido F. Herrmann ist Geschäftsführer bei Wiley-VCH<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/QP27rOp7QkeGSS5ZhFSx">

Von Open Access zu Open Science

&bdquo;Das Lachen ist ein teuflischer Wind, der die Gesichtsz&uuml;ge aufs unnat&uuml;rlichste verzerrt und die Menschen aussehen l&auml;sst wie wilde Affen&ldquo;, echauffiert sich der greise Benediktinerm&ouml;nch Jorge von Burgos in Umberto Ecos Roman &bdquo;Der Name der Rose&ldquo; und straft seine Novizen mit Verachtung, als diese sich im kl&ouml;sterlichen Skriptorium nicht dem Studium, sondern gemeinsamem Schabernack widmen. Immanuel Kant schreibt in seiner Kritik der Urteilskraft: &bdquo;Das Lachen ist ein Affekt aus der pl&ouml;tzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.&ldquo; Keine dieser beiden Aussagen l&auml;sst verstehen, was Lachen ist. Aber wenigstens kommt in beiden S&auml;tzen das Wort &bdquo;Affe&ldquo; vor (schauen Sie bei Kant doch nochmal ganz genau auf den &bdquo;Affekt&ldquo;).
Als Lebensmittelchemiker und Comedian werde ich gefragt: Wie bringt man mit Chemie ein Publikum zum Lachen? Ganz einfach: Man erhitzt Ammoniumnitrat auf 200 &deg;C und leitet das entstehende Lachgas ins Auditorium. Lachen ist eine Reaktion, bei der sich aus &Uuml;berraschung und Irritation unter Freisetzung von W&auml;rme (exotherm) ein heiteres &bdquo;Ach so!&ldquo; bildet. Es gibt auch Leute, die merkw&uuml;rdig einatmend nach innen lachen. Lachen die dann endotherm? Wird es kalt um sie herum?
Humor gilt als heiliger Gral der Wissensvermittlung, doch bietet die Chemie kaum gute Gags, da sie keinen Humorwert hat. An der Kristallfeldtheorie ist nichts lustig. Sie ist ein f&uuml;r die Komplexchemie enorm wichtiges Erkl&auml;rungsmodell, das es uns erm&ouml;glicht, die Durchfallquote von Erstsemesterstudenten stabil bei 20 Prozent zu halten. Auf der B&uuml;hne sage ich von mir: &bdquo;Ich bin staatlich gepr&uuml;fter Lebensmittelchemiker. Das ist die h&ouml;chste Qualifikation, die man als D&ouml;nermann in Deutschland erreichen kann.&ldquo;
Comedy ist f&uuml;r mich weniger ein Wissensvehikel denn ein Safe Space, um sich schambefreit mit seiner eigenen Unvollkommenheit zu vers&ouml;hnen. Ein solcher Safe Space tut uns in der Wissenschaft gut, weil es in diesem Betrieb zu viele gibt, die der Strenge eines Jorge von Burgos nacheifern und ein Anspruchsklima schaffen, in dem die Angst, beim Nicht-Wissen ertappt zu werden, den Dialog hemmt. Im Vorteil ist, wer flink mit Fachvokabeln fuchtelt. Auf der Strecke bleibt, wer zaudert.
Ein einpr&auml;gsames Verwirrspiel entstand, als ich mit Unklarheiten zur L&ouml;slichkeit einer Probensubstanz einen rangh&ouml;heren Forschungskollegen konsultierte, der meinte: &bdquo;Reden wir von der thermodynamischen oder der kinetischen L&ouml;slichkeit?&ldquo;, womit er ganz gelassen zwei Begriffe einwarf, von denen ich in zehn Jahren Studium und Promotion in keiner Vorlesung, in keinem Lehrbuch und in keinem Gespr&auml;ch je etwas gesehen oder geh&ouml;rt habe. Das versichere ich an Eides statt. Sp&auml;ter recherchierte ich, dass dies f&uuml;r meine Fragestellung unerhebliche Nischenbegriffe sind. Es war, als h&auml;tte jener Kollege ein Kleinkind, das eine Zimtschnecke will, zur Ablenkung gefragt, ob es von Cassia- oder Ceylon-Zimt redet. Doch verschlimmerte ich unsere Misskommunikation, da ich meine Unkenntnis nicht preisgab, sondern sagte: &bdquo;Ich muss das gesondert eruieren&ldquo;, um dann das Thema zu wechseln. Die Diskussion meines Problems lie&szlig; ich versanden, weil es sich im weiteren Verlauf irgendwie auch von selbst l&ouml;ste &ndash; thermodynamisch und kinetisch.
Doch warum den Dialog vermeiden? Gehen wir ihn mit breiter Brust an! Nur Wissenschaftler:innen, die stark im Diskurs miteinander sind, sind souver&auml;ne Leitfiguren, wo gesellschaftliche Skepsis zur Wissenschaft herrscht, Influencer Absurdit&auml;ten wie den Verzehr roher H&auml;hnchen als gesund anpreisen und Ahnungslose sich an der Zimt-Challenge probieren, bei der man einen L&ouml;ffel Zimt in den Mund nehmen soll (Spoiler: das ist unabh&auml;ngig von der Zimtsorte lebensgef&auml;hrlich). Ceylon-Zimt ist &uuml;brigens weniger lebertoxisch, da cumarin&auml;rmer. In der B&auml;ckerei fragte ich j&uuml;ngst, ob man dort Cassia- oder Ceylon-Zimt verwende. Die Fachkraft sagte: &bdquo;Ich muss das gesondert eruieren.&ldquo; Dann wurden mir K&auml;sebrezeln angeboten.
Dr. Emir Wiersma ist staatlich gepr&uuml;fter Lebensmittelchemiker, DMPK-Wissenschaftler und Comedian (unter anderem: BR Vereinsheim Schwabing, Quatsch Comedy Club).<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/8Y5a7EQZSF4UDI5qxcyA">Foto: Cristopher Civitillo

Die Mesomerie von Lachen und Laborarbeit

Ein Leitartikel von Christian HartelEnergie ist das Lebenselixier der chemischen Industrie. Warum? Wir zerlegen Moleküle und fügen sie wieder zusammen. Darauf basiert unser Geschäftsmodell. Das erfordert Energie. Viel Energie, weil hier gewaltige Naturgesetze wirken. Da gibt es keine Abkürzungen. Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen ist somit essenziell für die Chemieindustrie.Doch diese Grundvoraussetzung ist in Deutschland derzeit nicht gegeben. Im internationalen Vergleich sind die Energiekosten viel zu hoch. Auch wenn die Phase der übertriebenen Preisspitzen vorbei ist, bleibt der Preisunterschied eklatant. Gegenüber asiatischen Ländern, aber auch im Vergleich mit den USA ist Strom in Deutschland um den Faktor drei bis fünf teurer. Steuern wir hier nicht gegen, gefährden wir nicht nur Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze in Deutschland, sondern auch die klimaneutrale Transformation.Die Lösung liegt auf der Hand: Wir brauchen günstige grüne Energie in großen Mengen. Denn grüner Strom ist nicht nur die sauberste Energieform, sondern am Ende auch die kostengünstigste Form. In diesem Punkt besteht weitgehend Einigkeit. Doch der Weg dorthin ist nicht klar definiert. Die Zeit drängt.Wenn die Bundesregierung 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 erzeugen will, muss der Ausbau der Wind- und Solarenergie jetzt zwingend beschleunigt werden. Zugleich werden zusätzliche Kapazitäten und Leitungen benötigt – zumal der Energiebedarf im Zug der Elektrifizierung von Produktionsprozessen weiter steigen wird. Und nicht nur das: Wir benötigen auch Gaskraftwerke als Backup-Kapazitäten. Strom wird schließlich nicht nur benötigt, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Für die angekündigten 25 Gigawatt Reservekapazität sind etwa 50 Kraftwerke erforderlich, die geplant, genehmigt, gebaut und ans Netz angebunden werden müssen.Damit wir all das schaffen, braucht es ein stringentes Projektmanagement wie in einem Unternehmen. Eine Taskforce für den Standort Deutschland, die sich darum kümmert, Widerstände und Herausforderungen aus dem Weg zu räumen und die sicherstellt, dass die Ziele erreicht werden. Dabei muss das Timing von hinten aufgerollt werden: Wenn etwa ein Kraftwerk im Jahr 2030 laufen soll, muss 2026 mit dem Bau begonnen werden. 2025 muss die Genehmigung vorliegen. 2024 muss über den Standort entschieden werden.Bis das Ausbauziel erreicht ist und ausreichend günstige grüne Energie in Deutschland verfügbar, brauchen wir eine tragfähige Übergangslösung für energieintensive Unternehmen. Nach langem Hin und Her hat die Bundesregierung im November ein Strompreispaket beschlossen, das Entlastung bringen soll. Das ist zwar kein Transformationsstrompreis, wie von vielen gefordert, aber immerhin ein gutes und richtiges Signal. Wichtig ist auch hier, in die Umsetzung zu kommen – schnell und umfassend.Denn ein Weiterso können wir uns nicht länger leisten. Die Deindustrialisierung Deutschlands schreitet unaufhaltsam voran. Das Tückische ist, dass sich diese Entwicklung nicht zwingend in großen Zeitungsschlagzeilen widerspiegelt, sondern in den Investitionsentscheidungen, die heute in Unternehmen getroffen werden: Investiere ich in Deutschland oder lieber im Ausland? Stelle ich hierzulande noch neue Leute ein? Diese Entscheidungen hängen von den Rahmenbedingungen ab, die ein Land setzt. Und davon, wie verlässlich diese Rahmenbedingungen sind. Hier brauchen wir unbedingt mehr Planbarkeit und Verbindlichkeit, indem wir endlich in die Umsetzung kommen. Nur so lässt sich die Wettbewerbs- und damit Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland nachhaltig stärken.Der promovierte Chemiker Christian Hartel ist Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/5xqEyi72Rw63pN2GbWHG">

Das Lebenselixier der Chemie

<img src="https://media.graphassets.com/y9AD1qVWS1Sb8OGFse0r" width="400" /><img src="Rethinking_RGB_colour_Sicherheitsabstand.png" width="200" alt="" />
Chemie neu denken &ndash; um die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energietransformation oder Ern&auml;hrung von immer mehr Menschen weltweit zu bew&auml;ltigen, brauchen wir Chemie. Aber es geht nicht nur darum, bestehende Verfahren und Prozesse immer besser und nachhaltiger zu gestalten. An vielen Stellen m&uuml;ssen wir vollkommen neue Wege gehen, Althergebrachtes &uuml;ber Bord werfen und Neues entwickeln, eben komplett neu denken.
Aus diesem Grund hat der GDCh-Vorstand im Jahr 2023 beschlossen, Rethinking Chemistry zum GDCh-Motto zu erkl&auml;ren. Rethinking Chemistry soll Raum geben f&uuml;r neue Gedanken und Ideen zu allen Themenfeldern, zu denen die Chemie wertvolle Beitr&auml;ge leisten kann und muss.&nbsp;

Rethinking Chemistry

Ein Leitartikel von Christian Schiller
Ich erinnere mich noch gut an die Er&ouml;ffnung der K-Messe 2019 durch Markus Steilemann, den Covestro-CEO. Damals stand ich im Publikum als frisch gebackener Start-up-Unternehmer in der digitalen Kreislaufwirtschaft. &bdquo;Digitalisierung auf der einen, Nachhaltigkeit auf der anderen Seite sind die entscheidenden Hebel f&uuml;r die Zukunft der Chemie- und Polymerindustrie und damit f&uuml;r die Zukunft der Menschheit insgesamt&rdquo; waren damals seine Worte. Und ich dachte: wunderbar, zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
F&uuml;nf Jahre sind seitdem vergangen. Von Corona &uuml;ber Ukrainekrieg, hohen Energiepreisen bis hin zu &uuml;berbordender B&uuml;rokratie &ndash; es f&auml;llt leicht, externe Gr&uuml;nde daf&uuml;r zu nennen, warum die Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit so unter die R&auml;der gekommen sind. Doch das Selbstverst&auml;ndnis der Chemieindustrie als &bdquo;Mutter aller Industrien&rdquo; passt nicht zu diesem Schwarze-Peter-Spiel, ist man doch seit jeher gestaltender Innovations- und Wachstumsmotor des Kontinents. Daran gemessen sind die Ergebnisse ern&uuml;chternd, Deutschland stagniert auf unglaublich niedrigem Zirkularit&auml;ts- und Digitalisierungsniveau. Zu zaghaft einerseits, zu fokussiert auf chemisches Recycling andererseits, so lautet heute meine Conclusio.
Dabei steht au&szlig;er Frage: Wir ben&ouml;tigen die Produkte, das Know-how und die finanzielle Schlagkraft der Kunststoffindustrie mehr denn je f&uuml;r das Erreichen der globalen Klimaziele. Allerdings mit g&auml;nzlich anderem Gesch&auml;ftsmodell. Weg vom Gro&szlig;anlangenbetreiber in linearer Wirtschaft, hin zum Zirkularit&auml;tsdienstleister f&uuml;r Kohlenstoffe. Kernfunktion der Kunststoffindustrie muss es zuk&uuml;nftig sein, den aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugten Kunststoff so hochwertig, umweltschonend und langfristig wie m&ouml;glich im Kreis zu f&uuml;hren. Circular-Plastics-as-a-Service &ndash; dieses neue Leitbild ist nichts weniger als die tiefgreifendste Ver&auml;nderung der Kunststoffindustrie seit Beginn der industriellen Polymerproduktion. Konkret bedarf es hierzu der konsequenten Abschreibung und des Umbaus aller linearen Assets, massivem Invest in fortschrittliches mechanisches Recycling und zirkul&auml;res Produktdesign &uuml;ber alle Industrien hinweg. Und einer damit verkn&uuml;pften, umfassenden Digitalisierung aller Produktionsschritte; von den M&ouml;glichkeiten ganz zu schweigen, die der Anbruch des KI-Zeitalters auch f&uuml;r die Chemieindustrie er&ouml;ffnen wird.
Wem dieses Leitbild zu sehr nach bl&uuml;hender Fantasie eines Jungunternehmers klingt, dem sei der Blick auf die deutsche Automobilindustrie empfohlen. Diese sieht sich heute als globaler Mobilit&auml;tsdienstleister. Das Beispiel dient aber gleichzeitig als Warnung: Die lange verz&ouml;gerte, mitunter bitter bek&auml;mpfte Transformation hat uns als Autobauernation ins Hintertreffen geraten lassen.
Das darf der chemischen Industrie nicht passieren. Dazu muss sie mutig vorangehen. Erinnern wir uns an die industriellen Pioniere des 19. und 20. Jahrhunderts, auf deren Schultern ein Gutteil des Wohlstands unseres Kontinents gr&uuml;ndet. Dieser Pioniergeist ohne Netz und doppelten Boden, aber mit langfristiger Orientierung: Das m&uuml;ssen wir als Branche wiederentdecken. Demgegen&uuml;ber ist es einer so traditionsbewussten Industrie unw&uuml;rdig, wenn man meint, man k&ouml;nne vor allem mit chemischem Recycling, Rechenspielertricks (&bdquo;Massenbilanzierung fuel-exempt&rdquo;) und gr&uuml;nem Marketing das rettende Ufer der nachhaltigen Kunststoffproduktion erreichen.
Dieser umfassende Wandel muss nicht nur in den K&ouml;pfen von Topmanagern stattfinden, sondern bei jedem einzelnen von uns. Mit der Allianz f&uuml;r Kreislaufwirtschaft haben wir anl&auml;sslich des Chemiegipfels dem Bundeskanzleramt 2023 konkrete erste Ma&szlig;nahmen unterbreitet, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit die Zukunft der Chemie bestimmen k&ouml;nnen. Gelingt deren gemeinsame Umsetzung, dann werde ich zur K-Messe 2049 Markus Steilemann hoffentlich berichten k&ouml;nnen, dass das mit dem Retten der Menschheit geklappt hat. Packen wir es an.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/M7euxcER6aNBUJy5zOWw">
Christian Schiller ist Gr&uuml;nder und CEO von Cirplus. Das Hamburger Unternehmen bietet Services rund um die Beschaffung zirkul&auml;rer Kunststoffe.

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