Leitartikel

One might think they came out of Albrecht D&uuml;rer&lsquo;s macabre woodcut &ndash; the horsemen of the apocalypse who are sweeping the world with war, hunger and disease. Disasters like the corona pandemic, which made us so acutely aware of the fragility of our existence. Like the war in the Ukraine, which shows the full extent of violence and brutality that simmers beneath the veneer of civilization.
But alongside such sudden tremors, alongside the galloping crises, there are the insidious, creeping developments. More elusive, but no less dangerous in their devastating long-term effects. A D&uuml;rer tableau of modernity would certainly include climate change, the exploitation of natural resources and the destruction of the environment with the extinction of species and the waste crisis. Since the middle of the last century, humanity has been making massive changes in the earth system, which seriously threaten our livelihoods.
I think that we absolutely have to keep an eye on these long-term threats, besides the gigantic problems of today. The initiated transformation towards comprehensive sustainability must not remain patchwork. It can succeed if we make comprehensive systemic changes. The consistent conversion to circular economy would be such a fundamental transition, which could turn the unhealthy lifestyle of raw material extraction, production, consumption and throwing away into the opposite.
This holds true in particular for the resource-intensive chemical industry. After all, with its demand for fossil resources, the sector accounts for around seven percent of global greenhouse gas emissions. The Ukraine crisis is a stark reminder of this fatal dependency on oil, gas and coal. So the order of the day is green transformation &ndash; now more than ever.
For chemistry, this means in particular circulating carbon, its central building block. And our industry provides the key itself by driving innovative technologies &ndash; like chemical recycling, which allows to recycle used plastic and the carbon bound in it on a large scale. Fortunately, the German Federal Government and the European Union have recognized the importance of this.
Now all the skills of our chemists are required &ndash; in close cooperation with other disciplines &ndash; to further develop chemical recycling. There are promising approaches. The Europe-wide research project Circular Foam for example, which brings together 22 very different partners from nine countries. Their common goal is to chemically recycle insulating foam for cooling devices and buildings. A flagship project that could save one million tons of waste and almost three million tons of CO2 in Europe every year from 2040.
Of course, we also need an innovation-friendly environment for such forward-looking endeavors, and the European regulatory framework must give us room to breathe. But all this is only half the battle. The right breeding ground is also absolutely necessary: social support. The willingness to engage in constructive cooperation and a rational, fact-based dialogue. If social demarcation and conspiracy narratives continue to spread, our knowledge-based society won&rsquo;t make any progress. But the academic world itself is also challenged here. It seems to me that greater openness and grounding is required in order to better convey the meaning and purpose of science. What we need is a visionary pragmatism to solve the challenges of the future in the here and now.
Dr. Markus Steilemann
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CEO Covestro, Leverkusen

Meinungsbeitrag

Now more than ever

Die &ouml;ffentliche Kommunikation &uuml;ber Wissenschaftsthemen hat in der Pandemie neue Dimensionen erreicht. Jede und jeder hat eine Meinung. Umso mehr waren und sind in diesem Konzert der &bdquo;80 Millionen Virologen Deutschlands&ldquo; valide Einsch&auml;tzungen aus erster Hand gefragt: Forschende wie Christian Drosten oder Viola Priesemann, die mit ihrem Fachwissen einordnen. Werden intensiv kommunizierende Forschende zunehmend normal? Oder bleiben sie Ausnahmen?
Es wird normal und zum Standard werden &ndash; aus mehreren Gr&uuml;nden:
Erstens. Wissenschaft ist ein wesentlicher Motor unserer wissensbasierten demokratischen Gesellschaft. Forschende, die ihre Themen aus erster Hand verst&auml;ndlich vermitteln k&ouml;nnen, sind daher wichtig. Seit &uuml;ber 20 Jahren werden solche Forderungen aus den Wissenschaften selbst, aber auch der Politik gestellt &ndash; zuletzt im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Dort steht: &bdquo;Wir wollen Wissenschaftskommunikation systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen und bei der Bewilligung von F&ouml;rderantr&auml;gen verankern.&ldquo;
Zweitens. Wissenschaftliche Erkenntnisse wirken sich aus auf gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturelle Entwicklungen; sie k&ouml;nnen notwendige Transformationsprozesse unterst&uuml;tzen. Dies bedeutet f&uuml;r Forschende, Wissen nicht nur zu vermitteln, sondern sich aktiv in Dialoge mit &Ouml;ffentlichkeit und Medien einzubringen. Es geht um offenen Austausch bis hin zu Beteiligung von B&uuml;rgerwissenschaftlern an Forschungsprojekten sowie R&uuml;ckkopplungen aus den Dialogen in die Wissenschaft.
Drittens. Aktuell reihen sich gleich mehrere globale Krisen aneinander, &uuml;berlagern und beeinflussen sich &ndash; Pandemie, Klimakrise, Artensterben, Mikroplastik, Kriege und damit Fl&uuml;chtlingskrisen. Entscheidungen sind erforderlich. Welche? Dazu gibt es vielf&auml;ltige Forschung, und es k&ouml;nnen und sollten m&ouml;gliche Empfehlungen diskutiert werden.
Beispiel Klimakrise. Hier wird etwa zu Mobilit&auml;t, Stadtentwicklung, technischen L&ouml;sungen, Ersatzstoffen bis zu m&ouml;glichen Anpassungen in Wald- und Landwirtschaft geforscht. Es gibt viele fachliche Beitr&auml;ge f&uuml;r Transformationsprozesse, die aber nur gelingen k&ouml;nnen, wenn sie von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit gewollt und umgesetzt werden.
Wir brauchen daher Anst&ouml;&szlig;e und gute Einordnungen von Seiten der Wissenschaft und offene Pro- und Contra-Debatten mit B&uuml;rgern, Politik und Wirtschaft. Die Forschenden haben daf&uuml;r heute so viele M&ouml;glichkeiten wie nie zuvor. Sie k&ouml;nnen slammen, bloggen, twittern, eigene Podcasts produzieren, sich an B&uuml;rgerdialogen oder Reallaboren beteiligen.
Es geht aber nicht einfach um Quantit&auml;t, sondern unbedingt um Qualit&auml;t. Um sie zu sichern, sind systematische Angebote f&uuml;r den Kompetenzaufbau in der Wissenschaftskommunikation wesentlich.
Welche Rolle haben Wissenschaftler in der Kommunikation? Wie k&ouml;nnen sie Prozesse und Methoden von Wissenschaft transparent vermitteln? Wie die Vorl&auml;ufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und Unsicherheiten erkl&auml;ren? Dabei geht es auch um Handwerk: zielgruppengerechte Sprache, klare Kernbotschaften, Storytelling und mehr.
Bei einer Befragung des Nationalen Instituts f&uuml;r Wissenschaftskommunikation im Jahr 2021 unter Forschenden in Deutschland gaben 89 Prozent an, dass Wissenschaft relevant sei, um &ouml;ffentliche Diskurse zu bef&ouml;rdern. 84 Prozent w&uuml;nschten sich mehr Unterst&uuml;tzung aus ihren H&auml;usern f&uuml;r ein Engagement in der Wissenschaftskommunikation. Der Wille der Wissenschaft ist also da, neben dem Fachwissen mit soliden kommunikativen F&auml;higkeiten Beitr&auml;ge f&uuml;r unsere Gesellschaft zu leisten. Dies muss konsequent gef&ouml;rdert, vermittelt und gest&auml;rkt werden.
Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Beatrice Lugger ist Direktorin des Nationalen Instituts f&uuml;r Wissenschaftskommunikation (NaWik)
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Wissenschaftskommunikation

Aufklären, einordnen, sich austauschen

Schlaglicht: Glas

Es ist &uuml;berall, wird aber trotzdem gerne &uuml;bersehen: Glas, ein Werkstoff mit Tradition und Zukunft. Glas ist inzwischen vielleicht sogar der Werkstoff, den wir t&auml;glich am intensivsten ber&uuml;hren &ndash; als Touchdisplays unserer Smartphones. Einst war jede Scherbe ein kostbares Gut, das immer wieder verwendet worden ist, seit die ersten Gl&auml;ser vor mehr als 5000 Jahren gefertigt worden sind. Fand Glas zuerst noch haupts&auml;chlich als Schmuck und f&uuml;r besonders wertvolle Gegenst&auml;nde Verwendung, diente es schon bald auch f&uuml;r eher gebrauchsorientierte Zwecke.
Heute pr&auml;gen in Deutschland gro&szlig;e Weltmarktf&uuml;hrer sowie hoch spezialisierte Hidden Champions &ndash; international erfolgreiche mittelst&auml;ndische Glas- und Anlagenbauer &ndash; die Glasindustrie. Da Gl&auml;ser &uuml;ber die Schmelze bei Maximaltemperaturen von in der Regel oberhalb von 1500 &deg;C gefertigt werden, sind diese Industriezweige besonders energieintensiv und sensibel f&uuml;r die aktuellen Preisturbulenzen. Zus&auml;tzlich setzen konventionelle Fertigungsverfahren CO2 frei; Wasserstoff ist jedoch eine hoffnungstr&auml;chtige Alternative auf dem Weg zur nachhaltigen, CO2-neutralen Glasherstellung.
Glas ist das vielleicht beste Beispiel f&uuml;r gelebte Nachhaltigkeit: Kaum ein anderes Material wird so umfassend wiederverwertet &ndash; und das ohne nennenswerte Qualit&auml;tsverluste. Nicht zuletzt deshalb erkl&auml;rten die Vereinten Nationen 2022 zum Jahr des Glases.
Chemiestudierende haben bereits in den ersten Laborpraktika mit Laborger&auml;ten aus Glas zu tun. Diese sind chemisch inert, durchsichtig und auch bei hohen Temperaturen best&auml;ndig. Aber moderne Gl&auml;ser sind noch viel mehr: Neben SiO2 bilden Alkalioxide, insbesondere Li, Na und K, sowie Erdalkalioxide, hier insbesondere Mg und Ca, die Hauptbestandteile der kommerziellen Gl&auml;ser. Das sind alles Elemente, die auf der Erde reichlich vorkommen, und die vor allem toxikologisch unbedenklich sind.
Daraus ergeben sich viele Anwendungen. In der Biomedizin spielen etwa hochinnovative biokompatible oder bioaktive Gl&auml;ser eine entscheidende Rolle. Ein Beispiel sind kristallisierende Gl&auml;ser, genannt Glaskeramiken, die als &auml;sthetisches Zahnersatzmaterial seit etwa zehn Jahren den Markt f&uuml;r hochwertige dentale Ersatzwerkstoffe dominieren. Nicht zu vergessen sind auch optische Glasfasern, ohne die ein Hochgeschwindigkeitsinternet nicht m&ouml;glich ist.
Die Entwicklung neuer Gl&auml;ser nutzt eine besondere Eigenschaft des Glases als nicht st&ouml;chiometrischer, nicht kristalliner Werkstoff: Bei einer gegebenen Glasrezeptur l&auml;sst sich n&auml;mlich fast nach Belieben die Zusammensetzung variieren und damit auch die Eigenschaften des Glases ver&auml;ndern &ndash; im Idealfall gezielt einstellen. Eine weitere Besonderheit ist, dass Glas keinen Schmelzpunkt, sondern einen Glas&uuml;bergangsbereich hat. Oberhalb dieser Temperatur wird das Glas graduell d&uuml;nnfl&uuml;ssiger, was man f&uuml;r die Formgebung technisch ausnutzt. Glas kann in Form von Bl&ouml;cken, Rohren, Hohlk&ouml;rpern und Flachglas preisg&uuml;nstig gefertigt werden. Der Glas&uuml;bergang z&auml;hlt &uuml;brigens zu den zehn wichtigsten, ungel&ouml;sten Probleme in der Festk&ouml;rperphysik &ndash; also noch Luft nach oben f&uuml;r die Forschung.
Doch die Glaswissenschaften einschlie&szlig;lich der Glaschemie werden in Deutschland in den letzten Jahren nur noch an wenigen Standorten betrieben. Das ist bedauerlich, k&ouml;nnen hier doch gerade die aufkommenden auf K&uuml;nstlicher Intelligenz basierenden Methoden bedeutende Forschungsfragen beantworten. So ist beispielsweise das Fraunhofer-Institut f&uuml;r Silicatforschung ISC am vom Bundesministerium f&uuml;r Bildung und Forschung finanzierten Projekt GlasDigital beteiligt, das die beschleunigte Entwicklung neuer Glaszusammensetzungen voranbringen will.
Lassen Sie uns das Jahr 2022 dazu nutzen, Glas nicht nur t&auml;glich neu zu verwenden, sondern auch neu zu denken.
Dr. Martin Kilo, Fraunhofer-Institut f&uuml;r Silicatforschung ISC, W&uuml;rzburg
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2022 – das Internationale Jahr des Glases

„Womit macht man Erdbeereis?“ „Mit flüssigem Stickstoff!“ Als mir ein vorlauter Grundschüler diese Antwort entgegenrief, war ich Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit einigen weiteren engagierten Kolleg:innen aus der Technischen Chemie der TU Wien im Kindermuseum ZOOM im Wiener Museumsquartier. Es war meine zweite Teilnahme an der Science Week mit ihrem Konzept des umgekehrten „Tags der offenen Tür“: Wissenschaft geht aus den Universitäten an ungewöhnliche Orte der Öffentlichkeit. Insgesamt waren diese Aktivitäten dem Image der Chemie als Problemverursacher und nicht als Problemlöser geschuldet. Die Universitäten als Orte des offenen Diskurses wollten die Chemie als Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme positionieren. Dieser Paradigmenwechsel war und ist für Forschende und Lehrende herausfordernd, da man vor einem extrem heterogenen Publikum sprechen muss, ohne dessen Vorwissen zu kennen. Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht; deshalb finden sich üblicherweise nicht allzu viele Kolleg:innen, die über einen längeren Zeitraum diese Art der Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen.Bei meiner ersten Teilnahme an der Science Week wurde eine Experimental-Show im Einkaufszentrum zum Publikumsmagnet. Mit einem gläsernen Wirbelschichtreaktor, der Popcorn machte, vermittelten wir Prinzipien der chemischen Verfahrenstechnik. Deshalb trauten wir uns an das anspruchsvollste Publikum: Kinder im Grundschulalter. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit Kleinkindpädagog:innen, die eine einstündige Experimentalshow vor 80 Grundschulkindern für undurchführbar hielten. Dennoch hatten wir einen Riesenerfolg, weil wir bei den Versuchen die Kinder als Freiwillige mithelfen ließen.Aus dieser Erkenntnis heraus, dass Wissensvermittlung am besten funktioniert, wenn es die „Betroffenen“ gar nicht als das wahrnehmen, entstanden weitere Formate, etwa die Kinder Uni der Wiener Universitäten. In der Kollegenschaft erhielt ich überwiegend Unterstützung, aber es gab (und gibt) durchaus Stimmen, die solches Engagement als Ersatz für wissenschaftliche Exzellenz einstufen. Dies schreckt vielleicht auch Jungwissenschafter:innen ab, ganz abgesehen davon, dass dieses Zusatzengagement zeitaufwendig ist. Letztgenanntes war auch für mich der Grund für eine längere Pause, bis meine Habilitation abgeschlossen war.Nach dem Aufbau meiner Forschungsgruppe stieß ich dann zu den Science Busters. Live-Shows in Theatersälen oder Auftritte im Fernsehen waren eine neue Welt. Was in 30 Minuten am Bildschirm mit gut gelaunter Leichtigkeit rüberkommt, setzt harte und zeitintensive Vorbereitungen voraus. Die humoristische Verpackung von Wissen ist mir schon so weit in die Knochen gefahren, dass ich bereits bei der Konzeption und dem Spannungsbogen viele mögliche Missverständnisse in einer Argumentationskette mitdenke. Von den vielen Publikumsgesprächen nach Theatershow-Ende muss man aber konzedieren, dass man bei Live-Auftritten in erster Linie das akademisch gebildete oder zumindest wissenschaftsaffine Publikum erreicht. Fernsehshows haben jedoch das Potenzial, auch große Gesellschaftsgruppen ohne Nähe zur Wissenschaft zu erreichen. Doch leider muss man auch die Existenz von Menschen zur Kenntnis nehmen, die sich hartnäckig jeder Art von wissenschaftlicher Diskussion verweigern, etwa in der Coronapandemie.Dennoch: Seit Naturwissenschaften durch Fernsehserien wie Big Bang Theory oder CSI als cool gelten, hören wir in der öffentlichen Wahrnehmung von Wissenschaft vornehmlich jene Stimmen, die Wissenswertes mit einem gewissen Augenzwinkern präsentieren. Uns Science Busters ist es immer noch gelungen, durch Humor kontroverse Gesellschaftsfragen vom Klimawandel bis zu alltäglichen Aktivitäten wie Wäschewaschen aufzulockern. Das ist der schönste Return of Invest, den ich mir als wissensvermittelnder Chemiker wünschen kann.Prof. Peter Weinberger, TU Wien<div><img src="https://media.graphcms.com/QL8oybiKQmWTqBcJjiUf">

</div>Das österreichische Wissenschaftskabarett Science Busters gründeten 2007 die Physiker Heinz Oberhummer und Werner Gruber sowie der Kabarettist Martin Puntigam

Wissensvermittlung: Auch Spaß muss sein

Die Innovationskraft der Chemie fasziniert mich immer wieder: Polymersch&auml;ume, die Geb&auml;ude d&auml;mmen, Batteriematerialien f&uuml;r die E-Mobilit&auml;t, Hochleistungskunststoffe in Autos oder Enzyme in Waschmitteln. Ohne Chemie w&auml;re unser heutiger Lebensstandard nicht denkbar. Damit Chemie aber passieren kann, m&uuml;ssen Chemikalien reaktiv sein. Was daher f&uuml;r die Verwendung notwendig ist, kann bei unsachgem&auml;&szlig;er Handhabung Mensch und Umwelt gef&auml;hrden. Um dies zu vermeiden, hat die Europ&auml;ische Union mit Reach (Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals) eine der umfangreichsten Chemikaliengesetzgebungen weltweit erlassen. Und das ist auch gut so. Reach regelt, dass nur Stoffe auf den Markt gelangen, die sicher in ihrer jeweiligen Anwendung sind. Unternehmen sind dazu verpflichtet, (&ouml;ko-)toxikologische Studien durchzuf&uuml;hren und Daten zur Verwendung zu erheben. Basierend auf der Gef&auml;hrlichkeit und Exposition werden dann stoffspezifische Risikobewertungen angefertigt.
Obwohl die Beh&ouml;rden anerkennen, dass Reach gut funktioniert, schl&auml;gt die EU-Kommission als Teil des europ&auml;ischen Green Deals vor, mit der Chemicals Strategy for Sustainability (CSS) Reach zu versch&auml;rfen. Ziel der CSS ist der noch bessere Schutz der Gesellschaft vor Chemikalien bei gleichzeitiger F&ouml;rderung von Innovationen. W&auml;hrend ich diesen beiden Zielen vollumf&auml;nglich zustimme, bereitet mir die vorgeschlagene Vorgehensweise gro&szlig;e Sorgen. Eine durch den europ&auml;ischen Chemieverband Cefic beauftragte unabh&auml;ngige Studie zeigt, dass allein zwei der CSS-Ma&szlig;nahmen j&auml;hrlich zu einem Umsatzr&uuml;ckgang in der europ&auml;ischen Chemieindustrie zwischen 12 und 28 Prozent f&uuml;hren k&ouml;nnten: n&auml;mlich die Einf&uuml;hrung neuer Gefahrenklassen und der Paradigmenwechsel weg von der stoffspezifischen Risikobewertung hin zu einem generischen, rein gefahrenbasierten Ansatz. Das widerspricht fundamental Paracelsus&lsquo; Prinzip: &bdquo;Die Dosis macht das Gift&ldquo;. Als Gesellschaft k&ouml;nnen wir Stoffe mit intrinsisch gef&auml;hrlichen Eigenschaften sicher handhaben und tun dies jeden Tag, indem wir entsprechende Schutzma&szlig;nahmen ergreifen &ndash; im einfachsten Fall eine Reduktion der eingesetzten Konzentrationen, am Arbeitsplatz zudem durch pers&ouml;nliche Schutzausr&uuml;stung und Schulungen. Insbesondere aufgrund dieser Schutzm&ouml;glichkeiten am Arbeitsplatz sehe ich die von CSS geforderte Gleichstellung der Regularien f&uuml;r Konsumenten und gewerbliche Anwender besonders kritisch.
Ich bin &uuml;berzeugt, dass wir das angestrebte Schutzniveau mit spezifischeren Ma&szlig;nahmen besser erreichen. Daher m&ouml;chte ich im Zug meiner Cefic-Pr&auml;sidentschaft mit der EU-Kommission gemeinsam einen Transformationspfad erarbeiten, wie wir als Industrie die Anforderungen an Klimaneutralit&auml;t, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und CSS meistern k&ouml;nnen &ndash; und dabei weltweit wettbewerbsf&auml;hig bleiben. Die Chemieindustrie schl&auml;gt vor, Priorit&auml;t auf die Substitution von Stoffen mit dem h&ouml;chsten Risiko zu legen und das Risikoprinzip zu erhalten. Unsere Branche ben&ouml;tigt ausreichend Zeit, um Safe-and-Sustainable-by-Design-Produkte zu entwickeln &ndash; und deren Entwicklung muss sich wirtschaftlich lohnen! Getrieben durch die gestiegenen Datenanforderungen, etwa bei der Polymerregistrierung, m&uuml;ssen dabei neue Ans&auml;tze zur Datenerhebung entwickelt werden, wie tierversuchsfreie In-vitro-Methoden und In-silico-Modellierungen. Hierzu ist eine Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung n&ouml;tig.
Als leidenschaftlicher Chemiker freue ich mich darauf, mit der Kommission an einer Innovationsagenda zu arbeiten, die uns als Industrie klare Rahmenbedingungen und Anreize gibt, damit die EU-Chemikalienstrategie zum Wachstumstreiber f&uuml;r Europa wird. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein.
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Dr. Martin Bruderm&uuml;ller, Vorstandsvorsitzender BASF, Ludwigshafen

Gemeinsam die Transformation gestalten

Prof.Dr.

Vor 24 Jahren durfte ich schon einmal einen Leitartikel f&uuml;r die Nachrichten aus der Chemie verfassen. Mein &bdquo;Pl&auml;doyer f&uuml;r eine offene Streitkultur&ldquo; f&uuml;hrte damals zur Gr&uuml;ndung der Vereinigung f&uuml;r Chemie und Wirtschaft, die sich mittlerweile zu einer dynamischen Organisation innerhalb der GDCh entwickelt hat. Nun m&ouml;chte ich mit einem Pl&auml;doyer f&uuml;r mehr Mut zum Unternehmertum einen neuen Impuls setzen.
Es gibt in Deutschland zwar viele gr&uuml;ndungsunterst&uuml;tzende Initiativen und Programme, aber meist sind diese unterkritisch und von staatlichen F&ouml;rderungen abh&auml;ngig. Daher sind sie in der Regel nicht nachhaltig: Langfristig bewirken sie nichts. Die Schweiz macht das besser &ndash; sie b&uuml;ndelt solche Initiativen auf nationaler Ebene. Dabei hat die Schweiz den Vorteil, kleiner zu sein. In Deutschland dagegen zersplittern die vielen Initiativen: Jedes Bundesland und viele Ministerien haben ihre jeweils eigenen auf den Weg gebracht. Ein weiterer Vorteil der Schweiz: Es gibt weniger staatliche Aktivit&auml;ten, aber daf&uuml;r mehr Privatinitiativen wie Stiftungen, die innovative Projekte und Start-ups unterst&uuml;tzen.
Entscheidend f&uuml;r eine vitale Gr&uuml;nderszene ist die private Initiative: Es geht um die Freude an unternehmerischer T&auml;tigkeit, um das Bed&uuml;rfnis, etwas Eigenes aufzubauen und sich Unabh&auml;ngigkeit zu schaffen.
Der Weg ist jedoch m&uuml;hsam. Auch davon kann ich berichten: Nach einer Industrie- und Beraterkarriere bin ich seit etwa 15 Jahren als Gr&uuml;nder insbesondere in den Lebenswissenschaften t&auml;tig. In dieser Zeit habe ich 16 Start-ups mitgegr&uuml;ndet. Einige sind gescheitert; drei wurden erfolgreich verkauft. Trotz viel Arbeit und unvermeidlichen Entt&auml;uschungen &ndash; es ist eine spannende Erfahrung, und daher m&ouml;chte ich Andere und insbesondere Chemiker und Chemikerinnen f&uuml;r eine unternehmerische T&auml;tigkeit begeistern. F&auml;higkeiten und Kenntnisse wie analytisches Denken und Durchhalteverm&ouml;gen, die w&auml;hrend des Chemiestudiums erlangt werden, sind eine ausgezeichnete Basis daf&uuml;r.
Bei meinen Engagements habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass das Zusammenspiel unterschiedlicher Kenntnisse und Erfahrungen den Erfolg ausmacht. Das bedeutet insbesondere, dass Wissenschaftler und die f&uuml;r die Gesch&auml;ftsentwicklung verantwortlichen Personen immer auf Augenh&ouml;he zusammenarbeiten m&uuml;ssen.
In der Founding-Angels-Initiative engagiere ich mich f&uuml;r diese Vernetzung von gr&uuml;ndungswilligen Wissenschaftlern mit erfahrenen Unternehmern, um unabh&auml;ngig von staatlicher Aktivit&auml;t die Gr&uuml;ndungsszene in der Chemie zu beleben. F&uuml;r konkrete Projekte wird dabei ein Team f&uuml;r eine Start-up-Gr&uuml;ndung zusammengestellt oder erg&auml;nzt. Gute Teams und weniger die finanziellen Mittel sind n&auml;mlich der Flaschenhals &ndash; oft bin ich deshalb auf der Suche nach Mitgr&uuml;ndern.
Gerade in der Chemie werden die Potenziale bei weitem nicht ausgesch&ouml;pft. Als Folge gibt es im Chemieumfeld viel zu wenige Start-ups, obwohl Themen wie neue Materialien etwa f&uuml;r die Energiespeicherung oder intelligente Recyclingkonzepte Potenzial haben.
Die GDCh und das JCF k&ouml;nnen dabei eine wichtige Rolle &uuml;bernehmen, indem sie bereits existierende Netzwerke untereinander weiter vernetzen. Die GDCh engagiert sich beispielsweise im Forum Startup Chemie unter anderem zusammen mit der Dechema und dem VCI. Die Herausforderung dabei ist, von der &uuml;blichen allgemeinen Ebene dahin zu kommen, dass konkrete Projektm&ouml;glichkeiten diskutiert und realisiert werden. Dann geht es um Personen und nicht um etablierte Organisationen &ndash; ein weiterer Aspekt, der die unternehmerische Welt von der Arbeitnehmerwelt unterscheidet.
Prof. Dr. Dr. Gunter Festel, CEO von Festel Capital, Professor f&uuml;r Hightech- und Lifescience-Entrepreneurship an der TU Berlin
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