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Was Hochschulen leisten können

Nachrichten aus der Chemie, November 2022, S. 18-19, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Das Chemiestudium muss sich weiterentwickeln und flexibler werden, wenn es für junge Menschen attraktiv bleiben soll.

Ein Studium soll Fachlichkeit, Fähigkeiten und Kompetenzen aufbauen. Nach einem Chemiestudium sollen Absolvent:innen vor allem folgendes gelernt und erworben haben:1)

die Einsicht, dass Vieles nur mit Einsatz, Fleiß und Mühe erreichbar ist – also Resilienz und Frustrationstoleranz,die Fähigkeit, sich selbstständig in komplexe Themen einzuarbeiten,Kenntnisse, um Daten zu erarbeiten, zu interpretieren und zu bewerten,die Fähigkeit, Probleme selbstständig zu lösen,die Kompetenz, Ergebnisse verständlich darzustellen und zu kommunizieren,die Bereitschaft, lebenslang zu lernen,das Bewusstsein für gesellschaftliche und ethische Verantwortung,Projektarbeit einzeln und im Team,die Fähigkeit, Gelerntes anzuwenden und gegebenenfalls zu abstrahieren.

Von mehreren Seiten gibt es Anpassungswünsche an Schwerpunkt und Inhalt der Chemiestudiengänge: Hochschullehrende fordern, aktuelle Themen der Forschung aufzunehmen, um dem Wissenszuwachs Rechnung zu tragen. Die freie Wirtschaft, nach wie vor größte Arbeitgeberin für Chemiker:innen, wünscht sich einen stärkeren Fokus auf Kompetenzen und Fähigkeiten für die spätere Arbeitswelt. Zudem verlangt die Gesellschaft, dass Chemieabsolvent:innen ethische Fragen ihres Fachs beurteilen können. Dies soll verhindern, dass Forschungsergebnisse für unlautere Zwecke missbraucht werden.2)

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Hörsaal an einer Universität. Was können Chemiestudierende hier erwarten? YY apartment / Adobe Stock

Studienstart mit unterschiedlichen Voraussetzungen

Erfreulicherweise ist der Zugang zu höherer Bildung leichter geworden. Menschen aus dem In- und Ausland jedweder Biografie zieht es an die Hochschulen und Universitäten. Die damit einhergehenden unterschiedlichen Bildungsbiografien bereiten jedoch auch Schwierigkeiten – einzelnen Studierenden, Hochschullehrenden und für die Konzeption des Studiums. So fehlen häufig Mathematikkenntnisse. In Hessen müssen beispielsweise in der gymnasialen Oberstufe keine Logarithmusfunktionen mehr unterrichtet werden.3)

Die Abiturnoten sind in den letzten Jahren immer besser geworden, ohne dass die Abiturient:innen mehr Fachwissen erworben haben.4) Zudem sind etwa die Abiturnoten bei Studienanfänger:innen zum Beispiel in Marburg heute breiter gestreut als noch vor 20 Jahren. Es studieren also auch Menschen Chemie, die es sich früher vielleicht nicht zugetraut hätten. Das kann insbesondere zu Beginn des Studiums Studierende und Lehrende überlasten. Universitäten erwarten von den Studierenden nach wie vor sehr viel bereits zum Studienstart. Dabei sind Lehrende angehalten, Studienabbrüche zu verhindern, da die Finanzierung der Fachbereiche in Hessen stark an der Zahl der Studierenden hängt.

Im Studieneinstieg müssen die Lehrenden stärker als früher Arbeit aufwenden, um allen Studierenden die gleichen Startbedingungen zu bieten. So wird in der allgemeinen Chemie oft Schulstoff gelehrt. Das frustriert und langweilt diejenigen Studierenden, die mit exzellenter Vorbildung ins Studium einsteigen. Zum anderen vergeben die Hochschulen hier Creditpoints, die sie für zusätzliches Wissen vergeben könnten. Es besteht daher Bedarf an flexiblen Studiengängen.

Über das Fachgebiet hinaus

Wie die Fachbereichs- und Institutsgremien überarbeitet auch die GDCh immer wieder Empfehlungen für die Lehre im Chemiestudium und geht hier auch auf hochschulspezifische Spezialisierungen ein.1) Erfreulicherweise verzichtet die GDCh in ihren Empfehlungen darauf, Studieninhalte den verschiedenen Fachgebieten zuzuordnen, und empfiehlt, Inhalte fachgebietsübergreifend zu vermitteln.

Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg gehört zum Wesen einer jeden Universität und wird auch von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gefordert.5) Weiterhin fordert die HRK, dass Wissenschaft kein Selbstzweck sei. Diese leiste Beiträge zum besseren Verständnis der Welt und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse.

Die Erkenntnis, dass sich die Fachgebiete der Chemie durchdringen und Überschneidungen auch mit anderen Fächern existieren, führt zu einem modernen und interessanteren Chemiestudium. Außerdem wirkt ein Aufweichen der Fachgebietsgrenzen dem Umstand entgegen, dass durch die Bologna-Reform die im Diplomstudiengang wichtige Lernphase vor den Diplomprüfungen oft abhanden gekommen ist. So eine Phase der Auseinandersetzung mit dem Inhalt des gesamten Studiums schafft die Möglichkeit, die Chemie zu begreifen und Verknüpfungen zu sehen.

Das Studium müsse auf die späteren Aufgaben vorbereiten, ist von potenziellen Arbeitgebern zu hören. Allerdings kennen wir nur die heutigen Aufgaben. Was in 25 Jahren gebraucht wird, ist schwer abzuschätzen.

Neben dem Monofachstudiengang Chemie könnten Hochschulen Kombinationsstudiengänge Chemie plus ein anderes Fach anbieten, die der Forderung der freien Wirtschaft und der Hochschulrektorenkonferenz Rechnung tragen. Allerdings ist unklar, ob es für derartige Profile auch Jobs geben wird. Zudem würden Bachelorstudiengänge mit stark vermindertem chemischen Lehrinhalt den Zugang zu einem Masterstudiengang oder einer Promotion in Chemie erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.

Je nach Standort könnten Universitäten untersuchen, ob sie die Fridays-for-Future-Generation mit passenden Studiengängen gewinnen können. Solange ein Green- oder Sustainable-Chemistry-Studiengang nicht nur ein umbenannter Chemiestudiengang bleibt, kann Chemie für junge Menschen attraktiver wirken und sinkenden Anfängerzahlen entgegenwirken. Sind solche grundständigen Bachelorstudiengänge nicht möglich, gibt es die Option, Spezialisierungen im Master anzubieten.

Die Hochschulen haben erkannt, dass die Interessen der Menschen vielfältig sind. Ein Blick über den Tellerrand tut allen gut. Daher bieten Studiengänge an vielen Universitäten nichtchemische Wahlpflichtfächer – neben den verpflichtenden nichtchemischen Fächern Mathematik, Toxikologie, Physik und Recht. In Marburg zum Beispiel machen Wahlpflichfächer zehn Prozent der ECTS-Punkte eines sechssemestrigen Bachelorstudiengangs aus.

Um zu vermeiden, dass die Fülle der Möglichkeiten Studienanfänger überfordert, ist Studienberatung nötig. Sie muss Studierenden und Studienanfängern helfen, die richtige Wahl zu treffen. Eine solche Beratung gehört an jedem Standort etabliert und professionalisiert.

Vom Labor ins Seminar

Die laborpraktische Ausbildung findet im Studium in der Regel fachgebietsweise und nicht übergreifend statt. Das müsste nicht so sein. Im Organikteil könnten Studierende beispielsweise Liganden synthetisieren und später daraus anorganische Komplexe darstellen. Anschließend untersuchen sie diese mit Methoden der analytischen und physikalischen Chemie, um sie im Anschluss quantenchemisch zu beschreiben.

Andere Kombinationen wie biochemische Methoden gekoppelt mit physikochemisch-kinetischen Untersuchungen sind ebenfalls denkbar. Eine solche fachgebietsübergreifende Arbeitsweise ließe sich mit Seminaren und Vorlesungen unterstützen. Am Ende würde dies zu mehr Interdisziplinarität, gegenseitigem Verständnis und einer besseren Kommunikation führen.

Was wir Hochschullehrer:innen von Studierenden verlangen, müssen sie auch von uns erwarten können. Nur das gute Beispiel geht voran. Hierzu zählen auch moderne Chemiestudiengänge.

Am Ende bleibt die Frage: Wie wollen wir aktuell und zukünftig mit der wichtigsten Ressource unserer Gesellschaft – ausgezeichnet ausgebildeten, kritischen und kreativen Menschen – umgehen? Bildung muss für alle unabhängig von Zwängen möglich sein. Das ist nur mit einer gemeinsamen Anstrengung möglich.

Der Autor dieses Beitrags, Bastian Weinert, war mehrere Jahre Dozent an der Universität Marburg.

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