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Unsichtbares wird zum Aha‐Erlebnis
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Chemie museal zu vermitteln war immer schon besonders herausfordernd. Wie sich die Ansätze dazu und die Präsentationstechniken über die Jahrzehnte verändert haben, zeigt sich etwa beim Deutschen Museum in München.
Eine zentrale Herausforderung, will man Chemie im Museum präsentieren, war und ist die Unsichtbarkeit: Moleküle lassen sich nicht ausstellen wie übliche museale Exponate. In anderen Fachgebieten sind Dampfmaschinen, Explosionsmotoren, Fahrräder oder Flugzeuge beredte Denkmäler des Fortschritts. Dieser Fortschritt lässt sich „anschaulich und verständlich, belehrend und erhebend“ darstellen, gerade dann, weil oder wenn „die ersten Erfindungen ihrer Art primitiv sind oder primitiv scheinen mögen.“1) Auch folgt die Darstellung des technischen Fortschritts üblicherweise der Chronologie. Technische Entwicklung sollte immer als Erfolgsweg interpretiert werden.
Im obigen Zitat schimmert ein Klassismus durch: Zu jedem Zeitpunkt der Geschichte kann man sich selbst leicht über die Vorangegangenen stellen und auf diese hinunterblicken. In der Chemie wird dies verstärkt durch eine Tradition des Hierarchiedenkens: Ausgebildete Chemiker betrachten sich abgekoppelt oder vielleicht sogar abgehoben vom „unwissenden“ Teil der Gesellschaft. Ob hier noch ein tradiertes Element der alchemistischen Geheimlehre mitschwingt, mag Spekulation sein, auf jeden Fall sind derartige Narrative durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch wirkmächtig.
Alchemie, Labore und Teerfarben
Die erste provisorische Ausstellung zur Chemie und zur chemischen Industrie des Deutschen Museums eröffnete im Jahr 1906 in einem Gebäude in der Münchner Maximilianstraße (heute findet sich dort das Museum Fünf Kontinente).2) Das Konzept dieser und der folgenden Chemieausstellungen – ab 1925 im Neubau auf der Münchner Museumsinsel – blieb über mehrere Jahrzehnte stabil. Historische Laboratorien vom Alchemielabor über phlogistische Experimente bis zum Liebig-Labor bildeten den Auftakt der Ausstellung.
Im Alchemielabor war eine derartige Fülle an Exponaten und Apparaturen aufgebaut, dass die Vorstellung der überfüllten, geheimnisvollen Küche eines Magiers bedient wurde. Dieser – historisch unkorrekte – Eindruck mag im Sinn der Gestaltenden gewesen sein, wird doch mehrfach zitiert, dass die Gemälde von David Teniers d.J. als valide Vorlage und quasi wissenschaftliche Literatur für die Zeit der Alchemisten galten. Dass Gemälde dieser Art eine eigene Kategorie in der Kunstwissenschaft darstellen und keineswegs die Wirklichkeit abbilden wollten, wurde dabei allerdings übersehen.3) Dies sollte noch lange so bleiben.
Ein modernes Laboratorium bildete den Abschluss der Präsentation. Es zeigte eine Fülle von Inhalten, darunter eine große Sammlung chemischer Elemente. Man konzentrierte sich darauf, Laborgerät und Arbeitsumgebung eines Chemikers darzustellen. Bemerkenswerterweise wurde auch eine Demonstration einer chemischen Reaktion gezeigt. Die Besuchenden hatten so immerhin die Möglichkeit, ein chemisches Experiment durchzuführen – immer eine Herausforderung in derartigen Ausstellungen. Themen aus der chemischen Theorie wie Atombau, Radioaktivität und Molekülstruktur kamen nach und nach in die Ausstellung. Die deutsche chemische Industrie, insbesondere die Teerfarbenherstellung, wurde als besondere Ingenieurleistung hervorgehoben.
An der elitären Weltsicht änderte sich lange nichts. Laut Ausstellungskatalog zur Neueröffnung 1925 trugen die chemischen Forschungen „zum Weltbild bei“, die theoretischen Fortschritte gingen einher mit einer „ausgiebigen und tiefgehenden Beeinflussung der Technik und des wirtschaftlichen Lebens.“4)
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Ausstellungskonzept weitgehend bestehen. Manche Ausstellungsstücke bespielten auch ein nationales Pathos, etwa die jahrzehntelang als „Otto-Hahn-Tisch“ bezeichneten Originalgeräte, mit denen Lise Meitner, Otto Hahn und Fritz Straßmann 1938 die Kernspaltung entdeckt hatten.
Der wissenschaftliche Teil ging nun deutlich mehr auf die Vermittlung chemischer Grundlagen ein. Doch auch hier achtete man darauf, den Besucher nicht zu überfordern: „Man [beschränkte] sich auf wenige typische Beispiele aus dem großen Gebiet chemischer Probleme [und] bewahrte die Besucher davor, vom Stoff erdrückt zu werden. Es wurden mit viel Scharfsinn eigene Apparate entwickelt, in denen, nachdem der Besucher einen Druckknopf betätigt hat, automatische chemische Reaktionen vorgehen, bei welchen Farbänderungen auftreten.“5) Die erdölbasierte Kohlenstoffchemie hielt zunehmend Einzug und verdrängte die Stammbäume der kohlebasierten Roh- und Zwischenprodukte.
Aus museumspädagogischer Sicht muss es faszinierend gewesen sein, im Lauf des 20. Jahrhunderts verschiedene Chemieausstellungen zu gestalten, da sich in diesem Zeitraum mehrere bahnbrechende Veränderungen abgespielt haben. Allerdings hat sich das Deutsche Museum immer eher auf die technische Seite konzentriert, statt die großen Linien in der Veränderung der materiellen Welt aufzuzeigen.
Mehr Experimente
In den 1960er Jahren begannen die Planungen für eine neue Chemieausstellung. Diese sollte einen neuen Weg gehen. Der Ansatz bezog sich auf die Auswahl der chemischen Inhalte und deren Vermittlung über Druckknopfexperimente. Eröffnet wurde die Ausstellung im Olympiajahr am 6. Mai 1972. Sie setzte zu nahezu 100 Prozent auf das chemische Experiment als Zugang zur Chemie. Die in langen Reihen angeordneten Druckknopfexperimente sollten es den Besuchern ermöglichen, die Wissenschaft operational zu erfassen. Eine museumseigene Publikation berichtet: „Diese Methode, die zwar als rationellste gilt, um den Lernprozess in Gang zu setzen und zum Erfolg zu führen, erforderte eine hohe technische Leistung beim Aufbau der Experimente.“6) Technisch aufwendig gebaut, ermöglichten pneumatische Systeme farbverändernde Reaktionen hinter Glas. Die Konstruktion war jedoch hermetisch abgeschlossen, der Ablauf der Reaktionen für Laien kaum nachvollziehbar. Tageslicht war ausgeschlossen, die Atmosphäre wirkte eher steril als einladend. Begleittexte beschrieben ausschließlich die chemischen Vorgänge, ohne alltagsnahe Einordnung, und waren sprachlich oft anspruchsvoll. Trotz des Ziels, Chemie verständlich und zugänglich zu machen, fehlte der Bezug zur Lebenswelt der Besucher. Rückblickend zeigt sich: Der hohe didaktische Anspruch scheiterte an mangelnder Verständlichkeit und Kontextualisierung – eine klassistisch geprägte Vermittlung, die viele Besuchende überforderte.
Chemie im Alltag
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war Chemie überall im Alltag. Zwar war dies schon immer der Fall, aber in den 2000er Jahren wurde die „Chemie im Alltag“ zur Catchy Phrase, zur allgegenwärtigen Vermarktungsstrategie des ungeliebten Fachs Chemie. Es erschienen Bücher zum Thema,7) und selbst eine große Industriemesse wie die Achema griff das Thema auf ihrem Ausstellungsplakat 2006 auf. In dieser Stimmung begann im Jahr 2004 im Deutschen Museum die Planung einer neuen Chemieausstellung. Ein Kernteam aus Museumsmitarbeitern, Industrievertretern und dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) als Hauptförderer entwickelte ein Konzept, das chemische Grundlagen in alltagsnahen Themeninseln vermitteln sollte – etwa Ernährung, Kosmetik, Freizeit, Mode, Bauen oder Hightech-Materialien. Ziel war es, verständliche, langlebige Inhalte statt schnell veraltender Neuheiten zu präsentieren. 2008 war das Drehbuch nahezu fertig, die Umsetzung verzögerte sich jedoch. Dank des konzeptionellen Ansatzes blieben inhaltliche Anpassungen in den folgenden Jahren dennoch gering – die Ausstellung sollte dauerhaft relevant und zugänglich bleiben.
Das Problem der Unsichtbarkeit blieb trotzdem: Wie also Chemie darstellen? Das Museum verfolgte dann einen anschaulichen, alltagsbezogenen Zugang: Besucher sollen durch bekannte Alltagsgegenstände wie Seife, Joghurt oder Salatsoße neugierig gemacht werden und sich fragen: „Was hat das mit Chemie zu tun?“ In diesem Moment ist bereits eine Beziehung hergestellt, die es den Besuchenden erleichtert, sich auf die chemischen Inhalte einzulassen. Ein großes Thema bei der Planung war die Frage des Anspruchs. Wie komplex und tiefgründig soll die Ausstellung sein? Das bekannte klassistische Dilemma wollte das Museum vermeiden – Besucher sollten durch zu komplizierte Darstellungen nicht abgeschreckt werden, doch zugleich sollte die Ausstellung nicht herablassend wirken. Zentrale Konzepte der Chemie wie das Periodensystem, Atombau, Bindungsarten, Polymerisation und andere Reaktionsprinzipien sollten vermittelt werden.
Für den didaktischen Zugang machte man sich die Basiskonzepte der Chemie zu Nutze, wie sie seit einigen Jahren im Schulunterricht Verwendung fanden, etwa das Struktur-Eigenschafts- oder das Energieprinzip.8) Eine Themenhierarchie soll die einzelnen Themen auf verständliche Kapitel herunterbrechen. Die Ausstellung ist nicht an einzelnen Exponaten orientiert, sondern folgt stattdessen dieser inhaltlichen Hierarchie: Themenbereiche (etwa Grundlagen der Chemie), Untergruppen (zum Beispiel chemische Reaktionen) und einzelne Exponate oder Medienstationen. Historische und moderne Objekte, interaktive Experimente, Texte und Bilder bilden jeweils eine Einheit. Architektonisch wurden diese Themen als jeweils klar abgetrennte Inseln gestaltet. Innerhalb der Inseln finden sich Nischen, die thematische Gruppen enthalten. Die Gestaltung mit Farbcodes und klarer Textstruktur erleichtert die Orientierung und ermöglicht es Besuchern, auch einzelne Themenabschnitte eigenständig zu verstehen. Die Ausstellung verzichtet bewusst auf eine strenge lineare Abfolge und lädt stattdessen ein, Themen individuell zu erkunden. Die Gestaltung ist farbenfroh und lebensnah, mit ständigem Bezug zum Alltag. So werden auch anspruchsvolle chemische Inhalte verständlich, ohne dass die Besucher sich als ungebildete Laien behandelt fühlen.
Ein weiterer sensibler Punkt war der Umgang mit problematischen Aspekten der Chemie, wie Umweltbelastungen oder Unfällen. Das Kuratorenteam entschied, diese Themen nicht zu vermeiden, sondern sie sachlich und kontextualisiert zu präsentieren. Zum Beispiel werden Chemieunfälle über das Prinzip der Reaktionswärme und Energieflüsse erklärt oder Mikroplastik als Folge der weltweiten Kunststoffverwendung dargestellt. So wird deutlich, dass Wissenschaft und Technik nie folgenlos sind, ohne dass die Ausstellung moralisierend oder übermäßig kritisch wirkt.
Diese konzeptionelle Herangehensweise verbindet wissenschaftliche Genauigkeit mit einem einladenden, verständlichen Besuchererlebnis und vermeidet die Fallstricke früherer klassistischer Darstellungen.
Chemie zum Mitmachen
Der Hörsaal, in dem täglich eine chemische Experimentalshow für rund 50 Besucher stattfand, war ein Highlight der letzten Chemieausstellung und sollte in der neuen Ausstellung fortgeführt werden. Zudem entstand der Plan, ein Besucherlabor einzurichten, zunächst als Ersatz für die abgeschafften Druckknopfexperimente. Während der Planung lag der Fokus vor allem auf den architektonisch-technischen Details: Der Laborbereich benötigte eine eigene Lüftung mit Zentrale, ein nicht öffentliches Vorbereitungslabor und Kellerlager. Auch die Sicherheitsvorkehrungen für Chemikalien und Arbeitsschutz erforderten eine spezielle, für das Museum ungewohnte Infrastruktur. Personell ist diese Vermittlungsform außerdem aufwendig und kaum mit anderen Museumsausstellungen vergleichbar. Erst kurz vor Eröffnung wurden Programme für Hörsaal und Labor entwickelt und seither erweitert. Sie orientieren sich an den Ausstellungsthemen, richten sich an verschiedene Zielgruppen und bieten Inhalte von Labortechnik über Lebensmittelchemie bis Alchemie. So entsteht erstmals ein nachhaltiger Eindruck durch die Verbindung von Ausstellung und persönlichem Experiment.
Es zeigte sich schnell, dass das Labor für alle Besuchenden ein Gewinn ist. Grundsätzlich ist das selbst durchgeführte Experiment der beste Zugang zur Chemie. Chemiedidaktiker sprechen vom Praxisfeld, das eine eigene Dimension der Wissensvermittlung bietet.9) Beim Durchführen eines chemischen Versuchs sind alle Sinne angesprochen: sehen, spüren, oft auch riechen und hören. Durch diese Verknüpfung verschiedener Eindrücke arbeitet das Gehirn besonders produktiv und behält das Erlernte. Dies gilt selbst dann, wenn die Person, die das Experiment durchführt, kein Vorwissen über die Theorie der Chemie im Allgemeinen und das Experiment im Speziellen hat. Die Kontextualisierung, also die Verknüpfung der Experimente mit Inhalten der Ausstellung oder Alltagserfahrungen, hilft zusätzlich, das Erlebte einzuordnen und abzuspeichern.
Ein neuer Ansatz war auch, chemische Experimentierboxen einzurichten. Hier können Besuchende ohne direkte Aufsicht, den Anleitungen auf einem Computermonitor folgend, selbst chemische Experimente im Mikromaßstab durchführen. Diese Stationen sind seit dem ersten Tag der Ausstellung sehr beliebt und nahezu durchgehend besetzt. Die radikale Demontage der Glasscheiben zwischen Besuchenden und Chemie hat sich gelohnt.
Die Autorin
Die promovierte Chemikerin Susanne Rehn-Taube ist seit dem Jahr 2005 Kuratorin für Chemie am Deutschen Museum in München. Neben der Pflege und Digitalisierung der chemischen Sammlung sowie dem Betrieb der Dauerausstellung Chemie widmet sie sich technikhistorischer Forschung (Schwerpunkte: Geschichte der Kernspaltung, Nature of Science). Seit 2024 ist sie Mitglied im GDCh-Vorstand.
- 1 R. Willstätter, in: Das Deutsche Museum München. Geschichte Aufgaben Ziele, herausgegeben von Verband der deutschen Ingenieure dritte Auflage, Volksausgabe 1933, S. 217 – 226.
- 2 a) Deutsches Museum München Führer durch die Sammlungen (Ausstellungsführer zu Eröffnung des Deutschen Museums) gültig 1907 bis 1910; b) Eine Übersicht und viele historische Bilder und Filmaufnahmen unter deutsches-museum.de/museum/geschichte (abgerufen am 31.7.2025)
- 3 L. M. Principe, L. DeWitt, Transmutations. Alchemy in art, Philadelphia, 2002
- 4 Deutsches Museum amtlicher Führer durch die Sammlungen, Zweite Auflage 1928, vergleichbar mit der ersten Auflage von 1925
- 5 F. Klemm, in: Deutsches Museum. Sonderausgabe der Illustrierten bayerischen Monatsschrift, Bayerland, 1955, S. 32 – 39
- 6 Das Deutsche Museum [Hrsg.: Günter Knerr] 1/72, 1972
- 7 Beispielsweise: K. Mädefessel-Herrmann, F. Hammar, H. Quadbeck-Seeger, Chemie rund um die Uhr, Wiley-VCH, Weinheim, 2004
- 8 bridge.klett.de/DUA-4EUMQETA7G/content/media/zum_ganzen_buch/756870_bk_ef.pdf (abgerufen am 16.6.2025)
- 9 Informationen über den didaktischen Hintergrund aus einem persönlichen Gespräch mit Prof. Michael Anton, 27.5.2025
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