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Trendbericht Biochemie 2017: Menschliche Antikörper für Medikamente

Menschliche Antikörper für MedikamenteDie Wirkstoffe der mittlerweile weltweit umsatzstärksten Medikamente sind monoklonale menschliche Antikörper (Immunglobuline).1) Mittlerweile sind über 50 verschiedene Therapeutika mit Antikörpern zugelassen (Tabelle). Table 1Von der FDA oder der EMA zugelas...

<h2>Pathoblocker – Ein neues Konzept gegen bakterielle Infektionen</h2>Langsam nehmen Politik und Öffentlichkeit wahr, wovor Experten seit Jahren warnen:1) Durch multiresistente Keime bleiben mehr und mehr Antibiotikatherapien erfolglos. Nach einer aktuellen Extrapolation werden Infektionskrankheiten mit etwa 10 Millionen Fällen weltweit im Jahr 2050 die Krebserkrankungen als Haupttodesursache ablösen.2)Um einer „postantibiotischen Ära“,3) in der einfache Wundinfektionen wieder tödlich verlaufen können, entgegen zu wirken, sind mehrere Strategien erforderlich: Resistenzbildung und -verbreitung sind zu vermeiden und neue resistenzbrechende Antiinfektiva sind zu entwickeln. Dabei gilt zu beachten, dass von der Entdeckung eines Wirkstoffs bis zur Marktreife eines Medikaments mehr als zehn Jahre vergehen können. Gerade bei schwierig zu adressierenden gramnegativen Bakterien ist die Entwicklungspipeline dürftig bestückt, und neue Ansätze sind dringend erforderlich.4)<h2>Krankmachende Bakterien entwaffnen statt töten</h2>Gängige Antibiotika wirken, indem sie überlebenswichtige zelluläre Prozesse in den Bakterien stören oder aushebeln, etwa Transkription, Translation oder Zellwandbiosynthese. Dadurch haben Individuen mit resistenzvermittelnden Mutationen in einer Bakterienpopulation enorme Wachstumsvorteile gegenüber Artgenossen und Konkurrenten im Mikrobiom. Der natürliche Wettbewerb um Nischen, Lebensräume und Nährstoffe ist mehr oder weniger ausgeschaltet; es herrscht starker Selektionsdruck, der Bildung und Etablierung resistenztragender Stämme begünstigt.Die Entstehung dieser Mutationen lässt sich nicht verhindern. Allerdings wären sie ohne Antibiotikum vermutlich nicht in der Lage, sich gegenüber den anderen Genotypen derart durchzusetzen. Daher ist gemeinhin anerkannt, dass sich Antibiotika im Einsatz unweigerlich abnutzen.5) Alternative bakterielle Ziele (Targets) für neue Wirkstoffe ohne Kreuzresistenzen zu bekannten Antiinfektiva sind rar.Eine Strategie, dem Problem zu begegnen, ist der Einsatz von potentiators oder adjunctives, welche die Wirkung eines Antibiotikums wiederherstellen oder verstärken. Beispiele sind Inhibitoren von β-Lactamasen, die Resistenzen gegenüber β-Lactamantibiotika brechen.6) Einige solcher Kombinationsmedikamente, zum Beispiel Ceftazidime/Avibactam, sind in den USA und in der EU bereits zugelassen und Teil der klinischen Praxis.7) Allerdings treffen diese Ansätze bei weitem nicht alle klinisch relevanten β-Lactamasen, und erschreckenderweise bilden sich vermehrt Resistenzen gegenüber β-Lactam-β-Lactamaseinhibitor-Kombinationen.6)Ein neuer vielversprechender Ansatz zielt darauf ab, selektiv die krankmachenden Eigenschaften der Bakterien auszuhebeln ohne sie abzutöten oder beim Wachstum zu beeinträchtigen. Man spricht bei diesem Ansatz vom Antivirulenz- oder Pathoblockerkonzept, da im Wesentlichen pathogenitätsfördernde Merkmale des Erregers – die Virulenzfaktoren – ausgeschaltet werden sollen.8)Als Beispiel für einen Pathoblocker im klinischen Alltag wird häufig Azithromycin und dessen Antivirulenzwirkung bei nicht wachstumshemmenden Konzentrationen angeführt. Allerdings scheinen diese Effekte lediglich Nebenerscheinungen des ribosomalen Angriffspunkts des Makrolidantibiotikums zu sein.9)Ideale Pathoblocker sind per se nicht bakterizid oder bakteriostatisch. Daher üben sie einen verminderten Selektionsdruck aus und begünstigen nicht die Bildung resistenzvermittelnder Mutationen. Weiterhin adressieren Pathoblocker bis dato nicht genutzte Targets. Dies verhindert Kreuzresistenzen mit den Wirkstoffen, die bereits auf dem Markt sind.Im Grunde lassen sich zwei Gruppen von Pathoblockern unterscheiden: solche, die direkt einzelne wichtige Virulenzfaktoren ausschalten, und solche, die übergeordnete Regulationswege beeinflussen.<h2>Individuelle Virulenzfaktoren als Angriffspunkte</h2>Eine direkte Methode, individuelle Virulenzfaktoren zu neutralisieren, ist die Anwendung monoklonaler Antikörper, zum Beispiel gegen bestimmte makromolekulare Toxine. Diese Toxine können Proteine sein, wie das Clostridium-difficile-Toxin B (Bezlotoxumab, Merck, Sharp &amp; Dohme) oder Staphphylococcus-aureus-alpha-Toxin (AR-301, Phase II, Aridis Pharmaceuticals), aber auch Lipopolysaccharide (AR-101, Phase II, Aridis Pharmaceuticals) (Abbildung 1).10,11)<figure><img src="https://media.graphcms.com/Af9Luws6TmG4O5F1Xiqc"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Modell des Komplexes zwischen Clostridium-difficile- Toxin B (rot) und Bezlotoxumab (weiß und hellgelb: schwere Ketten; grün: leichte Ketten). Das Modell wurde anhand der Kristallstrukturen 1hzh und 4np4 erstellt.</figcaption></figure>
Das Ausschalten des entsprechenden Toxins führt dazu, dass an den Wirtszellen weniger Schäden entstehen. So verhindert Bezlotoxumab wiederkehrende Infektionen mit C. difficile, wie klinischen Studien der Phase III nachgewiesen haben. Das Mittel ist inzwischen in den USA und Europa zugelassen.Antikörperbasierte Wirkstoffe wurden gegen den von Pseudomonas aeruginosa gebildeten Biofilmbestandteil Alginat, ein Polysaccharid, gefunden und weiterentwickelt (AR-105, Phase II, Ardidis Pharmaceuticals). Gegen die P.-aerguginosa-Epitope Psl (ein Exopolysaccharid) und PcrV (ein Protein des Typ-III-Sekretionssystems) wird gerade ein bispezifischer Antikörper klinisch erprobt (MEDI-3902, Phase II, Medimmune).10)Antikörperbasierte Wirkstoffe haben allerdings einige Nachteile, allen voran, dass sie als Spritze oder sogar als Infusion gegeben werden müssen, um systemisch wirksam zu sein. Oral sind sie nicht bioverfügbar.Andere Ansätze haben die Entwicklung niedermolekularer Pathoblocker zum Ziel. Diese Programme sind allerdings noch in recht frühen Phasen des langen Wegs von der Entdeckung eines wirksamen Moleküls bis hin zur Marktreife des entsprechenden Arzneimittels.Eine vielversprechende Strategie ist die Inhibition extrazellulärer bakterieller Proteasen. So wurden mit biophysikalischen Methoden kleine organische Moleküle – Fragmente genannt – identifiziert, die von Clostridien abgegebene Kollagenasen spezifisch hemmen.12) Diese bakteriellen Metalloproteasen bauen Kollagen ab und sind entscheidend für die Kolonisierung des Wirts, das Ausweichen des Bakteriums vor dem Immunsystem, seiner Nährstoffgewinnung, seiner Verbreitung im Wirt und der Schädigung von Gewebe während der Infektion. Da es auch körpereigene Metalloproteasen gibt, muss ein Wirkstoff selektiv für das bakterielle Enzym sein.Die Fragmente weisen einen bisher nicht beschriebenen Bindemodus auf (Abbildung 2a, S. 291). Hierbei interagiert die Verbindung mit einer Tasche im Enzym, die in den humanen Gegenstücken nicht vorkommt.12) Das gewährleistet die Selektivität.<figure><img src="https://media.graphcms.com/zSOjFXwxRsma7RgItV75"><figcaption><label>Abb. 2: </label>a) Struktur des selektiven Inhibitors der clostridialen Kollagenase ColH. b) Struktur eines selektiven Inhibitors der P.-aeruginosa-Elastase LasB. c) Struktur von optimierten FimH-Antagonisten mit Aktivität in vivo. d) Strukturen einer kovalenten LecA-Sonde (oben) und eines LecB-Inhibitors (unten).</figcaption></figure>
Eine weitere bakterielle Zink-Metalloprotease, die sich für die Generierung von Pathoblockern eignet, ist das P.-aeruginosa-Enzym Elastase (LasB). Für das Design von selektiven Inhibitoren wurde dabei das zinkkoordinierende Motiv der Wirkstoffkandidaten modifiziert (Abbildung 2b, S. 291).13,14)Weitere interessante Zielmoleküle für Pathoblocker sind bakterielle Lektine.14,15) Diese kohlenhydratbindenden Proteine vermitteln die Adhäsion an das Wirtsgewebe und die Entstehung von Biofilmen. Vielversprechende Verbindungen sind Inhibitoren des Proteins FimH. Sie sollen Harnwegsinfekte, die durch Escherichia coli ausgelöst werden, bekämpfen und sind teilweise bereits in der präklinischen Entwicklung (Abbildung 2c, S. 291). Die medizinalchemisch optimierten Glykomimetika blockieren die zuckerbindende Tasche des extrazellulären Targets, nachgewiesen ist ihre Wirkung bei der Maus.16)Auch die Lektine LecA und LecB von P. aeruginosa eignen sich als Zielmoleküle für Pathoblocker.14) Hierfür wurden kleine Verbindungen synthetisiert, die sich wegen ihrer Größe, Affinität und Wirkung gegenüber Biofilmen als Startpunkte für die medizinalchemische Optimierung zu Wirkstoffkandidaten und kovalenten Imagingsonden eignen (Abbildung 2d, S. 291).17)<h2>In regulatorische Systeme eingreifen</h2>Wenn übergeordnete Regulationssysteme als Angriffspunkte dienen, lassen sich gleich mehre Virulenzfaktoren aushebeln. Ein bakterieller Schaltkreis, der sich als vielversprechendes Target erwiesen hat, ist das Quorum Sensing (QS).14)QS ist ein zelldichteabhängiges Zell-zu-Zell-Kommunikationssystem: Bakterien koordinieren über diffusionsfähige Signalmoleküle populationsweit Änderungen im Gruppenverhalten. So reguliert QS das konzertierte Ausscheiden von Virulenzfaktoren wie auch das Bilden von Biofilmen im genau richtigen Moment, etwa wenn die Bakterienpopulation groß genug ist, um einen Organismus zu besiedeln oder zu infizieren.Die Art der Signalmoleküle variiert von Bakterium zu Bakterium. So benutzen Grampositive in der Regel cyclische Peptide, Gramnegative dagegen häufig Homoserinlaktone. Neben den letztgenannten Molekülen gebraucht der Krankenhauskeim P. aeruginosa Alkylchinolone als Kommunikationssignal, um seine Pathogenitätseigenschaften zu regulieren. Dieses Pseudomonas-Chinolon-Signal (Pseudomonas Quinolone Signal, PQS) ist einzigartig und ermöglicht es, pathogenspezifische Pathoblocker zu erzeugen.14) Auf diesem Gebiet sind einige Arbeiten mit unterschiedlichen medizinalchemischen Strategien erschienen. So wurden mit ligandbasiertem Ansatz, fragmentbasiertem Wirkstoffdesign sowie phänotypischem Screening Inhibitoren des PQS-QS identifiziert.18) Die vielversprechendsten Verbindungen greifen am Signalmolekülrezeptor PqsR (auch MvfR) an (Abbildung 3).<figure><img src="https://media.graphcms.com/vqIRNf43SbWtxxanw6PB"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Komplex zwischen der Ligandenbindedomäne von PqsR (weißes Protein) und PQS (grünes Molekül) sowie Strukturen PqsR-targetierender Quorum-Sensing-Inhibitoren und deren Aktivitäten gegenüber PqsR.</figcaption></figure>
Wegen des translationalen Potenzials dieses PQS-QS-Ansatzes fördern die Helmholtz-Gemeinschaft und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) eine Wirkstoffentdeckungs- und Optimierungskampagne am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS).19) Ziel ist, bis Mitte des Jahres 2019 einen präklinischen Entwicklungskandidaten hervorzubringen.Ein weiterer bakterieller Regulationsschaltkreis für die Entwicklung von Pathoblockern ist der „Carbon storage regulator A“ (CsrA).20) Dieser ist im Gegensatz zum PQS-QS weit verbreitet und könnte daher Pathoblocker mit einem breiteren Spektrum an Zielkeimen ermöglichen. CsrA ist ein posttranskriptionaler Regulator, der durch Bindung an mRNA virulenzrelevante Gene direkt beeinflusst. Wie wichtig dieses System für die Infektivität ist, haben beispielsweise virulenzabgeschwächte Knockoutstämme des Darmerregers Yersinia pseudotuberculosis gezeigt.Naturstoffe und fragmentartige Moleküle als Startpunkte für das Design und die Optimierung von CsrA-RNA-Interaktionsinhibitoren (Abbildung 4) wurden durch biophysikalische Screeningmethoden gefunden.20) Die medizinalchemische Verbesserung dieser Substanzen ist der nächste Schritt.<figure><img src="https://media.graphcms.com/cPFz0bvKSJGibuSgjHmt"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Komplex zwischen CsrA (grün und weiß) und zwei RNA-Oligomeren (blau) sowie identifizierte Inhibitoren dieser Makromolekül-Makromolekül-Interaktion.</figcaption></figure>
<h2>Perspektive</h2>Ähnlich wie in der Virologie oder in der Onkologie werden gegen bakterielle Infektionen Wirkstoffkombinationen wichtiger werden.1) Im Sinne der personalisierten Medizin müsste dabei das Präparat speziell auf den Keim im Patienten abgestimmt werden. Daher sollten auch bisher weniger beachtete Ansätze mit pathogenspezifischen Wirkstoffen an Bedeutung gewinnen.1) Diese hätten zudem den Vorteil, dass sie das nützliche Mikrobiom schonen und so das Risiko von Nebenwirkungen sinkt.Sollten sich Pathoblocker in der Klinik bewähren, so könnte dies zu einem Wandel in der Prävention und Therapie von bakteriellen Infektionen führen. Das Ziel wäre dann weniger, Bakterien zu töten, als ihre krankmachenden Eigenschaften zu unterdrücken.<h2>Vitakasten</h2>Martin Empting, Jahrgang 1983, studierte Chemie an der TU Darmstadt. Anschließend promovierte er bei Harald Kolmar und erhielt für seine Doktorarbeit den Dissertationspreis der Familie-Bottling-Stiftung. Im Jahr 2013 schloss er sich der Arbeitsgruppe von Rolf W. Hartmann am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland, HIPS, als PostDoc an und habilitiert parallel an der Universität des Saarlandes. Er erforscht, wie sich Makromolekül-Makromolekül-Interaktionen medizinalchemisch adressieren lassen, und sucht sowie optimiert neue Antiinfektiva. In diesem Jahr hat er den Trendbericht Biochemie koordiniert.<div><img src="https://media.graphcms.com/AB1AYtQTY6n9NvO0d28W">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 E. D. Brown, G. D. Wright, Nature 2016, 529, 336.</li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gov.uk/government/uploads/" target="_blank">www.gov.uk/government/uploads/</a> system/uploads/attachment_data/file/ 385733/UK_AMR_annual_report.pdf</ext-link></li><li>
3 S. Reardon, Nature 2014, doi: 10.1038/nature.2014.15135</li><li>
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18 a) A. Ilangovan, M. Fletcher, G. Rampioni, et al., PLoS Pathogens 2013, 9, e1003508; b) C. Lu, C. K. Maurer, B. Kirsch, A. Steinbach, R. W. Hartmann, Angew. Chem. Int. Ed. 2014, 53, 1109; c) M. Starkey, F. Lepine, D. Maura, et al., PLoS Pathog. 2014, 10, e1004321; d) M. P. Storz, C. Brengel, E. Weidel, et al. ACS Chem. Biol. 2013, 8, 2794; e) A. Thomann, A. G. G. de Mello Martins, C. Brengel, M. Empting, R. W. Hartmann, ACS Chem. Biol. 2016, 11, 1279; f) M. Zender, T. Klein, C. Henn et al. J. Med. Chem. 2013, 56, 6761.</li><li>
19 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.dzif.de/news_mediathek/news_pressemitteilungen/ansicht/" target="_blank">www.dzif.de/news_mediathek/news_pressemitteilungen/ansicht/</a> detail/artikel/chronische_infektionen_ aushebeln_ein_neuer_wirkstoff_auf_ dem_weg_in_die_entwicklung/</ext-link></li><li>
20 C. K. Maurer, M. Fruth, M. Empting, et al., Future Med. Chem. 2016, 8, 931.</li></ul>

Trendbericht

Trendbericht Biochemie 2017: Menschliche Antikörper für Medikamente

Menschliche Antikörper für Medikamente

Von der FDA oder der EMA zugelassene Medikamente mit Antikörpern, die durch Phagendisplay gewonnen wurden. Quelle: www.antibodysociety.org

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