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Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Theoretische Spektroskopie: Surface-Hopping-Ansätze basierend auf der zeitabhängigen Dichtefunktionaltheorie simulieren effizient zeitaufgelöste, elektronische Spektren von Festkörpermaterialien und liefern Einsichten in photochemische Prozesse zur Aufkonvertierung von Licht.
Um photochemische Prozesse in Festkörpern, Oberflächen oder kondensierten Systemen unter Annahme periodischer Randbedingungen zu beschreiben, hat sich die zeitabhängige Dichtefunktionaltheorie (Time Dependent Density Functional Theory, TDDFT) als effizientes Werkzeug durchgesetzt. Neueste Entwicklungen für angeregte Zustände profitieren hierbei von der zugrundeliegenden Infrastruktur an Methoden und Implementierungen für die Beschreibung des Grundzustands. Basierend auf Hutters Gaussian-and-Plane-Wave(GPW)-Ansatz dauert es nur Stunden, um statische Absorptionsspektren mit Hybridfunktionalgenauigkeit für Einheitszellen in der Größenordnung von hunderten von Atomen (entsprechend Basissatzgrößen von tausenden von Basisfunktionen) zu berechnen.1) Die exakten Austauschintegrale werden mit der Auxiliary Density Matrix Method (ADMM) genähert, die Zweielektronen-Vierzentren-Austauschintegrale nur für eine stark reduzierte Hilfsbasis berechnet und diese anschließend auf die Orbitalbasis projiziert. Den hierdurch eingeführten Basissatzfehler gleicht eine additive Dichtefunktionalkorrektur aus. Der resultierende Fehler in Anregungsenergien liegt bei Zehnteln Elektronenvolt für moderate Hilfsbasisgrößen von Triple-zeta-Qualität. Darauf aufbauend ergeben Integralnäherungen basierend auf semi-empirischen Elektronenkorrelationsoperatoren bei qualitativer Genauigkeit eine Zeiteinsparnis um eine Größenordnung: Breitbandige Spektren über mehrere Elektronenvolt lassen sich innerhalb von Minuten berechnen (Abbildung 1). Semi-empirische Integralnäherungen für die zeitabhängige Dichtefunktionaltheorie im Rahmen dieser vereinfachten TDDFT (simplified TDDFT (sTDDFT))2) erweisen sich aufgrund der hohen Zustandsdichte in Festkörpermaterialien und der damit verbundenen hohen Zahl zu berechnender angeregter Zustände weiterhin als vielversprechend. Neue effiziente Implementierungen von Kerngradienten ermöglichen zudem, angeregte Zustandsgeometrien und darauf basierend Emissionsspektren mit ähnlichem Kostenaufwand zu berechnen.1) Letztere wurden nicht nur im Rahmen der GPW-Methode umgesetzt, sondern auch auf den Gaussian-and-Augmented-Plane-Wave(GAPW)-Ansatz ausgeweitet.3) Die Verallgemeinerung ermöglicht die explizite Beschreibung der stark fluktuierenden Elektronendichte in Kernnähe. Ausgehend von Pseudo-Wellenfunktionen generiert sie mit einem Projektionsansatz All-Elektronen-Wellenfunktionen über lokale Hilfsbasissätze. GAPW ermöglicht so, mit vergleichsweise kleinen Gittern für die globale ebene Wellenbasis angeregte Zustandsgradienten für die All-Elektronen-Wellenfunktion zu berechnen. Diese Arbeiten müssen weiter für die Beschreibung inelastischer Röntgenspektroskopiemethoden an Festkörpern ausgebaut werden.
Schwächen der zeitabhängigen Dichtefunktionaltheorie lassen sich mit der Bethe-Salpeter-Gleichung (Bethe-Salpeter equation, BSE) ausgleichen.4) BSE-Ansätze ermöglichen eine ausgewogene Beschreibung von Ladungstransfer, Rydberg, Spin-flip oder sogar Zweifachanregungen und erfassen zudem den Bildladungseffekt. Nähert sich ein Molekül einer metallischen Oberfläche, so bildet sich eine Bildladung innerhalb des metallischen Leiters, die wiederum die elektronischen Eigenschaften des adsorbierten Moleküls beeinflusst. Dichtefunktionalmethoden erfassen diesen Effekt nicht, BSE-Ansätze können es, indem sie dynamisches Screening berücksichtigen. Erste Entwicklungen hin zu BSE-Kerngradienten wurden für molekulare Systeme veröffentlicht; die Erweiterung auf periodische Randbedingungen und die Verwendung für darauf aufbauende Moleküldynamik fehlen noch. Basierend auf effizienten GW-Implementierungen5) werden BSE-Ansätze dennoch wichtiger werden, um photo-chemische Prozesse in Festkörpermaterialien zeitaufgelöst zu beschreiben. Aufmerksam zu beobachten ist auch die Verbindung zu Nichtgleichgewichts-Greensfunktions-Ansätzen.6) Ab-initio-Kadanoff-Baym-Moleküldynamik in komplexeren, stark korrelierten Materialsystemen anzuwenden, verspricht interessante Einsichten und Erweiterungen zur linearen Antworttheorie und TDDFT.
Als Alternative zur TDDFT ermöglichen zudem neueste Entwicklungen für ∆SCF-Ansätze7) effiziente Simulationen nicht-adiabatischer Moleküldynamik (NAMD). Dabei werden elektronisch angeregte Zustände durch die Grundzustandsdichte beschrieben und die Kosten für NAMD-Simulationen (zum Beispiel auch unter Berücksichtigung einer Solvatationshülle) beschränken sich auf die einer Grundzustandsrechnung. Die Genauigkeiten ähneln derjenigen der TDDFT, sie sind oft sogar besser für Rydberg-, Zweifach- und Ladungstransferanregungen. Da jeder angeregte Zustand im Rahmen von ∆SCF einzeln zu optimieren ist, liefert die Methode bei hohen Zustandsdichten bisher jedoch keinen Vorteil.
Um die Zahl der zu betrachtenden elektronisch angeregten Zustände zu beschränken und zum Beispiel Charge-Transfer-Anregungen innerhalb der TDDFT zu beschreiben, könnten neu entwickelte Lokalisierungsansätze vielversprechend sein. Externe Bibliotheken ermöglichen zum Beispiel ohne Implementierungsaufwand sowohl den besetzten als auch den unbesetzten Orbitalraum zu lokalisieren.8) Basierend auf einer Minimalbasis werden mit unitären Transformationen intrinsische Fragmentorbitale aufgesetzt. Diese behalten die Dominanz der Diagonalelemente des TDDFT-Eigenwertproblems bei, definieren eindeutige Orbitalenergien und konvergieren hinsichtlich der Größe des virtuellen Raums schnell für Ladungstransferanregungen. Lokalisierungsmethoden sollten weiter für die Effizienz von Multireferenzansätzen als auch für NAMD-Simulationen ausgebaut werden: Sie generieren ausgehend von adiabatischen Zuständen eine diabatische Basis, welche wiederum eingesetzt werden sollte, um Energie- und Ladungstransferprozesse in Festkörpermaterialien zu simulieren.
Zahlreiche fundamentale und wegbereitende Forschungsbeiträge zur molekularen Quantenchemie prägten in den vergangenen Jahrzehnten das Forschungsgebiet der NAMD. Die anschließende Ausweitung auf die Beschreibung von Festkörpern, Oberflächen und kondensierten Systemen unter Annahme periodischer Randbedingungen wurde darauf aufbauend vorangetrieben, bedarf aber weiterer Entwicklungen. Allgemein bieten Surface-Hopping-Ansätze für die Simulation periodischer Systeme mit hoher Zustandsdichte hierbei den Vorteil, dass der elektronische Kerngradient nur für einen derzeit besetzten angeregten Zustand berechnet werden muss – im Gegensatz beispielsweise zur Ehrenfest-Dynamik. Bestehende Implementierungen beschränkten sich lange Zeit jedoch darauf, nicht-adiabatische Dynamik im Rahmen der Classical Path Approximation (CPA) zu beschreiben. Diese nimmt an, dass die Kerndynamik unabhängig vom elektronischen Gradienten erfolgt, dass Anregungsenergien als Differenz von Kohn-Sham-Energien und nicht-adiabatische Kopplungskonstanten basierend auf Kohn-Sham-Orbitalen berechnet werden können. Diese Näherung ist jedoch nur für langsame nicht-adiabatische Prozesse gültig, die ohne signifikante Strukturänderungen verlaufen. Neuere Entwicklungen über die CPA hinaus sind meist Schnittstellen quantenchemischer Programmpakete der Festkörperchemie zu Surface-Hopping-Programmen. Die Verknüpfung der GPW-basierten TDDFT-Methoden aus dem Programm CP2K mit dem NEWTON-X-Programmpaket kombiniert so etwa semi-empirische oder dichtefunktionalbasierte TDDFT-Ansätze mit verschiedenen Näherungen für Kopplungskonstanten. Numerische Kopplungskonstanten – basierend auf dem Orbital-Derivative-Ansatz – berechnen die Überlappmatrix zweier elektronisch angeregter Zustandswellenfunktionen aufeinanderfolgender Zeitschritte hierbei nicht als Überlappmatrix zweier Slaterdeterminanten, sondern als Überlappmatrix der entsprechenden Kohn-Sham-Orbitale. Dies steigert die Effizienz und ermöglicht so Rechenzeiten in der Größenordnung von Minuten, um einen NAMD-Schritt für mittelgroße Einheitszellen auszuführen. Dies ist beispielhaft in Abbildung 2 für einen Pyrazin-Kristall in der Größenordnung von 80 Atomen unter Berücksichtigung der untersten 80 angeregten Zustände dargestellt.9,10) Implementierungsarbeiten wurden um eine störungstheoretische Korrektur zur Berücksichtigung der Spin-Bahn-Wechselwirkung ergänzt,11) um künftig auch den elementaren Prozess des Intersystem-Crossings zu erfassen.
Vielversprechend wurden darüberhinaus weitere oft Python-basierte Surface-Hopping-Programmpakete vorangetrieben;12) für molekulare Systeme profitierten diese zudem von Entwicklungen im maschinellen Lernen.13) Letztgenannte haben sich für den Ausbau der Effizienz von NAMD-Simulationen etabliert.14)
Semi-empirische oder dichtefunktionalbasierte Moleküldynamiksimulationen bedürfen weiterer Methodenentwicklung, um Phänomene wie die Aufkonvertierung von Licht zu beschreiben und in der Tiefe zu erforschen. Unter Aufkonvertierung (Upconversion) von Licht versteht man die Umwandlung von Photonen niedriger Energie in solche höherer Energie. Der Begriff ist breit gefasst, und das zugehörige Forschungsfeld ist ein aufsteigender Forschungsast. In medizinischen Anwendungen ermöglicht Upconversion beispielsweise Bioimaging mit sehr niederenergetischem Licht, da das ausgestrahlte Licht – nun von höherer Energie – trotzdem hell genug ist, um tiefe Gewebsschichten zu durchdringen. So wird Gewebe nicht beschädigt, gleichzeitig ergeben sich neue Möglichkeiten zur Bildgebung. Ein weiteres Anwendungsgebiet umfasst die heterogene Katalyse. Ziel ist es hier, umweltfreundliche, energetisch günstige Bedingungen zu schaffen. Photokatalyse allein mit Sonnenlicht wäre das Ideal – mit Upconversion nähert man sich diesem. Ein bestehender allumfassender Makel bleibt jedoch die geringe Quantenausbeute bisher entwickelter Upconversion-Materialien.15) Abhängig von der vorliegenden Materialklasse ermöglichen verschiedene Prozesse die Aufkonvertierung von Licht (Abbildung 3): In Gerüstmaterialien mit organischen Molekülbausteinen liefert die Rekombination zweier Triplett-Zustände – die Triplett-Triplett-Annihilierung – einen energetisch höher liegenden Singulett-Zustand (Abbildung 3a); in photonischen Kristallen erfolgt die Aufkonvertierung über Zweiphotonenanregung (Abbildung 3b). Lanthaniddotierte Leuchtstoffe ermöglichen durch Energietransferkaskaden zwischen dotierten Lanthanidionen und Wirtsgitter die Aufkonvertierung (Abbildung 3c). Basierend auf den skizzierten grundlegenden Mechanismen ließ sich die Effizienz verschiedener Materialklassen steigern, beispielsweise durch Optimieren der periodischen Gerüst- oder Kristallstruktur, Ausnutzen photonischer und plasmonischer Moden oder durch die Kombination von Materialsystemen.16,17) Hierauf kann und soll ein theoretisches Verständnis dieser experimentellen Optimierungsansätze für die weitere Materialentwicklung wegweisend sein. Eine ausreichend genaue Erfassung statischer Korrelation stellt hier lediglich eine erste beispielhafte, weiterhin bestehende Herausforderung für die theoretische Chemie dar:
Eine allgemeine Schwierigkeit bei der Beschreibung elektronischer Anregungen ist es, den Multireferenzcharakter der offenschaligen Elektronenkonfiguration angeregter Zustände ausreichend zu erfassen. In der Dichtefunktionaltheorie ist daher die Beschreibung konischer Durchschneidungen fehlerbehaftet. Auch für die Betrachtung lanthaniddotierter Kristalle bedarf es – neben der Berücksichtigung relativistischer Effekte – passender Multireferenzmethoden, um neben dem offenschaligen Charakter der angeregten Zustände den entarteten Grundzustand zu erfassen. Complete-Active-Space-Ansätze mit variationeller Spin-Bahn-Kopplungskorrektur liefern für Lanthanidionen beispielsweise die untersten Anregungsenergien mit ausreichender Genauigkeit.18) Statische Korrelation wird meist erfasst, indem Dichtefunktionaltheorie mit Wellenfunktionsansätzen kombiniert wird, nämlich durch Bau der Konfigurationszustandsfunktionen ausgehend von einer Eindeterminanten- oder einer Mehrdeterminanten-Kohn-Sham-Referenzwellenfunktion. Multireferenz-Spin-flip-TDDFT(MR-SF-TDDFT)-Ansätze erweitern den Konfigurationsraum durch Berücksichtigung von Anregungen, die eine Umkehr des Elektronenspins implizieren. Sie ermöglichen im Vergleich zu konkurrierenden DFT/MRCI-Ansätzen effiziente Implementierungen analytischer Kerngradienten und Kopplungskonstanten.19) Daneben hat sich der von Granucci vorgeschlagene Ansatz zur Verwendung von Molekülorbitalen mit gebrochenzahliger Besetzung (Floating Occupation Molecular Orbital, FOMO) als Standardmethode für Surface-Hopping-NAMD-Simulationen an Molekülen durchgesetzt.20) Basierend auf den dargestellten Errungenschaften werden künftig ähnliche Ansätze zur Beschreibung periodischer Systeme etabliert werden – ein erster Schritt hin zur Beschreibung von Aufkonvertierungsprozessen in Festkörpermaterialien.
Welche Erkenntnis der letzten zwölf Monate war für Ihre Forschung besonders wichtig?
Trotz aller Vorgaben und Rahmenbedingungen muss man sich stets von der eigenen Neugierde und Begeisterung treiben lassen und diese Faszination an andere weitergeben, um gemeinsam neue Forschungsfelder voranzubringen.
Was würden Sie gerne entdecken oder herausfinden?
Die theoretische Beschreibung angeregter Zustände in Festkörpermaterialien als auch die damit verbundene Vielzahl an möglichen photochemischen Prozessen ist ein noch offenes, weites Forschungsfeld, das in vielerlei Hinsicht vorangebracht werden muss.
In welchem Gebiet erwarten Sie im nächsten Jahr die größten Entwicklungen und warum?
Der wachsende Werkzeugkasten der Quantenchemie zur Beschreibung angeregter Zustände in Festkörpermaterialien wird Einsichten in bestehende experimentelle Fragestellungen liefern, zum Beispiel hinsichtlich der Bedeutung nichtlinearer optischer Prozesse für die Aufkonvertierung von Licht.
Anna Hehn verfasste den Teil „Theoretische Spektroskopie“ der diesjährigen Trendberichte Theoretische Chemie. Sie leitet seit dem Jahr 2023 eine Nachwuchsgruppe an der Universität Kiel mit Fokus auf der Entwicklung quantenchemischer Methoden für die statische als auch dynamische Beschreibung angeregter Zustände von Festkörpern, Oberflächen und kondensierten Systemen mit Anwendungen im Bereich der heterogenen Katalyse. hehn@pctc.uni-kiel.de