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Silikone zu neuem Leben erwecken
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Von Schnuller und Handyhülle bis zu Baudichtstoff oder Herzschrittmacher – Silikone sind derzeit unverzichtbar. Aus Silikonabfällen Rohstoffe zurückzugewinnen, trägt zu einer umwelt- und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft bei.
Silikone, besonders solche auf Basis von Dimethylsiloxan-Polymeren, finden sich in etlichen Produkten. Silikone sind alterungsbeständig, flexibel und hydrophob. Das macht sie attraktiv für Anwendungen im Baugewerbe, in der Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, Elektronik, Kosmetik sowie Medizin.
Pro Jahr wächst die Silikonproduktion derzeit um fünf bis sechs Prozent. Im Jahr 2024 erreichte sie etwa drei Millionen Tonnen, das entspricht einem Umsatz von rund 20 Milliarden Euro.
Energieaufwendige Herstellung
Der Hauptbeitrag zur CO2-Bilanz von Silikonpolymeren liegt im Gewinnen metallischen Siliciums aus Quarzsand (Abbildung 1) – knapp zwei Drittel allen enthaltenen Kohlenstoffs (embodied carbon) entfallen darauf.1) Dazu zählt alles CO2, das über die Wertschöpfungskette beim Abbauen, Transportieren und Verarbeiten anfällt.
Jede produzierte Tonne Silicium verbraucht 10 bis 15 MWh Strom und setzt etwa vier bis fünf Tonnen CO2 direkt frei.2) Die indirekten Emissionen aus der Stromerzeugung tragen zudem erheblich zum CO2-Fußabdruck bei, wenn keine erneuerbaren Energien oder Kernenergie eingesetzt werden. Das Wachstum der Siliciumproduktion fand in den letzten 30 Jahren größtenteils in China statt. Wegen der dortigen kohlebefeuerten Stromerzeugung stiegen die globalen durchschnittlichen indirekten Emissionen beim Herstellen eines Kilogramms Silicium von 3,3 kg CO2-Äquivalenten im Jahr 1995 auf 6,3 kg im Jahr 2019.3) Bis zum Jahr 2021 sank dieser Wert weltweit wieder auf rund 4 kg CO2-Äquivalente pro Kilogramm Silicium und lag damit in der Größenordnung der direkten Emissionen.4)
Die Silikonindustrie will ihren Energieverbrauch sowie CO2-Fußabdruck verringern und setzt deshalb mehr regenerative Energien und biogene Kohlenstoffquellen ein. So nutzt das Unternehmen Dow Silicones beispielsweise Abfälle aus der Holzindustrie sowie Holz aus eigenen Eukalyptusplantagen, die sich innerhalb von sieben Jahren regenerieren. Brasilien produziert metallisches Silicium bereits ausschließlich mit Energie aus Holzkohle.
Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft lässt sich nur durch Silikonrecycling nach dem Waste-to-value-Prinzip erreichen – wenn also im Vergleich zum Ausgangsprodukt gleich- oder höherwertige Recyclingprodukte entstehen. Derzeit entsorgen wir die meisten ausgedienten Silikonprodukte noch durch Verbrennen, auf der Deponie oder über das Abwasser, anstatt sie stofflich zu verwerten. Sortenreine und saubere Silikonelastomere werden teils mechanisch recycelt. Dafür werden sie zerkleinert, etwa durch kryogenes Mahlen, und danach mit frischem Polymer und Additiven gemischt, um daraus neue Produkte herzustellen. Dabei verändern sich deren Oberfläche und Struktur: Sie werden etwa weniger dehnbar und brechen schneller, das heißt, es handelt sich um Downcycling.
Durch chemisches Recyceln lassen sich dagegen Rohstoffe regenerieren: Es braucht weniger importiertes Silicium, das die Europäische Kommission als kritischen Rohstoff einstuft. Das stärkt die strategische Autonomie der Europäischen Union (EU).
Silikone chemisch upcyceln
Chemisch lassen sich Silikone über Pyrolyse oder Depolymerisation recyceln.5,6) Pyrolyse zersetzt Silikone zwischen 300 und 800 °C thermisch. In einer sauerstofffreien oder -armen Umgebung entstehen durch Kondensation der flüchtigen Bestandteile Silikonoligomere sowie keramische Stoffe als Rückstand. Beim thermischen Zersetzen in sauerstoffreicher Atmosphäre bleibt Siliciumdioxid zurück. Die durch Pyrolyse gewonnenen anorganischen Rückstände eignen sich als Füllstoffe in neuen Silikonprodukten. Das keramische Material verbessert sogar die Hitzebeständigkeit des Produktes – es handelt sich um Upcycling.
In lineare oder cyclische Oligomere zerlegen lassen sich Silikonpolymere durch Depolymerisieren (Abbildung 2). Die Oligomere dienen gereinigt und aufgearbeitet dem Herstellen neuer Silikone. Für Depolymerisationen im Industriemaßstab sind Katalysatoren nötig, um die Reaktionsgeschwindigkeit und Ausbeute zu erhöhen. Die Reaktionen laufen dann bei 180 bis 250 °C ab, benötigen also weniger Energie als die Pyrolyse.
Ersten Schätzungen zufolge kann chemisches Recycling durch Depolymerisation bis zu 70 Prozent Energie gegenüber dem Herstellen von Silikonpolymeren aus Primärrohstoffen einsparen – und das sogar ohne Qualitätsverlust über mehrere Recyclingzyklen. Nach Angaben des Silikonrecyclingunternehmens Eco USA spart das Recycling von einer Tonne Silikonkautschuk 5774 kWh Energie, 2591 Liter Rohöl und etwa 2587 Kubikmeter Gas, was einer Heizenergie von 28 722 kWh entspricht.7) Einer Lebenszyklusanalyse des Unternehmens zufolge entstehen beim Herstellen einer Tonne Silikonöl 6079 kg CO2-Äquivalente, bei einer Tonne Silikonöl aus einem Recyclingprozess nur 1401 kg.8)
Silikonrecyclingmarkt weltweit
Der weltweite Recyclingmarkt für Silikone ist mit 100 000 bis 150 000 Tonnen deutlich kleiner als der Gesamtmarkt von 3 Mio. Tonnen. Ausgangsmaterial sind überwiegend Elastomere aus postindustriellen und wenigen postkonsumtiven Abfällen.
Im Jahr 2024 wurden weltweit rund 40 000 Tonnen Silikonabfälle recycelt. 60 bis 70 Prozent aller Silikonabfälle recycelt Asien, 20 bis 30 Prozent Nordamerika. Auf Europa entfallen 10 bis 15 Prozent der Recyclingaktivität. Die Verteilung lässt sich nicht allein durch die Größe des chinesischen Silikonmarktes erklären, sondern auch dadurch, dass Unternehmen Silikonabfälle verschiffen: Derzeit exportiert Europa zirka 6000 bis 10 000 Tonnen pro Jahr nach Südostasien.
Weltweit sind im chemischen Silikonrecycling geschätzt etwa zwei Dutzend Unternehmen aktiv – Start-ups ausgenommen. Gleichzeitig ist ein stetiger Zuwachs an silikonrecycelnden Unternehmen zu beobachten. Vor allem in China dürften sogar mehr Unternehmen Silikon recyceln als bislang bekannt.
Zwar sind die Akteure meist kleine und mittlere Unternehmen mit wenigen Mitarbeitenden. Regional können sie aber eine marktbeherrschende Rolle einnehmen.
Mit Kooperationen den Markt stärken
Die Nachfrage nach recycelten Silikonrohstoffen übersteigt das derzeitige Angebot, wie ein Leitfaden zur Kreislaufwirtschaft von Chemie hoch drei zeigt.9) Preise, die über dem Marktniveau liegen, sind die Kund:innen trotzdem nicht bereit, für Recyclingmaterialien zu zahlen. Weitere wesentliche Erkenntnisse der Studie: Recycelte Produkte setzen sich auf dem Markt nur langsam durch, weil potenzielle Käufer:innen Bedenken haben hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Qualität. Überwinden ließen sich diese Bedenken, wenn die Produkte mit einer vertrauenswürdigen Marke assoziiert würden – ein Grund, aus dem immer mehr Recycling-Start-ups mit etablierten Silikonrohstoff-Herstellern zusammenarbeiten. So kooperiert beispielsweise der Silikonhersteller Dow Silicones mit dem Recycling-Unternehmen Circusil10) und der Silikonproduzent Elkem mit mehreren Partnern im Rahmen des Projekts Repos (Ressourcement Polymères Silicones), das im Jahr 2023 die Auszeichnung für Zirkularität vom Europäischen Verband der Chemischen Industrie (CEFIC) erhielt.11)
Seit den frühen 2010er-Jahren sind digitale branchenübergreifende Business-to-Business-Marktplätze entstanden, die kollaborative Wertschöpfungsnetzwerke für die Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Vor allem kleinere Recyclingunternehmen nutzen diese Plattformen. Die meisten großen Silikonhersteller haben bereits virtuelle Plattformen für den Handel mit Neupolymeren und Endprodukten. In Zukunft integrieren sie wahrscheinlich auch den Recyclingmaterial-handel in ihre digitalen Geschäftsmodelle.
Recycling industriell umsetzen
Um die Wettbewerbsfähigkeit chemisch recycelter Silikone im Vergleich zu neu aus Primärrohstoffen hergestellten zu maximieren, gilt es, Prozesse und Produktqualität zu optimieren.
Unterschiedliche Formulierungen und etliche Additive machen Silikonabfallströme heterogen, was die Effizienz des Rückgewinnens beeinträchtigt. Silikonoligomere von festen Materialien wie Füllstoffen und Pigmenten zu trennen, ist besonders schwierig. Um vom Recycling im Labormaßstab zum industriellen Recycling überzugehen, braucht es daher Prozessanlagen, die mindestens 10 bis 50 Tonnen heterogener Silikonabfälle trennen, reinigen und verarbeiten. Die Variabilität des Ausgangsmaterials nimmt in großen Anlagen zu, denn es ist mehr verschiedenes Material auf einmal zu verarbeiten. Deshalb sind flexible Prozesslösungen nötig, etwa zusätzliche Trenn- oder Reinigungsschritte.
Auch das systematische Überwachen und Steuern der Qualität sind entscheidend für eine gleichbleibende Qualität des Endprodukts. Um eine sichere Versorgung mit Rohstoffen zu gewährleisten, sind das Sammeln, Transportieren und Lagern der Silikonabfälle gut zu organisieren und koordinieren. Für einen ökonomischen Recyclingprozess sind Maßnahmen zur Kostensenkung zu identifizieren, etwa Nebenprodukte aus dem Recycling zu verwerten. Auch sind beim Recycling – genauso wie beim Produzieren aus Primärrohstoffen – komplexe gesetzliche Bestimmungen zu Emissionen und Abfällen einzuhalten.
Regulatorisches Umfeld
Im Juni 2018 stufte die Europäischen Chemikalienagentur (Echa) die Silikonoligomere Octamethylcyclotetrasiloxan (D4), Decamethylcyclopentasiloxan (D5) und Dodecamethylcyclohexasiloxan (D6) als besonders besorgniserregend ein.
Der Europäische Gerichtshof bestätigte diese Einstufung im November 2023. Deswegen dürfen diese Silikonoligomere ab Juni 2026 nicht mehr in Verkehr gebracht werden – und zwar weder als Reinstoffe noch als Bestandteile anderer Stoffe oder Gemische, falls sie in einer Konzentration von 0,1 Massenprozent oder mehr vorliegen. Ausnahmen gibt es aber: Als Ausgangsstoffe für Silikonpolymere dürfen die genannten cyclischen Silikonoligomere weiter industriell verwendet werden.12)
Die Europäische Kommission erwägt nun allerdings, der Europäischen Union vorzuschlagen, die cyclischen Siloxane D4, D5 und D6 in die Stockholmer Konvention aufzunehmen.13) Diese soll persistente organische Schadstoffe (POPs) verbieten oder in ihrer Nutzung einschränken und deren Freisetzung in die Umwelt verhindern. Die Aufnahme der Siloxane könnte daher nicht nur die Verfügbarkeit neuer Silikonprodukte einschränken, sondern auch das Transportieren, Recyceln und Entsorgen von Silikonen.
Obwohl die Stockholmer Konvention unbeabsichtigte Spurenverunreinigungen in Produkten von den Anforderungen ausnimmt, fehlt eine klare Definition solcher Verunreinigungen. Sollten die zulässigen Grenzwerte unrealistisch niedrig angesetzt werden, würden alle Silikonabfälle als gefährlich eingestuft und würden verbrannt werden müssen anstatt recycelt.
Zudem müssten Verfahren, bei denen die cyclischen Oligomere anfallen, möglicherweise verboten werden – ein Widerspruch zur Kreislaufwirtschaft. Ebenso betroffen wäre der Handel mit Abfällen, die cyclische Siloxane enthalten.14)
Silikonoligomere als POPs zu klassifizieren, könnte also den Fortschritt des Silikonrecyclings und der Kreislaufwirtschaft gefährden. Erforderlich ist daher eine proaktive Regulierung, die zwar Umweltstandards definiert, aber chemisches Recycling weiter zulässt.
Silikonrecycling erforschen
Die Forschung zum Weiterentwickeln des chemischen Recyclings konzentriert sich auf das Optimieren katalytischer Systeme. Um industriell tragfähige Lösungen umzusetzen, sollte das Augenmerk auf andere Aspekte gelegt werden: leistungsfähige kostengünstige Katalysatoren für die Depolymerisation zu entwickeln sowie Techniken, die das Abtrennen der Silikonoligomere von Füllstoffen und Verunreinigungen erleichtern. Kombinationen aus chemischem und mechanischem Recycling könnten zudem die Rezyklatausbeute erhöhen.
Um unterschiedliche Recyclingverfahren ökologisch und ökonomisch zu vergleichen und bewerten, sind umfassende Lebenszyklusanalysen nötig. Diese können als Grundlage für nachhaltige Prozessinnovationen dienen, um die Energieeffizienz zu steigern, die Betriebskosten zu senken und die Umweltauswirkungen zu minimieren.
AUF EINEN BLICK
Depolymerisation von Silikonen gewinnt Oligomere zurück, die sich in die Produktion zurückführen lassen.
Die derzeitige Forschung optimiert katalytische Systeme und vernachlässigt industriell praktikable Recyclingverfahren.
Die Zusammenarbeit von Start-ups und etablierten Unternehmen kann helfen, Recyclinganlagen im kommerziellen Maßstab zu errichten.
Eine Regulierung von Silikonoligomeren sollte Umweltstandards durchsetzen, aber trotzdem chemisches Recycling ermöglichen.
Der Autor
Andreas T. Wolf ist promovierter Chemiker und war 36 Jahre bei Dow Corning (heute Dow Silicones) in verschiedenen Positionen als Gruppenleiter und Wissenschaftler tätig. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als selbstständiger Berater.
- 1 E. Cutri, V. Hayez, J. Vetterli, P. Willareth, Conference Proceedings Glass Performance Days 2023, Tampere, Finnland: t1p.de/y6frn
- 2 L. Bernstein, J. Roy, K. C. Delhotal et al., Industry, in: Climate change 2007: Mitigation. Contribution of working group III to the fourth assessment report of the intergovernmental panel on climate change, 2007. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, USA
- 3 G. Sævarsdottir, H. Kvande, T. Magnusson, Proceedings of the 16th International Ferro-Alloys Congress (INFACON XVI)x 2021: t1p.de/ldmxe
- 4 S. Riahi, J. A. Mckenzie, S. Sandhu, P. Majewski, Sus. Mat. & Techn. 2023, 36, e00646, doi: 10.1016/j.susmat.2023.e00646
- 5 S. Salahudeen, T. A. Thiel, E. Mejía, RSC Sustain. 2024, 2, 1904, doi: 10.1039/D4SU00093E
- 6 A.T. Wolf, A. Stammer, Polymers 2024, 16, 222, doi: 10.3390/polym16152220
- 7 W. Knott, H. Dudzik, D. Schafer, Process for Recycling Silicones. U.S. Patent No. 11, 286, 366 B2, 29 March 2022
- 8 A. Cheng, Rubber World 2021, 06:t1p.de/9qhvn
- 9 Leitfaden Kreislaufwirtschaft von Chemie hoch drei: t1p.de/548kf
- 10 Zur Meldung von Rubber News: t1p.de/4hik2
- 11 Zu Repos: t1p.de/ja0jd
- 12 Zur Regulierung der Silikonoligomere: t1p.de/lnv45
- 13 Zum Positionspapier der Deutschen Bauchemie: t1p.de/f1rfz
- 14 Zur Baseler Konvention zur Verbringung gefährlicher Abfälle: t1p.de/j4e2c
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