Industrie + Technik

Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – kurz VUCA – prägen derzeit das wirtschaftliche Umfeld der europäischen Chemieindustrie. Energiepreise, geopolitische Lage, technische Entwicklungen und gesellschaftliche Erwartungen verändern sich schnell, ebenso wie regulatorische Anforderungen, etwa durch die EU-Richtlinie, die Unternehmen verpflichtet, über ihre Nachhaltigkeitsziele zu berichten. Daher bewerten Unternehmen und Kunden den Industriestandort Europa neu. Sie prüfen Kunden- und Lieferantenbeziehungen, kündigen manche und bauen andere neu auf. Strategisch zu planen ist wie ein Schiff durch dichten Nebel zu navigieren.Für Chemieunternehmen entscheidend ist, zu bewerten, wie sich internationale Entwicklungen auf nationale Märkte auswirken, gesellschaftliche Frühwarnsysteme zu etablieren und Organisationen umzugestalten. Wer in VUCA-Zeiten bestehen will, muss Agilität leben, etwa interdisziplinäre Teams etablieren und einen offenen Dialog zwischen Forschung, Produktion und Markt fördern. Lernen und Wandel sind Daueraufgaben.Auch für die Mitarbeitenden verändern sich die Spielregeln. Wissen und Erfahrung in einem engen Fachgebiet reichen langfristig nicht, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Es gilt, sich ständig weiterzubilden und -entwickeln, interkulturell agieren zu können und wirtschaftliche, ökologische sowie gesellschaftliche Aspekte von Innovationen gleichermaßen zu berücksichtigen. Studien zeigen: Personen, die in unterschiedlichen Ländern oder Branchen Erfahrungen gesammelt haben, manövrieren in dynamischen Umfeldern erfolgreicher als solche, die nur in einem Land oder einer Branche tätig waren.Studierende der Wirtschaftschemie oder Nachwuchsmanagerinnen und -manager, die die eigene Karriere planen, sollten ihre Karriere international anlegen. Die Wachstumsmärkte für chemische Innovation liegen zunehmend auch außerhalb Europas: in Asien, im Mittleren Osten und in den USA. Impulse von dort prägen künftig auch den europäischen Markt. Das wirkt sich auf die Qualifikationen aus, die Mitarbeitende mitbringen müssen.Für die nächste Generation in der Chemie heißt das: die eigene Perspektive weiten, Entwicklungen der Technik und des Marktes nicht nur im Heimatland beobachten, in internationalen Teams arbeiten und früh Erfahrungen in anderen Ländern machen, etwa durch Praktika oder Studienaufenthalte im Ausland oder internationale Projekteinsätze. In der VUCA-Welt kann nur navigieren, wer Wandel als Normalzustand begreift. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Individuen.Hannes Utikal ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Provadis-Hochschule in Frankfurt am Main und leitet das dortige Zentrum für Industrie und Nachhaltigkeit. Er ist Mitglied im Kernteam der GDCh-Vereinigung Chemie und Wirtschaft und führt uns mit dieser Kolumne im Wechsel mit Rolf Albach und Stephan von Delft durch die Welt der Wirtschaftschemie.

Der Wirtschaftschemiker

Navigieren im Nebel

Plastik mit UV-Licht abbauen | Ein Team der Universität Kyoto hat alternierende Terpolymere aus Acrylamid-, Keton- und Vinyleinheiten synthetisiert. Diese sind hitzebeständig und durch Bestrahlen mit 365-nm-UV-Licht abbaubar. Sie könnten sich als Material für Konsumgüter eignen.J. Am. Chem. Soc., doi: 10.1021/jacs.5c13090Böden dekontaminieren | Eine Arbeitsgruppe der japanischen Atomenergie-Behörde hat die Dekontamination radioaktiv belasteter Böden durch Ionenaustausch im Vakuum beschleunigt. 137Cs-belastete Bodenproben aus Fukushima ließen sich mit Natriumchlorid bei 1173 Grad Kelvin im Vakuum in zwei Stunden zu 96 % dekontaminieren, an Luft nur zu 23 %. Die Forschenden wollen die bisherigen Versuche in Schmelzrohren nun skalieren.J. Environ. Manag., doi: 10.1016/j.jenvman.2025.126060Olefine umweltfreundlicher herstellen | Forschende der Universität Peking haben die Fischer-Tropsch-Synthese für Olefine umweltfreundlicher und wasserstoffökonomischer gemacht. Sie nutzten natriummodifizierte FeCx@Fe3O4-Kern-Schale-Nanopartikel, die die Reaktion von Synthesegas (CO und H2) zu Olefinen katalysieren und H2 in situ aus dem entstehenden Wasser erzeugen. Das braucht weniger Wasserdampf zum Herstellen des Synthesegases, erzeugt weniger Abwasser und reduziert die CO2-Emissionen. Der Umweltfaktor, mit dem sich die Nachhaltigkeit chemischer Prozesse bewerten lässt, sinkt dadurch verglichen mit bisherigen Katalysatoren um 46 Prozent.Science, doi: 10.1126/science.aea0774Plastikzersetzende Bakterien | Bakterien, die Plastik abbauen, lassen sich mit einer neuen Methode innerhalb von Stunden statt Wochen identifizieren. Dazu nutzten Forschende aus China Magnetkügelchen, deren Oberfläche sie zuerst mit Calciumphosphat imprägnierten und dann mit dem abzubauenden Kunststoff beschichteten. Zersetzen Bakterien die Kunststoffschicht, setzen die Kügelchen Calciumionen frei, die sich potentiometrisch detektieren lassen.Anal. Chem., doi: 10.1021/acs.analchem.5c04596Rolf Schmid, <a href="https://window-to-china.de" target="_blank">window-to-china.de</a><a href="https://window-to-japan.eu" target="_blank">window-to-japan.eu</a>

Meldung

Blick nach Asien

Das Chemieunternehmen BASF baut in Ludwigshafen eine Anlage für Ammoniumhydroxid Electronic Grade (NH4OH EG). Es dient dazu, in der Halbleiterfertigung Wafer zu reinigen und zu ätzen (Foto). Der Betrieb soll im Jahr 2027 starten. Zu den Kosten gibt es keine Informationen.<img alt="image" src="https://eu-central-1.graphassets.com/Aype6X9u2QGewIgZKbFflz/cmimp23vcwleh07ulh1jfbxhv">Ammoniumhydroxidlösung zum Reinigen auf einem Wafer. Foto: BASF

BASF

Ammoniumhydroxid

Von Januar bis August sanken die Umsätze der deutschen Chemieindustrie im Inland um 2,9 %, der Auslandsumsatz um 3,3 %. Insgesamt ging der Chemieumsatz dem Verband der Chemischen Industrie zufolge um 3,1 % zurück, während der Pharmaumsatz um 5,5 % stieg (Grafik). Pharmaunternehmen setzten im Inland 9,1 % mehr um, im Ausland 4,0 %. In der Chemieindustrie blieben die Auslandsumsätze in allen Regionen hinter denen des Vorjahrs zurück. Dies zeigte sich besonders in Nordamerika, wo US-Zölle den Absatz erschwerten.<img alt="image" src="https://eu-central-1.graphassets.com/Aype6X9u2QGewIgZKbFflz/cmimp1hnlw17q07t4px5y8fcq">Zum Chemiebarometer: <a href="https://t1p.de/b21tj" target="_blank">t1p.de/b21tj</a>

Chemie- und Pharmakonjunktur

Auf dem Gelände der Bayernoil-Raffinerie in Vohburg an der Donau soll die weltweit größte Dehydrierungsanlage für flüssige organische Wasserstoffträger (liquid-organic hydrogen carrier, LOHC) entstehen. Sie soll pro Tag bis zu fünf Tonnen H2 freisetzen. Das entspricht 1800 t Wasserstoff pro Jahr. Dieser soll in der Raffinerie den aus Erdgas gewonnenen Wasserstoff ersetzen und damit bis zu 16 000 t CO2 pro Jahr einsparen. Die Anlage soll Mitte 2028 in Betrieb gehen. Sie basiert auf der LOHC-Technik des Erlanger Unternehmens Hydrogenious mit Benzyltoluol als Trägermaterial.Maren Bulmahn <a href="mailto:mb@mb-recherche.de">mb@mb-recherche.de</a>

Wasserstoff freisetzen

Gemeinsam biobasierte Hydraulikflüssigkeiten entwickeln wollen der Stuttgarter Anbieter von Antriebs- und Steuerungstechniken Bosch Rexroth und der Schmierstoffhersteller Petronas Lubricants International (PLI) aus Malaysia. Die Fluide dienen etwa Landmaschinen als biobasierte Alternativen zu mineralölbasierten Hydraulikflüssigkeiten.

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