Gesellschaft Deutscher Chemiker

Prozesstechnik

Kesselkaskaden

Nachrichten aus der Chemie, Januar 2022, S. 44-45, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Einem Prozess Ausgangsstoffe kontinuierlich zuzuführen und Produkte ebenso zu entnehmen, statt Charge für Charge zu produzieren, bietet Vorteile. Kontinuierliche Prozesse brauchen dazu eine andere Analysentechnik, und oft ist es besser, beide Methoden zu kombinieren.

Kontinuierliche Fertigung (Continuous Manufacturing) ist in den letzten Jahren wieder aktuell geworden. Dabei helfen digitale Techniken und die Vernetzung vieler Geräte zu komplexen und dennoch beherrschbaren Gesamtsystemen. Kontinuierliche Wirbel- und Strahlschichtanlagen etwa zum Trocknen oder Granulieren gibt es seit dreißig Jahren.

Die Agroindustrie setzt auf kontinuierliche Sprühgranulation, um Düngemittel- und Pestizidpellets herzustellen. Ähnlich läuft es bei der Fertigung von Waschmittelkomponenten, darunter hochviskose und klebrige Tenside, rieselfähige Füllstoffe und staubfreie, zum Teil beschichtete Enzyme.

Die Lebensmittelindustrie agglomeriert Pulver kontinuierlich. Beispiele sind Vitaminformulierungen, getrocknete Probiotika, Kaffeepulver für Kaffeekapseln oder Spezialpulver, um die Löslichkeit von Getränkepulvern, Hydrokolloiden, Süßstoffen und tablettierfähigen Zuckeraustauschstoffen zu verbessern.

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Anlage von Pfizer in Freiburg mit kontinuierlicher Tablettierung. Foto: Pfizer

Kontinuierlich vorteilhaft

Mit der Umstellung von Batchprozessen auf kontinuierliche Fertigung lassen sich Kostenvorteile realisieren, der Reinigungsaufwand senken, Ausbeuten erhöhen und die Selektivität verbessern, etwa bei enantiomerenreinen Produkten. Zudem können Qualität und Reinheit steigen wie bei der Mikroverkapselung von Nahrungsergänzungsmitteln.

Entscheidend ist oft: Das Unternehmen kommt mit weniger Prozessschritten aus, darunter weniger Lösungsmittelwechsel und keine Silo-Zwischenlagerung. Dazu ein Beispiel aus der Tablettenherstellung: Im Teilprozess „Mischen, Granulieren, Tabletten pressen und beschichten“ verschmelzen beim kontinuierlichen Arbeiten der Mischer und die Walzenpresse (Kompaktor) zu einer Einheit. Dabei entfällt die Granulation, denn dieser Zwischenschritt war ja nur dazu da, Entmischungen zwischen den separaten Vorgängen „Mischen“ und „Kompaktieren“ zu vermeiden.

Verfahren kombinieren

Hersteller müssen sich nicht zwischen chargenweise und kontinuierlich entscheiden; beides lässt sich kombinieren. Ein Beispiel ist die Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammaschen mit anschließendem Überführen in anwendungsbereite Phosphatdünger (Phos4green-Verfahren): Das Aufbereiten der Suspension und der Aufschluss erfolgen im Batchverfahren; das Trocknen und die Aufbaugranulation der Suspension zu staubfreien, kompakten und rieselfähigen Düngergranulaten laufen gleichzeitig und kontinuierlich.

Batch- und Contiprozesse zu mischen eignet sich auch für die biotechnische Impfstoffherstellung. „Um das Risiko zu minimieren, setzen viele auf den Batchbetrieb“, erläutert Gudrun Ding, Head of Business Development Process Technology, Glatt Ingenieurtechnik, Weimar. Sie verweist auf die überschaubaren Volumina, auf leicht zu reinigende Behälter mit kleinen Toträumen und auf Einwegvarianten. Nachgelagerte Schritte wie Reinigung, Konzentration und Endverpackung bieten sich dagegen für die kontinuierliche Prozessführung an.

Langsames Umstellen bei Pharma

Wegen der hohen regulatorischen Anforderungen gilt der Pharmabereich als besonders konservativ. Unternehmen überlegen es sich dreimal, bevor sie einen Prozess umstellen. Doch sieht beispielsweise Christoph Wabel, Leiter der Herstellung bei Pfizer in Freiburg, jetzt einen Aufbruch. „Viele Behörden unterstützen dies und klären neue Standards mit uns im Dialog“, sagt er.

In Freiburg hat er mit seinem Team die Produktion von Kapseln und Tabletten auf Continuous Manufacturing umgestellt (Abbildung). Im Ergebnis bedeutet dies mehr Prozesskontrolle und -verständnis sowie, verbunden damit, sicherere Fehlervermeidung. Das funktioniert in der Praxis folgendermaßen: Die Daten eines Durchflussmessers werden mit anderen prozessanalytischen Parametern und einer Auswertungssoftware kombiniert. Diese macht schnell erkennbar, wenn ein Prozess aus dem Ruder zu laufen droht. Dann werden rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen. Bei Batchprozessen muss dagegen eine missratene Charge am Prozessende als OOS (out of specification) bewertet und verworfen werden.

Bei diesem Beispiel handelt es sich um Feststoffarzneimittelherstellung (Solidafertigung). In diesem Bereich gilt Continuous Manufacturing als schwierige Ausnahmedisziplin. Leichter lässt sich eine Flüssigarzneimittelproduktion (Liquidafertigung) umstellen. Bei Pfizer werden inzwischen schon Neuheiten gezielt auf ein späteres Continuous Manufacturing hin entwickelt.

Eine Ausnahme bildet die Herstellung in Freiburg auch, weil sie so flexibel ist. Während in der Großchemie oder Lebensmittelbranche eine kontinuierliche Fertigung so lange wie möglich läuft und erst bei Problemen gereinigt wird, fährt Pfizer seine Anlage nach Tagen oder zumindest Wochen, zuweilen sogar täglich herunter, um sie für ein neues Produkt wieder hochzufahren. Dies zeigt: Eine kontinuierliche Produktion lässt sich sogar als Multi-Purpose-Anlage betreiben.

Generell bleibt die Pharmabranche vorsichtig. Für eine durchgehend kontinuierliche Herstellung müssten zum Beispiel alle Lohnhersteller miteinbezogen werden. Zudem liefert die Pharmaindustrie im Vergleich zur Großchemie in der Regel einen kleineren Output. Da rechnet sich der regulatorische Aufwand für die Umstellung von Batch auf Conti nicht so schnell. Darum dürfte es nach Einschätzung von Wabel noch einige Jahre dauern, bis sich zwischen Pharmaindustrie und Behörden ein Einvernehmen etabliert hat, das die Umstellung dann beschleunigen wird.

Redundanz

Auch beim Continuous Manufacturing steckt der Teufel oft im Detail. Läuft etwa ein Prozess kontinuierlich, wenn regelmäßig ein Filter zu wechseln ist? Liegt nicht vielmehr ein per se diskontinuierlicher Vorgang vor? Für solche Detailfragen gibt es Lösungen – beispielsweise: Statt eines Einzelfilters lässt sich ein Filter-Revolver einbauen. Ähnlich lässt sich generell mit ausfallgefährdeten Teilen oder Teilprozessen verfahren: Das Unternehmen schließt die Kette, indem es redundante Systeme verwendet. Fällt eines aus, wird es repariert, während ein anderes seine Aufgaben übernimmt.

Neue Prozessanalysentechnik

Eine weitere Voraussetzung für die Einführung kontinuierlicher Prozesse ist die Analytik. Sie unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der diskontinuierlichen Produktion. Die Prozessanalysentechnik (PAT) berücksichtigt für das Continuous Manufacturing immer den zeitlichen Verlauf. Zum Beispiel bestimmt für einen Batch-prozess eine Waage eine Masse in Gramm; für einen kontinuierlichen Prozess liefert der Feststoffdosierer einen Massenstrom in Gramm pro Sekunde, also die erste Ableitung der Masse nach der Zeit. Mit PAT ist eine kontinuierliche Herstellung, wenn sie erst einmal läuft, nur noch zu überwachen. Wenn die Prozesskette von A bis Z geschlossen ist, minimieren sich manuelle Tätigkeiten im Umfeld der Anlage.

Damit reduzieren sich die Berührungspunkte der Mitarbeiter mit potenziell gefährlichen Stoffen. Zudem lässt sich beim Continuous Manufacturing der gesamte Prozess in ein Containment einhausen. Gefährliche Zwischenprodukte sind in kleineren Mengen als bei Batchprozessen vorhanden, werden direkt weiterverarbeitet und können nicht nach außen dringen. So bieten sich aus Arbeitsschutzgründen besonders kritische Prozesse wie Hydrierungen, Lithiierungen oder Nitrierungen für die kontinuierliche Herstellung an.

Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.

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