Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Problem oder Chance

Nachrichten aus der Chemie, Januar 2024, S. 38-40, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Für Chemieunternehmen, die einzelne Chemikerin und den einzelnen Chemiker verändert sich im Nachhaltigkeitsbereich viel, darunter neue Berichtspflichten und Chemikalienverordnungen. Wer sich früh damit beschäftigt, kann wachsen. Sonst gehen Kunden und Anschluss verloren.

Politische Initiativen, gesetzliche Vorgaben und die Gesellschaft fordern von Unternehmen, verstärkt Verantwortung zu übernehmen: etwa dafür, Menschenrechte einzuhalten und Klimaziele zu erreichen. Diese unternehmerische Nachhaltigkeit muss organisiert werden, über alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit: Ökologie, Soziales und Ökonomie.

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Grafik: leowolfert / Adobe Stock

Nachwuchskräfte können sich beim Entwickeln und Umsetzen einer Nachhaltigkeitsstrategie in ihrem Unternehmen verdient machen. Berufseinsteiger und Menschen mit einigen Berufsjahren Erfahrung – Unternehmenslenker von morgen – qualifizieren sich so für höhere Aufgaben, Zudem erhalten sie einen Überblick über das Unternehmen. Dafür bedarf es neben einer hohen Motivation einer Qualifikation in Nachhaltigkeitsmanagement und seinen Werkzeugen.

Unternehmen profitieren davon, sich frühzeitig mit Nachhaltigkeitsmanagement auseinanderzusetzen. So können sie sich anpassen an

gesetzliche Regelungen,Kundenanforderungen,Zugang zu Kapital undregulatorische Änderungen für die Chemieindustrie, darunter neue Chemikalienverbote.

Ein weiterer Punkt ist der Fachkräftemangel und daraus resultierender Wettbewerb um die Fachkräfte. Junge Menschen suchen Aufgaben und Unternehmen, mit denen sie sich identifizieren können, und sich um Nachhaltigkeit zu kümmern, kann bedeuten, die Nase vorn zu haben.

Berichtspflicht für Nachhaltigkeit

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) trat im Januar 2023 in Kraft und verpflichtet Unternehmen, Informationen offenzulegen zu sozialen und ökologischen Risiken und Chancen ihrer Tätigkeit sowie deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.1) Investoren und andere Interessengruppen erhalten so Zugang zu Daten, um Unternehmenswirkungen und finanzielle Risiken im Zusammenhang mit Klimawandel und anderen Nachhaltigkeitsaspekten zu bewerten.

Im Jahr 2025 müssen börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern für das Geschäftsjahr 2024 über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten berichten. Ab dem Jahr 2026 werden börsennotierte wie nicht börsennotierte Unternehmen berichtspflichtig, die zwei dieser drei Merkmale erfüllen: mehr als 250 Mitarbeiter, 25 Mio. Euro Bilanzsumme, 50 Mio. Euro Umsatz. Das trifft bereits kleinere Mittelständler. Bei börsennotierten Unternehmen sinken die Grenzen ab dem Jahr 2027 weiter, und zwar auf mehr als 10 Mitarbeiter, 437 500 Euro Bilanzsumme oder 875 000 Euro Umsatz.

Die Aufgaben sind umfangreich, allein das PDF für den Berichtsstandard hat 247 Seiten. Qualifizierte Unterstützung beschleunigt den Aufbau des Nachhaltigkeitsmanagements. Berater können darauf achten, dass sich Mittelständler nicht überfordern, sondern sich zunächst auf die nötigsten Maßnahmen beschränken. Aus Erfahrung empfiehlt sich ein Probedurchgang: eine Nachhaltigkeitsbroschüre ein bis zwei Jahre vor dem verpflichtenden Termin veröffentlichen. So sind die Unternehmensorganisation und die Öffentlichkeit vorbereitet. Training ist das Beste.

Sorgfalt in der Lieferkette

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gilt für Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland sowie für Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen. Seit dem Jahr 2023 müssen Unternehmen mit mindestens 3000 Mitarbeitern das Gesetz befolgen, ab dem Jahr 2024 gilt dies ab 1000 Mitarbeitern.2)

Unternehmen sind dann verpflichtet, ihre Lieferketten auf Risiken für Menschenrechte und Ökologie zu prüfen. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um diese Risiken zu minimieren und Verstöße zu verhindern. Dies erfordert eine umfassende Risikoanalyse und die Lieferantenbewertung.

Die Risikoanalyse ist jährlich durchzuführen; sie umfasst die eigenen Risiken und die bei direkten Lieferanten. Ein Verhaltenskodex für Lieferanten kann dann zum Beispiel ein Werkzeug sein, dass sie verpflichtet, die gesetzlichen Pflichten einzuhalten. Auf EU-Ebene diskutieren die Europäische Kommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament, die Geltungsgrenze auf bis zu 250 Beschäftigte zu senken.

Druck zur Zertifizierung

Beispiele aus der Praxis zeigen, warum Unternehmen frühzeitig mit der gesetzlich vorgeschriebenen Berichterstattung beginnen sollten. Auch Unternehmen, die nicht dazu verpflichtet sind, sollten sich mit dem Nachhaltigkeitsmanagement beschäftigen.

Ein Diagnostik-Mittelständler etwa erhält immer häufiger Nachfragen zu seinen Nachhaltigkeitsaktivitäten. Obwohl er erst ab dem Jahr 2026 berichtspflichtig ist, machen Kunden Druck. Die Frage nach CO2-Emissionen lässt sich leicht beantworten. Schwieriger zu behandeln ist der Wunsch bis hin zum Zwang, sich unreflektiert den Science-based Targets zu verpflichten, einem Ansatz für Unternehmen, die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen auf wissenschaftlicher Grundlage zu berechnen.

Unternehmen sollten jetzt die Basis für eine durchdachte Nachhaltigkeitsstrategie legen und sich nicht von Kunden treiben lassen.

Ein anderes Unternehmen – nicht berichtspflichtig, weil es klein ist – kommt möglicherweise nicht an einem Nachhaltigkeitsmanagementsystem vorbei. Denn ein Kunde aus der Pharmabranche trat an das Unternehmen heran: Ohne ein zertifiziertes Nachhaltigkeitsmanagementsystem drohe in den nächsten drei Jahren die Auslistung aus der Lieferantenliste.

Zugang zu Kapital

Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselfaktor für das Risikomanagement von Investoren. Dies sagte Katharina Nickel, bei der europäischen Bank BNP Paribas zuständig in Deutschland für das Thema Nachhaltigkeit. Auf den Deutschen Biotechnologietagen 2023 meinte sie, wesentliche Risiken zu identifizieren und Nachhaltigkeitsinformationen offenzulegen, seien für Unternehmen von entscheidender Bedeutung.

Michael Nettersheim, Managing Partner des Risikokapitalfonds European Circular Bioeconomy Fund, zufolge werden Nachhaltigkeitskriterien immer wichtiger für Investoren, die Beteiligungskapital für Start-ups geben (Venture Capital). Da Investoren transparente und konsistente Berichte abgeben müssten, benötigten sie diese auch von ihren Portfolio-Unternehmen.

Unternehmen ohne solches Berichtswesen (Reporting) werden Probleme mit dem Zugang zu Eigen- und Fremdkapital bekommen. Oder sie müssen mit einem erhöhten Zinssatz oder mehr Anteilen am Unternehmen für das gleiche Geld rechnen als Unternehmen mit Reporting. Für Unternehmen mit etablierten Nachhaltigkeitsmanagement entstehen dagegen Chancen, denn ihr Zugang zum Kapital wird sich entsprechend vereinfachen.

Besondere Regularien für Chemie

Für Chemieunternehmen besonders wichtig ist, einen Prozess zu etablieren, um von neuen Regularien zu erfahren. Denn alle Verbote, darunter das drohende der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), beeinflussen das Nachhaltigkeitsmanagement. Darauf sollten Unternehmen sich vorbereiten.

Regularien wie das EU-Rahmenwerk „safe and sustainable by design chemicals and materials“, das Forschung und Entwicklung sowie die Produktion beeinflussen wird, oder die Chemicals Strategy for Sustainability (CSS) werden die Industrie verändern. Wie eine Studie zeigt, könnten über die CSS bis zu 12 000 Substanzen verboten werden.3) Ein Frühwarnprozess gibt die Gelegenheit, Produkte rechtzeitig umzustellen, um nicht einem Verkaufsverbot zu unterliegen. Wer frühzeitig Alternativen entwickelt, kann sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Die Legislative hält Neuerungen bereit, auf die sich alle einstellen müssen: Unternehmen aller Größen und ihre Mitarbeiter. Wie jede Neuerung lässt sich auch diese als Problem oder als Chance betrachten. So oder so sollten die Beteiligten keine Zeit verlieren und aufgrund der vorgeschriebenen Analysen ein Nachhaltigkeitsmanagement etablieren.

Glossar: Abkürzungen rund um Nachhaltigkeit

CSDDD: Corporate Sustainability Due Diligence Directive, EU-Richtlinie zur Sorgfalt in der Lieferkette.

CSR: Corporate Social Responsibility, unternehmerische Nachhaltigkeit integriert Umwelt- und Sozialaspekte in sämtliche Aspekte des Unternehmenshandelns.

CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive, EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung.

CSS: Chemicals Strategy for Sustainability, Europäische Chemikalienstrategie für eine schadstofffreie Umwelt als Teil des EU Green Deal.

DNK: Deutscher Nachhaltigkeitskodex, branchenübergreifender Transparenzstandard für die Berichterstattung unternehmerischer Nachhaltigkeitsleistungen.

ESG: Environment, Social, Governance (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung), bedeutet und bezieht sich auf drei Verantwortungsbereiche von Unternehmen, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen.

ESRS: European Sustainability Reporting Standards, Berichtstandards zur Einhaltung der CSRD.

GRI: Global Reporting Initiative, gemeinnützige Multi-Stakeholder-Stiftung, die global verpflichtende Richtlinien zum Erstellen von Nachhaltigkeitsberichten entwickelt (GRI-Standards).

LkSG: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

SBT: Science-based Targets, Ansatz, um Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für Unternehmen auf wissenschaftlicher Grundlage zu berechnen.

SDG: Sustainable Development Goals, Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, bestehend aus 17 Zielen und 169 Unterzielen, die bis zum Jahr 2030 weltweit umgesetzt sein sollen.

Der Autor

Tobias Kirchhoff, Wirtschaftschemiker, ist Co-Geschäftsführer bei BCNP Consultants. Seit 2010 berät er Unternehmen und Investoren der Chemie und Biotechnik bei Innovations- und Finanzierungsentscheidungen. Als TÜV-zertifizierter Nachhaltigkeitsmanager hilft er, das Nachhaltigkeitsmanagement aufzubauen, und bei der Berichterstattung.https://media.graphassets.com/DuSqLUedRYOev5sf4Zzx

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