Wie bekommen Schüler:innen ein realistisches Bild vom typischen Arbeitsalltag chemisch Forschender? Am besten, indem sie eigene kleine Forschungsprojekte bearbeiten und Forschende nicht nur kennenlernen, sondern auch erfahren, was diese tun u...
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„Platz für Neugier und das Spielerische einräumen“
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Ein Preis für Neugier? Warum nicht, dachte sich der Physiker Mario Markus und stiftete kurzerhand einen Preis für ludische Wissenschaften. Für die damit ausgezeichnete Juliane Simmchen ist die curiosity driven science – also Forschen aus Lust am Entdecken – nicht nur bloßer Luxus, sondern ein goldener Weg zu Entdeckungen.
Wenn man heute Förderanträge liest, scheint der Königsweg zu erfolgreicher Forschung planbar und rationalisierbar zu sein …
Daswar aber immer schon so. Im Museum of Alchemistry in Prag habe ich die Geschichte gefunden, wie der mittelalterliche Alchemist dem König seine Vorarbeiten präsentiert und erklärt: Nun sei es nur noch ein kleiner Schritt, bis er – jetzt aber wirklich – Gold aus anderen, billigen Materialien herstellen kann.
Und Sie meinen, ähnlich wirklichkeitsfremd ist heutige Antragsprosa?
Teilweise schon. In Forschungsanträgen stehen häufig Dinge wie: Wasserstoff herstellen, um die Klimakatastrophe aufzuhalten; effizientere Batterietechnik, Krebs heilen, CO2 einlagern … Welchem neuen Material oder Effekt werden nicht eine oder mehrere dieser Fähigkeiten nachgesagt – bis hin zum Potenzial, das genau dies zur Rettung der Menschheit beiträgt?
Das ist natürlich unrealistisch.
Genau. Der deutsch-chilenische Physiker Mario Markus hat die gegenwärtige Situation treffend als „Pandemie der Nützlichkeit“ bezeichnet. Deswegen setzt er sich wissenschaftspolitisch stark für ludische oder spielerische Forschung ein.
Gibt es denn diesen Platz für Neugier im modernen durchgetakteten Wissenschaftsbetrieb?
Eher nicht. Forschungsprojekte brauchen immer öfter eine Industrieanbindung, einen Kommerzialisierungsplan oder eine Kofinanzierung, um überhaupt durchgeführt werden zu dürfen. Und Wissenschaftler:innen müssen gewünschte Ergebnisse, Meilensteine und abrechenbare Fortschritte schon im Antrag detailliert darlegen. Forschen des reinen Wissensgewinns wegen wird immer seltener.
Sehen Sie da Unterschiede zwischen den Ländern?
Deutschland ist mit den Max-Planck-Gesellschaften fördertechnisch noch relativ gut aufgestellt, aber vor allem an den Universitäten ist dieser Effekt spürbar.
Und dann kommt jemand wie Mario Markus …
… und besteht darauf, dass neben fundamentaler Grundlagenforschung auch einfach nur spannende Fragen untersucht werden müssen. Dass die Gesellschaft Platz für die Neugier und das Spielerische einräumt, und das in Zeiten von Pandemien, Kriegen und Klimawandel.
Und warum, denken Sie, tut er das?
Dazu muss ich etwas ausholen: Flexibleres Lernen, Projektlernen und kreative Ansätze – also hin zu freiem, curiosity driven learning – fördern eigenständiges Denken, Problemlösungsansätze und das Entwickeln innovativer Ideen. Das gilt zumindest als Lösungsansatz, um die Ergebnisse etwa von Pisa-Studien zu verbessern. Und Schüler:innen bekommen dafür Ressourcen und kreative Räume.
Forschende aber nicht?
Forschende nicht. Die gleiche Freiheit wird für Forschende als Luxus betrachtet. Dabei gibt es Vorbilder: Firmen wie Google und SAP räumen ihren Mitarbeitenden Zeit für eigene Projekte und freies Lernen ein. Die Wissenschaft dagegen wird immer ergebnisorientierter und durchgeplanter. Dabei können neue ungeplante Erkenntnisse unerwartete Anwendungen haben und damit Innovation hervorrufen. Eines der bekanntesten Beispiele ist vermutlich der Laser.
Nicht viele Menschen wissen, dass der Laser ein Zufallsprodukt war.
Dabei gibt es einen klaren Fokus darauf, wissenschaftliche Ergebnisse besser zu verbreiten, die Bevölkerung zu informieren und für die Forschung zu interessieren, einzubeziehen und zu begeistern. Und das nicht nur, um die Steuermittel zu rechtfertigen, sondern auch, um Enthusiasmus für das Lernen an sich zu wecken und zu hegen.
Sehen Sie durch die ganzen Vorgaben bei der Forschungsförderung die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr?
Die Wissenschaft wird finanziell schon irgendwie in politisch gewollte Bahnen gelenkt – teilweise verständlich, da es ja viele große Probleme gibt, die innovative Lösungen benötigen. Aber ich finde, der Ansatz von Mario Markus enthält gerade für die Didaktik eine tolle Nachricht: Wissenschaft lässt sich mit Spaß vermitteln und erlernen.
Ihre Forschung zu TiO2-basierten Mikromotoren [Nachr. Chem. 2022, 70(5), 71] wurde im Jahr 2023 mit dem Mario-Markus-Preis ausgezeichnet. Was ist aus dem Projekt geworden?
Es ist jetzt Grundlage für ein neues Projekt: Wir werden erforschen, ob sich aktive Materie als eine neue Art von Rechenmaschine oder Computer eignet. Anstatt also verstehen zu wollen, wie lebende Systeme ihre Handlungen kalkulieren, werden wir ihr Verhalten aus einfachen physikalischen Zutaten reproduzieren und damit vielleicht eine moderne, effizientere Methode analoger Computation entwickeln.
Das klingt jetzt aber auch eher nach „curiosity driven“.
Schon. Aber um es mit der Nobelpreisträgerin 2018, Donna Strickland, zu sagen: „Die Kombination aus Neugier und rigorosen Untersuchungen wird uns zur nächsten großen Innovation führen.“
Zur Person: Juliane Simmchen
Juliane Simmchen, Jahrgang 1986, ist Dozentin für Materialchemie an der Universität von Strathclyde und seit November 2016 Freigeist-Gruppenleiterin in Physikalischer Chemie an der TU Dresden. Sie promovierte im Jahr 2014 in Materialwissenschaften am Institute for Nanoscience and Nanotechnology in Barcelona. Ihre Forschungsschwerpunkte sind kolloidale aktive Materialien, insbesondere Umweltanwendungen und Biohybride. Wenn sie in Deutschland ist, kommen ihr die besten Ideen beim Inlineskaten entlang der Elbe.
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