Wissenschaft & Forschung

<p>Die anschwellende globale Fleischnachfrage trägt zum Klimawandel und anderen Umweltproblemen bei. Zudem essen wir im Durchschnitt mehr Fleisch, als der Gesundheit zuträglich ist. Gute Gründe, über Alternativen nachzudenken – obwohl die Ursprünge des Fleischersatzes auf andere Motivationen zurückgehen.</p>
<p>Der Mensch ist ein eher ungewöhnliches Raubtier, verglichen mit den typischen Carnivoren aus der wilden Verwandtschaft unserer Katzen und Hunde, den Felidae und Canidae. Die Evolution gab uns keine bedrohlich aussehenden Hauer zum Zerfetzen der Beute, und unsere Vorfahren aßen vermutlich überwiegend Pflanzenkost. Erst als Homo erectus die Savanne eroberte und zum ausdauernden Langstreckenläufer wie zum treffsicheren Speerwerfer wurde, trat er als gefährlicher Jäger in Erscheinung. Dank seiner sich rasch entwickelnden Waffentechnoik setzte er sich an die Spitze der Nahrungspyramide.</p><h2>Fleisch in der Urzeit</h2><p>Die urzeitlichen Jäger und Sammler konnten die energie- und proteinreiche Fleischnahrung gut brauchen als Kraftstoff für das Gehirn, das bald über die bei anderen Primaten übliche Größe hinauswuchs. Die Nutzung des Feuers, um die Jagdbeute zu garen, verbesserte darüber hinaus die Nährstoffausbeute.</p><p>Wildtiere in Afrika, wo die Entwicklung der Menschheit begann, passten sich an die neue Bedrohung an. Auf allen anderen Kontinenten, die unsere Vorfahren dann eroberten, brach ihre Jagdlust so plötzlich über die einheimische Tierwelt herein, dass es zu einem Verlust an Großwildarten wie Wollhaarmammut und Säbelzahntiger kam. Und noch heute, so zeigte vor kurzem eine systematische Analyse, jagen und fischen die Menschen eine ungewöhnliche Auswahl von Beutetieren: Wir erlegen, was uns am besten schmeckt oder was die größte Trophäe ergibt und bringen damit die Ökologie der Kontinente und der Ozeane durcheinander.<sup>1)</sup></p><p>Den größten Teil ihres Fleischhungers stillt die Menschheit heute allerdings nicht mehr mit Wild, sondern mit domestiziertem Vieh. Aber selbst das bringt Umweltprobleme mit sich: Rinder setzen erhebliche Mengen Methan frei. Alle Nutztiere für die Fleischproduktion belasten die Gewässer mit ihren Ausscheidungen und verbrauchen überproportional viel Wasser und Getreide verglichen mit der Erzeugung einer analogen Menge vegetarischer Kost.</p><p>Auf globaler Ebene nehmen diese Probleme rasant zu, da nicht nur der Wohlstand der bevölkerungsreichen Länder Asiens wächst, sondern dadurch auch die Nachfrage nach Fleisch. Dieser Konflikt zwischen immer noch wachsender Weltbevölkerung und Bewahrung eines Restbestands an Natur ist ein Grund für das Interesse an Fleischersatzstoffen. Ein anderer ist, dass manche Fleischprodukte gesundheitsschädlich sind und sogar Krebs fördern. Die Idee eines Fleischersatzes ist aber nicht neu, und angefangen hat alles ganz anders.</p><h2>Ein Abfallprodukt, weiterverwertet</h2><p>Anfang des 20. Jahrhunderts, vor der Entwicklung der Haber-Bosch-Synthese, wurde die Welternährung als gravierendes Problem erkannt. Max Delbrück (1850 – 1919), Agrarchemiker und Onkel des gleichnamigen Molekularbiologen (1906 – 1981), schlug bereits im Jahr 1910 vor, Hefe aus Brauereiabfällen als preiswerten und proteinreichen Fleischersatz einzusetzen. Er berechnete, dass auf diesem Wege der Proteinbedarf von neun Millionen Menschen gedeckt werden könne.<sup>2)</sup></p><p>Delbrück gründete am Berliner Institut für Gärungsforschung eine Abeilung für Hefeverwertung, die dann aber im Krieg für die Erzeugung von Tierfutter rekrutiert wurde. Als Kohlenstoffquelle für die Hefen diente zunächst Zuckerrübenmelasse; diese Produktion kam dann jedoch kriegsbedingt zum Erliegen.<sup>3)</sup> In Großbritannien wurde etwa zur selben Zeit der Hefe-Brotaufstrich Marmite entwickelt, der zum Inbegriff der „Geschmackssache“ wurde – er hat noch heute eine eingeschworene Fangemeinde und ebensoviele Verächter.</p><p>Nach dem ersten Weltkrieg kam das Haber-Bosch-Verfahren weltweit zum Einsatz und die Stickstoffversorgung der Weltbevölkerung ließ sich sichern – heute trägt diese Synthese gut die Hälfte zum globalen Stickstoffzyklus bei.<sup>4)</sup> Der überwältigende Erfolg dieser rein chemischen Synthese erweckte in Deutschland den Eindruck, dass chemische Verfahren den biotechnischen überlegen seien, und das Interesse an der Gärungstechnologie verkümmerte.</p><h2>Hunger nach Autarkie</h2><p>Im Nationalsozialismus wurde die Ernährung wieder zum politischen Thema – allerdings nicht die Welternährung, sondern die des deutschen Reichs. Das stand mit dem Rest der Welt im Konflikt und wollte deshalb unabhängig von Importen sein, strebte also nach Autarkie oder „Nahrungsfreiheit“. Diese Erwägungen waren untrennbar verflochten mit der Rassen- und Eroberungspolitik des NS-Regimes. Die gute Ernährung sollte vor allem dem eigenen Volk zukommen, und die dafür notwendigen landwirtschaftlichen Flächen wollten die Nationalsozialisten auch gerne anderen Völkern wegnehmen, deren Ernährung geringere Priorität genoss.</p><p>In diesem Kontext suchten Ernährungswissenschaftler der NS-Zeit auch nach Verfahren, Hefeeiweiß mit solchen Kohlenstoffquellen zu erzeugen, die sonst nicht für die Nahrungsproduktion zugänglich wären. Ein markantes Beispiel ist die Sulfitablauge aus der Zellstoffproduktion. Deren Umsetzung zu Hefenahrung wurde in mehreren Fabriken erprobt. Ein leberwurstähnliches Erzeugnis, die Biosyn-Vegetabil-Wurst, kam sogar kurzzeitig in den Handel, wurde aber schon bald aufgrund unerwarteter Nebenwirkungen zurückgezogen – die gingen wohl auf Verunreinigungen etwa mit Schwermetallen und Zellstoffpartikeln zurück.<sup>3)</sup></p><p>Dessen ungeachtet experimentierten NS-Wissenschaftler mit diesen Produkten an Häftlingen in Konzentrationslagern, etwa in Mauthausen. Nicht gerade eine Tradition, an die man in der Nachkriegszeit hätte anknüpfen wollen.</p><h2>Wieder Welthunger</h2><p>In den 60er Jahren trat dann wieder das Problem der globalen Gesamtbilanz in den Vordergrund. Zeitweise war nicht gesichert, dass für die damals exponentiell wachsende Bevölkerung insgesamt genügend Nahrung produziert werden kann, ganz zu schweigen von Verteilungsproblemen und Qualitätserwartungen.</p><p>Deshalb regte der britische Industrielle Arthur Rank bei seiner Firma Rank Hovis McDougall die Entwicklung künstlicher Proteinnahrung an. Als Kohlenstoffquelle sollte die Stärke dienen, die im Konzern als Abfallprodukt bei der Herstellung von Frühstücksflocken anfiel.</p><p>Die Forscher der Firma suchten also einen Mikroorganismus, der in kontinuierlicher Kultur auf Stärke gedeihen und ein Produkt mit faseriger Struktur herstellen kann. Erste Versuche mit Penicillium schlugen fehl. Nach einem Screening von 3000 Kultivaten aus Bodenproben identifizierten die Forscher einen Kandidaten: den filamentösen Schlauchpilz Fusarium graminearum (Abbildungen), der später als Fusarium venenatum PTA 2684 neu eingeordnet wurde.<sup>5)</sup> Dieser brachte alle gewünschten Eigenschaften mit. Das entstehende Mykoprotein ließ sich zu fleischähnlichen Produkten verarbeiten, die ab 1985 in Großbritannien und später auch in anderen Ländern auf den Markt kamen. Seit 1990 werden die Produkte unter dem Namen Quorn verkauft, seit 2012 auch in Deutschland.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/scEYKMR1QZyLVAHMqymh"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Fusarium graminearum mit Konidien, einer Sporenform.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/VPYMBv61RqidDVxpZ2Lj"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Fusarium graminearum, gewachsen auf Agarmedium. Links: Wildtyp, rechts: Mutant mit ausgeschaltetem pks12-Gen.<sup>7)</sup></figcaption></figure>
<p>Als Quorn in den 1990ern bekannt und beliebt wurde, hatte sich das drohende Gespenst des Welthungers wieder weitgehend verzogen – unter anderem durch Innovationen in der Landwirtschaft, wie den von Norman Borlaug (1914 – 2009) entwickelten ertragreicheren Weizensorten, die gerade rechtzeitig kamen, um in Indien eine gigantische Hungersnot abzuwenden. Borlaug erhielt für seine Verdienste als Lebensretter Hunderter Millionen Menschen im Jahr 1970 den Friedensnobelpreis.</p><h2>Neue Gründe</h2><p>Seitdem haben sich wieder neue Gründe ergeben, Mykoprotein statt Fleisch zu sich zu nehmen. Die Erforschung der menschlichen Beiträge zum Klimawandel rückte auch Rinder in ein schlechtes Licht. Nicht nur, weil sie enorme Mengen an Ressourcen verbrauchen, sondern auch, weil sie Methan absondern, das – bezogen auf Moläquivalente – noch viel stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als Kohlendioxid.</p><p>Fitness und Gesundheit stehen in der britischen Werbung für Quorn-Produkte im Vordergrund. Insbesondere der geringere Fettgehalt bezogen auf die aufgenommene Proteinmenge dient als Verkaufsargument. Damit wollen die Hersteller ihren Kundenstamm über die Nische der Vegetarier hinaus erweitern, was ihnen zumindest in Großbritannien gelungen ist. In diesem Bemühen dürfte ihnen die vor kurzem diskutierte Einschätzung von Fleischprodukten als Krebserreger<sup>6)</sup> zugute kommen. Wenn auch die Formulierung der Gesundheitswarnung umstritten ist, besteht doch wenig Zweifel daran, dass die Einwohner Westeuropas und Nordamerikas mehr Fleisch essen, als ihnen gut tut – im Mittel mehr als ihr eigenes Körpergewicht pro Jahr.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/HqDhdDeSZugZoVh5QNOC"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Serviervorschlag: Quorn-Filets im provençalischen Stil. Quelle: Quorn/Marlow Foods</figcaption></figure>
<p>Im vergangenen Jahr wurde die Herstellerfirma, die seit ihrer Gründung als Joint Venture von Rank Hovis McDougall und dem britischen Chemieriesen Imperial Chemical Industries schon einige Besitzerwechsel erlebt hat, an ein in den Philippinen angesiedeltes Konglomerat verkauft. Die Hersteller in Nordengland erhoffen sich von den neuen Besitzern besseren Zugang zu den asiatischen Märkten. Dort könnten Quorn und eventuelle Konkurrenten – die Patente aus den 1980er Jahren sind ja bereits abgelaufen – auch ihre größte Wirkung entfalten. Sollten die zu neuem Wohlstand gelangten Chinesen dem amerikanischen Vorbild folgen und anfangen, 120 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr zu verzehren, dann wäre das eine globale Umweltkatastrophe. Wenn sie stattdessen Mykoprotein äßen, könnte das tatsächlich die Welt verbessern.</p><p>Michael Groß ist Biochemiker und freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a></p><h2>Quergelesen</h2><p>Die Idee für Fleischersatzprodukte kam in Deutschland im Jahr 1910 auf. Max Delbrück wollte dazu die Hefe aus Brauereiabfällen nutzen, seine Abteilung musste dann aber Tierfutter herstellen.</p><p>Erst zu Zeiten des Nationalsozialismus griffen Ernährungswissenschaftler die Idee wieder auf und brachten ein Produkt auf den Markt, das sie wegen Nebenwirkungen aber schnell zurückzogen.</p><p>Ab den 1960er Jahren wurde wieder mehr auf dem Gebiet geforscht, und seit 1985 verkauft Großbritannien Fleischersatz aus Pilzprotein. Seit 2012 gibt es Quorn auch in Deutschland.</p>
<ul><h2>Literatur und Quellen</h2><li>
<sup>1 </sup>C. Darimont, C. H. Fox, H. M. Bryan, T. E. Reimchen, Science 2015, 349, 858–859.</li><li>
<sup>2 </sup>M. Delbrück, Wochenschrift Brauerei 1910, 27, 373–376.</li><li>
<sup>3 </sup>U. Fraunholz, Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften 2008, Nr. 32, 95.</li><li>
<sup>4 </sup>M. Groß, Nachr. Chem. 2012, 60, 451–453.</li><li>
<sup>5 </sup><ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.mycoprotein.org/what_is_mycoprotein/mycoprotein_story.html" target="_blank">www.mycoprotein.org/what_is_mycoprotein/mycoprotein_story.html</a></ext-link></li><li>
<sup>6 </sup><ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://who.int/features/qa/cancer-red-meat/en/" target="_blank">http://who.int/features/qa/cancer-red-meat/en/</a></ext-link></li><li>
<sup>7 </sup>F. J. Maier, S. Malz, A. P. Lösch, T. Lacour, W. Schäfer, FEMS Yeast Research 2005, 5, 653–662.</li></ul>


Artikel

Mykoprotein als Fleischersatz

Die anschwellende globale Fleischnachfrage trägt zum Klimawandel und anderen Umweltproblemen bei. Zudem essen wir im Durchschnitt mehr Fleisch, als der Gesundheit zuträglich ist. Gute Gründe, über Alternativen nachzudenken – obwohl die Ursprünge des Fleischersatzes auf andere Motivationen zurückg...

<p>Manche Schäden im menschlichen Körper erfordern biologisches Ersatzmaterial, etwa ein Blutgefäß für eine Bypassoperation. Forscher haben im letzten Jahrzehnt Konzepte entwickelt, solche Materialien mit 3-D-Druckern herzustellen. Damit lassen sich künftig verschiedene Krankheiten einfacher therapieren.</p>
<p>Menschen mit Herzerkrankungen benötigen oft eine Bypassoperation. Das dafür notwendige Blutgefäß entnehmen die Ärzte dem Patienten an anderer Stelle, etwa dem Bein. Ein solches Gefäß ist durch die Vorerkrankung aber meist ebenfalls geschädigt und hat keine befriedigende Qualität. Außerdem ergeben sich infolge der Entnahme des Blutgefäßes weitere Probleme. Künstliche Materialien eignen sich bisher nur als Kurzzeitersatz, denn sie sorgen nicht dafür, dass sich das Gewebe regeneriert, und bleiben ein störender Fremdkörper.</p><p>Erkrankungen oder Schäden des Knochenapparats erfordern ebenfalls häufig Ersatzmaterial. Knochen haben zwar ein ausgezeichnetes Selbstheilungsvermögen, erreichen ihre Defekte jedoch eine kritische Größe, versagt dieser Mechanismus und eine Lücke schließt sich nicht mehr von selbst. Dann benötigen die Knochenenden ein Gerüst, an dem entlang sie wachsen können, um sich in der Mitte wieder zu treffen. Dieses Gerüst sollte die patientenspezifische Form des Defekts und auch die innere Struktur des Knochens nachbilden. Die generativen Formgebungsverfahren, auch additive manufacturing technologies (AMTs) oder 3-D-Druck, reproduzieren perfekt die komplexe zellulare Struktur von Knochen.<sup>1)</sup> Solch hochauflösende Strukturen herzustellen ist nur mit lichtbasierten Verfahren möglich. Besonderes Augenmerk finden daher AMTs, die auf Biophotopolymeren (Kasten) basieren. Das sind biokompatible, bioabbaubare Polymere, die aus der Härtung flüssiger Formulierungen mit Licht entstehen. Hierbei absorbieren Photoinitiatoren Licht und wandeln sich zunächst in Radikale um, welche die Polymerisation ungesättigter Verbindungen, meist (Meth-)Acrylate, auslösen.<sup>2)</sup></p><h2>Biomaterialien für die Medizintechnik müssen ...</h2><p>ungiftig sein,</p><p>sich für 3-D-Drucktechniken eignen,</p><p>an die Medizintechnik angepasste mechanische Eigenschaften haben,</p><p>im natürlichen Milieu abbaubar sein,</p><p>die Geweberegeneration unterstützen.</p><h2>Techniken für den 3-D-Druck: Tintenstrahldruck</h2><p>Für den 3-D-Druck von Photopolymeren haben sich vier Techniken durchgesetzt (Abbildung 1, ergänzend [Nachr. Chem. 2016, 64, 13]):</p><p>Beim Tintenstrahl-3-D-Druck (3-D-Inkjet) deponiert der Druckkopf zunächst das Photoharz, das anschließend von einer UV-Lampe gehärtet wird (Abbildung 1a).<sup>3)</sup> Dieser Prozess benötigt Stützen, da sich überhängende Strukturen nicht in die Luft drucken lassen. Je nach gewünschter Geometrie sind zum Teil beträchtliche Mengen an Stützmaterial zu drucken – dies verlängert nicht nur die Druckzeiten, sondern erfordert auch mühsame Nacharbeit. Dennoch hat diese Technik Vorteile gegenüber den anderen: So lassen sich Multimaterialien drucken, die, abgesehen vom Stützmaterial, aus weiteren Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften bestehen. Anisotropie lässt sich einbringen und erzeugt interessante Effekte; beispielsweise ergeben sich Bauteile, die sich nur in bestimmte Richtungen biegen lassen.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/sVUhD1rSxaJNHtNP4kiQ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Techniken für photopolymerbasierten 3-D-Druck: a) Tintenstrahl-3-D-Druck, b) Digital Light Processing DLP, c) Stereolithographie SL und d) Zwei-Photonen-Lithographie 2PL.</figcaption></figure>
<h2>Digital Light Processing</h2><p>Beim Digital Light Processing (DLP) belichtet ein gewöhnlicher Projektor das Photoharz durch eine Glasplatte in der Wanne von unten (Abbildung 1b).<sup>4)</sup> Einbrennen der ersten Schichten im Substrat verbindet Bauteil und Plattform, die sich nicht lösen darf, während das Material schrittweise polymerisiert und hochfährt. Dies ist die Schwachstelle des DLP. Großer Vorteil dieses Druckverfahrens ist der ökonomische Umgang mit den Photoharzen. Das Verfahren braucht nur so viel Harz, dass der untere Teil des Werkstücks zu jeder Zeit gerade benetzt ist. Das macht diese Technik auch interessant für die Forschung, die oft nur über kleine Mengen experimenteller Formulierungen verfügt.</p><h2>Stereolithographie</h2><p>Im Gegensatz zum Digital Light Processing härten bei der Stereolithographie (SL) die einzelnen Schichten nicht gleichzeitig, sondern schrittweise durch das Abrastern mit einem Laser (Abbildung 1c).<sup>5)</sup> Im Gegensatz zum DLP, bei dem das Bauteil aus der Photoharzformulierung gezogen wird, versinkt es bei der SL nach und nach darin. Durch die andere Baurichtung ist ein Substrat für eine feste Verbindung mit der Plattform nicht nötig. Nach Rastern einer Schicht und Senken des Bauteils entsteht aufgrund der Oberflächenspannung ein Meniskus am Übergang zwischen Bauteil und Harzoberfläche, das Bauteil ist dadurch nicht mehr vollständig bedeckt. Um für die nächste Schicht das Bauteil wieder voll zu benetzen, trägt ein Wischer nach jeder Schicht neues Harz auf. Das Rastern der Oberfläche dauert deutlich länger als die simultane Belichtung der gesamten Schicht, dadurch sind Bauzeiten mit Stereolithographie länger als die mit Digital Light Processing. Allerdings erreicht der Laser auch höhere Auflösungen innerhalb einer Druckschicht.</p><h2>Schreiben in 3-D</h2><p>Einfache 3-D-Drucktechniken wie Fluid Deposition Modelling, FDM, basieren auf Aufschmelzen und Auftragen oder wie beim Selective Laser Sintering auf Verschmelzen von Thermoplasten [Nachr. Chem. 2013, 61, 898]. Diese Techniken liefern deutlich schlechtere Auflösungen und Oberflächenqualitäten als lichtbasierte und sind eigentlich ein 2½-D-Druck, da die Dreidimensionalität erst durch das Schichten von 2-D-Drucken entsteht. Um ohne Hilfsmittel in 3-D zu drucken, hilft eine physikalische Kuriosität: Normalerweise benötigt die Aktivierung eines Photoinitiatormoleküls ein Photon einer bestimmten Energie. Ein Übergang, ausgelöst durch zwei Photonen der halben Energie, ist quantenmechanisch sehr unwahrscheinlich; nur hohe Lichtintensitäten erzeugen eine Zwei-Photonen-Absorption. Das passiert, wenn ein IR-Laser auf einen Punkt innerhalb einer Photoharzformulierung fokussiert. Dann wird nur in diesem Punkt, dem Voxel, der Photoinitiator aktiviert und somit polymerisiert. Fährt der Brennpunkt nun durch das Harz, ist bei der Zwei-Photonen-Lithographie (2PL) echter 3-D-Druck möglich (Abbildung 1d, S. 407).<sup>6)</sup> Aufgrund der äußerst kleinen Voxelgrößen im Bereich von 100 nm und im Vergleich zur Stereolithographie relativ langen Belichtungszeiten sind die Schreibgeschwindigkeiten gering, und bisher lassen sich nur etwa 1 mm³ große Bauteile umsetzen. Allerdings erreicht diese Technik eine für andere Techniken unerreichbare Auflösungen, sodass sie selbst Merkmale einzelner lebender Zellen nachbildet.<sup>7)</sup></p><h2>Materialien für Gefäße ...</h2><p>Herz- und Kreislauferkrankungen sind die Haupttodesursache in den industriellen Ländern der Welt. Bei der koronaren Herzkrankheit kommt es aufgrund von Arterienverstopfung zu einer Mangelversorgung des Herzmuskels, was einen Herzinfarkt zur Folge haben kann. Künstliche Blutgefäße, die auf bioinerten Polymeren wie Polytetrafluorethylen oder Polyethylenterephthalat basieren, eignen sich nur als Ersatz für große Blutgefäße. Ärzte wollen biokompatible und bioabbaubare künstliche Blutgefäße einsetzen, die eine Geweberegeneration induzieren sollen.<sup>8)</sup> Hydrogele, basierend auf einer Kombination aus 2-Cyanoethylacrylat und Poly(ethylenglykol)diacrylat als Vernetzer, imitieren die Elastizität von Blutgefäßen.<sup>9)</sup> Allerdings lassen Abbaubarkeit und Fadenausreißfestigkeit zu wünschen übrig, da das Material oft schon beim Nähen reißt und so keine dichte Verbindung entstehen kann. Deshalb nutzen Forscher ein polyesterurethanbasiertes Monomer und kombinieren es mit Ethylenglykoldithioglykolat zu einem Thiol-En-System, das schwach vernetzte Photopolymere mit hydrolytisch spaltbaren Gruppen entlang des Rückgrats ergibt. Diese Polymere sind zäher und daher wenig rissanfällig, ihre Abbaugeschwindigkeiten ähneln denen chirurgischer Polymilchsäure.<sup>10)</sup> Eine Auswahl 3-D-gedruckter künstlicher Testblutgefäße zeigt Abbildung 2.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/xzEok05cTNqQVM2QwSRN"><figcaption><label>Abb. 2: </label>3-D-gedruckte Testblutgefäße. (a) Zellulare Struktur aus Photoelastomer, gedruckt mit DLP,<sup>10)</sup> (b) Rasterelektronenmikroskopaufnahme der Struktur eines künstlichen Blutgefäßes mit zellularer Gefäßwand, gedruckt mit SL,<sup>9)</sup> (c+d) 3-D-gedruckte Blutgefäße unterschiedlicher Größe.<sup>9)</sup></figcaption></figure>
<h2>... und für Knochen</h2><p>Gesunder Knochen ist einem dauernden Umformungsprozess unterworfen: Während Osteoklasten ständig Knochen abbauen, produziert der andere Zelltyp, die Osteoblasten, permanent neues Knochenmaterial. Diese Dynamik gibt dem gesamten Knochenapparat seine optimierte Form, die schwammartige Struktur (Abbildung 3). Künstliche Biomaterialien sollen diese Struktur und ihre Dynamik nachahmen. Tomographische Verfahren erfassen die patientenspezifische, zellulare Knochenstruktur und geben diese als Daten aus für Computer-aided Design (CAD). Aus diesen Daten ergibt sich zweidimensionale Schichteninformation, um das künstliche Material durch den Schicht-für-Schicht-Druckprozess aufzubauen. Ein erfolgversprechendes Konzept ist es, Polyesterblöcke – meist Polymilchsäure – mit (Meth-)Acrylaten als photovernetzbare Gruppe zu modifizieren. Solche und ähnliche Systeme kombinierte die Forschungsgruppe um D. W. Grijpma mit Hydroxylapatit und druckte mit Digital Light Processing Knochenimitate.<sup>11)</sup> Ungünstig ist dabei die hohe akute Toxizität der nichtpolymerisierten Restgruppen (Tabelle). Außerdem ist das Hydrolyseabbauprodukt Poly(meth)acrylsäure unter physiologischen Bedingungen praktisch unlöslich – es bleibt am Implantationsort und irritiert das Gewebe. Deshalb etablierten Husar und Liska Vinylester (Tabelle) und übertrugen das Konzept auf ein vinylesterbasiertes System.<sup>12)</sup> Durch Kombination verschiedener Blöcke sind die mechanischen Eigenschaften und die Abbaugeschwindigkeit einstellbar. Ein ähnliches System erwies sich im Tierversuch mit Kaninchen als biokompatibel. Das System führt zu deutlicher Knochenregeneration, während das Material sich selbst abbaut (Abbildung 4).<sup>13)</sup></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/u0J3Fj3ES7S2cy5V32UK"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Künstliche Knochenstruktur, gedruckt aus gelatinebasiertem Biophotopolymer.</figcaption></figure>
<table-wrap>

<label>Table 1</label><h2>Monomere für den 3-D-Druck: Acrylate und Vinylester. <sup>a)</sup> reizend, weil reaktiv gegenüber Proteinen (Michael-Addition) , <sup>b)</sup> wird zu Essigsäure oxidiert und abgebaut .</h2><img src="https://media.graphcms.com/Wk6Sfn2CSiWNUpVSY0EN">

</table-wrap><figure><img src="https://media.graphcms.com/vDixNu5pTSSv9dmB5FWz"><figcaption><label>Abb. 4: </label>DLP-gedruckte Gerüstkörper (a) wurden in einen Modelldefekt eines Kaninchenknies (b) eingebracht. Nach vier Wochen (c): neu gebildete Knochenzellen (blau). Nach zwölf Wochen (d): neu gebildeter Knochen liegt am Gerüst an, das deutliche Abbauspuren aufweist. Schichtartiger Aufbau und stufenartiges Profil begünstigen die Wechselwirkung zwischen Knochengewebe und Gerüst (d, vergrößerter Bereich).<sup>13)</sup></figcaption></figure>
<h2>Knorpelersatz</h2><p>Das Selbstheilungsvermögen von Knorpel ist deutlich niedriger als das von Knochen. Knorpel ist weich und nicht mit Blutgefäßen durchzogen, außerdem unterliegt er keiner Wachstums- und Abbaudynamik wie Knochen. Deshalb eignen sich Hydrogele für Knorpelnachbildungen. Sie sind deutlich weicher als dichte, ungequollene Materialien und mit Nährstoffen durchspült. Außerdem lassen sich gewebespezifische Zellen in Hydrogele einbetten, welche die Regeneration auslösen. Ein Beispiel sind Chondrozyten, die in einem Alginathydrogel verkapselt sind und sich in einem 3-D-gedruckten polycarbonatbasierten Gerüst befinden (Abbildung 5, S. 410).<sup>14)</sup> Nach Kultivierung in vitro verpflanzten Cho et al. solche Hybridgerüste in Mäuse; nach vier Wochen zeigte sich ein knorpelartiges Gewebe. In Zukunft lassen sich Gerüstkörper in patientenspezifischer Form des Knorpeldefekts drucken, mit patienteneigenen Chondrozyten besiedeln und in das Knorpelgewebe verpflanzen, wo sie die Regeneration auslösen.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/zZZWmU25QCJhtGXoAVZa"><figcaption><label>Abb. 5: </label>In 3-D-gedruckte Gerüstkörper (a) werden Chondrozyten in Alginat eingebettet (b+c).<sup>14)</sup></figcaption></figure>
<h2>In kleinstem Maßstab</h2><p>Für die regenerative Medizin ist es besonders interessant, biologisches Gewebe auf mikroskopischer Ebene nachzubilden. Von Natur aus sind Zellen eines Gewebes in der extrazellularen Matrix (EZM) eingebettet. Dieses Hydrogel ist ein Netzwerk von Kollagenen, Proteoglykanen sowie Adhäsionsproteinen und macht einzelne Zellen erst zu einem funktionellen Gewebe. Strukturen auf Submikrometerlevel lassen sich mit Zwei-Photonen-Lithographie verwirklichen, die aus diesem Grund als ideales Werkzeug für die Fabrikation künstlicher EZM gilt. Werden natürliche Bausteine der EZM mit vernetzbaren Gruppen ausgestattet, sind sie als Hydrogele 3-D-druckbar. Beispiele für solche Bausteine sind vinylestermodifizierte Gelatine oder Hyaluronsäure.<sup>15)</sup></p><h2>Zukunftsperspektiven</h2><p>Für High-End-Techniken auf Photopolymerbasis sind noch Probleme zu lösen: Auflösung und Durchsatz müssen erhöht, die Benutzerfreundlichkeit verbessert werden, um durchgängig gute Ergebnisse zu erzielen. Es ist außerdem wichtig, die Sprödigkeit der biokompatiblen Photopolymer-Netzwerke zu verringern. Ein vielversprechender Ansatz hierfür ist der Einsatz von Additions-Fragmentierungs-Kettenüberträgern.<sup>18)</sup></p><p>Bei den Photoharzen muss die Formulierung weniger giftig, aber stabiler sein, sodass sie sich auch außerhalb eines chemischen Labors anwenden lassen. Idealerweise werden Mediziner den 3-D-Drucker dann mit patientenspezifischen Daten aus dem Computertomographen programmieren, mit patienteneigenen Zellen besiedelte Ersatzteile drucken und sie dem Patienten in einer regenerativen Therapie implantieren.</p><h2>Quergelesen</h2><p>Körpereigenes Ersatzmaterial etwa für Blutgefäße oder Knorpel steht nach Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Knorpelschaden oft nicht oder nicht in ausreichender Qualität zur Verfügung.</p><p>Lichtbasierte 3-D-Drucktechniken verarbeiten biokompatible Materialien zu künstlichen Ersatzteilen mit hohen Auflösungen und guter Oberflächenqualität.</p><p>Zusätzliche Daten aus 3-D-Scans erlauben es, die Ersatzmaterialien patientenspezifisch zu gestalten.</p><p>Stefan Baudis ist seit dem Jahr 2015 Wissenschaftler am Institut für Angewandte Synthesechemie an der Technischen Universität in Wien. Seinem Studium der technischen Chemie an der TU Wien und der Promotion bei Robert Liska im Jahr 2011 folgte ein Postdoc bei Andreas Lendlein am Institut für Biomaterialforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht. Baudis Hauptinteresse gilt der Entwicklung funktioneller, generativ gefertigter Hydrogelsysteme für die Biomedizin.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/v1JLdjLrRYG8BCuoPK5a">

</div><p></p>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>F. P. W. Melchels, M. A. N. Domingos, T. J. Klein et al., Prog. Polym. Sci. 2012, 37, 1079.</li><li>
<sup>2 </sup>F. P. W. Melchels, J. Feijen, D. W. Grijpma, Biomaterials 2010, 31, 6121.</li><li>
<sup>3 </sup>D. Seliktar, D. Dikovsky, E. Napadensky, Isr. J. Chem. 2013, 53, 795.</li><li>
<sup>4 </sup>R. Liska, M. Schuster, R. Inführ et al., J. Coat. Technol. Res. 2007, 4, 505.</li><li>
<sup>5 </sup>J. Stampfl, S. Baudis, C. Heller et al., J. Micromech. Microeng. 2008, 18, 125014.</li><li>
<sup>6 </sup>A. Ovsianikov, B. N. Chichkov, Three-Dimensional Microfabrication by Two-Photon Polymerization Technique, in Computer-Aided Tissue Engineering [Hrsg.: M. A. K. Liebschner], Humana Press, 2012.</li><li>
<sup>7 </sup>A. Ovsianikov, V. Mironov, J. Stampf, R. Liska, Expert Rev. Med. Devices 2012, 9, 613.</li><li>
<sup>8 </sup>S. Ravi, E. L. Chaikof, Regen. Med. 2010, 5, 107.</li><li>
<sup>9 </sup>S. Baudis, C. Heller, R. Liska et al., J. Polym. Sci., Part A: Polym. Chem. 2009, 47, 2664.</li><li>
<sup>10 </sup>S. Baudis, F. Nehl, S. C. Ligon et al., Biomed. Mater. 2011, 6, 055003.</li><li>
<sup>11 </sup>A. Ronca, L. Ambrosio, D. W. Grijpma, Acta Biomater. 2013, 9, 5989.</li><li>
<sup>12 </sup>B. Husar, R. Liska, Chem. Soc. Rev. 2012, 41, 2395.</li><li>
<sup>13 </sup>G. Russmueller, R. Liska, J. Stampfl et al., Materials 2015, 8, 3685.</li><li>
<sup>14 </sup>S.-J. Lee, J.-W. Rhie, D.-W. Cho, J. Manuf. Sci. Eng. 2008, 130, 021007.</li><li>
<sup>15 </sup>X.-H. Qin, P. Gruber, M. Markovic et al., Polym. Chem. 2014, 5, 6523.</li><li>
<sup>16 </sup>J. Torgersen, A. Ovsianikov, V. Mironov et al., Journal of Biomedical Optics 2012, 17, 105008.</li><li>
<sup>17 </sup>X.-H. Qin, J. Torgersen, R. Saf et al., J. Polym. Sci., Part A: Polym. Chem. 2013, 51, 4799.</li><li>
<sup>18 </sup>C. Gorsche, T. Koch, N. Moszner, R. Liska, Polym. Chem. 2015, 6, 2038.</li><li>
<sup>19 </sup>Der Autor dankt Robert Liska und Jürgen Stampfl für die fachliche Unterstützung beim Verfassen des Artikels und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG für die finanzielle Unterstützung (Projektnr. 849787).</li></ul>


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