Unsere Arbeit kann uns psychisch belasten, und unsere mentale Gesundheit kann unsere Leistungsfähigkeit beeinflussen. Psychotherapeutin Nora Dietrich hat mit den Nachrichten aus der Chemie über Stressfaktoren in der Chemiekarriere, Selbs...
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Mit Kind und Kolben
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Eine Schwangerschaft bedeutet für Chemikerinnen oft ein Arbeitsverbot im Labor. Einige Forschungseinrichtungen wollen nun auch werdenden Müttern ermöglichen, experimentell zu forschen.
Ein Kind zu bekommen bedeutet für Frauen oft einen Wendepunkt ihrer Karriere. Denn obwohl es zunehmend Bestrebungen gibt, geschlechterspezifische Unterschiede auszugleichen, wird spätestens beim Thema Kinderkriegen deutlich: In vielen Branchen herrscht noch lange keine Gleichberechtigung. Forschung gilt dabei – insbesondere in den Naturwissenschaften – als besonders familienunfreundlich. Lange Arbeitszeiten, befristete Verträge und fehlende Unterstützung sind die Regel.
Gleichberechtigt forschen
Schwangere Chemikerinnen dürfen arbeitsschutzrechtlich bedingt in der Regel nicht im Labor arbeiten. Dafür ausschlaggebend ist Paragraf 11 des Mutterschutzgesetzes, in dem es sinngemäß heißt: Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen, die eine „unverantwortbare Gefährdung“ für sie oder ihr Kind darstellen.
Im Kontext von Publikationsdruck und Konkurrenzdenken kann diese schwangerschaftsbedingte Pause Wissenschaftlerinnen erheblich benachteiligen. Abhilfe schaffen möchten nun einige Forschungseinrichtungen – etwa das Institute of Molecular Biotechnology in Wien oder das Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg – mit Schwangerschaftslaboren. Das sind speziell eingerichtete Labore, die weder das ungeborene Kind noch die Schwangere selbst einer Gefahr aussetzen.
Konkret heißt das: Chemikalien, die nachweislich fruchtschädigend oder krebserregend sind, haben im Schwangerschaftslabor nichts zu suchen. Auch allgemeine Richtlinien für Schwangere – etwa das Vermeiden langen Stehens – gelten, denn das Mutterschutzgesetz unterscheidet nicht zwischen Labor- oder Büroarbeit.
Wie viele Schwangerschaftslabore es in Deutschland gibt, ist ungewiss. Auch das Wissenschaftsministerium weiß es nicht.
Zuerst temporär umfunktioniert
Lebensmittelchemikerin Hannah Zenker forscht seit fast zwei Jahren an der Universität Erlangen zur Allergenität von Milchproteinen. Das Labor, in dem sie arbeitet, wirkt auf den ersten Blick gewöhnlich: Hier stehen eine Waage, mehrere Packungen Einweghandschuhe, Zentrifugen und Pipetten (Foto, S. 23). Doch es ist anders als übliche Labore – denn Zenker ist schwanger.
In einigen Monaten erwartet die 31-Jährige ihr zweites Kind. Bislang lässt nur eine kleine Wölbung unter dem locker sitzenden Laborkittel auf Zenkers Zustand schließen. Als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, wurde ein Raum am Institut zum temporären Schwangerschaftslabor umfunktioniert – unter großem Einsatz der akademischen Rätin Sabrina Gensberger-Reigl (Kasten S. 22) und in Absprache mit Zenkers Chefin sowie den Sicherheitsbeauftragten der Uni. Zenker erzählt: „Natürlich lässt sich ein perfekt ausgestattetes Labor nicht einfach so aus dem Boden stampfen. Wir mussten den Raum erst mal so einrichten, dass Arbeiten möglich ist.“ Zwar diente der Raum auch vorher als Labor. Für Zenker wurde er gründlich geputzt, und alle gefährlichen Chemikalien wurden entfernt. Arbeitete mal jemand anderes als Zenker darin und nutzte gefährdende Stoffe, wurde anschließend alles dekontaminiert.
Gefährliche Arbeitsschritte, etwa das Arbeiten mit Methanol, übernehmen nun studentische Hilfskräfte oder Kolleg:innen. Den Großteil ihrer Experimente macht die Lebensmittelchemikerin dank Schwangerschaftslabor jedoch selbst: „Für mich ist das eine wirklich wichtige Gleichstellungsmaßnahme. Schwangerschaft ist für viele Forscherinnen ein belastendes Thema – das sollte es nicht sein.“
Raumknappheit behindert
In Deutschland gehen nur etwa 35 Prozent der naturwissenschaftlichen Abschlüsse an Frauen. Noch deutlicher sind die Geschlechterunterschiede nach der Promotion: Einem Bericht des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2022 zufolge sind gerade einmal 22 Prozent der Mint-Professoren an deutschen Hochschulen weiblich.
An dieser Quote hat auch die Vereinbarkeit von Kind und Karriere Anteil. Den richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung zu finden sei in der Forschung ein Riesenthema, sagt Zenker: „Schwangerschaft, Mutterschutz und Stillzeit – das haut schon ganz schön rein.“
Schwangerschaftslabore könnten da ein Schritt in die richtige Richtung sein. Doch ein solches zu bauen oder einzurichten sei nicht einfach: Auf Anfrage an mehreren Unis und Forschungseinrichtungen in Deutschland und Österreich nennen Forschungseinrichtungen vor allem Raumknappheit als Hindernis. Viele befürchten, ein dauerhaftes Schwangerenlabor würde zu selten genutzt. Angesichts des begrenzten Platzes sei es daher schwierig, diese Labore flächendeckend anzubieten.
Schwangere Forscherinnen zu separieren birgt – neben dem sozialen Aspekt – vor allem ein Sicherheitsrisiko. Denn in einem Labor sollten immer mindestens zwei Personen sein, damit im Notfall eine davon Hilfe holen kann. Helfen könnte, das Schwangerschaftslabor in der Nähe der normalen Labors einzurichten und es nur durch eine Glasscheibe abzutrennen.
In einigen Laboren gibt es zudem „Fall-down“-Alarmsysteme: Das sind Geräte, die Alarm schlagen, sobald eine Person zu Boden geht – ähnlich der Notfallknöpfe für alte oder eingeschränkte Alleinlebende, die diese um den Hals tragen. Zudem werden die zuständigen Sicherheitsbeauftragten automatisch benachrichtigt.
Andere Länder, andere Sitten
Bedarf es überhaupt eines eigenen Raumes, um werdenden Müttern das Forschen zu ermöglichen? In anderen Ländern steht das gar nicht zur Debatte. Die Chemikerin Michal Shoshan hat an der Hebräischen Universität in Jerusalem promoviert. Heute forscht sie als Gruppenleiterin an der Universität Zürich zur Chelattherapie. Sie ist aber nicht nur ambitionierte Wissenschaftlerin, sondern auch Mutter dreier Kinder.
Ihr zufolge seien Frauen in Israel genauso wie in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft möglichst schnell mitzuteilen – vor allem, wenn ein Risiko am Arbeitsplatz bestehe. Danach unterscheidet sich der Umgang mit Schwangeren im Labor jedoch stark von dem in Deutschland und der Schweiz: „In Israel gibt es für schwangere Wissenschaftlerinnen keine zusätzlichen Vorschriften. Was erlaubt ist, was nicht erlaubt ist, welche Art von Chemikalien man anfassen darf und mit welchen man besser nicht in Kontakt kommen sollte – das liegt alles im eigenen Ermessen.“
Als Shoshan von ihrer ersten Schwangerschaft erfahren hat, habe sie sich mit ihrer Professorin zusammengesetzt und sei jede Chemikalie durchgegangen, die sie im Labor verwendete. „In meinen ersten beiden Schwangerschaften habe ich viel in der Glovebox gearbeitet – da musste ich mir also um den Schutz meines ungeborenen Kindes keine großen Sorgen machen.“ Die heute 42-Jährige hat während ihrer Schwangerschaften stets im normalen Laborbetrieb weitergearbeitet. Dezidierte Schwangerenlabore gäbe es in Israel nicht.
Immer noch Nachholbedarf
Oft stellt die Zeit nach der Schwangerschaft viele Forscherinnen vor weitere Herausforderungen. Lena Daumann, Professorin für bioanorganische Chemie an der Universität Düsseldorf, kennt als Mutter eines Kleinkinds die üblichen Probleme: Wenn Partner, Großeltern und Kita nicht zur Verfügung stehen, nimmt sie ihren Sohn auch kurzerhand mal mit in den Vorlesungssaal. „Man muss den Leuten immer öfter vor Augen führen, dass es als Mutter normal ist, zu arbeiten, aber dass es leider oft keine stabile Betreuung gibt.“ Daumann betont jedoch, dass es nötig sei, die Kinderbetreuung bei Konferenzen auszubauen. Außerdem seien Seminartermine am Abend nicht familienfreundlich. „Mich nervt es, dass es in der Forschung viele Termine gibt, die weit über die Kitaöffnungszeiten hinausgehen. Das finde ich einfach nicht in Ordnung, weil es automatisch Leute ausschließt.“
Michal Shoshan kennt dieses Problem nicht. Ihr ältestes Kind ist schon während ihres Masterstudiums zur Welt gekommen. Die anderen beiden folgten in ihrer PhD-Zeit. Das sei in Israel durchaus üblich, sagt Shoshan. Immerhin würde sich die Studienzeit durch den in Israel verpflichtenden Militärdienst nach hinten verschieben. Viele Studierende in ihrer Heimat werden daher schon während des Studiums schwanger.
Für Shoshan ist es ärgerlich, dass Frauen in Europa häufig suggeriert wird, während des Studiums nicht schwanger werden zu dürfen. Denn sie sieht in Bezug auf Vereinbarkeit von Kind und Karriere einige Vorteile: „Als ich Gruppenleiterin wurde, war ich fertig mit dem Stillen, den Windeln und der Elternzeit. Jetzt kann ich forschen und gleichzeitig genießen, meinen Kindern beim Wachsen zuzusehen.“
Weniger Bürokratie
Schwangerschaftslabore können eine Gleichstellungsmaßnahme sein. Sie allein werden aber das Problem der mangelnden Gleichberechtigung in der Forschung nicht lösen. Wenn es nach Shoshan geht, sollten vor allem Väter mehr zur Verantwortung gezogen werden. Abgesehen von biologischen Unterschieden wie Schwangerschaft, Geburt und Stillen seien beide Elternteile wichtig: „Ich kann nur jeder jungen Frau ans Herz legen, ihren Partner weise zu wählen. Denn die Bereitschaft des Vaters, für sein Kind da zu sein, ist extrem wichtig, um als Mutter die eigene Karriere verfolgen zu können.“
Um Wissenschaft zukünftig familienfreundlicher zu gestalten, braucht es außerdem bessere Fördermittel für Forschende mit Kindern. Denn bei den aktuellen Finanzierungsmöglichkeiten könnte man zu dem Schluss kommen, dass es für eine Wissenschaftlerin nicht vorgesehen ist, schwanger zu werden. Daumann wünscht sich vor allem weniger bürokratischen Aufwand: „Es braucht flexible finanzielle Mittel, ohne hunderte Formulare ausfüllen zu müssen.“ So ließen sich Nannys organisieren, oder Angehörige könnten bei Konferenzen und anderen Veranstaltungen mitkommen. „Solche Kleinigkeiten haben für Mütter in der Forschung oft einen großen Effekt.“
Wie richte ich ein Schwangerschaftslabor ein, Sabrina Gensberger-Reigl?
Sabrina Gensberger-Reigl ist promovierte Lebensmittelchemikerin, seit 2015 akademische Rätin am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der Universität Erlangen-Nürnberg und war dort bis zum Jahr 2023 Frauenbeauftragte. Als sie Ende des Jahres 2022 schwanger wurde, brachte das Probleme mit sich: Obwohl sie Laborleiterin war, durfte sie die Labore nicht mehr betreten. Zudem konnte sie ihre eigenen Forschungsprojekte nicht mehr in dem Maße bearbeiten, wie sie es sich gewünscht hätte. Das war Anlass für sie, nachzudenken: Wie lässt sich die Laborumgebung so gestalten, dass Schwangere oder stillende Mütter weiterhin Projekte bearbeiten und ihre wissenschaftliche Karriere voranbringen können?Sabine Gensberger-Reigl ist akademische Rätin am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der Universität Erlangen-Nürnberg. Foto: Nora Zenk
Wie lief das ab, ein Labor so umzufunktionieren, dass eine Schwangere darin arbeiten darf?
Wir haben zunächst ein Labor ermittelt, das sich mit wenig Aufwand so umgestalten ließ, dass es auch für eine Schwangere sicher ist. Dazu gab es Begehungen mit unserem Sachgebiet Arbeitssicherheit; wir haben Tätigkeiten durchgesprochen und alles in einer Gefährdungsbeurteilung festgehalten. Außerdem haben wir Regeln zur Benutzung des Labors festgelegt: Gefahrstoffe sind tabu – in den Laboren dürfen zum Beispiel keine Assays mit Derivatisierungsreagenzien durchgeführt oder methanolhaltige Lösungsmittel abgefüllt werden. Und der Kittel der Schwangeren oder Mutter wird so aufbewahrt, dass er nicht mit anderen Kitteln in Berührung kommt.
Wie lange hat es gedauert von der Idee bis zum nutzbaren Labor?
Acht Wochen.
Und was ist mit diesem Labor, wenn gerade keine Schwangere oder stillende Mutter am Fachbereich ist?
Dann wird es von anderen Forschenden genutzt. Aber in der Raumliste des Fachbereichs ist es als Teil des Mutterschutzkonzepts hinterlegt. Das heißt, wann immer eine Schwangere weiter im Labor arbeiten möchte, wird das Labor gründlich gereinigt – auch Instrumente und sonstiges Labormaterial. Das machen Mitarbeitende des Lehrstuhls, die speziell dafür geschult sind.
Sind die Vorkehrungen bei Schwangeren und Müttern gleich?
Es gibt Maßnahmen und Regelungen, die für alle werdenden oder stillenden Mütter gleich sind. Zusätzlich schauen wir auf das jeweilige Projekt: Wird beispielsweise bestimmtes Equipment benötigt, beziehen wir das mit ein.
Aber das eine Labor passt doch sicher nicht zu jedem Projekt.
Durch die Vorarbeiten für das erste Labor und wegen des Bedarfs haben wir das Konzept inzwischen auf drei Labore ausgeweitet. So stehen den Schwangeren oder Stillenden unterschiedliche Laborausstattungen zur Verfügung.
Wie viel Geld haben diese Umgestaltungen gekostet?
Das lässt sich schwer beziffern. In jedem der Labore gibt es eine Basisausstattung an Stoffen und Instrumenten; Arbeitsmaterial wie Pipetten wird doppelt gekauft. Was zu teuer ist, wird extra gereinigt, bevor die Schwangere oder die Mutter es nutzt. Wir haben einen kleinen vierstelligen Betrag für zusätzliches Labormaterial wie etwa ein pH-Meter investiert. Je nach Projektanforderungen können die Kosten aber auch weit höher sein.
Gibt es noch weitere Maßnahmen, (werdende) Mütter zu unterstützen?
Wir können studentische Hilfskräfte einstellen, die dann die Tätigkeiten übernehmen, welche die Schwangere oder die Mutter nicht mehr ausüben darf. Solche Personal-Überbrückungsmittel gibt es aber nicht an jeder Hochschule.
Und im Nachhinein: Wie aufwendig war das Projekt?
Gemessen an dem, was jetzt möglich ist, völlig vertretbar. Wird jetzt eine Kollegin schwanger und macht dies publik, weiß jede:r, was zu tun ist: Wir schauen in die Raumliste und unseren Handlungsleitfaden, machen eine Gefährdungsbeurteilung und können so sehr schnell und flexibel reagieren. Innerhalb von zwei Jahren haben bereits drei Wissenschaftlerinnen profitiert; der Aufwand hat sich also schon gelohnt und wird es sicher weiter tun.
EL
Die Autorin
Anna Tratter hat als Kind einer alleinerziehenden Mutter früh erkannt, dass Gleichberechtigung in der Praxis noch oft auf sich warten lässt. Nach ihrem Chemiestudium hat sie an der Deutschen Journalistenschule in München gelernt, wie man die Anliegen von Frauen am besten artikuliert und neue Perspektiven einbringt – auch in der Wissenschaft.
Foto: David-Pierce Brill
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