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Umweltchemie

Methan in der Atmosphäre

Nachrichten aus der Chemie, Februar 2023, S. 70-73, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

In Herbst 2022 verursachten Explosionen Lecks in den beiden Ostseepipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Durch diesen Sabotageakt geriet unvermittelt ein Gas in den Fokus der Öffentlichkeit, das in der Diskussion um den anthropogenen Treibhauseffekt und die Rolle des Kohlendioxids ein wenig in Vergessenheit geraten war: Methan als Bestandteil der Atmosphäre und klimawirksames Spurengas.

Ende September 2022 meldeten die Betreiber der Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 einen Druckabfall in den Röhren. Wenig später beobachtete dänisches Militär in der Nähe der Insel Bornholm auf einer kreisförmigen Fläche von einem Kilometer Durchmesser Blasen aus der Ostsee aufsteigen (Foto). Sprengstoffanschläge hatten die Pipelines geschädigt, Erdgas entwich. In den Medien überschlugen sich Meldungen, die mehr oder weniger seriös die Folgen des Methaneintrags in die Atmosphäre schilderten. Von „vernachlässigbar“ bis hin zu „eine Katastrophe für den Klimawandel“ war alles zu finden.1,2)

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Aus einem Leck in der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee tritt im Herbst 2022 Gas aus, aufgenommen von einem Flugzeug der schwedischen Küstenwache. Foto: Swedish Coast Guard

Methan ist ein natürlicher Bestandteil der Atmosphäre. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts steigt seine Konzentration kontinuierlich.3) Gegenwärtig liegt der Gehalt bei zirka 1,9 ppmv. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und zählt zu Treibhausgasen, da es Infrarotstrahlung absorbiert. Sein Treibhauspotenzial (GWP, global warming potential) ist bezogen auf einen Zeitraum von 100 Jahren um den Faktor 25 größer als der des prominenteren Treibhausgases CO2; anders ausgedrückt: Die Wirkung von 1 kg CH4 entspricht der von 25 kg CO2.

Das wirft unmittelbar die Frage auf, wie relevant die aus den beschädigten Pipelines ausgetretene Methanmenge für dessen Gehalt in der Atmosphäre ist und welche Auswirkungen auf das Klima zu erwarten sind.

Wie viel Methan wurde durch die Sabotage frei?

Um die Wirkung des emittierten Methans abzuschätzen, muss die Menge des Methans bekannt sein, die durch den Sabotageakt in die Atmosphäre gelangte. Diese ist leicht zu berechnen, kennt man die Länge der beiden aus je zwei Röhren bestehenden Pipelines Nord Stream 1 und 2 (zirka 1230 km), deren Innendurchmesser (zirka 1,1 m) und den Druck in den Pipelines.

Durch den Anschlag wurden drei der Röhren beschädigt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Pipelines nicht in Betrieb, aber mit Gas bei einem Druck von etwa 100 bar gefüllt. Aus diesen Daten lässt sich mit dem idealen Gasgesetz die Gesamtmenge und in der Folge die Masse des ausgetretenen Methans abschätzen. Wenn wir die (geringe) Wasserlöslichkeit vernachlässigen und die gesamte Menge des Methans in die Atmosphäre entwichen ist, entspricht das einer Masse von etwa 0,2 Tg (1 Tg = 1012 g) Methan. Das emittierte Methan war an verschiedenen europäischen Messstationen des Icos-Netzwerks messbar (Integrated Carbon Oberservation System). Wissenschaftler des Nilu (Norsk Institutt for Luftforskning) haben die Ausbreitung der Methanwolke simuliert.4)

Um den Einfluss dieser Menge an Methan abzuschätzen, vergleicht man diese am besten mit der in Europa oder besser der globalen jährlichen Methanemission.

Die neuesten Abschätzungen des globalen CH4-Haushalts stammen aus dem Jahr 2020 und gehen auf das Global Carbon Project zurück.5) Für den Zeitraum 2008 bis 2017 wird eine Emission von 576 Tg Methan pro Jahr über einen Top-down-Ansatz auf Basis atmosphärischer Beobachtungen angegeben.5) Damit entspräche die aus den Pipelines emittierte Menge 0,4 Promille der aktuell abgeschätzten globalen, jährlichen Methanemissionen.

Wichtige Methanquellen

Der Methangehalt der Atmosphäre unterliegt natürlichen Schwankungen. Wie aus Analysen von Eisproben bekannt ist, schwankte das Mischungsverhältnis typischerweise zwischen 0,3 und 0,8 ppmv, und es besteht ein Zusammenhang zwischen den Kalt- und Warmzeiten der Erde. In vorindustrieller Zeit betrug das Mischungsverhältnis zirka 0,8 ppmv und ist seither um rund 150 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum hat der atmosphärische CO2-Gehalt um weniger als 50 Prozent zugenommen.

Bei CO2 ist der stetige Gehaltsanstieg durch die seit dem Jahr 1957 ununterbrochenen Messungen am Vulkan Mauna Loa auf Hawaii weltbekannt. Durch anthropogenen Einfluss ist für Methan ein ähnlicher Trend zu beobachten.

In den letzten 20 Jahren zeigte sich jedoch eine bisher nicht vollständig geklärte und in der Wissenschaft kontrovers diskutierte Anomalie: In den 1990er Jahren flachte die Wachstumsrate der Methankonzentration ab und mündete in ein Plateau zwischen den Jahren 1999 und 2006 (Abbildung). Seither ist ein erneuter Anstieg zu beobachten, der sich wieder der Wachstumsrate der Vor-Plateau-Phase angenähert hat. Isotopenverhältnisse deuten darauf hin, dass sich die Verhältnisse einzelner Quellen und Senken deutlich verändert haben müssen.

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Entwicklung des globalen Mittels von Methan. Abgebildet sind die Daten der National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA.6)

Die globalen Methanemissionen lassen sich aus der beobachteten Zunahme der Methankonzentration und dem Abbau in der Atmosphäre recht gut quantifizieren. Noch in den 1990er Jahren gab es ein erhebliches Defizit zwischen den bekannten Methanquellen und der Methanquellstärke, die notwendig ist, um die Zunahme der atmosphärischen Methankonzentration zu erklären. Das Hauptproblem ist auch heute noch die Extrapolation von Punktmessungen der Methankonzentration auf die Fläche. Insgesamt gibt es auch heute noch große Unsicherheiten, welche Mengen die verschiedenen Quellen emittieren.

Heute dürften etwa 35 bis 50 Prozent der globalen Methanemissionen natürlichen Ursprungs sein. Methan entsteht in der Natur immer dann, wenn organisches Material ohne Sauerstoff abgebaut wird, zum Beispiel in Mooren und Sümpfen, den wichtigsten natürlichen Methanquellen. 50 bis 65 Prozent der globalen Methanemissionen sind anthropogenen Ursprungs. Zu den anthropogenen Quellen zählen Mülldeponien, Viehzucht, Nassreisanbau, Verbrennung von Biomasse sowie die Energieerzeugung. Die Quellen analysiert haben Saunois et al.5)

Abbau in der Atmosphäre

Circa 90 Prozent des Methans in der Atmosphäre werden über OH-Radikale abgebaut, die als Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet werden. In der Folge entsteht Formaldehyd, das in weiteren Schritten zu Kohlenmonoxid und schließich zu Kohlendioxid oxidiert wird:

CH4 + OH → CH3 + H2O

CH3 + O2 (+ M) → CH3O2 (+ M)

CH3O2 + NO → CH3O + NO2

CH3O + O2 → HCHO + HO2

Gemessen an den Reaktionen typischer flüchtiger organischer Substanzen (volatile organic compounds, VOC) ist die Oxidation des Methans recht langsam. Die Lebensdauer in der Troposphäre, dem unteren Teil der Atmosphäre, liegt bei etwa zehn Jahren. Genaue Zahlen zu den Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten gibt die Iupac an.7) Innerhalb der Troposphäre ist Methan daher gut durchmischt, und der Konzentrationsgradient vom Äquator zu den Polen ist gering. Gleichzeitig ist die Lebensdauer des Methans lang genug, um in die Stratosphäre zu gelangen, der Transport finden vornehmlich in den Tropen statt.

Verglichen mit CO2 ist die atmosphärische Lebensdauer des Methans mit etwa zehn Jahren kurz. Daher führt die Reduktion der Methanemissionen innerhalb weniger Jahrzehnte dazu, dass der Methangehalt in der Atmosphäre sinkt. Damit einher geht eine Reduktion des Strahlungsantriebs und des Beitrags von Methan zur globalen Erwärmung.

Drei weitere klimarelevante Aspekte folgen unmittelbar aus der Chemie des Methans. In Gegenwart von Stickstoffmonoxid entsteht durch Methanoxidation Stickstoffdioxid, was letztlich zur Bildung von Ozon in der Troposphäre beiträgt. Während Ozon in der Stratosphäre für das Leben auf der Erde unabdingbar ist, da es den kurzwelligen Bereich der UV-Strahlung absorbiert, ist Ozon in der Troposphäre gesundheitsschädlich und phytotoxisch. Aufgrund seiner Absorption im infraroten Spektralbereich absorbiert Ozon außerdem Wärmestrahlung der Erde.

Von entscheidender Bedeutung ist außerdem der erste Schritt der Methanoxidation, der zur Entstehung von Wasser führt. Was in der Troposphäre bei einem Wassergehalt von 1 bis 4 Prozent kaum relevant ist, wird in der Stratosphäre bedeutsam. Diese Schicht der Atmosphäre ist sehr trocken. Die Grenzschicht zwischen Troposphäre und Stratosphäre ist durch eine Temperaturinversion gekennzeichnet, die wie eine Kühlfalle wirkt und Wasser nahezu vollständig ausfriert. Die Methanoxidation ist in der Stratosphäre folglich als Quelle für Wasserdampf relevant. Wasser absorbiert intensiv im infraroten Spektralbereich und ist damit klimawirksam.

Aus der Methanoxidation folgt eine weitere Konsequenz, die im ersten Moment fast wie ein Widerspruch erscheint: Methan beeinflusst seine eigene atmosphärische Lebensdauer. Formalkinetisch hängt bei einer klassischen bimolekularen Reaktion, A + B → Produkte, die Lebensdauer einer Spezies von der Geschwindigkeitskonstante und der Konzentration des Reaktionspartners ab. Der Methangehalt der Atmosphäre sowie die globale Verteilung führen aber dazu, dass die Methanoxidation eine Senke für OH-Radikale ist. Eine Zunahme der Methankonzentration reduziert damit die Lebensdauer des OH-Radikals und damit die mittlere Konzentration von OH-Radikalen. In der Folge führt ein Anstieg der Methankonzentration zu einer längeren Verweildauer in der Atmosphäre. Nach Schätzungen hat durch die Zunahme des Methangehalts seit Beginn der Industrialisierung die mittlere OH-Konzentration um circa 17 Prozent abgenommen.8) Dieser Effekt scheint sich gegenwärtig nicht bemerkbar zu machen, da die Zunahme von Stickoxidemissionen im gleichen Zeitraum dagegen wirkt.8)

Herausforderungen für Vorhersagen

Eine präzise Analyse des Methanhaushalts ist essenziell, um vorherzusagen, wie sich der Methangehalt der Atmosphäre entwickeln wird und wie er zur globalen Erwärmung beiträgt. Hierfür sind zwei Punkte entscheidend:

die genaue Identifizierung und Quantifizierung der Methanquellen sowiedie Quantifizierung der Hauptsenke, folglich der Reaktion mit OH-Radikalen.

OH-Radikale sind hochreaktive Spezies mit einer atmosphärischen Lebensdauer in der Größenordnung von 1 s. Daher ist es extrem anspruchsvoll, diese Spezies in der Atmosphäre zu messen, nur wenige Arbeitsgruppen tun dies. Gleichzeitig bedingt ihre enorme Reaktivität eine hohe räumliche und zeitliche Variabilität der OH-Konzentration. Daher wäre eine flächendeckende Messung von OH-Radikalen notwendig, um die OH-Konzentration korrekt in Modellen zur Vorhersage von atmosphärischem Methan zu beschreiben. Das ist nicht machbar. OH-Konzentrationen werden folglich über Modellierungen mit entsprechenden Unsicherheiten abgeschätzt. Die Optimierung dieser Abschätzungen hat damit eine Schlüsselrolle, um atmosphärisches Methan besser beschreiben und vorhersagen zu können.

Einfluss von Methanhydraten

Die Erde hat ein weiteres Methanreservoir, das von zentraler Bedeutung ist: Gashydrate (oder Clathrate). Dies sind eisartige Einschlussverbindungen, die sich nur unter bestimmten Temperatur- und Druckbedingungen in Verbindung mit hohen Gaskonzentrationen bilden. Große Vorkommen von Methanhydraten gibt es vermutlich in den Ozeanen an den Kontinentalabhängen sowie in Permafrostböden. Die Größe der Reservoire ist recht unsicher und umfasst Schätzungen zufolge bis zu 103 Pg (106 Tg) CH4.

In der Klimadiskussion erlangten Methanhydrate erhebliche Aufmerksamkeit und wurden als möglicher Kipppunkt identifiziert, der die globale Erwärmung beschleunigen könnte. Der durch einen Temperaturanstieg ausgelöste Zerfall der Hydrate könnte zu einem schlagartigen Anstieg des CH4-Gehalts der Atmosphäre führen, der die globale Erwärmung verschärfen und zum Zerfall weiterer Gashydrate führen könnte. Inwiefern dieses Szenario eintreten kann, wird diskutiert.

Der Großteil der Methanhydrate in Ozeanen befindet sich nicht direkt am Meeresboden, sondern in Sedimentschichten. Das trifft auch auf Methanhydrate in Permafrostböden zu. Um hieraus in die Atmosphäre zu gelangen, muss das freigesetzte Methan physikalische, biologische und chemische Senken passieren. Ruppel et al. haben diesen Prozess detailliert beschrieben.9) Zurzeit gibt es keinen Beleg dafür, dass der Zerfall von Methanhydraten zur Emission in die Atmosphäre beiträgt. Daher werden, sie nicht in den Methanhaushalt eingerechnet.5)

Die Autoren

Diesen Beitrag haben Peter Wiesen (oben) und Niklas Illmann verfasst. Wiesen leitet an der Universität Wuppertal die Arbeitsgruppe „Untersuchung atmosphärischer Prozesse“ im Institut für Atmosphären- und Umweltforschung. Neben Laborexperimenten in Smogkammern führt die Arbeitsgruppe Feldstudien durch und entwickelt hochempfindliche Messverfahren zum Nachweis atmosphärischer Spurenstoffe. Illmann hat bei Wiesen promoviert und forscht zur atmosphärischen Oxidation oxygenierter Kohlenwasserstoffe. Aktuell arbeitet er an der Universität Wuppertal an der Habilitation und baut die Wuppertaler Atmosphärensimulationskammern an der Forschungsinfrastruktur Actris mit auf.https://media.graphassets.com/HnOv2r5vRX297VnfsMeFhttps://media.graphassets.com/adcdR4ESHqIhS6dkuMvA

AUF EINEN BLICK

Bezogen auf einen Zeitraum von 100 Jahren entspricht die Klimawirkung von 1 kg Methan der von 25 kg Kohlendioxid.

Seit vorindustrieller Zeit ist der Methangehalt der Atmosphäre um 150 Prozent gestiegen.

Um die Wirkung von Methan auf das Klima vorherzusagen, muss der Gehalt von OH-Radikalen in der Atmosphäre bekannt sein. Sie sind entscheidend für Abbau und Verweildauer des Methans.

Ein höherer Methangehalt senkt den Gehalt an OH-Radikalen, was wiederum die Lebensdauer der Methanmoleküle verlängert.

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