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Je kleiner, desto blauer
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Die diesjährigen Chemienobelpreisträger Alexei Ekimov, Louis Brus und Moungi Bawendi haben Quantenpunkte hergestellt: Halbleiterkristalle, die so klein sind, dass Quantenphänomene ihre Eigenschaften bestimmen. Über die Größe der Nanopartikel lässt sich daher ihre Farbe einstellen.
Wer hätte gedacht, dass das Teilchen-im-Kasten-Problem aus den Vorlesungen in physikalischer Chemie uns erneut begegnen würde? Das einsame Elektron, das in einen Kasten mit unendlich hohen Wänden eingesperrt ist und sich darin in Wellenform herumtreibt. Die Dimension seines Gefängnisses entscheidet darüber, welche Energiezustände das Elektron einnehmen kann, damit es als stehende Welle in den Kasten passt und sich nicht selbst auslöscht.
Dieses theoretische Problem erschien in der Vorlesung weit hergeholt: Wo kommt der Kasten her? Wieso hat er unendlich hohe Wände? Wie kommt das Elektron hinein? Aber eine konkrete Anwendung gibt es dafür – und die würdigte das Chemienobelpreiskomitee im Oktober 2023: Halbleiterkristalle, die nur wenige Nanometer groß sind und so die Elektronen in den Kasten zwingen − auch wenn dieser nun dreidimensional ist und rund statt eckig.
Die beiden Physiker Alexei Ekimov und Louis Brus stellten in den 1980er Jahren solche Partikel erstmals her; der Chemiker Moungi Bawendi entwickelte ein Jahrzehnt später eine Methode, um diese neue Klasse von Materialien in hoher Qualität zu produzieren. Quantenpunkte wurden die Teilchen aus nur wenigen Atomen später getauft. Inzwischen lassen sie sich wie andere Chemikalien im Katalog aussuchen, und sie haben ihren Weg in käufliche Produkte gefunden, von Computerbildschirmen bis zu Infrarotkameras.
Die Idee gab‘s schon länger
Im Jahr 1937 bastelte der Physiker Herbert Fröhlich mit der Schrödinger-Gleichung. Er sagte voraus, dass sich Nanopartikel nicht wie gewöhnliche Partikel verhalten sollten: Wenn die Teilchen sehr klein werden, hätten die Elektronen weniger Platz, und die Quantenmechanik übernehme. Sprich: Die Eigenschaften des Materials sollten sich dementsprechend verändern.1)
Diese Theorie faszinierte in den kommenden Jahrzehnten viele Forschende. Sie in der Praxis zu erproben, scheiterte aber lange Zeit daran, dass es schlichtweg unmöglich war, solche winzigen Partikel herzustellen. Teilweise gelang das erstmals in den 1970er Jahren. Allerdings handelte es sich dabei nur um einen nanometerdicken halbleitenden Film von GaAs zwischen AlGaAs-Schichten, nicht um ein eigenständiges Material.2) Das war auch bei vielen anderen Studien der Fall, in denen Forschende Nanostrukturen untersuchten, die in oder auf Materialien ein- oder abgelagert waren – die Quantentöpfe. Immerhin beobachteten sie dort tatsächlich einige größenabhängige Quantenphänomene.
Nanopartikel im Glas
Alexei Ekimov stellte zu Beginn der 1980er Jahre erstmals Quantenpunkte her; sie waren allerdings in Glas „eingefroren“.3) Während seiner Doktorarbeit hatte Ekimov Halbleiter untersucht; am Vavilov State Optical Institute in Sankt Petersburg setzte er nun dieselben optischen Methoden ein, um farbiges Glas unter die Lupe zu nehmen. Er stellte hitzebehandeltes Silikatglas her, das mehrere Prozent Kupferchlorid enthielt. Dieser Anteil an CuCl bedeutete, dass die Lösung übersättigt war und CuCl als kristalline Phase in der Glasmatrix ausfiel − in Form von bis zu 30 Nanometer großen Kristallen.
Als Ekimov die Lichtabsorption dieser Nanokristalle im Glas untersuchte, stellte er fest: Die größeren Partikel absorbierten das Licht genauso, wie es von gewöhnlichem Kupferchlorid bekannt war. Die kleineren Partikel aber zeigten – abhängig von ihrer Größe – eine immer stärkere Blauverschiebung. Ekimov erkannte, dass er es hier mit einem Quantenphänomen zu tun hatte.4) Allerdings publizierte er seine Entdeckung in einem sowjetischen Journal, weshalb Forschende auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs davon nichts mitbekamen.
Nanopartikel in Lösung
So wusste auch Louis Brus in den USA nichts von Alexei Ekimovs Entdeckung, als er Anfang der 1980er Jahre in den Bell Laboratories an der Photokatalyse chemischer Reaktionen arbeitete. Dafür stellte er fein verteilte Cadmiumsulfidpartikel in wässriger Lösung her; ein Styrol-Maleinsäureanhydrid-Copolymer sollte Ausfällungen verhindern.
Brus fiel auf, dass sich die optischen Eigenschaften der Partikel veränderten, wenn sie eine Weile in Lösung standen. Tatsächlich waren frische CdS-Partikel nur 4,5 Nanometer groß; nach einem Tag herumstehen waren sie als etwa 12,5 Nanometer große Partikel rekristallisiert. Wie Ekimov beobachtete Brus, dass die kleineren Partikel bei Bestrahlen mit Licht eine Blauverschiebung verursachten.5) Die größeren Partikel hingegen verhielten sich so, wie er es von CdS gewöhnt war. Auch hier wurde den Forschenden bald klar, dass sie es mit den Effekten zu tun hatten, die Herbert Fröhlich im Jahr 1937 vorhergesagt hatte.
Nanopartikel hoher Qualität
Die Teilchen, die im Labor von Louis Brus aus der Lösung ausfielen, waren defektreich und leuchteten daher eher schwach. Moungi Bawendi, geboren in Paris und tunesischer Abstammung, revolutionierte das Forschungsgebiet in den 1990er Jahren: Er entwickelte eine Methode, um gleichsam perfekte Quantenpunkte herzustellen, in wohldefinierter Form und Größe.6) Erst damit wurden sie kommerziell einsetzbar. „Das war wirklich ein Durchbruch und der eigentliche Start für den Erfolg der Quantenpunkte“, sagt Wolfgang Heiß, Professor am Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften, Materialien der Elektronik und der Energietechnologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Seinen Postdoc absolvierte Moungi Bawendi im Labor von Louis Brus. Dort arbeitete man zu der Zeit daran, mit unterschiedlichen Lösemitteln, Temperaturen und Techniken homogene Nanokristalle herzustellen. Nachdem Bawendi ans Massachusetts Institute of Technology gewechselt war, setzte er seine Forschungsarbeiten zu diesem Thema fort.
Im Jahr 1993 publizierte er seine Methode der heißen Injektion. Er gab die gelösten organometallischen Vorläufermoleküle (beispielsweise Dimethylcadmium, Me2Cd, und Trioctylphospinselenid, TOPSe) in ein Reaktionsgefäß mit 300 °C heißem Tri-n-octylphosphinoxid TOPO unter Argonatmosphäre. Beim Zufügen der Reagenzien entsteht eine übersättigte Lösung, und am Ort der Injektion beginnen sich Kristalle zu bilden – in diesem Fall von CdSe. Allerdings sinkt durch das Injizieren der Lösungen gleichzeitig die Temperatur im Reaktionsgefäß, was die Kristallbildung zunächst wieder stoppt. Der weitere Verlauf der Kristallisation lässt sich dann über die Temperatur steuern. Die Dauer bestimmt die Größe der entstehenden Nanopartikel: Je mehr Zeit man der Kristallisation gibt, desto größer werden die Kristalle.
„Bawendi erkannte, dass man höhere Temperaturen braucht und organische nichtpolare Lösungsmittel“, sagt Wolfgang Heiß. „Seine Methode ist breit anwendbar, auch für andere nichthalbleitende Materialien. Unsere Forschungsgruppe etwa setzt sie ein, um Nanopartikel aus Metalloxiden herzustellen.“
Stand heute
Kommerziell eingesetzte Quantenpunkte finden sich inzwischen in Leuchtdioden, den QLEDs. Die Nanosubstanzen absorbieren farbiges Licht und emittieren daraufhin Licht einer anderen Farbe. So lassen sich die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau in Fernseh- und Computerbildschirmen darstellen. Dasselbe passiert in LED-Lampen, die mit Quantenpunkten arbeiten. Die Marktgröße für Quantenpunkte betrug 4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 und wird Schätzungen nach bis zum Jahr 2026 auf 8,6 Milliarden steigen.7)
Seit Moungi Bawendi es möglich machte, Quantenpunkte in hoher Qualität herzustellen, hat sich das Gebiet rasant weiterentwickelt. Beispielsweise entstanden Kern-Schale-Quantenpunkte, bei denen das halbleitende Kernmaterial im Inneren noch von einer Schale aus einem anderen Halbleiter mit größerer Bandlücke umgeben ist, etwa ZnS.8) Dadurch steigt die Quantenausbeute, also der Anteil der Lichtquanten, die ein Nanopartikel nach einer Bestrahlung wieder emittiert. Der Übergang vom Kern zur Schale kann dabei auch graduell erfolgen.
In der Biomedizin lassen sich Quantenpunkte an Biomolekülen anbringen, um Zellen und Organe zu kartieren. Dafür entstanden Methoden, um die Nanopartikel wasserlöslich zu machen, etwa indem sie in eine Schicht aus Siliciumdioxid eingehüllt und mit Polysilanen funktionalisiert wurden.9)
„Der große Boom derzeit sind Perowskit-Quantenpunkte“, sagt Heiß. „Sie sind einfach herzustellen und zeigen spektakuläre Eigenschaften: Sie leuchten bei tiefen Temperaturen schnell und effizient, mit hundertprozentiger Quantenausbeute.“10) Das könnte für die Quanteninformatik interessant sein.
Quantenpunkte befruchten also andere wissenschaftliche Felder, von der Biomedizin bis zur Informationstechnik. „Früher kamen alle Quantenpunktfachleute zu einer Konferenz zusammen, um sich auszutauschen“, sagt Heiß. „Mittlerweile gibt es viele Unterkategorien. Etwa eine Community, die Quantenpunkte in der medizinischen Anwendung untersucht; andere versuchen, sie in der Photovoltaik für dünnere Solarzellen einzusetzen.“ Auch flexible Elektronik und winzige Sensoren könnten von Quantenpunkten profitieren. „Das Feld der Quantenpunkte wird uns sicher noch ein paar Jahrzehnte beschäftigen“, resümiert Wolfgang Heiß.
Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin bei Bonn. www.writingscience.de
INFO: Physik- und Medizinnobelpreis
Die Biochemikerin Katalin Karikó und der Immunologe Drew Weissman haben Nucleosidbasen chemisch modifiziert und damit den Weg für mRNA-Impfstoffe geebnet. Eingeschleust in Zellen produziert diese mRNA Virusproteine, gegen die der Mensch Antikörper bildet.
Anfang der 1990er Jahre schleusten die späteren Preisträger dazu mRNA in Zellen ein, die sie in vitro produziert hatten. Dies führte allerdings hauptsächlich zu Entzündungen statt Protein. Säugetier-mRNA wurde jedoch nicht abgestoßen, da Säugetiere ihre Nucleosidbasen modifizieren. Karikó und Wissman tauschten daraufhin die Base Uridin (U) unter anderem gegen deren Regioisomer Pseudouridin (Ψ) aus.
Die mit dem Nobelpreis gewürdigten Physiker:innen Ferenc Krausz, Pierre Agostini und Anne L’Huillier haben Attosekundenlichtpulse erforscht. Mit diesen lässt sich beobachten, wie sich Elektronen in Atomen und Molekülen bewegen und ihre Energie ändern. Als L‘Huillier im Jahr 1987 IR-Laserlicht durch ein Edelgas leitete, beobachtete sie Obertöne, also Licht mit einem Vielfachen der Energie. Die Lichtwelle stört dabei das Atomfeld des Edelgases, sodass ein Elektron aus diesem heraustunnelt und durch das Laserlicht weitere Energie aufnimmt. Relaxiert es schließlich, gibt es die aufgenommene Energie als Licht ab. Agostini produzierte später periodische Lichtpulse, indem er die Obertöne konstruktiv und destruktiv interferieren ließ, und maß die Pulsdauer. Krausz isolierte erstmals ein Lichtpuls von 650 as. Er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in München. Der Trendbericht Theoretische Chemie [diese Nachrichten, S. 67] befasst sich ebenfalls mit Attosekundenprozessen.
- 1 H. Fröhlich, Physica 1937, IV, 406–412
- 2 R. Dingle, W. Wiegmann, C. H. Henry, Phys. Rev. Lett. 1974, 33, 827–830; doi: 10.1103/PhysRevLett.33.827
- 3 A. I. Ekimov, A. A. Onushchenko, V. Tsekhomskii, Sov. Glass Phys. Chem. 1980, 6, 511–512
- 4 A. I. Ekimov, A. A. Onushchenko, JETP Lett+ 1981, 34, 345–349
- 5 R. Rossetti, S. Nakahara, L. E. Brus, J. Chem. Phys. 1983, 79, 1086–1088, doi: 10.1063/1.445834
- 6 C. B. Murray, D. J. Norris, M. G. Bawendi, J. Am. Chem. Soc. 1993, 115, 8706–8715; doi: 10.1021/ja00072a025
- 7 www.marketsandmarkets.com/Market-Reports/quantum-dots-qd-market-694.html
- 8 M. A. Hines, P. Guyot-Sionnest, J. Phys. Chem-Us 1996, 100, 468–471; doi: 10.1021/jp9530562
- 9 M. Bruchez, M. Moronne, P. Gin, S. Weiss, A. P. Alivisatos, Science 1998, 281, 2013–2016; doi: 10.1126/science.281.5385.2013
- 10 L. Protesescu, S. Yakunin, M. I. Bodnarchuk et al., Nano Lett. 2015, 15, 3692–3696; doi: 10.1021/nl5048779
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