Gesellschaft Deutscher Chemiker
Keine Benachrichtigungen
Sie haben noch keine Lesezeichen
Abmelden

Artikel

Ist Geruchsverlust heilbar?

Nachrichten aus der Chemie, Oktober 2022, S. 64-65, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Covid-19 führt bei vielen Erkrankten zu vorübergehendem oder gar lang anhaltendem Verlust des Geruchssinns (Anosmie). Damit rückt die Pandemie ein lange vernachlässigtes Gesundheitsproblem ins Rampenlicht – und weckt Hoffnung auf Fortschritt bei der Behandlung.

Der Geruchsverlust wurde schon in den ersten Monaten der Pandemie als häufiges Symptom der Infektion mit Covid-19 erkannt – sogar bei manchen Infizierten, die sonst keine Symptome aufwiesen. Inzwischen wissen wir: Diese Beeinträchtigung kann in vielen Fällen über Monate andauern, womöglich bleibt sie sogar permanent. In manchen Fällen verändert sich das Geruchsempfinden (Parosmie).

https://media.graphassets.com/xD7eLcnQHNr9yCGPL8gW
Lagunov / Adobe Stock

Folgen des Geruchsverlusts

Während Menschen, die ohne Geruchssinn geboren werden, diesen oft nicht vermissen, stellt die später auftretende Anosmie für die Betroffenen meist einen Verlust an Lebensqualität dar. Da zum Beispiel ein Großteil des Geschmackserlebnisses beim Essen auf den Geruchssinn zurückzuführen ist, kann dessen Verlust oder Veränderung die Ernährungsgewohnheiten wandeln. Auch Naturerlebnisse und soziale Kontakte beeinträchtigt ein Geruchsverlust.

Parosmie, obwohl oft als noch belastender empfunden, gilt als die hoffnungsvollere Diagnose – das Gehirn versucht immerhin, die eingehenden Duftstoffe zu interpretieren. Das plötzliche Auftreten von zahlreichen Fällen mit bekannter Ursache ist nun für die Forschung eine Chance, die Anosmie besser zu verstehen und womöglich zu heilen.

Vor der Coronapandemie betraf Anosmie zwischen 5 und 15 Prozent der Bevölkerung. Manche Fälle wurden einer Virus-Infektion, Rhinosinusitis (Entzündung der Nasenschleimhaut und Nebenhöhlen) oder Hirnverletzung zugeschrieben, andere einfach dem Altern; viele blieben unerklärt. Da die Ursachen unzureichend verstanden sind und auch spontane Heilung vorkommt, war es schwierig, eine Therapie zu entwickeln und zu testen. Aufgrund der kulturell weit verbreiteten Geringschätzung des menschlichen Geruchssinns hatte das Thema geringe Priorität.1)

Heilmethoden

Aria Jafari von der University of Washington in Seattle und Eric Holbrook an der Harvard Medical School haben vor kurzem in einem Review-Artikel die verfügbaren Methoden im Licht der durch Covid-19 veränderten Situation zusammgefasst.2)

Die bisher am häufigsten versuchte Heilmethode ist das Geruchstraining, das Thomas Hummel von der TU Dresden im Jahr 2009 entwickelt hat. Diese Methode sieht vor, täglich an vier Geruchsproben zu schnüffeln – im ursprünglichen Protokoll an Rosen-, Eukalyptus-, Gewürznelken- und Zitronenduft.

Seither haben andere Arbeitsgruppen Varianten der Methode entwickelt und wie Hummel beobachtet, dass sich der Geruchssinn bei manchen Patient:innen ändert oder zurückkommt. Da die Methode einfach, preiswert und nichtinvasiv ist, schadet es nicht, sie zu probieren, auch wenn es keine Erfolgsgarantie gibt.

Eine medikamentöse Therapie existiert nur für die Fälle, in denen der Geruchsverlust auf eine Rhinosinusitis zurückzuführen ist. Wenn dies die Ursache ist oder sein könnte, empfiehlt sich die lokale oder systemische Anwendung von Corticosteroiden.

Helfen diese etablierten Methoden nicht, gibt es einige neuere Ideen, die gerade erprobt werden. Jafari und Holbrook besprechen unter anderem klinische Studien, die mit N-Acetyl-Cystein verletzte Geruchsnerven schützen oder patienteneigenes thrombozytenreiches Plasma (auch plättchenreiches Plasma, PRP, genannt) verabreichen. Dies ist eine Methode, die in anderen Geweben Knochen, Wunden, Sehnen bereits bei der Funktionsregeneration geholfen hat.

Holbrooks Arbeitsgruppe hat außerdem Geruchsnerven elektrisch angeregt und vielversprechende Ergebnisse erhalten, die weitere Untersuchungen nahelegen.

Technische Lösungen

Anhänger der bio-elektronischen Vorgehensweise träumen von einem künstlichen Geruchssensor, der seine Wahrnehmungen elektronisch an das Gehirn weitergibt, ähnlich dem Cochlea-Implantat für Gehörlose. Richard Costanzo und Daniel Coelho an der Virginia Commonwealth University in Richmond, USA, haben ein Patent für ein solches Gerät angemeldet, einen Prototyp gebaut und vorläufige Untersuchungen mit Ratten durchgeführt.3)

Ein europäisches Projekt zur Entwicklung eines prosthetischen Geruchssinns startete im September 2021 unter Federführung von Moustafi Bensafi vom Centre National de la Recherche Scientifique in Lyon. Es läuft unter der Bezeichnung Rose (restoring odorant detection and recognition in smell deficits). Neben anderen Forscher:innen aus mehreren EU-Ländern ist Thomas Hummel aus Dresden beteiligt. Im Projekt soll ein digitales Geruchsmodul entstehen, das Menschen mit Geruchsverlust ermöglicht, ihre Umgebung wieder olfaktorisch wahrzunehmen.

Über die Zuordnung von detektierten Molekülen und Geruchssignalen braucht man sich dabei keine Gedanken zu machen – das kann die Elektronik mit künstlicher Intelligenz und Deep-Learning-Algorithmen selbst herausfinden. Nach der Entdeckung, dass Hunde Covid-19-Infizierte erschnüffeln können, entwickelte Noam Sobel vom Weizmann-Institut in Rehovot, Israel, eine elektronische Nase, die durch Deep Learning darauf trainiert wurde, es den Hunden gleichzutun.4)

Problematisch könnte hingegen die Sicherheit des Gehirns beim Einpflanzen von Geruchshilfen sein. Die Geruchsnerven sind insofern einzigartig, als sie einen direkten Kanal von der Außenwelt in das Gehirn darstellen. Ein System, das diese Leitung nutzt oder nachahmt, müsste besonders gründlich gegen Gefahren wie das Eindringen von Fremdstoffen gesichert werden.

Hakim Benkhatar vom Centre Hospitalier de Versailles, Frankreich, und andere haben an menschlichen Kadavern eine erste Sicherheitsstudie durchgeführt. Sie identifizierten das Austreten der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit als Risiko, das bei der Anwendung berücksichtigt werden sollte.5)

Die Coronapandemie hat einigen Forschungsgebieten Auftrieb gegeben, etwa der medizinischen Anwendung von RNA-Molekülen.6) Ähnlich könnte es nun dem lange vernachlässigten Gebiet der Geruchswahrnehmung und Anosmie gehen. Für alle, die ihren Geruchssinn als Covid-Folge oder anderweitig verloren haben, ist es tröstlich, dass das Thema jetzt verstärkt Aufmerksamkeit findet7) und die Suche nach Therapien neuen Schub bekommt.

Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. www.michaelgross.co.uk

AUF EINEN BLICK

Nicht nur infolge einer Covid-Infektion kann der Geruchssinn verschwinden oder sich verändern.

Je nach Ursache wurden bisher Geruchstraining oder örtlich wirksame Corticosteroide eingesetzt.

Jetzt werden weitere Medikamente wie N-Acetylcystein untersucht, und elektronische Hilfsmittel sind in der Entwicklung.

  • 1 M. Groß, Chem. unserer Zeit 2016, 50, 140–143
  • 2 A. Jafari, E. H. Holbrook, Curr. Allergy Asthma Rep. 2022, 22, 21–28
  • 3 R. Costanzo, D. Coelho, Int. Forum Allergy Rhinol. 2018, 8, 922–927
  • 4 K. Snitz et al, PLoS ONE 2021, 16, e0252121
  • 5 H. Benkhatar, C. Loubieres, A. R. Kada, M. De Malherbe, N. Meunier, Rhinology 2022, 60, doi: 10.4193/Rhin21.376
  • 6 M. Groß, Nachr. Chem. 2021, 69(7/8), 60–61
  • 7 R. Hodson, Nature 2022, 606, S1 doi: 10.1038/d41586–022–01625-y

Wissenschaft + Forschung

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...

Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.