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Glasindustrie in Deutschland

Von schmückend bis lebenswichtig

Nachrichten aus der Chemie, Mai 2022, S. 39-40, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Die Glasindustrie besteht im Wesentlichen aus fünf Branchen. Alle fußen auf der jahrtausendealten Tradition des Glasmachens. Dazu kommen neue Anwendungen wie Glasfasern und neue Herausforderungen wie die Dekarbonisierung.

Glashütten in Deutschland sind eine jahrhundertealte Tradition. Doch die Geschichte des Werkstoffs reicht noch weiter in die Vergangenheit. Die ältesten Funde gehen zurück auf die Steinzeit um 7000 v. Chr. Organisiertes Verarbeiten von Glas begann etwa um 3000 v. Chr., als die Ägypter Schmuckstücke und kleinere Gefäße aus Glas fertigten. Heute schätzen die Lebensmittel- und Getränkeindustrie Glas als Verpackungsmaterial, und es ist Bestandteil von Hightech-Anwendungen, welche die Spezialglasindustrie herstellt. Dazu zählen optische Gläser oder Displayglas für Smartphones.

Charakteristisch für die Glasindustrie ist, dass sich viele Hütten im ländlichen Raum befinden. Die Unternehmen gehören dort in der Regel zu den größeren Arbeitgebern, die für Generationen von Einwohnern Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie tragen dazu bei, den Wohlstand in der Region zu sichern, und sind Teil des gemeinschaftlichen Lebens. Im Jahr 2020 waren in der Glasindustrie etwa 53 000 Menschen in etwa 330 Unternehmen in verschiedenen Branchen beschäftigt (Abbildung). Sie setzten 9,35 Mrd. Euro um, 4,6 Prozent weniger als im Jahr 2019.

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Die Umsatzanteile der Glasbranchen im Jahr 2020.

Sechs Primärrohstoffe

Glas zeichnet sich durch seine Natürlichkeit aus, denn es wird fast ausschließlich aus natürlichen oder naturidentischen anorganischen Rohstoffen hergestellt. Diese kommen größtenteils in Deutschland vor oder werden hier produziert.

Insgesamt sind für Kalknatron-Silikatgläser (Flachglas und Behälterglas) im Wesentlichen sechs mineralische Rohstoffe nötig: zirka 70 Anteile Quarzsand (SiO2), 13 Anteile Soda (Na2CO3), 10 Anteile Kalk (CaCO3) und geringe Anteile Dolomit (CaMg(CO3)2), Feldspat (diverse Silikatminerale) und Pottasche (K2CO3). Auswahl und Anteil der Glasrohstoffe ergeben sich aus den geforderten Eigenschaften des Glaserzeugnisses und dem jeweiligen Herstellungsprozess.

Zudem sind aufbereitete Altglasscherben bei der Glasherstellung wichtig. Glas ist zu 100 Prozent stofflich wiederverwertbar. Aus gebrauchtem Glas entsteht so im geschlossenen Kreislauf immer wieder neues Glas, das der Produktion weiterer Glasprodukte dient. Im Behälterglasgemenge haben Scherben den Sand als Hauptkomponente sogar ersetzt.

Behälterglas

Die Glasindustrie besteht im Wesentlichen aus fünf Branchen: Die Behälterglasindustrie produziert Verpackungen für die Getränke- und Ernährungsindustrie, Arzneimittelhersteller und Kosmetikunternehmen. Die Ernährungs- und Getränkeindustrie war mit 17,4 Prozent im Jahr 2020 einer der wichtigsten Kunden der Glasindustrie (Abbildung S. 40).

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Anteile der Kundenindustrien der Glasbranchen im Jahr 2020.

Hersteller von Lebensmitteln und Getränken setzen vor allem darauf, dass Glasverpackungen natürlichen Ursprungs und zu recyceln sind sowie auf eine Eigenschaft, die nur Glas bietet: Es ist nahezu inert, wechselwirkt also nicht mit dem verpackten Füllgut. Dies macht es zudem zur Verpackung der Wahl bei pharmazeutischen Produkten, bei denen es besonders darauf ankommt, die Reinheit des Medikaments zu wahren.

Flach- und Spezialglas

Die Flachglasindustrie fertigt Flachgläser für die Bauwirtschaft, die mit etwa 50 Prozent Anteil der größte Kunde der gesamten Glasindustrie ist. Dazu kommen Architektur, Fahrzeugbau und Möbelindustrie. Dabei ist die Flachglasindustrie mehr als ein „Fensterglashersteller“: Die Gläser haben Zusatzfunktionen wie Wärmedämmung, Sonnenschutz und Selbstreinigung und steigern damit nicht nur den Komfort, sondern tragen auch zum Klimaschutz bei.

Die Spezialglasindustrie ist mit ihrer Produktpalette breit aufgestellt. Vom Glaskeramikkochfeld über Laborgläser bis zu hauchdünnen Displays für Smartphones: Die Kunden, zu denen Elektroindustrie, Feinmechanik und Optik, Anlagenbau, Nachrichten- und Umwelttechnik gehören, setzen Glas unterschiedlich ein.

Zur Spezialglasindustrie zählen zudem die Hersteller von Borosilikatglas. Es hat eine andere Zusammensetzung als das Kalknatronglas, aus dem etwa Verpackungen hergestellt werden. Diese Glasart zeichnet sich durch eine hohe Beständigkeit gegen chemische Einwirkungen und Temperaturunterschiede aus. Sie ist daher die erste Wahl für die Verpackung von Medikationen mit hohem pH-Wert, also etwa alkalischen Biopharmazeutika. Sie verpacken zudem Mittel, die dem Patienten gespritzt werden müssen.

Glasfasern und Glasbearbeitung

Glasfasern werden aus reinem Quarzglas gefertigt und für Glasfaserkabel zur Datenübertragung verwendet. Sie ermöglichen, Telefongespräche und digitale Daten schnell über große Entfernungen zu übertragen. Glasfasern dienen zudem als Dämmstoff in der Bauindustrie. Bei Windrädern verstärken sie die Rotorblätter.

Zur Glasindustrie gehören zudem die Glasbearbeiter und -veredler. Sie verleihen vielen Produkten einen Zusatznutzen oder verschönern sie.

Energieintensiv

So vielseitig die Produkte der Glasindustrie auch sind: Die Glasherstellung verläuft bis auf die Formgebung im Wesentlichen in allen Branchen gleich. Glas herzustellen ist energieintensiv. Dabei werden die Rohstoffe bei Temperaturen von 1450 °C bis 1650 °C geschmolzen. Der Schmelzprozess macht bis zu 85 Prozent des Energiebedarfs und etwa 80 Prozent der CO2-Emissionen der Herstellung aus.

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine kommt der Energieintensität der Glasindustrie noch einmal eine neue Bedeutung zu. Denn die Versorgungssicherheit mit Erdgas ist für die Glasindustrie, deren Glaswannen an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden pro Tag durchlaufen, ein entscheidender Faktor. Zudem bereiten die steigenden Strom- und Gaspreise der Glasindustrie Sorgen bis hin zur Existenzangst. Denn will sie weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren und die große Herausforderung der Zukunft – bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu produzieren – meistern, müssen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden: Niedrige Energiepreise sind für die Umstellung auf alternative Energieträger eine Grundvoraussetzung.

Dekarbonisieren

Zurzeit stehen drei Techniken zur Dekarbonisierung der Glasindustrie im Fokus: die vollständige Elektrifizierung mit Grünstrom, der Bau hybrider Glaswannen, die mit Strom und Erdgas oder später Wasserstoff betrieben werden, sowie der Einsatz nachhaltig erzeugter Gase, darunter Wasserstoff oder biogene Gase. Das Befeuern mit solchen Gasen kann dabei sowohl wie eine konventionelle Verbrennung mit Luft als auch mit Sauerstoff (Oxyfuel-Verfahren) erfolgen. Dabei ist das Oxyfuel-Verfahren zukunftsweisend.

Die Frage, welche Technik für die Dekarbonisierung der Glasindustrie zukunftsfähig sein wird, erfordert Forschung und Entwicklung. Dabei läuft die Zeit, denn die Glasindustrie hat lange Investitionszyklen: Eine Glaswanne hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 15 Jahren, und ein (Um-)Bau ist mit Investitionen im zweistelligen Millionenbereich verbunden. Bei der Umstellung auf eine Technik, die sich langfristig als nicht zukunftsfähig erweist, drohen Fehlinvestitionen und der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen stellt sich die Glasindustrie den Herausforderungen der Transformation. Ohne Produkte aus Glas wird die politisch geforderte CO2-Neutralität nicht zu erreichen sein.

Die Autorin

Dorothée Richardt ist seit dem Jahr 2009 Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Glasindustrie. Die Juristin fand ihren Weg in die Öffentlichkeitsarbeit über Studentenjobs beim Radio, bei Verlagen, beim Bundesverband Solarwirtschaft und einer Düsseldorfer PR-Agentur.

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Industrie + TechnikSchlaglicht: Glas

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