Gesellschaft Deutscher Chemiker

Glasanalytik

Das Bunte durchblicken

Nachrichten aus der Chemie, Mai 2022, S. 41-44, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

An blauen und braunen Gläsern lässt sich zeigen, wie eine Software Spektren berechnen kann. Die Ergebnisse sind fast so genau wie nasschemische Analysen.

Ähnlich wie in wässrigen Lösungen haben Ionen der Übergangsmetalle in transparenten Glassystemen charakteristische Absorptionsbanden im UV-, Vis- und NIR-Spektralbereich. Die absorbierende Wirkung dieser Ionen korreliert mit deren Konzentrationen. Lage, Breite und Intensität dieser Absorptionsbanden hängen darüber hinaus von der chemischen Zusammensetzung des Basisglases ab, da die Glasmatrix die auf die Ionen wirkenden Ligandenfelder beeinflusst.1)

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Foto: Thomas / Adobe Stock

Farbgebende Ionen

Zu den wichtigen Chromophoren gehören die im Glas gelösten Ionen Fe2+, Fe3+, Cr3+, Cr6+, Mn2+, Mn3+, Ni2+ und Co2+. Dazu kommen Farbanionen wie bei Braunglas ein Sulfoferritkomplex2) oder ein rötlich tönendes Eisenselenid(FeSe)-Chromophor.2,4,5) Farbgebend sind zudem kolloidale Ausscheidungen von Metallen, etwa Gold in Goldrubin.3,4)

In der Praxis liegen in einem Glas nicht selten Ionen von zwei oder mehr polyvalenten Elementen nebeneinander vor. Während des Schmelzens und anschließenden Kühlens kann zwischen diesen Ionen ein Elektronenaustausch stattfinden. Deshalb laufen abhängig von Glaszusammensetzung, Temperatur, Ofenatmosphäre und Kühlgeschwindigkeit Redoxreaktionen ab.5) So wird Eisen durch das in der elektrochemischen Spannungsreihe darüber stehende Cer oxidiert oder durch das darunter stehende Zinn reduziert.6)

Die Konzentrationen aller Farbionen, die im fertigen Glas bei Raumtemperatur vorliegen, bestimmen den spektralen Verlauf der Lichttransmission und damit die Glasfärbung. Nicht alle Ionen weisen im untersuchten Wellenlängenbereich (350 bis 1100 nm) Absorptionsbanden auf; sie tragen folglich nicht zur Farbe des Glases bei. Farblose Ionen polyvalenter Elemente (Sn2+/Sn4+) wirken über Redoxreaktionen.

Das technisch bedeutendste polyvalente System ist das von Eisen. Es liegt im Glas zum Teil zwei- und zum Teil dreiwertig vor. Die Farbe eines Glases, das Eisen enthält, hängt also wesentlich davon ab, wie hoch die jeweiligen Konzentrationen der Fe2+- und Fe3+-Ionen sind. Diese Konzentrationen ergeben sich aus dem Gesamteisengehalt (Feges.) und dem Redoxverhältnis ([Fe2+]/[Feges.]).

Farbkoordinaten

Die Farbe eines Glases in Durchsicht beruht auf seiner spektralen Lichttransmission im sichtbaren Wellenlängenbereich (380 bis 780 nm) und der Wahrnehmung des Transmissionsspektrums durch das menschliche Auge.7) Es sind zwei Methoden üblich, den Farbeindruck über quantitative Kenngrößen (Farbkoordinaten) zu beschreiben: das Farbmodell der Internationalen Beleuchtungskommission (Commission Internationale de l‘Éclairage, CIE) CIELab (Abbildung oben) und die Normfarbtafel Young-Helmholtz. Diese gibt den Farbeindruck einer Glasprobe wieder, und zwar über die dominierende Wellenlänge, die Sättigung und die Helligkeit. Der Farbraum nach L*a*b* wird häufig bei schwach gefärbten Gläsern (Weißglas) verwendet und als Kenngrößen dienen Helligkeit (L*), das Grün-Rot- (a*) und das Blau-Gelb-Verhältnis (b*). Die mathematischen Gleichungen, die die Farbkoordinaten aus den Transmissionsspektren berechnen, sind gemäß DIN EN 410:2011–04 normiert (Kasten, Gleichung I).

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Der Lab-Farbraum mit den Kenngrößen Helligkeit (L*), Grün-Rot- (a*) und Blau-Gelb-Verhältnis (b*).

Beim Messen von Transmissionsspektren ist zu berücksichtigen, dass an den Grenzflächen Luft zu Glas oder Glas zu Luft ein Teil des Lichts reflektiert wird. Üblicherweise steigt der Brechwert des Glases mit abnehmender Wellenlänge des Lichts, besonders stark im kurzwelligen Bereich (λ < 400 nm). Der Brechwert handelsüblichen Flachglases (Kalk-Natron-Silikatglas) ist im sichtbaren Spektralbereich nahezu konstant bei zirka 1,52. Damit ergibt sich ein nahezu konstanter Reflexionsgrad von 0,0426: 4,26 Prozent des Lichts werden an der Grenzfläche Luft zu Glas oder Glas zu Luft reflektiert. Bei Betrachtung eines größeren Spektralbereichs – vom nahen UV bis in den nahen IR-Bereich – ist mit einer Zu- beziehungsweise Abnahme des Brechwerts um 0,05 Einheiten zu rechnen.

Der spektrale Transmissionsgrad einer Glasscheibe hängt vom Reintransmissionsgrad (innere Transmission; Kasten, Gleichung II) und dem spektralen Reflexionsgrad an den Grenzflächen Luft/Glas oder Glas/Luft ab. Der Primärstrahl durchläuft das Glasmuster direkt, und dazu kommen mehrfach reflektierte Strahlanteile.

INFO: Gleichungen zur Glasspektroskopie

Bei senkrechtem Lichteinfall auf eine Glasoberfläche gilt:

R(λ)=[n(λ)–1]2·[n(λ)+1]–2 (I)

mit R(λ): Reflexionsgrad an der Grenzfläche Luft/Glas oder Glas/Luft bei Wellenlänge λ und n(λ): Brechwert (Brechungsindex) des Glases bei der Wellenlänge λ.

Unter Berücksichtigung der Reflexionen an einem Glasmuster mit planparallelen Oberflächen gilt gemäß DIN EN 410:2011 (D), Anhang A: T(λ)= [1–R(λ)]2·Ti(λ)·[1–R(λ)2·Ti(λ)2]–1 (II)

mit T(λ): spektraler Transmissionsgrad einer Glasscheibe; Ti(λ): Reintransmissionsgrad (innere Transmission) einer Glasscheibe; R(λ): spektraler Reflexionsgrad an der Grenzfläche Luft/Glas oder Glas/Luft.

Der Term im Nenner von (II) gibt an, um welchen Faktor der Primärstrahl, der das Glasmuster direkt durchläuft, unter Berücksichtigung von mehrfach reflektierten Strahlanteilen zu korrigieren ist.

Für die Umrechnung von T(λ) nach Ti(λ) lässt sich bei einem Reflexionsgrad von zirka vier Prozent mit einem in der Praxis vernachlässigbaren Fehler eine Näherungsformel nutzen:

T(λ)=[1–R(λ)]2·Ti(λ) (II b)

Mit dem Lambert-Beerschen Gesetz, und wenn die Extinktionskoeffizienten der Farbkomponenten unabhängig voneinander sind, gilt:

Ex(λ)=dx·Σci,x·ԑi(λ) (III)

mit Ex(λ): Extinktion der Glasprobe x; dx: Dicke der Probe [cm]; ci,x: Konzentrationen Farbkomponenten [MA.-%]; εi(λ): Extinktionskoeffizienten der Farbkomponenten [1·(cm·MA.-%)–1].

Zweistrahlphotometer

Um die Reintransmission genau zu berechnen, ist der spektrale Verlauf des Brechwerts zu berücksichtigen. Die entsprechenden Daten liegen aber oft nicht vor. Ein Messverfahren umgeht dieses Problem: Die Proben werden in einem Zweistrahlphotometer mit Küvetten gemessen, die mit Immersionslösungen gefüllt sind (Abbildung rechts). Nach Abgleich einer Basislinie, bei der beide Küvetten mit Immersionslösung gefüllt sind, wird das Glasmuster in die Probenküvette eingeführt. Bei der Korrektur der Messdaten ist die innere Transmission der Immersionslösung zu berücksichtigen, die durch die Glasprobe verdrängt worden ist (Probendicke).

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Aufbau eines Zweistrahlphotometers, um Glasmuster zu vermessen.

Voraussetzung für dieses Verfahren ist, dass die Brechwerte von Küvette, Immersionslösung und Glasmuster möglichst dicht beieinanderliegen. So wird der Lichtstrahl an den Grenzflächen Küvette zu Immersionslösung und Glas zu Immersionslösung nicht oder kaum reflektiert. Damit ergeben sich für Brechwerte von etwa 1,5 Differenzen im Reflexionsgrad unter 0,03 Prozent. Die Primärreflexionen des Messstrahls an den Grenzflächen Luft zu Küvette zu Luft heben sich bei diesem Verfahren auf – gleiche Küvetten und Immersionslösungen in beiden Strahlgängen beim Messen von Baseline und mit Probe vorausgesetzt.

Aus den Messdaten lässt sich ohne detaillierte Kenntnis des spektralen Verlaufs des Brechwerts einer Glasprobe die innere Transmission genau genug bestimmen.

Extinktionskoeffizienten

Die innere Transmission eines homogenen, transparenten Stoffs hängt gewöhnlich exponentiell von der Dicke des durchstrahlten Probeköpers und den Konzentrationen färbend wirkender Komponenten im Glas ab.

Grundlegend beschrieb dies C. Ray Bamford im Jahr 1977.4) Er hatte dazu die Absorption verschiedener Ionen in einem begrenzten Spektrum untersucht und die Extinktionskoeffizienten abhängig von der Wellenlänge in 10-nm-Schritten für ein Kalk-Natron-Silikatglas ermittelt.

Begriffe wie oxidierende und reduzierende Gläser werden in der Praxis oft verwendet, sind aber wenig verstanden. Wie sich unter anderem zeigte, waren Bamfords Modelle zum Teil lückenhaft, etwa bei Chrom(VI), oder es war eine differenzierte Ausarbeitung nötig wie beim Sulfoferritkomplex.

Projektarbeiten beim IGR Institut für Glas- und Rohstofftechnologie zusammen mit Dr. Drexler Glasservice haben diese Extinktionskoeffizienten in Versuchsschmelzen und Messungen für färbende Ionen ermittelt, darunter auch für Eisen und Schwefel im Braunglas. Der physikalische Zusammenhang zwischen diesen Parametern genügt gewöhnlich dem Lambert-Beerschen Gesetz.

Gläser können prinzipiell mehrere färbend wirkende Komponenten enthalten. Unter der Voraussetzung, dass die Extinktionskoeffizienten der Farbkomponenten eines Glasmusters voneinander (linear) unabhängig sind, lässt sich die Extinktion durch einen Summenterm beschreiben (Kasten, Gleichung III).

Kupferhaltige Muster

Im Labor wurden kupferhaltige Glasproben geschmolzen, chemisch analysiert und spektral vermessen. Kupfer kann in klassischen Kalk-Natron-Silikatgläsern zwei-, ein- und nullwertig vorkommen. Dabei färbt Cu2+ die hier betrachtete Glassorte blau, Cu+ ist laut Literatur farblos, und Cu0 erzeugt als Anlauffarbe einen rötlichen bis rötlich-braunen Farbstich (Kupferrubin).3,4)

Die Herstellung von Kupferrubinglas setzt reduzierende Schmelzbedingungen oder eine thermische Nachbehandlung unter einer reduzierend wirkenden Atmosphäre voraus. Die kupferhaltigen Glasmuster dieser Versuche wurden dagegen in einem Elektroofen unter Luftatmosphäre, also unter leicht oxidierenden Bedingungen geschmolzen.

Die Auswertung der Transmissionsspektren liefert Indizien dafür, dass die Glasschmelzkörper – bei gleicher chemischer Basiszusammensetzung – je nach Temperaturregime des Schmelzprozesses das eingesetzte Kupfer nicht nur als Cu2+, sondern auch in niedrigeren Oxidationsstufen enthalten. Zumindest Cu+ gilt aufgrund einer typischen Fluoreszenzstrahlung, die bei einzelnen Glasproben mehr oder weniger stark ausgeprägt war, als gesichert.

Zwischen 550 und 1100 nm lassen sich Transmissionsspektren mit nur einem Farbion (Cu2+) als Chromophor nachbilden. Unterhalb von 550 nm zeigen sich mit kürzer werdender Wellenlänge zunehmend Abweichungen zwischen Mess- und Simulationskurven. Führt man zusätzlich zu Cu2+ einen weiteren Farbkomplex (Cu*) mit entsprechend angepassten und optimierten Extinktionskoeffizienten ein (Kasten, Gleichung III), so lassen sich auch im Bereich von 350 bis 550 nm Transmissionsspektren gut simulieren.

Nach Vlasova wird die Absorption im kurzwelligen Spektralbereich nur von einem kleinen Anteil der Cu2+-Ionen bewirkt, die eine vierfache Koordination [CuIIO4] aufweisen.8,9) Der Großteil der Cu2+-Ionen ist aber sechsfach koordiniert [CuIIO6]. Die Absorptionsbande dieser Ionen liegt im langwelligen Spektralbereich des sichtbaren Lichts und bewirkt entsprechend eine Blautönung des Glases.

Wie statistisch basierte Optimierungsversuche mit den vorliegenden Datensätzen ergaben, korreliert der Konzentrationswert eines neu eingeführten Cu*-Farbkomplexes mit dem Produkt aus dem Konzentrationswert von Cu2+ und dem verbleibenden Rest ([Cuges.]–[Cu2+]). Diesen Befund zu verstehen, erfordert weitere Forschungsarbeiten.

Der Sulfoferritkomplex

Neue Erkenntnisse gibt es bei weiteren polyvalenten Ionen und besonders zum Sulfoferritkomplex. Bei der Bestimmung von Extinktionskoeffizienten wurde in Anlehnung an Zaman und Douglas zunächst davon ausgegangen,10) dass die Konzentration des Sulfoferritkomplexes proportional ist zum Produkt aus den Konzentrationswerten der Fe3+- und Sulfidionen im betreffenden Glasmuster. Wie sich zeigte, wirken jedoch weitere sulfidische Komplexe (wahrscheinlich Polysulfide3) und Sulfide anderer Metallionen) bei der Färbung eines derartigen Glases mit.

Systematischer Vergleich verschiedener Proben und statistische Methoden lieferten unter Bezug auf eine Referenzprobe relative Extinktionskoeffizienten für den Sulfoferritkomplex und zwei weitere sulfidische Farbkomponenten. Damit ließen sich die Transmissionsspektren aller Glasmuster simulieren.

Diese Erkenntnisse wurden in eine hierfür entwickelte Software integriert. Diese ist bisher weltweit einmalig und hilft, die Konzentrationen der polyvalenten Elemente im Glas zu ermitteln. Das Fitten der Spektren kombiniert mit der chemischen ICP- oder RFA-Glasanalyse liefert bei Kalk-Natron-Silikatgläsern nun die Konzentrationswerte von mehr Farbionen und anderen Farbkomplexen (Abbildung links oben). Manuelles Fitten gleicht die Spektren einander an. Im Beispiel wurden damit vom Gesamteisen 81,5 Prozent als Fe2+ identifiziert (Abbildung links unten), eine nasschemische Analyse ergab bei dieser Probe 82,3 Prozent.

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Farbspektren aus Farbanalyse (rot) und aus chemischer Analyse modelliert (blau).
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Farbspektren aus Farbanalyse (rot) und aus chemischer Analyse gefittet (blau).

Die Autoren

Den Beitrag haben Dirk Diederich und Hubert Drexler verfasst. Diederich ist Geschäftsführer des IGR Institut für Glas- und Rohstofftechnologie sowie von der Industrie- und Handelskammer Hannover öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger mit dem Sachgebiet „Industrielle Glastechnologie“ (Herstellung, Analytik und Qualitätssicherung). Zuvor war er 20 Jahre Labor- und Abteilungsleiter Glastechnologie bei einer Hohlglashütte. Drexler ist seit einem Jahr im Ruhestand. Nach Forschung bei einem Flachglashersteller und anschließender Laborleitung bei einem Rohstoffhersteller war er zuletzt Geschäftsführer von Dr. Drexler Glasservice.

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  • 1 C. R. Bamford, Colour Generation and Control in Glass, Elsevier, 1977
  • 2 R. G. C. Beerkens, Glass Sci. Technol. 2003, 76(4), 166
  • 3 M. B. Volf, Chemical Approach to Glas, Elsevier, 1984
  • 4 W. A. Weyl, Coloured Glasses, Society of Glass Technology, 1978 & 1981
  • 5 P. Buhler, Glastech. Ber. Sci. Technol. 1999, 72(8), 245
  • 6 H. Müller-Simon, Hüttentechnische Vereinigung der Deutschen Glasindustrie, Offenbach, 20.10.2005 (PP-Präsentation)
  • 7 M. Richter, Einführung in die Farbmetrik, 2. Aufl., Walter de Gruyter & Co., 1981
  • 8 H. Scholze, Glas. Natur, Struktur und Eigenschaften, 3. Aufl., Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1988
  • 9 N. J . Vlasova, L. I. Demkina, V. I. Karaseva, Sov. J. Glass Phys. Chem. 1984, 10, 213
  • 10 R. W. Douglas, M. S. Zaman, Phys. Chem. Glasses 1969, 10(4), 125

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