Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Früher Nice‐to‐have, heute Must‐have

Nachrichten aus der Chemie, September 2025, S. 14-16, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Wissenschaftskommunikation muss überall mitgedacht werden. Sie ist das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Aufwand, Gegenwehr und Rückendeckung lohnen.

Derzeit sind wir Zuschauer eines antiwissenschaftlichen, realpolitischen Schauspiels, das es in dieser Dimension noch nie gab: In den USA werden zentrale Forschungseinrichtungen ausgeschaltet, Universitäten finanziell in die Ecke gedrängt und mehr. Es treibt Forschende weltweit um, wie Wissenschaft resilienter gegen global zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit werden kann, auch hierzulande. Zwar ist in Deutschland die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz verankert, gleichzeitig werden aber etwa Klima- oder Genderforschende offen angefeindet.

Wissenschaftskommunikation ist wesentlich

Wissenschaftskommunikation ist ein wesentlicher Baustein, um beständig gegen derartige Tendenzen, gezielte Desinformation und offene Diskreditierung zu wirken. Damit ist die Kommunikation über Forschung und deren Relevanz für unsere Wissensgesellschaft endgültig vom Nice-to-have zum Must-have geworden. Sie ist wesentlich, um Forschung innerhalb gesellschaftlicher Diskurse nicht nur zu verankern, sondern auch zu verteidigen.

„Wissenschaft braucht eine breite gesellschaftliche Basis, die sie versteht, trägt und antreibt. Wissenschaftskommunikation ist deshalb mehr als demokratische Transparenzpflicht“, schreibt Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, im Vorwort zum jüngsten Bericht der #FactoryWisskomm,1) einem bundesweiten Think Tank. Zwar nennt der Bericht viele Punkte, die für die Zukunft einer qualitätsgesicherten Wissenschaftskommunikation noch zu bearbeiten oder etablieren sind. So gilt es, Angebote für einen Kompetenzaufbau für den Umgang mit Wissenschaftsfeindlichkeit aufzubauen und ein Engagement in Wissenschaftskommunikation an Hochschulen noch besser anzuerkennen. Oder es geht im Sinne der Qualitätssteigerung um einen besseren Transfer von Forschungserkenntnissen zu Wirkungen der Wissenschaftskommunikation in die Praxis. Aber der Bericht bringt auch eine gute Nachricht: Wissenschaftskommunikation ist vielfältig in unserer Forschungslandschaft verankert, und Forschende betrachten die Kommunikation mit Medien und Öffentlichkeit zunehmend als eine ihrer zentralen Aufgaben.

Während etablierte Forscher:innen dabei bevorzugt in traditionellen Medien wie Zeitungen oder im Rahmen einer klassischen Ringvorlesung kommunizieren, setzen Nachwuchswissenschaftler:innen auf moderne Formate. Dies zeigt eine Umfrage unter Forschenden in Deutschland im Jahr 2021.2) Die Auswahl an Möglichkeiten zu kommunizieren ist dabei größer denn je. Vom Wissenschaftsladen bis YouTube, vom Science Café bis zum Escape Room, vom Newsletter bis zur Kinderuni: Über 120 unterschiedliche Kommunikationsformate beschreibt die Plattform Wissenschaftskommunikation.de.3) Dort können Interessierte gezielt nach den für sie geeigneten Formaten suchen: Welche Zielgruppe wollen sie erreichen – Erwachsene, Kinder, Schüler? Welche Art des Formats soll es sein – ein Dialog, ein Wettbewerb oder ein Ausstellungselement?

Ansprüche an Wissenschaftskommunikation

Es reicht nicht, nur ein Format zu wählen. Um die Zielgruppe zu erreichen, ist vor allem die Art der Kommunikation wesentlich. Denn nicht jede gut gemeinte Kommunikation ist gut gemacht und erreicht ihr Ziel. In Bezug auf die Zielgruppe ist beispielsweise die Fähigkeit gefragt, sich auf Augenhöhe auszutauschen. Dafür ist eine gute Vorbereitung nötig, und die Inhalte müssen auf Sprache, Verständnis, Vorkenntnisse oder auch politische oder kulturelle Grundhaltungen angepasst werden.

Geradein den gegenwärtigen Krisen und Transformationsprozessen angesichts der Fake News und antidemokratischen Bewegungen mit unverhohlener Wissenschaftsfeindlichkeit sind die Ansprüche an Wissenschaftskommunikation gestiegen. Qualität zu sichern und zu steigern sind zentrale Forderungen der Wisskomm-Community. Und die Zeiten der reinen One-Way-Kommunikation in Richtung Rezipienten sind längst vorbei. Es geht um Dialoge, Einbringen in Soziale Medien, Citizen Sciences und Public Engagement. Transparenz und Offenheit sind wesentlich. Die Leitlinien zur guten Wissenschaftskommunikation4) empfehlen unter anderem, sich zur Faktentreue zu verpflichten, Wissenschaftskommunikation in gute wissenschaftliche Praxis einzubetten oder Aussagen von Forschenden einzuordnen: Handelt es sich um eine wissenschaftliche Einschätzung, eine eigene Meinung oder um ein Werturteil? Um sich für unterschiedliche Kommunikationssituationen fit zu machen, ist also weit mehr erforderlich, als sich auf die jeweilige Zielgruppe vorzubereiten.

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Ist Wissenschaft nur eine Meinung oder Überzeugung? Und der wissenschaftliche Konsens nur eine „Wahrheit“ unter vielen? Mit solchen Fragen sieht sich die Wissenschaftskommunikation zunehmend konfrontiert – darauf Antworten zu haben ist wichtig, denn Wissenschaftskommunikation verbindet den Elfenbeinturm und die Gesellschaft. Bild: redaktionell erstellt mit KI

Kompetenzen ausbilden und stärken

Vielfach wird die Beteiligung von Forschenden in der Kommunikation eingefordert, etwa als verbindlicher Teil von Forschungsanträgen auf Bundes- und EU-Ebene. Diverse Gremien empfehlen daher, Kompetenzen für Wissenschaftskommunikation aufzubauen. So nennt etwa die Taskforce Kompetenzaufbau der #FactoryWisskomm je nach wissenschaftlichem Karrierestatus unterschiedliche Kernkompetenzen – von der allgemeinen Medienkompetenz für Studierende bis hin zu gezielten Medientrainings für etablierte Forschende.5) Parallel bieten Forschungseinrichtungen Unterstützung: mit Kursangeboten und Ratgebern bis hin zur Rückendeckung im Fall von Hassrede oder Bedrohungen – auch mit der bundesweit aktiven Beratungsstelle bei Angriffen und unsachlichen Konflikten, dem SciComm-Support.6)

Solche Unterstützung ist wichtig. Denn wer sich als Forschende:r heute insbesondere in gesellschaftspolitische Debatten etwa zu Klimawandel oder Diversity einbringt, läuft Gefahr, angegriffen zu werden. Und in diesen Dialogen haben laut Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim Forschende einen systemischen Nachteil, „weil ihre Inhalte, wenn sie diese gut vermitteln wollen, eine gewisse Komplexität haben und Differenzierung brauchen.“7) Andere öffentliche Player, so Nguyen-Kim, bekämen mit einfachen und zugespitzten Botschaften viel leichter Aufmerksamkeit.

Nature Human Behaviour veröffentlichte eine weltweite Erhebung8) zum Thema Vertrauen in Wissenschaft. Dafür waren in 68 Ländern fast 72 000 Menschen befragt worden. Die Studie zeigt auf den ersten Blick eine entspanntere Lage: Weltweit vertrauen die Menschen den Forschenden mehrheitlich. Deutschland liegt dabei im Mittelfeld. Das belegt auch die jährliche Erhebung des Wissenschaftsbarometers:9) Im Jahr 2024 gaben etwa 54 Prozent der Befragten an, sie vertrauten Forschenden ganz oder eher.

Entscheidend sind aber nicht die Vertrauenden, sondern diejenigen, die unschlüssig sind oder nicht vertrauen. Unter Letztgenannten gibt es Gruppierungen, die die Algorithmen unserer Nachrichtenströme mit ihren gezielt überspitzten Aussagen bedienen. Dies erhöht die Aufmerksamkeit und damit Sichtbarkeit dieser Gruppierungen und ihrer populistischen Aussagen.

Ein beständiges Dagegenhalten der Wissenschaft hält Nguyen-Kim für unbedingt erforderlich, auch wenn dies anstrengend sei. Ihr Tipp ist Sachlichkeit gerade in hitzigen Debatten: „Die anderen kommen mit ihrer Schlammschlacht, und du hältst mit deinem Regelwerk dagegen und versuchst, die Contenance zu bewahren.“ Sachlichkeit führe oft zu erstaunlich respektvollen Antworten.

Forschende in der Verantwortung

Im genannten Nature-Survey meinen 83 % der weltweit Befragten, Forschende sollen mit der Öffentlichkeit über Wissenschaft sprechen. Auch auf der diesjährigen 74. Nobelpreisträgertagung in Lindau im Juli ging es immer wieder um das Thema Kommunikation und wie sich Wissenschaft in öffentliche Diskurse einbringen lässt. So richtete sich beispielsweise Stanley Whittingham, Nobelpreisträger für Chemie 2019, an die Nachwuchsforschenden: „Es ist eure Aufgabe, euren Nachbarn zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert – Fakten zählen.“10)

Bundeswissenschaftsministerin Bär spricht zudem von den Vorteilen, die sich für Forschende ergeben können, die sich in Wissenschaftskommunikation engagieren: „Der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern schafft Vertrauen und ist auch auf praktischer Ebene für die Forschung unverzichtbar. Er hilft, das eigene Handeln zu reflektieren, und er kann – Stichwort Citizen Science – sogar dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt dienen.“1)

Solche Rückkopplungen in die Wissenschaft waren in den ersten fast zwei Jahrzehnten der Sozialen Medien ab Gründung von Facebook im Jahr 2004 auch dort möglich. Twitter – heute X – war vor Elon Musks Übernahme im Jahr 2022 ein beliebtes Medium unter Forschenden. Denn sie konnten dort zugleich ihre Peers und interessierte Teile der Öffentlichkeit erreichen. Das funktioniert teilweise immer noch, allerdings unter Inkaufnahme eines tendenziell wissenschaftsfeindlichen Umfelds. Mehr und mehr verlieren die meisten Sozialen Medien allgemein den Faktor „Sozial“ im Sinne des Netzwerkens. Es sind Algorithmen und damit die Interessen der dahintersteckenden großen Technologieunternehmen, die Nachrichten in unsere Streams spülen. Es geht um Aufmerksamkeit, um Rezipienten im Medium zu halten.

Neben diesen sich permanent wandelnden Medien und der Vielfalt der Möglichkeiten zieht seit geraumer Zeit eine neue Herausforderung – oder Errungenschaft – ihre Kreise. Künstliche Intelligenz in Form der Large Language Models verspricht, Forschungsinhalte in verständliche und personalisierte, zielgruppengerechte Texte, Bilder, Grafiken oder Videos zu verwandeln – und dies auch noch angepasst an das jeweilige Medium. Negative Effekte wie hinterlegte und fortgesetzte Biases, ungenügende Verlässlichkeit bis hin zu sogenannten Halluzinationen sind bekannt. Tiefergehende Reflexionen für den Einsatz von KI in der Wissenschaftskommunikation sind daher wichtig. So erschwere der zunehmende Einsatz von KI-Anwendungen nicht nur die Transparenz, sondern gefährde auch die Qualitätssicherung innerhalb der Forschung.11) Gleichzeitig verdeutlichen sie den Wert tatsächlicher Begegnungen und Austausche zwischen Forschenden und weiteren Teilen unserer Gesellschaft.

Engagement fördern

Ein Engagement in Kommunikation fördern zunehmend auch Fachverbände – nicht zuletzt, um für ihre Themen konzertiert einzutreten und sich gezielt in gesellschaftspolitische Diskurse einbringen. Innerhalb der GDCh gibt es in diese Richtung einige Bestrebungen; ein Beispiel ist etwa das Science Communication Network des JCFs. Das eingangs genannte Dokument der #FactoryWisskomm gibt konkrete Empfehlungen für Fachgesellschaften (S. 29–30 in Lit. 1)). Denn, so die Autoren: „Mit einer Kombination aus Motivation, Schulung und struktureller Unterstützung kann eine nachhaltige Kultur der Wissenschaftskommunikation etabliert werden.“

Nachhaltig wirken im Übrigen nach wie vor faktenorientierte Medien. Anschauliches Beispiel ist ein Artikel in Die Zeit vom Mai 2025 über Kunststoffe. Er berichtet von der Anfangseuphorie über Müllprobleme bis zu aktueller Forschung.12) Der Beitrag würde nicht funktionieren, wenn nicht Forschende mit den Journalisten gesprochen hätten und dabei als Protagonisten authentisch für ihre Themen eintreten. Sie zeigen, wie ernsthaft sie an Lösungen arbeiten und wie wichtig kreative Ideen sind – und zeichnen damit ein Bild der modernen Chemie und des Selbstverständnisses ihrer Wissen Schaffenden.

Die Autorin

Beatrice Lugger ist Chemikerin, Wissenschaftsjournalistin und Wissenschaftskommunikatorin sowie designierte Vizepräsidentin für Kommunikation der LMU München. Zuletzt leitete sie in den Jahren 2015 bis 2024 das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) als Geschäftsführerin. Lugger ist in diverse Gremien eingebunden, unter anderem in die #FactoryWisskomm, einen Think Tank des Bundesforschungsministeriums. Foto: NaWikhttps://eu-central-1.graphassets.com/Aype6X9u2QGewIgZKbFflz/cmewbe1ovizcd07tains853zu

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