Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Europas Batteriebranche im Vorbeifahren

Nachrichten aus der Chemie, September 2025, S. 34-36, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

10 500 Kilometer in vier Monaten, mehr als 35 Unternehmen, ein mobiles Podcaststudio und ein Ingenieur, der die Energiewende vorantreiben möchte: Simon Voß‘ Interviewreise beleuchtet, was die europäische Batterieindustrie technisch zu bieten hat. Er bringt Entscheidungsträger:innen zusammen und zeigt, was zu ändern ist, damit die Branche auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleibt.

Simon Voß (Foto S. 35) sitzt vor der Laptopkamera an einem Tisch im Laderaum seines ausgebauten Vans. Er trägt ein dunkelblaues Hemd – ebenso sein Markenzeichen wie die dunklen Haare, die am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden sind. Die Dachluke ist geöffnet, der Van hat sich aufgeheizt an diesem warmen Sommertag im Allgäu. Das Bergpanorama lässt sich durch das kleine Fenster erahnen. Plötzlich duckt sich Voß – eine Hornisse fliegt vor dem Bildschirm vorbei, findet aber schnell wieder durch die Luke nach draußen. Voß lächelt. „Die Natur gehört eben zu meiner Expedition dazu.“ Mit der Expedition meint der Batterie- und E-Mobilitätsexperte seine Reise durch Europa in einem elektrisch fahrenden Video-Podcast-Van (Foto oben). Sein Ziel: die Kommunikation zwischen Forschenden und Unternehmen der Batteriebranche sowie Investor:innen und Politik fördern.

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Simon Voß (links) interviewt für seinen Batterie-Video-Podcast Expert:innen der Branche in einem mobilen Studio im Laderaum eines Elektro-Vans. Sein Interviewpartner hier: Rüdiger Daub, Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technischen Universität München. Foto: Franzisca Monz, iwb
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Die deutsche Batteriebranche ist geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die teils weitab der nächsten Großstadt liegen. Voß‘ Route führt ihn daher häufig über enge Landstraßen durch Wiesen und Felder. Foto: Simon Voß, Bettere

Die Idee

„Wir haben in Europa viel Kompetenz, aber keine echte Batterieindustrie.“ Das wurde Voß auf seinem Karriereweg bewusst. Er hat einen Bachelorabschluss in Maschinenbau und sich im Master auf nachhaltige Energien spezialisiert. Das war im Jahr 2016. Und schon damals merkte er: „Die Batterietechnik ist der Enabler für unsere Energiewende.“ Er erzählt, wie es ihn während des Studiums gepackt habe, und er selbst habe mitwirken und die Batterieindustrie vorantreiben wollen. Deswegen habe er nach dem Studium ein halbes Jahr lang bei der EU-Kommission in Brüssel in Batterieprojekte hineingeschnuppert und danach eine Promotion an der RWTH Aachen begonnen. Dort baute er eine Batterieproduktionslinie auf, um Batterieforschungsprojekte zu industrialisieren.

Im Jahr 2022 übernahm Voß die Geschäftsführung des Elektromobilitätslabors der RWTH Aachen und begleitete Batterieprojekte aus dem Labor auf dem Weg in die Industrie. Währenddessen sei ihm das Dilemma der europäischen Batteriebranche bewusst geworden: „Wir haben ein riesiges Kommunikationsproblem zwischen den Unternehmen, die ihre Techniken nicht zu einer ganzheitlichen Lösung verknüpfen.“ Innovationspotenziale ließen sich zudem nicht nutzen, weil die Kommunikation zwischen Politik, Investor:innen und Industrie fehle, sagt er. Voß baute sein Büro kurzerhand in ein Podcaststudio um. Er begann, die Geschäftsführer:innen der Unternehmen einzuladen, mit denen er im Elektromobilitätslabor zusammenarbeitete, um über ihre Projekte sowie Potenziale und Herausforderungen der Batterieindustrie zu reden.

Schnell wurde Voß durch diesen Podcast zu einer Leitfigur der Branche. „Da kamen Unternehmen auf mich zu und fragten: ‚Du hast doch mit Person X von Firma Y gesprochen, wie genau stellen die denn ihr Produkt her?‘“ Das führte zu einem Aha-Moment: „Ich wusste ja gar nicht, wie die Produktion bei denen vor Ort aussieht. Ich muss also zu den Unternehmen hin und mir selbst anschauen, wie sie arbeiten.“ Mittlerweile war es Anfang 2024.

Transparent, glaubhaft und authentisch

Also: Podcast-Studio in einen Van verlegen – elektrisch angetrieben, versteht sich – und los geht’s. Aber: Wie finanzieren? Förderanträge zu schreiben kam nicht in Frage. „Das hätte zu lange gedauert. Die Branche brennt, ich musste das sofort machen.“ Also Podcasten aus Leidenschaft? „Das hätte ich nicht lange durchgehalten“, lacht Voß. Dann zieht er die Augenbrauen zusammen und wird ernst: „Ich habe mich letztlich entschieden, Partner zu akquirieren, die das finanziell mittragen.“ Dabei habe er zunächst mit sich gehadert: Wissenschaftlich integer berichten und gleichzeitig Geld von den Interviewpartner:innen nehmen, geht das? „Ja, ich möchte in erster Linie Potenziale aufzeigen, nicht den Rotstift ansetzen. Und wenn etwas wirklich schiefläuft, zeige ich das natürlich auch.“ Er wolle, dass die Entscheidungsträger:innen sich besser verstehen: CEOs mittelständischer Unternehmen, Bereichsleiter:innen in Großunternehmen, leitende Wissenschaftler:innen, Investor:innen, Politiker:innen. Im August 2024 gründete er das Start-up Bettere, um ein Netzwerk aus Expert:innen zu schaffen und mit ihnen sein Projekt zu realisieren.

Glaubwürdigkeit und Transparenz will Voß mit seiner Expedition verkörpern, statt die Menschen mit Power-Point-Folien zu blenden. Er sei in den letzten Jahren auf unzähligen Konferenzen der Batteriebranche gewesen und habe festgestellt: Was die Präsentationen versprachen, wurde selten umgesetzt. „Da haben wir doch irgendwas falsch gemacht, wenn die Sprecher:innen vorstellen, was sie vorhaben, die Zuhörenden dann aber erstmal 50 bis 75 Prozent davon abziehen müssen, damit übrig bleibt, was realistisch ist.“ Sein Podcast gibt Unternehmen die Chance, sich authentisch zu präsentieren, damit Kund:innen und potenzielle Partner:innen Vertrauen aufbauen und Synergien finden, die sich nutzen lassen. So will er europäische Unternehmen und deren Kompetenzen miteinander verknüpfen.

Konkurrenz aus China

Für Voß steht außer Frage: Zwar sind alternative Kraftstoffe für Spezialanwendungen unerlässlich, etwa in der Landwirtschaft, ebenso für Langstrecken in der Luftfahrt. Um die Mobilität voranzubringen, ist allerdings die Batterie zusammen mit dem Elektromotor das Antriebsmedium für die breite Masse. Und deshalb sei es wichtig, dass Europa in der Automotive- und Elektronikindustrie weiter weltweit eine Rolle spiele – aus marktwirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Sicht. Man müsse nur mal nach China schauen: Deren Industrie wachse, während unser Wachstum stagniere. „China produziert ab jetzt unsere Autos.“ Dazu hat Voß ein Rechenbeispiel. Er schaut sich an, wie viele Dollar pro geleisteter Arbeitsstunde erwirtschaftet werden. Im Mittel seien das in China etwa 15 Dollar und in der dortigen Automotive- und Elektronikbranche 30 bis 40 Dollar. Diese Beträge stiegen derzeit jährlich um 6 beziehungsweise sogar rund 30 bis 40 Prozent. In Europa und den USA seien wir in Automotive- und Elektronikindustrie grob gerundet bei 70 Dollar pro geleisteter Arbeitsstunde, stünden allerdings bei nur 1 Prozent Wachstum pro Jahr. Das heiße, dass Chinas Industrie unsere in den nächsten Jahren möglicherweise ablösen werde. Das müsse unsere Politik verstehen. Und auch, dass wir jetzt noch in der Lage seien zu handeln – die technischen Kompetenzen seien ja da.

Probleme in Deutschland

In seinen Gesprächen erfährt Voß, welche Probleme die Batterieindustrie in Deutschland derzeit hat. Die harte Realität: „Ich höre immer wieder, dass die Leistungsbereitschaft der Unternehmensseite in Deutschland begrenzt ist.“ Das sei nicht nur auf Arbeitnehmer bezogen, sondern auf alle. „Als Industrieland haben wir freundliche Arbeitsbedingungen, die uns nicht unbedingt extrem leistungsbereit machen.“ Im globalen Wettbewerb bringe uns das ins Hintertreffen.

Zudem sieht er die vierjährigen Legislaturperioden als Problem. „Wir müssen aus diesem Turnus raus. Du schaffst es nicht, in zwei Jahren eine Strategie umzusetzen, sodass man nach vier Jahren Resultate sieht. Jeder, der eine Investition wagt, wird dann nach vier Jahren durch Nicht-Wiederwahl bestraft.“ Langfristig lasse sich so nicht planen, weder auf politischer noch auf unternehmerischer Seite.

Voß sieht es als entscheidend, jetzt Signale in Richtung Politik und Investor:innen zu senden, um die europäische Batterieindustrie zu stärken. Die Politik habe in den letzten beiden Jahren die Leitplanken für diese Industrie nicht klar hochgehalten – jetzt gelte es, das Ruder herumzureißen, auch mit Fördermaßnahmen. Technische Detailinformationen braucht es Voß zufolge zwar, um die Kompetenzen des oder der jeweils anderen zu verstehen. Vor allem brauche es allerdings klare Bekenntnisse und Umsetzungsbereitschaft auf Unternehmer:innenseite. „Wenn da 60, 70 glaubwürdige Unternehmer:innen sind, die klare Aussagen treffen, was passieren muss, ist das überzeugend.“

Stressig, aber lohnend

Seit dem 1. April 2025 ist Voß nun unterwegs. Die Bilanz: 10 500 Kilometer zurückgelegt, über 35 Gespräche geführt, etwa in Deutschland, Österreich, Kroatien und der Slowakei. Als nächstes geht es nach Norwegen und anschließend in die Niederlande. Belgien, Frankreich, Spanien und Italien sollen folgen.

Online sind bisher etwa ein Dutzend Video-Podcasts – das sind längst nicht alle, die Voß schon aufgezeichnet hat. Er schneidet und produziert die Filme selbst. Warum? „Ich lerne nicht durch einmaliges Hören. Wenn ich die Inhalte mehrmals sehe und höre, verstehe ich sie auch wirklich.“ Außerdem möchte Voß für Ehrlichkeit und Bodenständigkeit stehen, indem er selbst die Themen wählt und den Menschen die Chance gibt, zuzusehen, wie sich sein Projekt weiterentwickelt, auch technisch. Die Produktion sei allerdings dadurch auch ein Bottleneck, das die Reise stressig mache, gibt Voß zu. Oft quält ihn das Gedankenkarussell: „Ich muss mehr Ruhe reinbringen und darauf vertrauen, dass alles gut wird.“

„Better done than perfect“, ruft er sich immer wieder ins Gedächtnis. Hätte er die Kampagne vorab komplett durchstrukturiert und alles einwandfrei machen wollen, wäre er jetzt noch lange nicht da, wo er ist.

Ursprünglich hat Voß geplant, bis Ende September unterwegs zu sein. „Ich ahne aber schon, dass ich im Oktober auch nochmal los muss. Ich bekomme viele Einladungen und fahre viel Zick-Zack.“ Termine mit Entscheidungsträger:innen zu planen sei eben kompliziert, da gebe es oft spontane Änderungen. Lohnt es sich denn? „Ja, es ist einfach richtig cool. Die Unternehmen geben mir ehrliche, ungefilterte Einblicke. Diese Offenheit vor und hinter der Kamera ist wichtig. Meine Gesprächspartner:innen reden mit mir über ernste Situationen, etwa drohende Insolvenz, und Bedenken hinsichtlich der Batteriebranche. Aber ich spüre auch den Kampfgeist.“

Der Van fahre sich außerdem wie ein Sportwagen, ergänzt Voß. Denn durch die große Elektrobatterie habe er trotz seiner drei Meter Höhe einen niedrigen Schwerpunkt. Da reise Voß gerne noch weiter über europäische Autobahnen und enge kurvenreiche Landstraßen, um die Hidden Champions der Batterieindustrie zu entdecken.

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Manchmal ist Video-Podcaster Simon Voß auch über Nacht unterwegs, hier hält sein Elektro- Van mit Aufnahmestudio in der Nähe von Stuttgart. Foto: Simon Voß, Bettere

Der Autor

Nachrichten-Redakteurin Katharina Käfer lernte Simon Voß im Jahr 2024 bei der Tagung der GDCh-Vereinigung für Chemie und Wirtschaft kennen.

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