Gesellschaft Deutscher Chemiker

Chemiedidaktik

Vom Farbstoff zur Kopie

Nachrichten aus der Chemie, März 2022, S. 15-18, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Forscher mit einem Thiazolfarbstoff ein Kopierverfahren, das als Diazotypie später wirtschaftlich erfolgreich wurde. Heute liefert das Verfahren Stoff für den Chemieunterricht. Schüler:innen können den Entdeckungsweg mit Experimenten nachvollziehen, lernen dabei eine photochemische Reaktion kennen und erzeugen selbst Kopien.

Diazotypie ist ein historisches Lichtpausverfahren, das bis in die 1990er Jahre zum Anfertigen von Kopien genutzt wurde. Es beruht auf der Photosensibilität von Diazoniumkationen und auf der Synthese von Azofarbstoffen. Letztgenannte sind als Thema in den meisten Lehrplänen für die gymnasiale Oberstufe in Deutschland verankert. Somit ist Diazotypie ideal, um Photochemie im Chemieunterricht zu behandeln.

Historische Entwicklung

Im Jahr 1886 wurde die Lichtempfindlichkeit von Diazoverbindungen und Diazoniumsalzen entdeckt.1) Ein frühes Kopierverfahren, für das diese Erkenntnis genutzt wurde, ist der Primulinprozess. Dieses Verfahren entwickelten um 1890 die Engländer Arthur George Green, Charles Frederick Cross und Edward John Bevan.2) Primulin ist ein Direktfarbstoff aus der Gruppe der Thiazolfarbstoffe (Abbildung 1). Sie präparierten Gewebe und Papier mit diazotiertem Primulin und ähnlichen Verbindungen wie Dehydrothiotoluidin. Anschließend belichteten sie durch eine Schablone, wodurch in den freiliegenden Bereichen die Diazoverbindung zu einer phenolischen Verbindung wurde.

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Strukturformel von Primulin.

Mechanistisch betrachtet spaltet sich zunächst ein Stickstoffmolekül ab, dabei entsteht ein Arylkation (Dediazotierung). Dieses reagiert mit einem Wassermolekül unter Deprotonierung zu einer phenolischen Verbindung.

Das belichtete Material wurde danach in alkalischen Bädern entwickelt, in denen sich eine Komponente für die Azokupplung befand, zum Beispiel Phloroglucin. Somit entstanden bei diesem Verfahren aus Positiven wieder Positive. Allerdings trafen Green, Cross und Bevan mit Primulin eine ungünstige Wahl: Die aus der Photolyse entstehenden Phenole führten zu einem gelben Hintergrund, sodass ihr Verfahren keine wirtschaftliche Bedeutung erlangte.

Im Jahr 1894 erkannte Momme Andresen, dass sich alle Diazoverbindungen mehr oder minder schnell im Licht zersetzen.3) In den 1920er Jahren sorgte Gustav Kögel für die entscheidenden Entwicklungsschritte für die Diazotypie. Er verwendete vorwiegend o-Diazophenole wie 1-Diazo-2-naphthol-4-sulfonsäure. Dabei ging er genau wie Green, Cross und Bevan vor und entwickelte die belichteten Bilder in alkalischen Lösungen mit gelöster Kupplungskomponente. Wie er später entdeckte, reagieren Diazonium- und Kupplungskomponente unter dem Zusatz von Wein- oder Zitronensäure nicht, und er präparierte das Papier mit solchen Gemischen. Die Bilder entwickelte er zunächst in alkalischen Bädern, die er schließlich durch gasförmigen Ammoniak ersetzte. Damit war sein Verfahren ausgereift.

Im Jahr 1924 kam das erste Diazotypiepapier unter der Bezeichnung Ozalid M in den Handel, das mit einem Gemisch aus 2-Diazo-1-naphthol-5-sulfonsäure, Phloroglucin, Weinsäure, einem Nickelsalz und weiteren Stoffen behandelt worden war. Das Ozalid-Papier erwies sich wirtschaftlich als erfolgreich. Bereits sechs Jahre nach der Einführung waren 80 Prozent der Kopien in Deutschland nach diesem Lichtpausverfahren angefertigt.

Synthese

Im Chemieunterricht hat es sich bewährt, Inhalte in einer forschend-entwickelnden Vorgehensweise zu erarbeiten. Daher ist hier ein Unterrichtskonzept beschrieben, in dem die Schüler:innen die Photolyse von Diazoniumkationen selbst entdecken und das Prinzip der Diazotypie selbst entwickeln. Die Lehrkraft bleibt in der Rolle eines Moderators, der den Lern- und Erkenntnisprozess durch gezielte Impulse steuert und vorantreibt.

Idealerweise sind den Schüler:innen die Diazotierung und Azokupplung vor dieser Unterrichtseinheit bekannt. Zu Beginn lernen die Schüler:innen mit 5-Aminosalicylsäure (5-ASA) ein aromatisches Amin kennen, mit dem ein Azofarbstoff synthetisiert werden soll. Bei der Untersuchung der Eigenschaften dieses Stoffes stellen die Schüler:innen fest, dass die bei Tageslicht farblose wässrige Lösung von 5-ASA unter UV-Licht (λ = 365 nm) mintgrün fluoresziert.

Im nächsten Unterrichtsabschnitt diazotieren die Schüler:innen die 5-ASA mit Natriumnitrit im Eisbad. Nach dem Zusammengeben der hierfür notwendigen Chemikalien bleibt die Lösung für zirka 30 Minuten im Eisbad. In dieser Zeit fällt ein Niederschlag aus. Um ihn zu untersuchen, wird eine kleine Menge der Suspension auf einem Filterpapier getrocknet.

Eigenschaften

Dass der silbrig glänzende Feststoff (Abbildung 2) 5-Diazosalicylsäure ist, bestätigt eine kleine Probe des Niederschlags in einer Feuerzeugflamme: Der Feststoff zersetzt sich beim Erhitzen schlagartig, setzt dabei Gas (Stickstoff) frei und offenbart somit seine thermische, für Diazoverbindungen typische Instabilität. Abbildung 3 zeigt die Diazotierung von 5-ASA sowie die Entstehung von 5-Diazosalicylsäure. Zufügen von Säure löst einen Großteil des Niederschlags auf.

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5-Diazosalicylsäure als Feststoff auf Filterpapier.
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Diazotierung von 5-ASA und Bildung von 5-Diazosalicylsäure.

Die Lehrkraft leitet nun zu einem für die Konzeption entscheidenden Experiment über. Dabei geht sie davon aus, dass die Schüler:innen wissen, dass eine wässrige 5-ASA-Lösung grün fluoresziert, und sie sollen nun die Diazoniumsalzlösung auf diese Eigenschaft hin untersuchen. Hierzu wird ein Tropfen der Diazoniumsalzlösung unter UV-Licht (λ = 365 nm) auf ein Filterpapier gebracht. Die zunächst nicht fluoreszierende Lösung entwickelt nach wenigen Sekunden eine blaugrüne Fluoreszenz, die sich innerhalb einer Minute intensiviert (Abbildung 4).

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Diazoniumsalzlösung unter UV-Licht (λ = 365 nm); links: unmittelbar nach dem Auftropfen der Lösung auf ein Filterpapier; Mitte: nach 5 Sekunden; rechts: nach 45 Sekunden.

Aus den Beobachtungen folgt: Die Diazoniumsalzlösung weist keine Fluoreszenz auf. Unter dem Einfluss der UV-Strahlen kommt es jedoch zu einer chemischen Reaktion (Photolyse), aus der ein fluoreszierendes Produkt hervorgeht.

Reaktion unter UV-Einfluss

Die Wirkung der UV-Strahlen lässt sich durch ein weiteres Experiment belegen: Ein Filterpapier wird mit einigen Tropfen der Diazoniumsalzlösung benetzt, eine Schablone, etwa das Blatt einer Pflanze oder ähnliches, aufgelegt und zirka eine Minute mit einer UV-Handlampe belichtet. Anschließend wird die Schablone entfernt und das Filterpapier erneut unter UV-Licht betrachtet. Deutlich ist erkennbar, dass die zuvor abgedeckten Bereiche nicht fluoreszieren (Abbildung 5). Somit ist die Fluoreszenz auf das Produkt einer photochemischen Reaktion zurückzuführen.

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Photochemisch erzeugtes Bild unter UV-Licht (λ = 365 nm).

Einen wertvollen Hinweis, wie die photochemischen Reaktion abläuft, liefert fünfminütiges Bestrahlen eines dünnen Films der Diazoniumsalzlösung mit UV-Licht, wobei kleinste Gasbläschen entstehen. Daraus können die Schüler:innen schlussfolgern, dass aus dem Diazoniumion das vorgebildete Stickstoffmolekül abgespalten wird. Das Diazoniumion wiederum reagiert mit dem nächst verfügbaren Nukleophil. In diesem Fall lagert sich ein Wassermolekül an, das ein Proton abgibt und eine Hydroxygruppe bildet (Abbildung 6). Es entsteht die unter UV-Licht (λ = 365 nm) fluoreszierende 2,5-Dihydroxybenzoesäure (Gentisinsäure).

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Photolytische Stickstoffabspaltung, 2,5-Dihydroxybenzoesäure entsteht.

Das Bild fixieren

Die Schüler:innen bemerken schnell, dass die auf diese Weise erzeugten Bilder bei längerer oder häufiger Betrachtung unter UV-Licht verblassen. Hierbei zerfallen auch die Diazoniumionen in den zuvor abgedeckten Bereichen. Es stellt sich somit die Frage, wie sich das Bild fixieren lässt.

Mit dem Hinweis auf das eingangs formulierte Ziel dieser Unterrichtseinheit – der Synthese eines Azofarbstoffs mit 5-ASA als Edukt – ist die Antwort klar: Nach der Bestrahlung sind die in den vor den UV-Strahlen geschützten Bereichen vorhandenen Diazoniumionen mit einer Kupplungskomponente wie 2-Naphthol, Resorcin oder Phloroglucin gelöst in Natronlauge zu einem Azofarbstoff umzusetzen.

Zu diesem Zweck wird das Filterpapier durch handelsübliches hellbraunes oder gelbliches Papier ohne optische Aufheller ersetzt. Dieses wird mit der Diazoniumsalzlösung bestrichen und durch eine Schablone bestrahlt. In einem alkalischen Phloroglucinbad entsteht ein rotbraunes Bild. Das ist allerdings etwas unscharf, da die Farbe beim nasschemischen Entwickeln und Fixieren verläuft (Abbildung 7). Abbildung 8 zeigt die Kupplungsreaktion, die das Bild fixiert.

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Im alkalischen Phloroglucinbad nasschemisch fixiertes Bild; in den zuvor unbelichteten Bereichen hat sich ein roter Azofarbstoff gebildet.
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Kupplungsreaktion beim Entwickeln und Fixieren einer Diazotypie.

Die Schüler:innen erhalten die Information, dass diese Vorgehensweise den Anfängen der Diazotypie entspricht. Zudem erfahren sie, etwa aus historischen Patentschriften, dass das Verfahren im Lauf der Zeit optimiert wurde.4) Die wesentlichen Verbesserungen waren folgende:

Die Kupplungskomponente wird der Diazoniumsalzlösung bereits zugemischt, bevor die Lösung auf das Papier aufgetragen wird. Wein- oder Zitronensäure verhindern eine frühzeitige Reaktion.

Das Bild wird mit gasförmigem Ammoniak anstelle von Natronlauge entwickelt und fixiert.

Diese Weiterentwicklungen berücksichtigt das nächste Experiment. Als Schablonen können auf Folie ausgedruckte Schwarz-Weiß-Bilder dienen. Auf diese Weise lassen sich Diazotypien herstellen, die erstaunlich scharf sind (Abbildung 9, Kupplungskomponente: 2-Naphthol). Die Fluoreszenz unten rechts in Abbildung 9 ist nicht nur auf die gebildete 2,5-Dihydroxybenzoesäure zurückzuführen. Auch das in diesen Bereichen nicht reagierte 2-Naphthol fluoresziert, und zwar blau.

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Kaiser-Wilhelm-Brücke in Wilhelmshaven; von links oben nach rechts unten: Originalfoto, Ausdruck als Schwarz-Weiß-Bild auf Folie, mit Diazotypie erhaltenes Bild, dasselbe Bild unter UV-Licht.

Mit Phloroglucin als Kupplungskomponente entstehen rotbraune und mit Resorcin orangefarbene Bilder. Letztgenannte ändern ihre Farbe allmählich nach Gelb, nachdem sie aus der Ammoniakkammer entnommen worden sind. Die Farbänderung lässt sich mit Ammoniak wieder rückgängig machen. Offensichtlich entsteht bei der Kupplung an Resorcin ein pH-sensitiver Azofarbstoff.

Diazotypie – Variationen

Im Unterricht kann die Diazotypie nun mit anderen Edukten erprobt werden. Auch für Forschungsarbeiten von Schülerinnen und Schülern im Rahmen von Chemiewettbewerben ist das Thema ergiebig. So können die Schüler:innen 5-ASA durch aromatische Amine ersetzen, zum Beispiel 5-Amino-2-methoxybenzoesäure oder 1-Amino-2-naphthol-4-sulfonsäure. Diese reagieren mit entsprechenden Kupplungspartnern zu 2,2‘-dihydroxysubstituierten Azoverbindungen, die als dreizähnige Liganden fungieren und mit Metallionen Azo-Komplexfarbstoffe bilden.

Zudem ist es möglich, bei der Entwicklung in der Ammoniakkammer verschiedene Azofarbstoffe gleichzeitig und damit eine Mischfarbe zu erzeugen. Hierzu wird ein Gemisch aus einer Diazoniumsalzlösung und verschiedenen Kupplungskomponenten als photosensitive Lösung auf das Trägerpapier aufgetragen. Ein Beispiels ist die Diazotypie des Riesenrads im Wiener Prater auf S. 15,5) bei dem aus dem photosensitiven Gemischs ein gelber und ein roter Azofarbstoff entstanden sind.

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Unterrichtsversuch Diazotypie mit einer Mischfarbe: Riesenrad im Wiener Prater.

Die genauen Versuchsanleitungen der Experimente sind in der Literatur4,5) beschrieben.

Der Autor

Matthias Ducci ist Professor für Chemie und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe sowie geschäftsführender Direktor des dortigen GDCh-Lehrerfortbildungszentrums. Ducci studierte in Oldenburg Chemie und Mathematik für das Lehramt an Gymnasien. Er war Studienrat an der Kooperativen Gesamtschule Rastede und Lehrbeauftragter an der Universität Oldenburg.

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AUF EINEN BLICK

Mit einer forschend-entwickelnden Vorgehensweise können Schüler:innen im Chemieunterricht das Lichtpausverfahren Diazotypie selbst entwickeln.

Die Schüler:innen diazotieren dazu ein passendes Amin und untersuchen die photochemischen Eigenschaften des entstandenen Diazoniumions.

Beispielsweise aus Schwarz-Weiß-Fotos auf Folie können sie farbige Kopien selbst herstellen, entwickeln und fixieren.

  • 1 K. Holzach, Die aromatischen Diazoverbindungen, Ferdinand Enke, Stuttgart 1947
  • 2 A. G. Green, C. F. Cross, E. J. Bevan, Chem. Ber. 1890, 23/2, 3131
  • 3 M. Andresen, Photograph. Corresp. 1895 417, 284
  • 4 M. Ducci, Chem. Unserer Zeit 2022, im Druck
  • 5 M. Ducci, World J. Chem. Educ. 2021 9/4, 136

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