Gesellschaft Deutscher Chemiker

Alchemie

Betrügerische Goldmacher und ihre Strategien

Nachrichten aus der Chemie, April 2023, S. 16-21, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

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Die meisten Chemiker, die sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit an der Transmutation unedler Metalle in Silber oder Gold versuchten, waren aufrichtige und ehrbare Wissenschaftler. Die grundlegende Materietheorie damals hielt Metallumwandlung für möglich. Die Aussicht auf unermesslichen Reichtum zog allerdings auch Schwindler und Betrüger an.

Wir Menschen haben zu allen Zeiten gemeinsam, dass wir bereit sind, im Angesicht versprochener goldener Berge unseren kritischen Verstand zum Schweigen zu bringen.“ So erklärt der Chemiehistoriker Claus Priesner die Täuschungspraktiken betrügerischer Goldmacher in Deutschland.1) Die Gier nach Reichtum war zu allen Zeiten eine Triebfeder menschlichen Handelns. Dies traf auf alle gesellschaftlichen Schichten zu, besonders auf die Königs- und Fürstenhöfe in Mittelalter und früher Neuzeit. Die verschwenderische Lebensführung der Adligen mitsamt ihrer Vorliebe für barocke Prachtbauten und ihre Kriege kosteten viel Geld.

Aber auch aus Interesse für die wissenschaftlichen Neuheiten der Zeit hielten die Herrschenden die Goldmacherei für eine Zukunftstechnologie, die reiche Gewinne versprach.2) Die Erfüllung des uralten Menschheitstraums, Blei in Gold umzuwandeln, sollte alle Geldprobleme lösen.

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Sind die Goldstücke tatsächlich durch Elementumwandlung entstanden? Bild: M.Dörr & M.Frommherz / Adobe Stock

Unter den Goldmachern in Mittelalter und früher Neuzeit waren die aufrichtigen und ernsthaften Wissenschaftler in der Mehrheit. Metallumwandlung zu erzielen, erschien nach damaligem Wissensstand der Naturwissenschaften möglich. Allgemein akzeptiert waren die Materievorstellungen der Vier-Elemente-Lehre von Aristoteles sowie die Prinzipienlehre von Paracelsus, nach denen Metalltransmutation möglich sein sollte. Und auch das neuplatonische Gedankengut der Belebtheit der Natur beschrieb die Veränderung der Metalle durch ein Wachsen vom unedleren zum edleren Zustand mit Gold als Endzustand.3,4)

Die Hoffnung auf unermesslichen Reichtum lockte auch Betrüger an. Die Geschichten über betrügerische Goldmacher sind für den menschlichen Geist reizvoller als nüchterne Berichte über die ergebnislosen chemischen Versuche zur Metalltransmutation. Deshalb nehmen sie in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung überproportional Raum ein.

Betrügerische Goldmacher versuchten, für einige Zeit die Protektion eines Geldgebers zu erlangen. Dessen Mittel sollten ihnen zur Beschaffung der notwendigen Laborkapazitäten dienen und ihren aufwendigen Lebenswandel finanzieren.

Die Laborausstattung, die zur Goldmacherei erforderlich schien, konnte Unsummen verschlingen und den Goldmacher ruinieren.3) Sollte Literaturstudium die praktische Arbeit ergänzen, kamen weitere hohe Geldbeträge für damals extrem teure Handschriften und Bücher hinzu. Dies war der Grund, sich die notwendigen Mittel über einen vermögenden Adligen oder Bürger mit Taschenspielertricks zu verschaffen. Dann konnte der Wissenschaftler das Opus magnum in Angriff nehmen, an dessen Erfolg er vielleicht selbst glaubte. Da sich kein Erfolg einstellen konnte, war der Goldmacher gezwungen, nach einer gewissen Zeit Ort und Mäzen zu wechseln, da auch eine ausgeklügelte Hinhaltetaktik die Geduld des Gönners überstrapazieren konnte.

Es lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, welcher reisende Goldmacher mit Erfolg seiner Bemühungen rechnete und wer sich von vornherein über den Betrug im Klaren war. Zwischen diesen beiden Extremen waren Zwischenstufen möglich, die sich mit der Zeit verändern konnten. Bei der betrügerischen Goldmacherei handelte es sich nämlich nicht um einen „offensichtlichen Schwindel und leere Versprechungen“.4)

Analyse des Betrugs

Der Täuscher lebte in zwei Welten des Bewusstseins: Er musste eine Wirklichkeit der Goldmacherei vorspiegeln, damit andere daran glaubten, obwohl er sich selbst der Täuschung bewusst war. Dabei konnte es sogar geschehen, dass er selbst irgendwann das Bewusstsein für den Täuschungscharakter verlor. Er musste Vertrauen erzeugen, Widerstände gegen ihn voraussehen und ihnen begegnen.

Jeder Mensch hat in seinem Leben Täuschungen erlebt und seine Erfahrungen damit gemacht. Er hat damit ein Gespür für sie entwickelt und ein Instrumentarium, ihnen zu begegnen.5) Ob Täuschungen gelingen, hängt von vielen Bedingungen ab, da es in der Praxis „höchst komplexe Phänomene“ von „geplanten, individuell kalkulierten und bewusst vollzogenen Handlungen“ sind.6) Der Kriminal- und Wissenssoziologe Christian Thiel hat ein analytisches Modell für Betrugsmaschen entworfen; er stellt fest: „Betrug ist mehr als das Zusammentreffen eines motivierten Täters und eines passenden vulnerablen Opfers.“4) Er beschreibt fünf Grundbausteine der Täuschung:4)

  • die manipulative Kommunikation als Überzeugungstechnik,
  • das Auftreten als Autoritätsfigur mit einem bestimmten Habitus,
  • ein situatives Signal, das als „convincer“ funktioniert,
  • ein Narrativ, das als „convincing story line“ wirkt,
  • Requisiten zur Untermauerung der Täuschung.

Erzählungen über gelungene Transmutation

In ihrer manipulativen Kommunikation verwiesen betrügerische Goldmacher zunächst auf die entsprechende Literatur aus der Vergangenheit, in der die Möglichkeiten zur Transmutation von Metallen theoretisch und praktisch beschrieben waren. Zudem waren allenthalben Berichte von gelungener Gold- oder Silberherstellung aus unedlen Metallen bekannt. So soll der als „Abenteurer und obskurer Alchemist“, aber auch als anerkannter „Naturforscher“ bezeichnete Michael Sendivogius (1566 – 1636) vor den Augen Kaiser Rudolfs II. (1552 – 1612) in Prag eine Silbermünze in Gold umgewandelt haben. Daraufhin ließ der Kaiser auf dem Hradschin eine Gedenktafel anbringen mit der Inschrift „Faciat hoc quispiam alius quod fecit Sendivogius Polonus“ (Erbringe ein anderer, was der Pole Sendivogius vollbrachte).7)

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Kaiser Rudolf II. (links, 1552 – 1612) glaubte an Transmutation: Michael Sendivogius (rechts) verwandelte angeblich vor seinen Augen eine Silber- in eine Goldmünze. Sendivogius galt nicht allen als obskurer Alchemist, er soll auch als Naturforscher anerkannt gewesen sein. Gemälde von Joseph Heintz dem Älteren, Quelle: Wikipedia

Thema einer wissenschaftlichen Diskussion über Theorie und Praxis der Goldmacherei in einem längeren Briefwechsel war die angebliche Transmutation von Blei in Gold des betrügerischen Goldmachers Alexander Setonius Scotus (Lebensdaten unbekannt) im Beisein des Iatrochemikers und Baseler Universitätsprofessors für griechische Sprache Jacob Zwinger (1569 – 1610). Zwinger diskutierte dieses Ereignis in Verbindung mit den theoretischen Voraussetzungen in mehreren Briefen mit Andreas Libavius (nach 1555 – 1616), der seinerzeit in der gesamten gelehrten Welt als Schulmeister bekannt war und als Verfasser des ersten systematischen Chemielehrbuchs gilt.3)

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Titelseite des ersten systematischen Chemiebuchs. Sein Autor, Andreas Libavius, diskutierte mit anderen Wissenschaftlern die theoretischen Grundlagen der Goldmacherei.

Autorität vortäuschen

Der nächste Baustein eines Betrugsmanövers ist nach Thiel, dass sich Betrüger als Autoritätsfiguren, wie „Polizisten, Adlige oder Priester“ ausgeben. Alternativ geben sie sich als jemand aus, der dem Opfer in Herkunft, Interessen, Einstellungen, Tätigkeit oder sozialem Umfeld ähnelt, was häufig zu einem gewissen Grundvertrauen führt.4) Betrügerische Goldmacher gaben sich meist als „erfahrene Alchemisten“ aus, die ihr Wissen von berühmten Adepten erhalten hätten. Um sich an den Fürstenhöfen einzuführen, war die Stellung eines Adligen unter Gleichwertigkeitsgesichtspunkten von Vorteil, während sie gegenüber Nichtadligen eine gewisse Autorität erzeugte.

Einer der bekanntesten Fälle begab sich am Bayreuther Markgrafenhof. Der Chemiehistoriker Karl Christoph Schmieder (1778 – 1850) berichtete darüber: „Christian Wilhelm Freiherr von Krohnemann (1636 – 1686), einer der frechsten Betrüger, spielte in den Jahren 1677 bis 1686 die Rolle des Adepten am Hofe des Markgrafen Georg Wilhelm von Baireuth.“8) (Korrekterweise müsste hier „Christian Ernst von Baireuth“ stehen.) In Bayreuth nannte Krohnemann sich Christian Wilhelm Baron von Krohnemann, Erbherr zu Kranchenfeld und großer Hahn, Ritter vom Orden des güldenen Kleeblatts. Er behauptete, im Mai 1636 als Sohn des schwedischen Obristleutnants Johann Christoph von Cronemann in Dorpat, Estland, geboren zu sein. Er erfand ein Studium an mehreren ausländischen Universitäten, eine militärische Karriere in Venedig und chemische Aktivitäten am Kaiserhof in Wien. Davon ist nur ein Aufenthalt in Wien nachweisbar.

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Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth (1644 – 1712). Der Fürst war in Geldnöten und protegierte daher den Goldmacher Christian Wilhelm Freiherr von Krohnemann. Druck von Christoph Weigel, Quelle: Wikipedia

Im Jahr 1678 legte er vor der gesamten Bayreuther Hofgesellschaft eine Probe seiner Kunst ab und soll „das schönste Gold und Silber“ hervorgebracht haben. Er erlangte das Vertrauen des Markgrafen, der „ihm die Würde eines Oberpräsidenten, geheimen Raths, General Commandanten, Kammerherrns auch Münz- und Bergwercksdirektor“ übertrug, wie der Chronist der Vorgänge, Georg Wolfgang Augustin Fikenscher (1773 – 1813), zu berichten weiß.9)

Das Beispiel Krohnemanns zeigt, wie wichtig die adelige Herkunft für seine Glaubwürdigkeit war. Die ausländischen Herkunft machte ihn für den Bayreuther Markgrafen noch interessanter, sodass dieser ihn mit Titeln überhäufte.

Signale senden

Den dritten Grundbaustein seiner Zusammenstellung bezeichnet Thiel als „situatives Signal“, das die Opfer überzeugt, als „Convincer“, und er beschreibt eine Form dieses Überzeugungsvorgangs: „In anderen Varianten wird dem Opfer wiederholt demonstriert, dass alles so funktioniert, wie es denkt.“ In den meisten Fällen gewann der betrügerische Goldmacher das Vertrauen durch eine „gelungene“ Transmutation, mit der er vorgab, ein kleines Stück Edelmetall erzeugt zu haben.

Der Legende nach soll der betrügerische Goldmacher Don Domenico Emanuele Caetano (zirka 1670 – 1709) viele kleinere Goldherstellungen durchgeführt haben. Deshalb galt er vielen seiner Zeitgenossen „als einer der wenigen – manche Quellen behaupten sieben – echten Goldmacher.“10)

Diese Art des „confidence trick“ lässt sich in der Geschichte häufig nachweisen. Als „salting“ ist beispielsweise der Betrug während des Goldrausches in Amerika des 19. Jahrhunderts bekannt. So konnte die Prüfung auf den Goldgehalt des Erzes manipuliert werden mit zum Teil ähnlichen Tricks wie bei der betrügerischen Goldmacherei.11) Landbesitzer oder auch Angestellte von Bergbaugesellschaften versteckten etwa einige Goldklumpen in einem Gebiet. Wenn es so gelang, ein ausbeutefähiges Vorkommen vorzutäuschen, stieg der Preis für das Land oder die Geschäftsanteile.11)

Eine besondere Weiterführung eines Überzeugungsvorgangs ist dem betrügerischen Goldmacher Marco Bragadino (zirka 1545/50 – 1591) zuzuschreiben. Seine Familie lebte in Zypern und war in ein Schutzverhältnis eingetreten mit dem venezianischen Gouverneur und Verteidiger der Insel gegen die Türken, Marco Antonio Bragadino (1523 – 1571). Deshalb durfte sie dessen Namen als Übernamen benutzen: Mamugna detto il Bragadino. Marco ließ seinen echten Familiennamen allerdings bald fallen und nannte sich nur noch Bragadino.12) Mit verschiedenen Schwindeleien hatte er sich auf seinen Reisen durch ganz Europa ausreichende Geldmittel verschafft, um in Venedig seinen größten Coup zu landen. Im nahen Brescia führte er ein recht verschwenderisches Leben.13) Dieser öffentlich zur Schau gestellte Reichtum war nun sein spezieller Convincer, um die Herrschenden in Venedig zu überzeugen.

Venedigs glänzender Stern begann in dieser Zeit zu sinken, und Bragadino versuchte deshalb, neue Möglichkeiten zur Beschaffung finanzieller Mittel hervorzubringen. „Er sagte nicht etwa: ‚Ich kann Gold machen‘, sondern er lebte so verschwenderisch, daß die Leute sagten: ‚Der muß Gold machen können.‘“14)

Die Requisiten zur Geschichte

Der Confidence Trick führt zum vierten wichtigen Element nach Thiel, einer „convincing story line“. Betrügerische Goldmacher verbanden die beschriebenen Grundbausteine zu einer in sich geschlossenen Erzählung. Sie verwiesen auf Beschreibungen „gelungener“ Goldmacherei und begründeten dies durch die Theorien anerkannter wissenschaftlicher Autoritäten. Wenn sie nicht dem Adelsmilieu entstammten, legten sie sich einen passenden Lebenslauf zurecht. Sie gewannen das Vertrauen ihrer Opfer, indem sie eine Transmutation vorführten, bei der sich angeblich geringe Mengen Edelmetall bildeten. Sie weckten Begehrlichkeiten, indem sie behaupteten, sie könnten größere Mengen Gold oder Silber erzeugen.

Als fünften Grundbaustein beschreibt Thiel die Abhängigkeit von der Größe des Betrugsversuchs: „Je größer ein Betrug aufgezogen wird, desto wichtiger werden Requisiten. Sie untermauern die Täuschung mittels eines greifbaren und gegenständlichen Bezugs zur Realität.“ Die betrügerischen Goldmacher gaben vor, dass große Mengen von Silber oder Gold natürlich nur in einem gut ausgestatteten Labor unter Einsatz der besten Ausgangsmaterialien in großen Mengen zu erzeugen seien. Außerdem könne man doch kaum von einem Edelmann verlangen, die schmutzige Laborarbeit selbst zu verrichten. Eine mehr oder weniger große Zahl von Laborhilfskräften müsse eingestellt werden. Und wenn die Adligen selbst einen aufwendigen Lebenswandel führten, so war es einsichtig, dass dies auch für den herausgehobenen Goldmacher gelten musste.

Choreographie des Betrugs

Die Erzählung aus der Betrugspraxis wird zu einer Choreographie des Betrugs, da Betrugspraktiken „nur als komplexe mehrschichtige Täuschungsmanöver“ verständlich sind.4) Dies trifft auch auf die zeitliche Dimension zu: Der Zeitraum des Betrugs konnte umso größer sein, je größer der Aufwand des Opfers war.

Das beste Beispiel für die Größe des Betrugs unter Zuhilfenahme ausgesuchter Requisiten lieferte der bereits erwähnte Marco Bragadino. Er hatte die öffentliche Meinung in Venedig durch eine Folge logisch berechneter Schachzüge für sich eingenommen: Er hatte in der venezianischen Münze unter großen Feierlichkeiten und unter Aufnahme eines Protokolls über diesen Staatsakt ein Fläschchen mit seinem Wundermittel hinterlegt, mit dem er vorgegeben hatte, eine kleinere „Multiplikation“, also die Vermehrung der Goldmenge, erreichen zu können. Natürlich würde es eine längere Zeit dauern, bis er genügend Wundermittel hergestellt habe, um eine große Menge Gold erzeugen zu können.

Als erste Zweifel an seiner Rechtschaffenheit aufkamen, übersandte Bragadino ein mit vier Siegeln verschlossenes Schreiben, in dem angeblich die genaue Verfahrensbeschreibung zur Goldherstellung stand.14) So erreichte er, dass die Reichen Venedigs seine aufwendige Lebensführung bezahlten. Seinen Status in der Gesellschaft steigerte er dadurch, dass er sich mit „Illustrissimo“ und „Eccelenza“ anreden ließ.14)

Der Betrüger und sein Gehilfe

Manchmal erfordern Betrugsskripte zwei Betrüger in unterschiedlichen Rollen. Dies ist bei den betrügerischen Goldmachern weniger häufig zu beobachten; Edward Kelley (1555 – 1597) war so ein Fall. Der schottische Chemiehistoriker John Ferguson (1838 – 1916) charakterisierte ihn wie folgt: „Though there are many discrepancies in the various narratives of Kelley’s life, there is enough unanimity to show that he was an unscrupulous adventurer, not to say a thorough-going scoundrel.“15)

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Der Goldmacher Edward Kelley (1555 – 1597). Er erhielt Zugang zum Obersten Burggrafen in Böhmen, Wilhelm von Rosenberg, und zum Kaiserhof Rudolfs II. in Prag über den Gelehrten John Dee. Quelle: Wikimedia Commons

Kelley erlangte Zugang zum Hof des Oberlandeskämmerers und Obersten Burggrafen in Böhmen, Wilhelm von Rosenberg (1535 – 1592), und zum Kaiserhof Rudolfs II. in Prag in Begleitung des anerkannten Mathematikers und Universalgelehrten John Dee (1527 – 1608/09). Dee war Hofastrologe und Berater der englischen Königin Elisabeth I. (1533 – 1603), bevor er sich zusammen mit Kelley im Jahr 1583 nach Kontinentaleuropa begab. Dee spielte dabei keine aktive Rolle im Betrugsskript Kelleys, sein hohes Ansehen als Wissenschaftler diente aber als Türöffner in die adlige Gesellschaft.

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Der Mathematiker und Universalgelehrte John Dee (1527 – 1608/09) war zwar kein Betrüger, sondern galt als seriöser Wissenschaftler (hier bei einem Experiment vor Königin Elisabeth I.). Er trat aber zeitweise zusammen mit dem Goldmacher Edward Kelly auf. Gemälde von Henry Gillard Glindoni, Quelle: Wikipedia

Bereits im Jahr 1584 hielten sich Dee und Kelley in Prag auf, mussten den Kaiserhof allerdings nach Vorwürfen der Häresie und der Spionage für England verlassen. Nach kurzem Aufenthalt in Polen wurde Wilhelm von Rosenberg in Wittingau ihr neuer Gönner. Dee verließ Böhmen 1589 und kehrte nach England zurück, während Kelley erneut die Gunst Rudolfs II. gewann. Er ging nach Prag und wurde vom Kaiser sogar in den Adelsstand erhoben.

Metalltransmutation gelang Kelley nicht, ihm wurde Betrug vorgeworfen, er wurde festgenommen und eingekerkert.16) Wie sich sein Ansehen vom angeblich kenntnisreichen Goldmacher zum trickreichen Betrüger in der „res publica chemica“ wandelte, zeigen zwei Briefe von Oswald Croll (zirka 1560 – 1609), dem Verfasser des seinerzeit grundlegenden Werks über die chemische Arzneimittelkunde.3)

Am Ende der Galgen: Entwicklungsstufen des Betrugs

Die Choreographie des Betrugs besteht aus drei Entwicklungsstufen. An erster Stelle steht normalerweise die Auswahl eines Opfers. Ob jemand als Opfer passt, hängt von dessen Vorwissen und Ausgangshaltung ab. Diese Stufe ist bei der betrügerischen Goldmacherei in Mittelalter und früher Neuzeit von untergeordneter Bedeutung. Denn die Aussicht, das geheime Wissen zu erlangen, mit dem unermesslicher Reichtum angehäuft werden konnte, ließ nahezu alle Bevölkerungsschichten an Goldmacherei glauben. Opfer mussten aus Sicht des Betrügers vor allem die notwendigen Geldmittel besitzen.

Dann folgte die zweite Phase, in der das Opfer ein Teil des geplanten Betrugsskripts werden sollte. Nach der Herstellung des Kontakts musste der betrügerische Goldmacher das Vertrauen seines Opfers gewinnen. Dazu musste er alle Arten der beschriebenen Grundbausteine in einer fein abgestimmten Abfolge einsetzen, um an das Geld zu gelangen.

Damit gelangte man zur dritten Stufe, dem Abkassieren. Auch wenn ein Goldmacher Vertrauen gewonnen hatte, blieben alle Opfer bis zum Ende misstrauisch. Der betrügerische Goldmacher musste diesem Misstrauen begegnen. Das tat er entweder, indem er weitere kleine Mengen Edelmetall erzeugte – diese zweigte er oft aus den Zuwendungen ab. Oder er erklärte glaubhaft, warum alle Versuche bisher nicht von Erfolg gekrönt waren: Die Ausgangsmaterialien waren falsch, oder es gab zu wenig davon, es gab noch Verfahrensdetails zu studieren, oder das Experiment lief noch nicht lange genug.

Während aller Entwicklungsstufen des Betrugsversuchs waren Verschleierungsprozesse zur Untermauerung erforderlich. Der betrügerische Goldmacher musste sein Opfer über längere Zeit hinhalten und verhindern, dass er als Betrüger entlarvt wurde. Irgendwann musste er sich der Verhaftung entziehen und in ein anderes Herrschaftsgebiet fliehen. Gelang ihm dies nicht, war meistens der Kerker oder der Tod am Galgen sein Schicksal.

Ein Paradebeispiel für einen betrügerischen Goldmacher, der sich immer wieder neue Opfer suchte, war der erwähnte Don Domenico Emanuele Caetano. Schon als er noch jung war, wurde sein Steckbrief in ganz Italien versandt. Anschließend gelang es ihm, in ganz Europa Adlige zu täuschen, bis er letztlich in Preußen als Betrüger gehenkt wurde.10) Davor war Caetano allerdings bereits mehrmals aus Berlin geflohen, der preußische König Friedrich I. (1657 – 1713) holte ihn aber immer wieder zurück. Er war von Caetano so eingenommen, dass er zunächst „in seinem Glauben an den Goldmacher nicht wankte, nicht auf ihn verzichten wollte.“14)

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Domenico Emanuele Caetano gelang es zwar immer wieder, Adelige in Europa von seinen Goldmacherfähigkeiten zu überzeugen. Im Jahr 1709 landete er doch am Galgen. Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin
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Friedrich I. von Preußen (1657 – 1713). Der hoch verschuldete König war zunächst von den Fähigkeiten des Goldmachers Domenico Emanuele Caetano überzeugt und holte ihn mehrfach an seinen Hof – bis er ihn als Betrüger hinrichten ließ. Gemälde von Antoine Pesne, Quelle: Wikipedia

Der Autor

Der Autor dieses Beitrags, Jürgen Hollweg, hat nach der Pensionierung Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg studiert und an der Universität Bayreuth mit einer Arbeit zur Chemiegeschichte in der frühen Neuzeit promoviert. Zuvor hatte er als Chemiker in Analytik und Qualitätssicherung in der Konsumgüterindustrie gearbeitet.

AUF EINEN BLICK

Barocke Fürsten glaubten gerne daran, dass Goldmacher sie von finanziellen Sorgen befreien können.

Um Vertrauen zu gewinnen, legte sich der Goldmacher einen adeligen Namen zu und erfand einen klangvollen Lebenslauf.

Wichtig war eine teure Laborausstattung.

Um glaubwürdig zu bleiben, musste ein Goldmacher kleine Erfolge präsentieren.

Nur zeitige Flucht rettete den Goldmacher vor Kerker und Hinrichtung.

  • 1 C. Priesner, Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 215–223
  • 2 N. Konzen, in: A. Heck /Hrsg.) Von Goldmachern und Schatzsuchern. Alchemie und Aberglaube in Württemberg, Stuttgart 2013, 9–13
  • 3 J. Hollweg, Mythos Alchemie. Austauschprozesse und Netzwerkstrukturen frühneuzeitlicher Chemiker um 1600. Berlin, 2020
  • 4 C. Thiel, in:F. Neubacher, N. Bögelein (Hrsg.), Krise – Kriminalität – Kriminologie, Mönchengladbach 2016, 417–428
  • 5 C. Thiel, „Faking! Vorbemerkungen zu einer Soziologie der Täuschung.“ Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 2019, 4–20
  • 6 M. Endreß, „Kleine Phänomenologie des Täuschens. Über Vertrauen und seinen Missbrauch.“ Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, 2019, 44–60
  • 7 K. Figala, „Sendivogius, Michael“ In: C. Priesner, K. Figala (Hrsg.) Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, 332–334
  • 8 K. C. Schmieder, Geschichte der Alchemie. Halle 1832
  • 9 G. W. A. Fikenscher, Christian Wilhelm Baron von Krohnemann. Geschichte dieses angeblichen Goldmachers, eines der größesten und merkwürdigsten Betrügers des siebenzehnten Jahrhunderts. Nürnberg 1800
  • 10 O. Krätz, Chem. Unserer Zeit 1988, 22, 51–62
  • 11 D. Plazak, Dan. A Hole in the Ground with a Liar at the Top. Fraud and Deceit in the Golden Age of American Mining. Salt Lake City 2006
  • 12 I. Striedinger, Der Goldmacher Marco Bragadino. Archivkundliche Studie zur Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts. München 1928
  • 13 D. Lilli, Alchemisten, „[die] den leuten das gelt zimlicher massen abschwetzen könden“. Münchner Alchemisten unter Herzog Wilhelm V. von Bayern. Masterarbeit Ludwig-Maximilians-Universität. München 2018
  • 14 G. De Francesco, Die Macht des Charlatans, Berlin 2021
  • 15 J. Ferguson, Bibliotheca Chemica, Band 1. London, 1954
  • 16 J. Paulus, „Kelley, Edward, Alchemist.“ In: C. Priesner, K. Figala (Hrsg.), Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, 192

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