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Wenn Eltern forschen wollen

Nachrichten aus der Chemie, Februar 2024, S. 18-19, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Ulla Gerling-Driessen und ihr Mann arbeiten beide in der Forschung. Ohne verständnisvolle Vorgesetzte wäre das kaum denkbar. Ein Einblick aus Deutschland und den USA.

Ulla Gerling-Driessen ist Nachwuchsgruppenleiterin in Düsseldorf und Mutter zweier Kinder. In ihrer Forschung zur Proteinglykosylierung konzentriert sie sich auf biologische Anwendung. Sie hat einige Standortwechsel hinter sich, beschreibt es als „Nervenkitzel“, von Projekt zu Projekt zu planen. Die befristeten Verträge sind für ihre Familie aber mit Unsicherheit verbunden und erschweren, langfristig zu planen. Gerling-Driessen sieht die Chance für junge Wissenschaftler:innen, die Familie und Forschung vereinen wollen, das aktuelle System zu ändern.

Karriere und Familie planen

Eigentlich will Gerling-Driessen Biotechnologie studieren, fängt aber wegen der Zulassungsbeschränkung zunächst mit einem Chemiestudium an der Freien Universität Berlin an. Nach dem ersten Semester hat sie sich „genug durchgebissen”, und der Ehrgeiz packt sie, um in der Chemie zu bleiben. Während ihres Masterstudiums sammelt Gerling-Driessen Erfahrungen in der Industrie. An eine Karriere in der Forschung denkt sie in der Zeit nicht. Masterarbeit und Promotion absolviert sie in der Gruppe von Beate Koksch. Als Vertreterin ihrer Chefin, die ihr zweites Kind bekommt, reist Gerling-Driessen als PhD-Studentin auf internationale Konferenzen, hält Vorlesungen, schreibt Anträge und betreut Studierende. „Diese Seiten, die der Professorin-Beruf mit sich bringt, durfte ich schon kennenlernen“, erinnert sie sich und beschließt, der Forschung noch nicht den Rücken zu kehren.

Für ihren Postdoc möchte sie sich weiter in Richtung biologischer Anwendungen entwickeln, gerne im Ausland. Sie schreibt Anträge und übernimmt weiter Betreuungsaufgaben in der Arbeitsgruppe. Die akademische Laufbahn war nicht immer geplant, eine Familie allerdings schon, und zwar „so früh wie es geht – aber während der Doktorarbeit in der Peptidsynthese war das einfach nicht möglich“.

Im Juli 2015 bekommt sie ihren ersten Sohn. Zwei Wochen nach der Geburt erhält sie die Zusage für ein DFG-Stipendium für ein Projekt in den USA, und „es war sofort klar, dass wir gehen werden”.

Eine junge Familie in den USA

Sechs Monate später zieht die Familie nach Kalifornien, und Gerling-Driessen beginnt ihren Postdoc an der Universität Stanford in der Gruppe der späteren Chemie-Nobelpreisträgerin Carolyn Bertozzi. Ihr Mann bleibt zunächst ein Jahr lang zuhause, schreibt seine Doktorarbeit zu Ende und kümmert sich um den Sohn. Noch vor dem Umzug nach Amerika hatte die Familie den Kleinen auf die Warteliste für eine Kindertagesstätte gesetzt. Aber erst mit 18 Monaten bekommt er einen Platz, als auch der Vater eine Postdoc-Stelle in Bertozzis Arbeitsgruppe antritt.

Die Kitastelle ist zunächst nur halbtags, „das war eine ganz schwierige Zeit, weil wir uns abwechseln mussten, wer wann das Kind nimmt und wer wann ins Labor geht“, sagt Gerling-Driessen. Ihre Chefin begegnet der Familie mit viel Verständnis, wenn zum Beispiel abends nur eine:r der beiden am Gruppenseminar teilnimmt. Nicht selbstverständlich, sagt Gerling-Driessen: „In der glücklichen Position kann man sein, wenn man Vorgesetzte hat, die selbst Kinder haben.“

Nach zwei Jahren bekommt Gerling-Driessen ihren zweiten Sohn in den USA. „Ich habe beide Systeme kennenlernen dürfen“, lacht sie, wenn sie daran zurückdenkt. In den USA wird keine bezahlte Auszeit garantiert; Stanford befreit Mütter nur für sechs Wochen vom Arbeitsplatz. „Ich bin bis eine Woche vor der Entbindung im Labor gewesen. Solange ging es mir körperlich gut.“ E-Mails habe sie noch aus dem Kreißsaal beantwortet.

Zurück ins Labor ging Gerling-Driessen nach elf Wochen, diese Flexibilität hatte sie aber nur durch ihr DFG-Stipendium. „Es ist schwierig, in Deutschland zu erzählen, dass man sein elf Wochen altes Baby in der Kita abgibt. Das ist aber in Amerika ganz normal.“

Zu zweit in der Forschung bleiben

Ohne Kinder hätte Gerling-Driessen ihre akademische Laufbahn in den USA fortgesetzt. Denn „so forschen werden wir in Deutschland wahrscheinlich nie wieder können“. Besonders positiv nimmt sie die Offenheit und Bereitschaft für Kooperationen in Stanford wahr. Aber das Schulsystem, Sicherheitsfragen und die soziale Absicherung bewegen die Familie, nach Deutschland zurückzuziehen (Foto). Beide Elternteile finden Jobs in Würzburg. Mit den Auswirkungen der Coronapandemie ist das Jahr in Würzburg für Gerling-Driessen als Forscherin und Mutter besonders schwierig: „Ich hatte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, dass ich Kinder habe. Und irgendwie glaubten mir die Leute nicht, dass sich die Kinder mit fünf und drei Jahren nicht alleine betreuen können.“

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Ulla Gerling-Driessen mit ihrem Mann und den zwei Söhnen zur Weihnachtszeit.

Beim nächsten Umzug im Jahr 2021 nach Düsseldorf schafft das Paar es nicht, gleichzeitig mit den Jobs umzuziehen. Gerling-Driessen ist bereits ein halbes Jahr als Nachwuchsgruppenleiterin an der Universität Düsseldorf angestellt, bis ihr Mann eine Stelle in der Proteomforschung an der Uniklinik findet. „Wir waren öfter in der Situation, in der wir uns gefragt haben, ob einer von uns jetzt zurückstecken muss.“ Aber da beide in der Forschung bleiben wollen, setzen sie beide Jobs sowie die Kinder als Prioritäten.

„Was mich in der Forschung antreibt, sind die Dinge, mit denen ich auch schon in Stanford in Berührung kam.” Das ist insbesondere die fehlerhafte Glykosylierung von Proteinen aufgrund seltener genetischer Mutationen und wie diese zu Krankheitsbildern beiträgt. Das Thema liegt Gerling-Driessen wegen des engen Patientenkontakts am Herzen. „Man kann den Eltern, die oft jahrelang keine Diagnose für ihre Kinder haben, einfach mal irgendwas sagen, wenn man forscht, und dafür sind sie total dankbar.“

Mit vielen ehemaligen Kolleg:innen aus der Zeit in Stanford arbeitet sie heute noch zusammen und ist dankbar für die guten Kontakte aus der Zeit.

Stolz auf das Gesamtpaket

Diese Kontakte aufzubauen war für die junge Familie in den USA nicht immer einfach. Mit einem Babysitter im Hotel oder einem fünf Wochen alten Kind in der Babytrage war das Paar zum Beispiel auf einer Konferenz unterwegs (Foto S. 18). „Es war unglaublich wichtig für uns, dass wir dort hinfahren, uns präsentieren und unser Netzwerk ausbauen.” Heute in Düsseldorf kann die Familie auf die Unterstützung der Großmutter bauen, wenn die Kinder nachmittags betreut werden müssen. „Größere Hürden wie Krankheiten sind leider Sachen, für die man nicht planen kann.“ Dann geht es in Schichtarbeit und abwechselndes Homeoffice, und beide Eltern sind froh um das Verständnis der Vorgesetzten.

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Um ein Netzwerk aufzubauen, hat Ulla Gerling-Driessen ihr Baby auch zu Konferenzen mitgenommen. Fotos: privat

„Für mich ist es eine positive Erfahrung, Chefinnen zu haben, die mich darin unterstützen, Kinder zu haben und den akademischen Weg zu gehen.“ So ein Vorbild möchte auch Gerling-Driessen sein.

Außer Verständnis wünscht sie sich Seminare zu familienfreundlichen Zeiten und bessere Evaluationsprozesse für Nachwuchswissenschaftler:innen. Diese müssen sich den Bedürfnissen von Wissenschaftler:innen mit Kindern anpassen, denn „es gibt eine Zeit, in der man nicht so produktiv sein konnte.“ Auch wenn sie Zugeständnisse sieht, nimmt das System „in der Realität noch nicht so viel Rücksicht, wie es angepriesen wird“. Dieser Prozess brauche Zeit und junge Forschende – Frauen und Männer –, die ihre Wünsche äußern. „Ich glaube, je mehr die neue Generation nachwächst, desto besser kommen wir da hin.“

Mit Ulla Gerling-Driessen sprach Alexandra Tietze.

INFO: Chemie und Elternschaft

In dieser Porträtserie spricht das Team Chancengleichheit des Jungchemikerforums mit Chemiker:innen, die Elternschaft und Karriere in Studium, Forschung oder Industrie verbinden. Um Elternschaft in der Chemie und damit zusammenhängende Problematiken sichtbar zu machen, berichten Eltern über ihre Erfahrungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Anregungen an chancengleichheit@jcf.io

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