Gesellschaft Deutscher Chemiker

Meinungsbeitrag

Vom Wert der Sachlichkeit

Nachrichten aus der Chemie, Februar 2020, Seite 3, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Es wird derzeit viel über Fake News und Desinformation diskutiert. Dabei geht einiges durcheinander. Leben wir bereits in einer postfaktischen Welt? Gibt es Filterblasen und Echokammern in sozialen Medien und wie wirken sie? Wie konnte die Schülerin Greta Thunberg für die einen zum Idol, für die anderen zur Hassfigur in Sachen Klimaschutz werden?

Kommunikationsforschende wissen: Je stärker Konfliktgegner von der eigenen Position überzeugt sind, desto emotionaler und kognitiv engagierter involvieren sich politische Antagonisten in ein Konfliktgeschehen. In aufgeheizten Diskussionen droht Forschenden Gefahr, wenn sie sich in polarisierte Auseinandersetzungen hineinziehen lassen. Engagieren sich Forschende zu emotional, dann verlieren sie Vertrauen bei unbeteiligten Beobachtern.

Obwohl in sozialen Medien rasch der Eindruck entstehen kann, dass es bei einem Thema allein Pro und Contra gibt, ist es doch in Wahrheit eher so: die meisten Menschen oszillieren zwischen den Meinungsfronten. Darüber hinaus lassen sich Extremisten kaum bekehren. Deshalb sollten sich Botschaften von Journalisten und Wissenschaftlern eher auf die Unentschlossenen konzentrieren. Auf die, die noch keine festgelegten Meinungen ausgebildet haben. Aus der Perspektive dieser Bürger hieße das, Wissenschaftler zu ermutigen, sich differenziert öffentlich zu äußern.

Nun ist aber das Wissen der Wissenschaft komplex. Kann Glyphosat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch Krebs verursachen? Selbst wenn verlässliches Wissen im Prinzip verfügbar ist, fehlt Laien die fachliche Urteilskraft, welchen Experten, welchem Wissen sie vertrauen können. Faktische Expertise von selbsternannten Experten zu unterscheiden, ist in den disziplinär organisierten Wissenschaften für Nichtfachleute schwer. Wissenschaft ist keine Demokratie, verlässliches Wissen ist leider nicht daran zu erkennen, wie viele es für wahr halten. Vielmehr braucht es sogar wissenschaftliche Exzellenz, um wiederum echte Exzellenz in der Forschung zu erkennen. Eine Brücke in die Welt der Wissenschaften bauen deshalb Vertrauensvermittler, zum Beispiel Wissenschaftsjournalisten, die verlässliches Wissen einordnen und jene Wissensbestände markieren, denen zu trauen oder zu misstrauen ist.

Wie kann solch ein informiertes Vertrauen entstehen? Der Münsteraner Psychologe Rainer Bromme hat neben Kompetenz zwei weitere entscheidende Dimensionen der Vertrauensbeziehung zwischen Laien und Experten benannt: Ein Wissenschaftler kann daraufhin überprüft werden, ob er wissenschaftlich integer agiert, also entsprechend den ethischen Normen guter Wissenschaft handelt. Zweitens kann man sich eine Meinung darüber bilden, ob sich ein Wissenschaftler mit seinen Aussagen dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt.

Genau an dieser Stelle wird es nun für Interessenverbände heikel. Jeder Lobbyist, ob in Industrie oder einer Nichtregierungsorganisation, kann sich täglich selbst prüfen, ob seine Experten integre Forschung betreiben, nach bestem Wissen und Gewissen nach verlässlichem Wissen streben oder lediglich suggerieren wollen, dass Meinung A eben soviel wert sei wie Meinung B. Das Vertrauen der Bevölkerung in unabhängige Wissenschaft wird in der digitalen Demokratie zum knappsten aller Güter. Deshalb lohnt es sich, als Wissenschaftler mutig sein Wissen zu teilen und in ehrliche Makler zu investieren – zum Beispiel in einen starken Wissenschaftsjournalismus. Die GDCh unterstützt deshalb das Science Media Center Germany. Dort arbeitet eine gemeinwohlorientierte und unabhängige Redaktion von Wissenschaftsjournalisten, die Journalisten aller Ressorts immer dann bei der Berichterstattung über Themen mit Wissenschaftsbezug unterstützt, wenn Wissenschaft Schlagzeilen macht. Schauen Sie mal rein: www.sciencemediacenter.de

Volker Stollorz Geschäftsführer und Redaktionsleiter Science Media Center Germany

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