Industrie + Technik

Der Bauxitrückstand aus der Aluminiumproduktion lässt sich wiederverwenden, statt ihn als Rotschlamm zu deponieren. Wie aus Abfall ein Wertstoff wird.Um ausreichend mineralische Rohstoffe zu gewinnen, bietet es sich an, die Zwangsanfälle, also die Abfälle großer chemischer Prozesse zu untersuchen: hier die der Aluminiumproduktion.In der ersten Stufe der Herstellung von Aluminium wird Al(OH)3 nach dem Bayer-Prozess hergestellt. Hierfür wird das Erz Bauxit zerkleinert, getrocknet, gemahlen und mit konzentrierter Natronlauge in Natriumaluminat überführt. Unlösliche Bestandteile des Erzes, darunter Oxide von Eisen, Titan und anderen Schwermetallen, bilden nach Abtrennung den Bauxitrückstand, auch Rotschlamm genannt. Aus der Natriumaluminatlösung scheidet sich nach Impfen, Abkühlen und beim Verdünnen mit Wasser kristalliner Gibbsit (Al(OH)3) aus. Dieser wird anschließend bei 1200 bis 1300 °C entwässert (calciniert), es entsteht Aluminiumoxid (Tonerde).Im zweiten Schritt wird das Aluminiumoxid geschmolzen und elektrolysiert. Zurzeit produzieren weltweit etwa 80 Tonerdefabriken diesen Rohstoff für die <link href="#nadc20224131210-fig-0001">Aluminiumindustrie. Jährlich werden zirka 60 Mio. Tonnen Aluminium neu hergestellt und zirka 15 Mio. Tonnen recycelt.1)<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/3JzaqfaoRduXQ0UeF556"><figcaption><label>Abb.1: </label>Rotschlammdeponie in Ungarn. Foto: SAndor / Adobe Stock</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Problemabfall</h2>Da seit 1887, dem Jahr der Patenterteilung für das Verfahren, bis heute keine wesentlichen Anwendungen für den Bauxitrückstand gefunden wurden,2) wird er auf Deponien gespült. Pro produzierter Tonne Aluminium fallen je nach Qualität des verwendeten Bauxits etwa drei Tonnen Rotschlamm an.Der stark alkalische Schlamm muss in abgedichteten Deponien überwacht werden. Die Kosten dafür werden auf neun Prozent des Tonerde-Preises geschätzt. Bei zirka 330 US-Dollar pro Tonne Tonerde sind das 30 US-Dollar pro Tonne Bauxit-Rückstand.3) Die Tendenz ist wegen behördlicher Auflagen steigend.Der Bauxitrückstand (BR) ist nach dem Basler Abkommen als gefährlicher Abfall eingestuft.4) Das macht seinen Transport über Grenzen hinweg praktisch unmöglich. Dies wäre aufgrund der Transportkosten ohnehin illusorisch. Aber die weltweit zwischen 150 und 180 Millionen Tonnen BR, die pro Jahr entstehen, sowie die Milliarden von Tonnen, die zurzeit weltweit auf Deponien liegen, machen den Rückstand nahezu überall verfügbar.<h2 type="main">Bauxitrückstand modifizieren</h2>Bei der alkalischen Auslaugung von Aluminium aus Bauxit bleibt der Bauxitrückstand als Zwangsanfall zurück. Er gilt aufgrund seiner Alkalinität als „hazardous waste“ und wegen der enthaltenen löslichen toxischen Substanzen wie Chromat und Schwermetallen als „toxisch“.Ein einstufiger Prozess neutralisiert und entgiftet den BR zu modifiziertem Bauxitrückstand (MBR, <link href="#nadc20224131210-fig-0002">Foto oben links). Details zum Umwandlungsverfahren unterliegen der Geheimhaltung.<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Im8uDw4ESim65FL0NiGB"><figcaption><label>Abb.2: </label>Modifizierter Bauxitrückstand (MBR) als Pulver. Fotos: Alferrock</figcaption></figure></figure>Das Verfahren verursacht weniger Kosten als das Deponieren des Rückstands: weniger als 10 US-Dollar pro Tonne BR. Das Material fällt filterfeucht (20 bis 25 %) an. In dieser Form wird es direkt zu Pressgranulat zur Formkörper-Herstellung für Speicherkeramik verarbeitet. Auf eine Restfeuchte von 8 bis 10 Prozent getrocknet wird MBR zu Granulaten für die Luft-, Wasser- oder Gasreinigung und Düngeanwendungen verarbeitet. Für die Verwendung im Baugewerbe oder als halogenfreier Flammschutz wird MBR auf eine Restfeuchte unter 0,1 Prozent getrocknet, um bei Compoundiertemperaturen von bis zu 250 °C Wasserdampfexplosionen zu vermeiden.Im Februar erhielt der MBR die Reach-Registrierung der europäischen Chemikalienagentur Echa und darf jetzt in Anwendungen in der EU ohne Einschränkungen verwendet werden.Aus den chemischen, physikalischen und mineralogischen Eigenschaften von MBR lassen sich Anwendungsfelder identifizieren. Das spezifische Gewicht des MBR beträgt 3,9 kg·L–1, die Schüttdichte liegt bei 1000 kg·m–³ (untamped bulk density, UTBD). MBR ist ein feinteiliges, gut fließendes und dabei staubarmes Pulver. Die mittlere Korngröße (D50) liegt zwischen 1 und 2 Mikrometer, wobei ein Drittel des MBR im nanoskaligen Bereich liegt (<link href="#nadc20224131210-fig-0003">Graph oben). Die spezifische Oberfläche (nach B.E.T.) beträgt über 20 m²·g–1, die der Granulate mehr als 30 m²·g–1.<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/ZJuN30K3THOBgwqYKLZX"><figcaption><label>Abb.3: </label>Korngrößenverteilung des Bauxitrückstands nach Modifizieren, beispielsweise Neutralisieren, Entgiften und Filtern.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Wärme und Energie</h2>In Form keramischer Ziegel ist MBR ein Speichermaterial mit hoher Wärmekapazität (temperaturabhängig von 0,7 bis 1,1 J·g–1·K–1) und einer Dichte von 3,5 g·cm–3. Das Material ist bis zu einer Temperatur von 1100 °C mechanisch stabil. Wegen der Thermoschockbeständigkeit eignet sich die MBR-Keramik besonders dafür, große Energiemengen zu speichern – bei schnellen Temperaturänderungen entstehen keine Spannungen, die das Material zerstören.Ein MBR-Wärmespeicher besteht aus einem Block keramischer Ziegel, der durch eine Dämmung wärmeisoliert ist und mit elektrischen Heizelementen durch Strom aus Wind- oder Solaranlagen aufgeheizt wird (<link href="#nadc20224131210-fig-0004">Foto unten links). Somit kann der überschüssige Strom in Wärme umgewandelt und mit einem Wirkungsgrad von nahezu 100 Prozent gespeichert werden. Ohne Unterbrechung des Beladevorgangs kann die Entladung über einen Wärmetauscher erfolgen.<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/2lNjQR07T1aLateN0jLn"><figcaption><label>Abb.4: </label>Wärmespeicher im Labor, gebaut mit modifiziertem Bauxitrückstand.</figcaption></figure></figure>Ein Kubikmeter MBR-Wärmespeicherkeramik kann bei einer Temperatur von 1000 °C mehr als 1 MWh thermische Energie speichern. Die gespeicherte Wärme lässt sich für Warmwasser- und Dampfherstellung oder für die Rückverstromung nutzen. Wärmerückgewinnung jeder Art wird möglich.<h2 type="main">Flammschutz und Dämmung</h2>Aufgrund seiner mineralogischen und chemischen Zusammensetzung und der damit verbundenen endothermen Vorgänge eignet sich MBR in Pulverform als anorganischer halogenfreier Flammschutz für Kunststoffe und hydraulisch abbindende Baustoffe. Styroporplatten mit MBR ergeben beispielsweise eine nicht brennbare Wärmedämmung (<link href="#nadc20224131210-fig-0005">Foto S. 38, unten rechts).<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0005"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/XinH08OfTD2Ju7HOuPJj"><figcaption><label>Abb.5: </label>Polystyrol mit modifiziertem Bauxitrückstand als Füllstoff für Flammschutz, Schalldämmung und Strahlenabschirmung.</figcaption></figure></figure>Feuerlöschmittel für Flächenbrände sind in den Boden eingebrachte MBR-Granulate. Sie fungieren als Brandsperren, damit sich das Feuer nicht unter der Bodennarbe ausbreitet.Darüber hinaus kann MBR aufgrund seiner hohen Dichte als Füllstoff in Baustoffen die Schalldämmung in Gebäuden verbessern.Zudem steigt die Abschirmung vor radioaktiven und elektromagnetischen Strahlen bei Einsatz von MBR mit seinem hohen Eisengehalt.5)<h2 type="main">Reinigen und Düngen</h2>Aufgrund der hohen spezifischen Oberfläche und der Zusammensetzung von MBR-Granulaten lassen diese sich wie granulierte Aktivkohle verwenden. Sie adsorbieren Spurenstoffe, Schwermetallkationen und anionische Stoffe (<link href="#nadc20224131210-fig-0006">Abbildung oben). Die gebundenen Schadstoffe lassen sich immobilisieren, indem man aus dem kontaminierten MBR laugungsstabile Geopolymere herstellt.<figure xml:id="nadc20224131210-fig-0006"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/pZX308CQbu3dZBVK0Z90"><figcaption><label>Abb.6: </label>Wie Granulate aus modifiziertem Bauxitrückstand Wasser reinigen. Links: anionische Schadstoffe aus einer Lösung mit 2,5 Gew.-% Granulat; rechts kationische Schadstoffe (je 100 mg·L–1) aus einer Lösung mit 3,5 Gew.-% Granulat.6)</figcaption></figure></figure>Mit Amidosulfonsäure dotierte MBR-Granulate reduzieren Nitrat zu Nitrit, was anschließend zu elementarem Stickstoff synproportioniert. So kann Nitrat im Grundwasser zerstört werden.Wertstoffe wie Phosphat lassen sich zurückgewinnen, indem das im MBR enthaltene Eisen, Aluminium und Calcium schwerlösliche Phosphate bildet.MBR in Granulatform kann in Gülle oder Biogas als Adsorbens wirken oder mit NPK (Stickstoff, Phosphor, Kalium) dotiert als Dünger, der gleichzeitig Schadstoffe im Boden immobilisiert.<h2 type="main">Die Autoren</h2>Den Beitrag haben Heinzhorst Moebius, Horst Schmidt (Foto) und Sebastian Hippmann verfasst. Der promovierte Chemiker Moebius war nach seiner Pensionierung bis zum Jahr 2012 im Verwaltungsrat der Fluorchemie-Gruppe. Von 1965 bis 1998 war er für die ehemalige Hoechst AG im Chemiefaserbereich tätig. Der promovierte Mineraloge Schmidt arbeitet bei Alferrock in Bergheim. Zuvor war er am Institut für Anorganische Chemie der TU Freiberg und bei Fluorchemie in Frankfurt beschäftigt. Der promovierte Chemiker Hippmann entwickelt Verwertungsmöglichkeiten industrieller Nebenprodukte am Institut für Technische Chemie der TU Freiberg und ist Teamleiter beim Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/eo97bSF8TGexnJdvrqjy"><ul class="references" xml:id="nadc20224131210-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20224131210-bib-0001">1 J. Vasters, G. Franken, Aluminium – Informationen zur Nachhaltigkeit, BGR Hannover, 2020</li><li xml:id="nadc20224131210-bib-0002">2 H. Sutar, S. C. Mishra, S. K. Sahoo, A. P. Chakraverty, H. S. Maharana. Am. Chem. Sci. J. 2014, 4(3), 255.</li><li xml:id="nadc20224131210-bib-0003">3 London Metal Exchange, Alumina Preis am 17. August 2022</li><li xml:id="nadc20224131210-bib-0004">4 Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 1992, <a href="https://www.bmuv.de" target="_blank">www.bmuv.de</a></li><li xml:id="nadc20224131210-bib-0005">5 R. Thoraeus, Acta Radiol. 1960, 54, 410</li><li xml:id="nadc20224131210-bib-0006">6 H. Schmidt, S. Hippmann, M. Bertau, W. Voigt, Chem. Ing. Tech. 2016, 88, 1323</li></ul>

Recycling

Vom Schlamm zum Granulat

Der Bauxitrückstand aus der Aluminiumproduktion lässt sich wiederverwenden, statt ihn als Rotschlamm zu deponieren. Wie aus Abfall ein Wertstoff wird.Um ausreichend mineralische Rohstoffe zu gewinnen, bietet es sich an, die Zwangsanfälle, also die Abfälle großer chemischer Prozesse zu untersuchen...

Wenn die Chemieindustrie als Basis immer h&auml;ufiger nachwachsende statt fossile Rohstoffe nutzt, sind andere Synthesewege notwendig. Bisher machen pflanzenbasierte Chemikalien oft nur einen kleinen Teil des Endprodukts aus. Nicht alles wird neu &ndash; aber vieles.
Einst spielte in der kohlebasierten Chemie Acetylen die Hauptrolle. Auf Erd&ouml;lbasis hat sich Ethylen als Plattformchemikalie etabliert (Foto oben). In Zukunft k&ouml;nnten es etwa Milchs&auml;ure, 5-Hydroxymethylfurfural (5-HMF) und Phenol sein, sch&auml;tzt Nicolaus Dahmen, Abteilungsleiter Thermochemische Umwandlung von Biomasse am Institut f&uuml;r Katalyseforschung und -technologie (IKFT) des KIT in Karlsruhe.
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/RfYK705vQd2AUp8TdoM6" />
<figcaption><label>Abb.1: </label>Der Steamcracker in Ludwigshafen setzt erd&ouml;lbasierte Rohstoffe um. Anlagen, die Biomasse verarbeiten, sind anders aufgebaut. Foto: BASF</figcaption>
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Gew&ouml;hnlich l&auml;sst sich aber nicht statt des petrost&auml;mmigen Edukts A das Edukt B aus nachwachsenden Rohstoffen in die Erd&ouml;lraffinerie einspeisen und sie damit zur Bioraffinerie machen. Denn in aller Regel enthalten nachwachsende Rohstoffe mehr Sauerstoff. Daher werden auch die Bioprodukte mehr Sauerstoff enthalten und sollen dennoch die guten Eigenschaften der konventionellen Produkte aufweisen oder gar &uuml;bertreffen. Statt aus Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) werden Unternehmen in Zukunft wom&ouml;glich Plastik aus Polymilchs&auml;ure herstellen.
<h2 type="main">Kleine und gro&szlig;e Bausteine</h2>
Eine Pi-mal-Daumen-Regel bleibt bei den Grundchemikalien: Eher leicht lassen sich kleine Bausteine mit bis zu drei Kohlenstoffatomen (C1- bis C3-Bausteine) und sehr gro&szlig;e Bausteine herstellen. Zu diesen z&auml;hlen solche, bei denen die Industrie eine vorhandene Struktur nutzt. Aus Steinkohlenteer ist zum Beispiel als Pharmabaustein Inden (C9H8) destillierbar; andere gro&szlig;e Bausteine starten etwa mit dem nachwachsenden Rohstoff Lignin (aus Holz) oder mit Fetts&auml;uren (aus Pflanzen&ouml;len). Schwieriger ist es, aus pflanzlichen Rohstoffen zu den mittelgro&szlig;en Bausteinen wie C5, C6 oder C7 zu gelangen; dies gelingt etwa mit den Zuckern Glucose (C6) oder Ribose und Xylose (C5).
Eine C6-Plattformchemikalie ist 2,5-Furandicarbons&auml;ure. Sie l&auml;sst sich chemisch aus 5-HMF, mikrobiell oder enzymatisch gewinnen. Sie erschlie&szlig;t weite Bereiche der Furanchemie. Vor allem l&auml;sst sie sich aufgrund ihrer Strukturverwandtschaft zur Terephthals&auml;ure zu Plastik verarbeiten. Dieses &auml;hnelt dem Polyethylenterephthalat (PET), etwa Polyethylenfuranoat, PEF, vom Amsterdamer Unternehmen Avantium. Hier liegt das potenzielle Marktvolumen im zweistelligen Millionen-Tonnen-Bereich pro Jahr. Beim US-Energieministerium rangiert die 2,5-Furandicarbons&auml;ure unter den Top Ten der aus Biomasse herstellbaren Chemikalien.
Pharmawirkstoffe d&uuml;rften tendenziell weniger vom Wandel betroffen sein, weil es sich in der Regel um Produktionen in kleinerem Ma&szlig;stab handelt. Hier bremst der Aufwand f&uuml;r die Produktionsumstellung und die Neuanmeldung bei den Beh&ouml;rden. Aber auch die Pharmaindustrie findet nachwachsende Rohstoffe mit geringem CO2-Fu&szlig;abdruck attraktiv &ndash; &uuml;berall dort, wo es um Verpackungen geht. Diese haben am Gesamtprodukt Arzneimittel oft einen erheblichen Anteil.
Die Preish&uuml;rde ist f&uuml;r Nicolaus Dahmen kleiner als gedacht: &bdquo;Der Preis f&uuml;r Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen liegt im Vergleich zu klassischen Pendants aus der erd&ouml;lbasierten Chemie zurzeit zwei- bis dreimal so hoch.&ldquo; Das sei nicht viel, da diese Stoffe oft nur einen kleinen Teil des Endprodukts ausmachen.
<h2 type="main">Lignin als Weg zu C6-Bausteinen</h2>
Zu den aussichtsreichen nachwachsenden Rohstoffen z&auml;hlen Holz, alle verholzten Pflanzen und Stroh. Zum Beispiel lassen sich nach dem Organosolv-Verfahren (Fraunhofer-Institut f&uuml;r Grenzfl&auml;chen- und Bioverfahrenstechnik, IGB, Leuna) in einer Lignocellulose-Bioraffinerie Cellulose, Hemicellulose und Lignin gewinnen. Dies geschieht im Wesentlichen mit L&ouml;sungsmitteln wie Ethanol.
Mit speziellen Verfahren &ndash; basenkatalysiert oder elektrochemisch wie im EU-Projekt Liberate &ndash; liefert Lignin C6-Bausteine und die aromatische Struktur dazu. &bdquo;So l&auml;sst sich ein breiter Strau&szlig; von Chemikalien erhalten, etwa Antioxidantien, Ausgangsstoffe f&uuml;r Phenol- oder Formaldehydharze und aromatische Aldehyde&ldquo;, sagt Christine Rasche, Koordinatorin Gesch&auml;ftsfeld Nachhaltige Chemie am IGB. Zum Beispiel ist Lignin zu gemischten phenolischen Oligomeren depolymerisierbar.
Bei der Herstellung von Epoxid- und anderen Harzen w&uuml;rde die Industrie gern die polymere Struktur von Lignin nutzen. Etablierte Verfahren bereiten allerdings zurzeit Probleme wegen der geringen L&ouml;slichkeit des nachwachsenden Rohstoffs. Deswegen wird ein Zwischenschritt eingef&uuml;gt: Lignin erst in kleinere Bausteine zerlegen, diese l&ouml;sen und gezielt wieder zusammensetzen. Leichter geht es bei ligninst&auml;mmigen thermoplastischen Kunststoffen f&uuml;r Geh&auml;use, Sch&uuml;sseln etc. Hierzu gibt es Rezepturdatenbanken, die helfen, Eigenschaften wie Schlagfestigkeit und Spr&ouml;digkeit einzustellen. Dies gelingt etwa dem Ilsfelder Kunststoffunternehmen Tecnaro.
Nicht alle Produkte sind f&uuml;r den gro&szlig;en Ma&szlig;stab bestimmt, aber es gibt die Bulk- und Plattformchemikalien. Zum Beispiel l&auml;sst sich der C4-Baustein Isobuten im industriellen Ma&szlig;stab fermentativ aus Glucose herstellen (Global Bioenergies, Frankreich). Und aus dem C4-Baustein sind leicht die Vielfachen C8, C12, C16 usw. zu gewinnen.
<h2 type="main">Regionalit&auml;t</h2>
Holz kommt aus dem Wald und Zucker vom Feld (Zuckerr&uuml;ben). Damit deutet sich eine Entwicklung an: Die Chemie wird regionaler, denn nicht alles w&auml;chst &uuml;berall, und die Rohstoffe unterscheiden sich in ihrer Qualit&auml;t.
Zum Beispiel verwendet UPM Biochemicals, Leuna, in der Bioraffinerie Buchenholz aus der Region. Daraus entstehen unter anderem holzbasierte Funktionsf&uuml;llstoffe, die herk&ouml;mmlicherweise auf der Basis von Ru&szlig; oder gef&auml;llter Kiesels&auml;ure produziert werden. Buchenholz ist ideal, denn es liefert etwa 50 Prozent Cellulose, 25 Prozent Xylose und 25 Prozent Lignin, aber nur wenig Asche und wenig andere Extraktstoffe. Wo statt Buchen Nadelh&ouml;lzer wachsen oder wo man mit Stroh arbeiten muss, st&ouml;ren h&ouml;here Aschegehalte und speziell beim Nadelholz Terpene. Doch die k&ouml;nnen auch eine besondere Chance er&ouml;ffnen, lassen sie sich doch zu Caprolactam weiterverarbeiten. Auch dieses Verfahren kommt vom Fraunhofer IGB und wird derzeit in den industriell relevanten Ma&szlig;stab skaliert.
Lignin l&auml;sst sich zudem in Zellstoffwerken gewinnen. Das Rohprodukt enth&auml;lt dann zwar Schwefel, und auf den Geruch reagieren Menschen empfindlich. Dennoch besteht eine Idee darin, Lignin aus der Papierindustrie im 3-D-Druck zu Formteilen zu verarbeiten. Mit Lignin, wie es eine IGB-Tochter &ndash; das Fraunhofer-Zentrum f&uuml;r Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP) &ndash; aus der Bioraffinerie liefert, haben Forschende der Universit&auml;t Freiburg die grunds&auml;tzliche Machbarkeit gezeigt. Besonders eignen k&ouml;nnten sich die Produkte als Leichtbaumaterial &ndash; vom Fahrrad bis zum Flugzeug. Das werkstoffliche Problem besteht darin, die daf&uuml;r geforderten Festigkeiten zu erreichen.
<h2 type="main">Kreisl&auml;ufe und Kleinplantagen</h2>
Bei Gro&szlig;unternehmen haben Effizienz&uuml;berlegungen dazu gef&uuml;hrt, Stoffstr&ouml;me in Kreisl&auml;ufe zu bringen und Abfallprodukte in anderen Prozessen weiter zu verwenden. Auch das Thema &bdquo;nachwachsende Rohstoffe&ldquo; steht dort auf der Tagesordnung. Bei Gr&ouml;&szlig;enordnungen von etwa 35 000 verschiedenen Rohstoffen von &uuml;ber 6500 Lieferanten wie bei BASF bestehen viele Spielr&auml;ume daf&uuml;r.
So speist der Konzern Biomethan als Erdgasalternative in die Verbundproduktion ein. &Uuml;ber den Massenbilanzansatz1) l&auml;sst sich der Mengenanteil nachwachsender Rohstoffe berechnen, der in die Endprodukte eingeht. Dieses Kalkulationsverfahren nutzt das Unternehmen etwa bei Bindemitteln f&uuml;r l&ouml;semittelfreie Farben und Lacke (Acronal Eco, Joncryl MB), Superabsorber (Hysorb Biomass Balanced), Produkte f&uuml;r die Wasch- und Reinigungsmittelindustrie (Trilon, Sokalan, Protectol) und D&auml;mmstoffe (Styropor, Neopor, Styrodur).
Zu den wichtigsten nachwachsenden Rohstoffen z&auml;hlen bei BASF Palm&ouml;l und Palmkern&ouml;l. Deren Derivate gehen in Kosmetika, Waschmittel, Reinigungs- und Nahrungsmittel. Ein weiterer Rohstoff ist Rizinus&ouml;l f&uuml;r Kunststoffe, Farben, Lacke, Kosmetika und Pharmaprodukte.
Da &bdquo;nachwachsend&ldquo; nicht automatisch &bdquo;nachhaltig&ldquo; bedeutet, setzt das Unternehmen auf Lieferketten, die bewertet oder zertifiziert sind. Unter den Zertifizierern ist der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO), dessen Mitglieder etwa Umweltschutzverb&auml;nde sowie Unternehmen und Institutionen aus der Wertsch&ouml;pfungskette des Palm&ouml;ls sind wie Plantagenbetreiber, H&auml;ndler und industrielle Abnehmer, aber auch Investoren und Banken. Zudem ist das Unternehmen im indischen Programm f&uuml;r den nachhaltigen Anbau von Rizinusbohnen: dem Projekt &bdquo;Pragati&ldquo; (Hindi f&uuml;r &bdquo;Fortschritt&ldquo;).
In der vietnamesischen Provinz Dong Nai arbeitet BASF seit dem Jahr 2014 mit zwei Kleinplantagen zusammen &ndash; ein Beispiel daf&uuml;r, wie Nachhaltigkeit und Biozertifizierung von Rohstoffen zu einem st&auml;rker regionalen Denken in der Chemie f&uuml;hren (Foto links).
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/MjljBwqfRlambXTncxZd" />
<figcaption><label>Abb.2: </label>Aus Pflanzenteilen wie der Schale und den Samen der Rambutan-Frucht entstehen in Vietnam Pharmawirkstoffe. Foto: BASF</figcaption>
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<h2 type="main">Elektrolyse und Bakterien</h2>
Evonik verwendet als nachwachsende Rohstoffe vor allem Dextrose und Saccharose, und zwar als Substrate bei der fermentativen Herstellung von Aminos&auml;uren. Als attraktiv gilt zudem Lignin, denn daraus lassen sich petrochemisch schwer zug&auml;ngliche substituierte Adipins&auml;uren als Kunststoffvorprodukte herstellen.2)
F&uuml;r aussichtsreich h&auml;lt Evonik dar&uuml;ber hinaus die Power-to-X-Technik, bei der Bakterien (Clostridien) aus elektrolytisch gewonnenem Synthesegas Hexanol und Butanol produzieren. Das sind Ausgangsstoffe f&uuml;r Spezialkunststoffe oder Nahrungserg&auml;nzungsmittel. Eine Versuchsanlage dazu betreibt Evonik zusammen mit Siemens in Marl (Foto links unten).3)
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/i88GZmtRQgAUXvy2FQvQ" />
<figcaption><label>Abb.3: </label>Blick in die Anlage von Siemens und Evonik in Marl. In dieser Mischung aus Bioreaktor und Elektrolyseur produzieren Bakterien aus elektrolytisch gewonnenem Synthesegas Spezialchemikalien. Foto: Evonik</figcaption>
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<h2 type="main">Multistrategie</h2>
Evonik nutzt biobasierte Rohstoffe wie Pflanzen&ouml;le und Zuckerpflanzen in kleineren Mengen und investiert in die Forschung und Entwicklung einer eigenen zuckerbasierten Bioraffinerie, gedacht vorwiegend f&uuml;r die Polyurethanherstellung. Dar&uuml;ber hinaus kauft das Unternehmen f&uuml;r die Produktion von Toluendiisocycanat (TDI), Methylendiphenylisocyanat (MDI) und Polycarbonat (PC) raffinierte bioabfallbasierte Aromaten und Phenole.
Um eine gro&szlig;technische Produktion auf Basis nichtfossiler Rohstoffe in die betriebliche Praxis umzusetzen, sind Fortschritte in drei Disziplinen zu machen: Up-scaling, Marktakzeptanz von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen mit h&ouml;heren Preisen und beim Kohlenstofffu&szlig;abdruck. In Zukunft &ndash; so das Ziel beim Unternehmen Covestro &ndash; soll jeglicher Kohlenstoff entweder aus Recycling, aus biobasierter oder CO2-basierter Chemie stammen (Foto unten).
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/D2rRrJ32Qz6D40664PaH" />
<figcaption><label>Abb.4: </label>F&uuml;r die elastische Textilfaser in der Socke reagiert CO2 mit Propylenoxid zur Polyol-Komponente des Polymers. Foto: Covestro</figcaption>
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Zur Bewertung dient bei Covestro die Massenbilanzierung nach der internationalen Initiative International Sustainability &amp; Carbon Certification (ISCC). Die Massenbilanzmethode ISCC Plus ergibt zum Beispiel: Pentamethylendiisocyanat (PDI) ist zu 70 Prozent biobasiert, weil ein Edukt (Pentamethylen) zu 100 Prozent biobasiert ist, die Isocyanatgruppe aber klassisch chemisch hergestellt wird. Aus PDI entsteht ein Lackh&auml;rter.
Als eine der am meisten erfolgversprechenden Entwicklungen sieht Covestro die unternehmenseigene Forschung und den Ausbau der Produktion des MDI-Vorprodukts Bioanilin aus Industriezucker in einem zweistufigen Prozess: Fermentation und chemokatalytische Umwandlung. Alternativ sind als Edukte nachwachsende Rohstoffe (St&auml;rke, Lignocellulose) ins Auge gefasst. Covestro sieht Lignin als eine mittelfristige Energietr&auml;geroption sowie mittel- und langfristig als Quelle aromatischer Grundbausteine f&uuml;r Kunststoffe.
Eine komplement&auml;re Strategie beruht auf dem Recycling von Alt&ouml;len und -fetten. Die m&uuml;ssten ansonsten entsorgt werden und enthalten im Gegensatz zu nachwachsenden Rohstoffen wenig bis keinen Sauerstoff. Mithin &auml;hneln sie den erd&ouml;lbasierten Stoffen und lassen sich daher nach Aufarbeitung gut in bestehende Produktionen einschleusen.
Warum nicht standardm&auml;&szlig;ig aus Ethanol Wasser abspalten und so die Ausgangsbasis der Zukunft f&uuml;r Ethen schaffen &ndash; und analog dazu mit anderen Alkoholen verfahren? In der Realit&auml;t ist die Reinigung (etwa bei Ethanol Wasser vollst&auml;ndig abtrennen) ein erheblicher Kostenfaktor. Erd&ouml;l zu fraktionieren ist weniger aufwendig. Darum braucht die Umstellung von der Erd&ouml;lraffinerie auf die Bioraffinerie vor allem einen langen Atem &ndash; und Anst&ouml;&szlig;e von au&szlig;en, denen die Industrie nach dem Gesetz des kleinsten Zwangs in Richtung nachwachsend und nachhaltig nachgibt.
Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.
<ul class="references" xml:id="nadc20224123450-bibl-0001" cited="no">
<li xml:id="nadc20224123450-bib-0001">1 <a href="https://basf.com/massenbilanz" target="_blank" rel="noopener">basf.com/massenbilanz</a> (Stand 27.8.2022)</li>
<li xml:id="nadc20224123450-bib-0002">2 <a href="https://elements.evonik.de/forschung-und-innovation/naturtalent-lignin" target="_blank" rel="noopener">elements.evonik.de/forschung-und-innovation/naturtalent-lignin</a> (Stand 27.8.2022)</li>
<li xml:id="nadc20224123450-bib-0003">3 <a href="https://elements.evonik.de/forschung-und-innovation/so-entstehen-neue-chemikalien-aus-co2" target="_blank" rel="noopener">elements.evonik.de/forschung-und-innovation/so-entstehen-neue-chemikalien-aus-co2</a> (Stand 27.8.2022)</li>
</ul>

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