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Spielen Sie mit offenen Karten – zeigen Sie Ihre Analytikdaten. Aber lassen Sie sich nicht dreinreden, publish as it is! Wer seine Finanzen im Blick hat, sollte open access veröffentlichen.
Wenn nötig, sei...
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Dieses Jahr ging es bei der Vergabe des Ig-Nobelpreis um die ganz großen Gefühle: Liebe, Sex und Eiscreme.
Mitten auf einem Feld irgendwo in der Toskana startet der Gala-Abend. Jurymitglied Anna Beukenhorst verkündet die Sicherheitsvorschriften der Veranstaltung: „Suchen Sie nicht nach dem nächsten Notausgang! Schreien Sie in ihr Telefon! Essen Sie etwas! Bereiten Sie Ihre Papierflieger vor!“
Unedel, unwürdig, unehrenhaft – so lässt sich das englische Wort „ignoble“ auf Deutsch übersetzen. Als Karikatur der Nobelpreise verleiht das Magazin Annals of Improbable Research jährlich zehn Ig-Nobelpreise.
Wie in den beiden Jahren zuvor findet die Preisverleihung digital statt. Wer gewinnt, bekommt den Preis als PDF zugeschickt: Eine Bastelvorlage des Pokals zum Ausdrucken und einen 10-Billionen-Dollar-Schein aus Simbabwe – ebenfalls zum Ausdrucken. Feierlich wird der zusammengeklebte Papierzylinder bei jeder Verleihung von Zoom-Kachel zu Zoom-Kachel überreicht. Auch Barry Sharpless verleiht zwei Preise und fasst sich für einen japanischen Wissenschaftler an die eigene Nase.
Den ersten Preis des Abends verlieh die Jury in der neuen Kategorie „Angewandte Kardiologie“ für Studien an Blind-Dates. Die Forschenden zeigten, dass sich der Herzschlag von Menschen angleicht, wenn sie einander attraktiv finden.
Die Wissenschaftler:innen statteten ihre Probandinnen und Probanden mit Brillen aus, die die Blickrichtung aufzeichneten. Außerdem beobachteten sie Herzschlag und Schweißproduktion. Lächeln, Augenkontakt und Körperhaltung sind keine eindeutigen Indikatoren für die gegenseitige Sympathie. Viel mehr entscheidet das Bauchgefühl darüber, ob wir unser Gegenüber ins Herz schließen oder nicht.
Wenn sich nicht kontrollierbare physiologische Faktoren synchronisieren, sei das das beste Indiz für gegenseitiges Interesse. Bei streitenden Ehepaaren ließe sich das gleiche Verhalten beobachten, geben die Forschenden an.
Rund um die Liebe drehte sich auch die Forschung der Gewinner:innen des Biologie-Ig-Nobelpreises. Sie untersuchten die Auswirkungen von Verstopfungen auf den Fortpflanzungserfolg von Skorpionen. In Gefahrensituationen können einige Skorpionarten Teile ihres Schwanzes abstoßen, um ihren Feinden zu entkommen. Doch mit dem Schwanzende verliert das Tier seinen Giftstachel und das Ende seines Verdauungstrakts. Ohne Anus kann der Skorpion verdaute Nahrung nicht mehr ausscheiden und leidet sein restliches Leben lang an Verstopfungen.
Die Forschenden untersuchten Auswirkungen des Schwanzverlusts und kamen dabei zu folgenden Ergebnissen: Ohne Stachel sind Skorpione schlechtere Jäger. Die männlichen Skorpione laufen ohne Schwanz nach und nach langsamer. Und weibliche Skorpione haben ohne Schwanz schlechtere Chancen, sich fortzupflanzen.
Auch die Maya beschäftigten sich mit dem Ende des Verdauungstrakts – in Ritualen. Für diese Erkenntnis verlieh die Jury den Ig-Nobelpreis für Kunstgeschichte.
Die Wissenschaftler:innen untersuchten Töpferware, auf der die Maya ihre Rituale bildlich festhielten. Dabei fielen ihnen Rituale mit rektalen Einläufen auf. Die Forschenden vermuten, dass dabei Alkohol, Tabak, Seerosen und andere blühende Pflanzen über diesen Weg in den Körper eingebracht wurden. Vermutlich, um die Wirkung der Drogen zu verstärken.
Ähnliche Kreativität in der alternativen Gesundheitsfürsorge legten die Gewinner des Ig-Nobelpreises für Medizin an den Tag. Dieser ging dieses Jahr nach Polen und kürte orale Kryotherapie.
Häufig entzündet sich bei Krebskranken die Mundschleimhaut durch die Chemotherapie. Ärztinnen und Ärzte können diesem Problem mit Kälte vorbeugen: Lutschen die Behandelten Eiswürfel, verengen sich die Blutgefäße im Mund und weniger der giftigen Medikamente gelangen dorthin.
Die Forschenden aus Polen prüften, ob handelsübliche Eiscreme denselben Effekt hat – mit Erfolg. Patientinnen und Patienten, die Speiseeis aßen, litten nur halb so oft unter Entzündungen im Mund wie die ohne Kältebehandlung.
Süßer als Eiscreme sind wohl nur Entenküken, die ihrer Mutter hinterherschwimmen. Wer dieses Naturschauspiel beobachtet, dem stellen sich sofort drei Fragen: Warum schwimmen die Enten in einer Reihe? Welche Schwimmformation ist die energetisch beste? Und wie viel Energie kann jedes Küken sparen, wenn keins aus der Reihe tanzt? Zwei Forschungsteams haben diese Fragen beantwortet und erhielten dafür den Physik-Ig-Nobelpreis.
Die Wissenschaftler beobachteten zwei Phänomene: Erstens surfen die Entchen auf der Bugwelle ihrer Mutter, sodass ihr Strömungswiderstand sinkt. Zweitens leiten die Küken die Wellen an ihre Hinter-Enten weiter, sodass diese ebenfalls von der Strömung profitieren. Die ersten drei Enten hinter der Mutter schwimmen sogar ohne eigenen Kraftaufwand vorwärts – bis zu 158 Prozent weniger Strömungswiderstand sind es für das erste Entchen der Reihe. Ab dem vierten Küken der Formation ist der Strömungswiderstand konstant null. Diese Technik könnte auch für die Schifffahrt interessant sein. Die Physikpreisträger träumen bereits von Containerschiffen in Entenform.
Tierisch war auch das Forschungsthema, das mit dem Ig-Nobelpreis für Sicherheitstechnik ausgezeichnet wurde: ein Elch-Dummy für Auto-Crashtests. 21 Jahre nachdem der schwedische Wissenschaftler Magnus Gens seine Masterarbeit fertiggestellt hatte, wurde er nun geehrt.
In manchen Regionen der Welt hat das rote Dreiecksschild mit den Geweihträgern mehr Bedeutung als in anderen. Über 5000 Elch-Unfälle gibt es jährlich in Schweden; in Deutschland beläuft sich die Zahl aller Wildunfälle auf 2300 – bei zehnmal mehr Autos. Die schwedischen Autos mussten also elchsicher gemacht werden. Dafür baute Gens einen Dummy aus Gummi und Stahl nach den Maßen eines Elchs. Ein Volvo und zwei Saab mussten herhalten, um zu prüfen, ob der Gummi-Elch seine fleischlichen Verwandten angemessen vertritt. Obwohl Gens bei seinem Modell auf einen Kopf verzichtete, erzielte er an den Autos „sehr zufriedenstellende Beulen“, wie er in seiner Arbeit schreibt.
Als Tipp verriet er bei der Preisübergabe, man solle bei drohender Kollision mit einem Elch immer auf den Hintern zielen.
Weniger kopflos als der Elch-Dummy sollten Jurist:innen beim Formulieren ihrer Texte vorgehen. Trotzdem sind diese oft nur schwer verständlich. Die Gründe dafür untersuchten Forschende aus Kanada, den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien und erhielten dafür den Ig-Nobelpreis für Literatur. Nicht fehlendes Fachwissen hindert die Leser am Verständnis; die Texte sind einfach schlecht geschrieben.
Um die Ursachen dafür zu finden, verglichen die Wissenschaftler:innen juristische Dokumente mit verschiedenen Formen des Alltagsenglisch. Sie untersuchten die Texte auf Großbuchstaben, ungewöhnliche Wörter, Wortwahl, eingeschobene Nebensätze und Passivsätze – alles Faktoren, die nachgewiesen das Leseverständnis beeinflussen. In allen Kategorien schnitten die Fachtexte schlechter ab als das untersuchte Alltagsenglisch.
Für chemische Publikationen würde sich eine solche Untersuchung ebenfalls anbieten, bekommt man doch manchmal den Eindruck, die Autoren der Paper haben ihre Erkenntnisse zwar veröffentlicht, wollen diese aber lieber verheimlichen.
Deutlich schneller als wissenschaftliche Texte verbreiten sich Klatsch und Tratsch. Dementsprechend verlieh die Ig-Nobelpreis-Jury den Friedens-Preis in diesem Jahr an ein Team aus neun Ländern, das erforschte, wann Menschen beim Tratschen lügen sollten und wann nicht.
Dies machten die Forschenden von vier Variablen abhängig: Wie beeinflussen die tratschende Person und die zuhörende Person ihre gegenseitigen Fortpflanzungsmöglichkeiten? Wie beeinflussen die tratschende Person und die Person, über die getratscht wird, ihre gegenseitigen Fortpflanzungsmöglichkeiten? Verbessert der Tratsch die Fortpflanzungschancen der zuhörenden Person? Verbessert der Tratsch die Fortpflanzungschancen der Person, über die getratscht wird? Laut den Forschenden ließe sich das am besten in einer Bar untersuchen.
Nachdem die Autor:innen ein Tratsch-Gleichgewicht ausgearbeitet haben, kommen sie zu dem Schluss: Hat der Tratsch keine eindeutigen absehbaren Folgen, kann ihr Algorithmus auch nicht weiterhelfen, dann hilft nur noch Glück.
Zufall und Glück spielen eine größere Rolle auf dem Weg zum Erfolg, als wir glauben. Dies konnten Forschende aus Italien mathematisch beweisen und erhielten dafür den Ig-Nobelpreis für Ökonomie.
Die Annahme, vor allem Talent und Können würden über den Erfolg im Leben entscheiden, spiegelt nicht den Status quo: Während diese persönlichen Qualifikationen in der Gesellschaft nahezu einer Gauß‘schen Verteilung folgen, besitzen 10 Prozent der Weltbevölkerung 85 Prozent des Vermögens. Es muss also eine weitere Variable geben, die dafür sorgt, dass die talentiertesten Menschen nicht auch die erfolgreichsten sind. Die ausgezeichneten Wissenschaftler:innen zeigten: Die erfolgreichsten Menschen sind meistens durchschnittlich talentiert und erleben viele glückliche Zufälle.
Zwei der Forscher hatten das Glück, bereits zum zweiten Mal einen Ig-Nobelpreis zu gewinnen. Im Jahr 2010 gewannen sie den Preis für Management. Sie bewiesen damals mathematisch: Befördern Organisationen ihre Mitarbeiter:innen nach dem Zufallsprinzip, steigert das ihre Effizienz.
Nichts dem Zufall überlassen wollte ein Team aus japanischen Wissenschaftler:innen beim Design von Türknäufen. Für ihre Arbeit erhielten sie den Ig-Nobelpreis für Ingenieurwissenschaften.
Die Forschenden filmten ihre Proband:innen dabei, wie sie Drehknäufe verschiedener Durchmesser bedienten. Ab einer Größe von 10 bis 11 Millimetern wechselten die Teilnehmenden von einer Zwei- zu einer Drei-Finger-Technik, um den Zylinder zu drehen. Ab 23 bis 26 Millimetern Größe kam noch ein Finger dazu und bei 45 bis 50 Millimetern Durchmesser nutzten die Proband:innen bereits die ganze Hand. Daumen und Zeigefinger bildeten bei den meisten Teilnehmenden den Ausgangspunkt.
Als die Forschenden die Studie 1999 durchführten, erhofften sie sich daraus Nutzen für die Formgestaltung von Drehbetätigungsvorrichtungen ziehen zu können – zumindest in Deutschland haben diese aber auch 23 Jahre später die Klinke noch nicht abgelöst.
Paul Kuschmitz ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.
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