Blickpunkt

Systematische Nomenklaturen, die Trivialnamen, Summenformeln und Nummerierungen — allgemein Systeme, die chemische Verbindungen beschreiben, bergen Nachteile wie die Mehrdeutigkeiten bei Trivialnamen und Summenformeln oder die Komplexität bei größeren Molekülen. Die grafische Darstellung einer Verbindung als Strukturformel umgeht viele dieser Nachteile und ist für den Chemiker in der Regel nachvollziehbar — für viele maschinelle Systeme hingegen nicht.
Der internationale chemische Bezeichner (International Chemical Identifier, Inchi) der internationalen Union für reine und angewandte Chemie (International Union of Pure and Applied Chemistry, Iupac) beruht auf Strukturinformationen und wandelt diese in eine maschinenlesbare und für jede Verbindung eindeutige Zeichenkette.1 Dies eröffnet neue Möglichkeiten zur Strukturrecherche, beispielsweise die Suche in einer Internetsuchmaschine wie Google.
Die Anfänge des Inchi reichen bis in den Herbst 1999 zurück, als Stephen R. Heller bei der amerikanischen Behörde für Standardisierungsprozesse (National Institute of Standards and Technology, Nist) einen Antrag für einen freien Standard zur Strukturdarstellung für die Nist-Datenbanken anregte. Eine erweiterte Version dieses Antrags wurde im März 2000 der Iupac vorgelegt und startete das International Chemical Identifier Project unter dem Vorsitz von Alan D. McNaught. Von Januar 2001 bis April 2005 entstand die erste Version des Inchi. Dabei wirkten insbesondere Stephen E. Stein und Dmitrii Tchekhovskoi mit, der den überwiegenden Teil der Programmierung der Inchi-Software durchführte.


<h2>Der Inchi-String</h2>
Mit der Inchi-Software lassen sich Strukturen leicht in Inchi-Strings (kurz: Inchis) umrechnen. Die Struktur durchläuft dabei Normalisierungs- und Kanonisierungsschritte, die unter anderem für die Nummerierung des Molekülskeletts zuständig sind.2
Inchi-Strings sind Zeichenketten, die aus Layer genannten Abschnitten bestehen (Abbildung 1). Jeder Inchi-String beginnt mit der Zeichenfolge “Inchi=” und der Versionsnummer, gefolgt von den strukturbeschreibenden Abschnitten. Der Hauptabschnitt (Main Layer) besteht aus bis zu drei Unterabschnitten (Sub Layer):2,3
Die Summenformel der Verbindung. Der Unterabschnitt beginnt mit “/” und ist in jedem Inchi enthalten.
Die Atombindungen (Atom Connections). Der Unterabschnitt beginnt mit “/c” und definiert die Verknüpfung der Nichtwasserstoffatome. Er ist nicht immer vorhanden. Methan etwa, mit nur einem Nichtwasserstoffatom, kommt ohne diese Information aus (Abbildung 2, erste Zeile).
Der Wasserstoffabschnitt (Hydrogen Layer) beginnt mit “/h” und beschreibt die Positionen der Wasserstoffatome. Auch dieser Unterabschnitt kann fehlen, beispielsweise bei Fulleren C60, das keinen Wasserstoff enthält (Abbildung 2, letzte Zeile).
Der Inchi-Algorithmus unterscheidet zwischen festen und beweglichen Wasserstoffatomen. Letztere treten zum Beispiel bei Verbindungen auf, zu denen tautomere Strukturformen existieren und in denen sich Wasserstoffatome je nach Tautomer an verschiedenen Positionen befinden (Abbildung 2, das Wasserstoffatom in der COOH-Gruppe der Essigsäure). Die Berücksichtigung beweglicher Wasserstoffatome gewährleistet, dass jede tautomere Form einer Struktur zum gleichen Inchi führt. An dieser Stelle wurde bereits beschrieben, wie sich diese Besonderheit des Inchi-Algorithmus zur Identifizierung von Tautomeren nutzen lässt.4
Dem Main Layer können Layer folgen, die weitere Details der Struktur beschreiben wie Ladungen, Stereochemie oder Isotopenmarkierungen (Abbildung 1). Vorteil des Inchi-Konzeptes ist, dass es bei Bedarf erweiterbar ist.


<h2>Der Inchi-Key</h2>
Da bei komplexen Verbindungen die Inchis sehr lang werden, erweiterte Igor Pletnev das Inchi-Konzept im Jahr 2008 um den Inchi-Key. Hierbei handelt es sich um eine 27-stellige Zeichenkette (inklusive zwei Trennstrichen, Abbildung 2), die aus dem Inchi berechnet wird.2 Der erste Zeichenblock des Inchi-Keys repräsentiert den Hauptabschnitt des Inchis, der zweite steht für die optionalen Abschnitte, und der dritte, einstellige Block kodiert die Protonenzahl.5
Die berechneten Inchi-Keys sind nicht mehr eindeutig, das heißt, sie lassen sich nicht in die ursprünglichen Inchis zurückrechnen. Um trotzdem den Schritt vom Inchi-Key zum Inchi gehen zu können, müssen die zu ein an der gehörenden Informationen in Datenbanken abgelegt werden. Der Nutzer kann darauf über Inchi-Resolver zugreifen, von denen einige im Internet frei verfügbar sind.6,7 Die Wahrscheinlichkeit einer Mehrdeutigkeit ist aber sehr gering, wie theoretische Abschätzungen und praktische Tests zeigten.2 So ergaben Datenbanktests mit bis zu 77 Millionen Strukturen keinerlei Mehrdeutigkeiten.
Die Inchi-Keys lassen sich wie die Inchis in Textsuchmaschinen als Suchbegriff verwenden, um so zum Beispiel Webseiten zu finden, die Informationen zur entsprechenden Verbindung enthalten. Gefunden werden dabei selbstverständlich nur Webseiten, die neben der Verbindung auch die Inchi- oder Inchi-Key-Informationen enthalten.
Bei der Recherche ist nicht der gesamte Inchi oder Inchi-Key notwendig; es lassen sich auch Ausschnitte suchen. So liefert die Suche nach dem Hauptabschnitt eines Inchis oder nach dem ersten Inchi-Key-Block nicht nur Informationen zur gesuchten Verbindung, sondern zum Beispiel auch zu Stereoisomeren oder isotopenmarkierten Varianten.


<h2>Verbreitung</h2>
Die Inchi-Software darf frei genutzt und in eigenen Anwendungen implementiert werden. Sowohl die Software als auch ihr Quelltext lassen sich im Internet herunterladen.1,8 Viele frei verfügbare Datenbanken und Chemieportale haben ihre Daten bereits um den Inchi ergänzt: so die Datenbank Pubchem9 der amerikanischen Gesundheitsbehörde, das Chemieportal Chemspider6 der englischen chemischen Gesellschaft (Royal Society of Chemistry, RSC) oder auch Wikipedia.10 Zudem findet der Inchi sich in kommerziell vertriebenen Produkten wie der Reaktionendatenbank Cheminform RX des Fachinformationszentrums (FIZ) Chemie11 und dem Datensuchprogramm des Chemical Abstracts Service Scifinder, dessen Zeichenprogramm Inchis in die entsprechenden Strukturen konvertiert.12
Um die Entwicklung und Verbreitung des Inchi zu fördern, schlossen sich Organisationen, Verlage und Softwarefirmen zum Inchi Trust zusammen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Iupac, RSC, Verlage wie die Nature Publishing Group, Elsevier, John Wiley &amp; Sons und Taylor &amp; Francis sowie das FIZ Chemie. Letzteres beherbergt und leitet das offizielle Büro des Inchi Trusts. Viele Institute und Fachgesellschaften, darunter auch die GDCh, unterstützen den Trust.


<h2>Die Zukunft</h2>
Der Inchi-Algorithmus wird weiterentwickelt, und neue Versionen der Software werden veröffentlicht, um weitere Gruppen von Verbindungen abzudecken. Beispielsweise gibt es noch keinen Standard, um metallorganische Verbindungen darzustellen.
Mehrere Arbeitsgruppen beschäftigen sich unter der Leitung der Iupac und mit — teilweise auch finanzieller — Unterstützung durch den Inchi Trust mit der Implementierung weiterer Konzepte in den Algorithmus. Derzeit gibt es Arbeitsgruppen zu Reaktionen, Polymeren und Mischungen sowie Markush-Strukturen. Für das Jahr 2012 sind Gruppen zu anorganischen Substanzen sowie Biopolymeren und Proteinen geplant.
Ulrich Rößler, promovierter Chemiker, ist seit Juli 2004 beim Fachinformationszentrum Chemie in Berlin tätig und dort seit März 2009 Leiter des Inchi-Trust-Büros. <a href="mailto:roessler@fiz-chemie.de">roessler@fiz-chemie.de</a>


<h2>— — — CAS und Infochem</h2>
Die technischen Grenzen der Chemoinformatik erkunden wollen Chemical Abstracts Service (CAS) der American Chemical Society (ACS) und das Münchner Unternehmen Infochem. Das gemeinsame Team erforscht und entwickelt beispielsweise eine Technik, um chemische Informationen in Texten zu identifizieren und Dokumente mit chemischer Information anzureichern. CAS und Infochem arbeiten seit dem Jahr 1997 auf dem Gebiet der chemischen Information zusammen. Mit dem Projekt Chemprospector war Infochem einer der Partner des Theseus-Forschungsprogramms, einer Initiative des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Im aktuellen Projekt will Infochem diese Forschung weiterführen.


<h2>Spitzenforschung zu Hochleistungsmaterialien für jedermann</h2>
Das Fachinformationszentrum (FIZ) Chemie und der Exzellenzcluster Engineering of Advanced Materials (EAM) veröffentlichen Forschungsthemen und -inhalte aus der materialwissenschaftlichen Forschung des Clusters als wissenschaftliche Lerneinheiten. Sie stehen didaktisch aufbereitet auf der Internetplattform Chemgapedia. Damit beschreitet der Exzellenzcluster einen neuen Weg, um Forschungswissen darzustellen. FIZ Chemie hat auf Chemgapedia in der Rubrik “Forschung und Anwendung” einen Bereich “Exzellenzcluster EAM” eingerichtet und dafür eine neue, intuitiv zu bedienende Navigationsoberfläche entwickelt. Die erste Demoversion der EAM-Lerneinheiten ist unter dem folgenden Link erreichbar:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.chemgapedia.de/vsengine/collections/vsc/de/ch/26/eam/eam.lpml.html" target="_blank">www.chemgapedia.de/vsengine/collections/vsc/de/ch/26/eam/eam.lpml.html</a></ext-link>


<h2>Minilabor als App</h2>
Spiel, Spaß, Üben und Nachschlagen bietet das AK Minilabor, das jetzt als Android-App verfügbar ist: Mit dem Elementequiz lassen sich unterwegs die Namen und Symbole der chemischen Elemente üben. Der Titrationstrainer arbeitet mit dem Lagesensor des Smartphones. So kann der Nutzer das Titrieren üben, den Verbrauch am Schellbachstreifen ablesen und anschließend den Gehalt der Probe berechnen. Beim Chemie-Hangman sind chemische Begriffe zu erraten. Die Offline-Chemikaliendatenbank enthält fast 1200 Chemikalien mit Informationen wie Summen- und Strukturformel, CAS-Nummer, thermodynamische Größen, pKS- und pKL-Werte sowie die Sicherheitseinstufungen mit Gefahrsymbolen, Signalworten, H- und P-Sätzen. Dazu gibt es die Angabe, ob und wie der Stoff in der Schule eingesetzt werden darf. Es existieren Links zu Wikipedia und der Gefahrstoffdatenbank Gestis. Die Periodensystemdatenbank macht Detailinformationen zu 114 Elementen abrufbar: Mit einem Dreh des Handys klappt das Periodensystem auf- und wieder zu. Im Hochformat sind die Hautpgruppen zu sehen, im Querformat zudem die Nebengruppen, Lanthanoide oder Actinoide. Pro Element erfährt der Nutzer die Herkunft des Elementnamens, etwas über die Entdeckung, den Schmelz- und Siedepunkt, die Elektronegativität und mehr. Das AK Minilabor enthält nicht alle Funktionen des entsprechenden PC-Programmpakets AK Labor 11.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://market.android.com/details?id=com.kappenberg.android" target="_blank">https://market.android.com/details?id=com.kappenberg.android</a></ext-link>



<ul>
<li>
1 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.iupac.org/inchi" target="_blank">www.iupac.org/inchi</a></ext-link>.
</li>
<li>
2 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.inchi-trust.org/sites/default/files/inchi-1.04/Inchi_TechMan.pdf" target="_blank">www.inchi-trust.org/sites/default/files/inchi-1.04/Inchi_TechMan.pdf</a></ext-link>.
</li>
<li>
3 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.inchi-trust.org/html/inchifaq/index.html" target="_blank">www.inchi-trust.org/html/inchifaq/index.html</a></ext-link>.
</li>
<li>
4 


T. Thalheim, 
<source>Nachr. Chem., 
2010, 
58, 
1253.
</li>
<li>
5 

Der dritte Inchi-Key-Block wurde erst mit der finalen Version 1.02 der Inchi-Software eingeführt. Ältere Inchi-Keys, die mit der Beta-Version der Inchi-Software 1.02 erzeugt wurden, sind daher nur 25-stellig.
</li>
<li>
6 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.chemspider.com/inchi-resolver" target="_blank">www.chemspider.com/inchi-resolver</a></ext-link>.
</li>
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7 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://cactus.nci.nih.gov/chemical/structure" target="_blank">cactus.nci.nih.gov/chemical/structure</a></ext-link>.
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8 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.inchi-trust.org" target="_blank">www.inchi-trust.org</a></ext-link>.
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9 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov" target="_blank">pubchem.ncbi.nlm.nih.gov</a></ext-link>.
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10 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.wikipedia.org" target="_blank">www.wikipedia.org</a></ext-link>.
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11 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.fiz-chemie.de" target="_blank">www.fiz-chemie.de</a></ext-link>.
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12 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.cas.org/ASSETS/84F58CA8DF794E2E8DAC044B6360B1A8/WhatsNew_SciFinder_Fall2010.pdf" target="_blank">www.cas.org/ASSETS/84F58CA8DF794E2E8DAC044B6360B1A8/WhatsNew_SciFinder_Fall2010.pdf</a></ext-link>.
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Systematische Nomenklaturen, die Trivialnamen, Summenformeln und Nummerierungen — allgemein Systeme, die chemische Verbindungen beschreiben, bergen Nachteile wie die Mehrdeutigkeiten bei Trivialnamen und Summenformeln oder die Komplexität bei größeren Molekülen. Die grafische Darstellung einer Ve...

Prof.Dr.

Das Management jeder Organisation steht regelmäßig vor der Aufgabe, Ziele und Strategien für die Zukunft festzulegen. Schätzt das Management Entwicklungstrends oder fundamentale Änderungen des Status Quo falsch ein oder erkennt sie nicht, so kann die Organisation ihre Ziele verfehlen und im schlechtesten Fall vom Markt verschwinden.
Die Veränderungen, die durch die beginnende Elektrifizierung des Fahrzeugantriebs ausgelöst werden, haben das Potenzial, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Es scheint wie es das Bundesforschungsministerium formuliert “eine regelrechte technische Revolution denkbar, deren Gewinner rechtzeitig und mit großem Einsatz dabei gewesen sein müssen — es geht um Alles oder Nichts”.1 
Die deutsche Wirtschaftspresse titelt bereits “Tschüss Verbrennungsmotor”,2 der Verband der chemischen Industrie prognostiziert, dass “Batterien … die Wertschöpfungskette verändern und neue Geschäftsmodelle mit höherem Chemieanteil … erforderlich machen”,3 Konzerne identifizieren Megatrends4 und sagen vorher, dass “Elektrofahrzeuge durchstarten und mehrere Sektoren tief greifend verändern”5 werden.
Organisationen die tief greifende Veränderungen, im positiven oder negativen Sinne, zu spüren bekommen, sind trotz aller öffentlichkeitswirksamen Floskeln darauf angewiesen, eine fundierte Abschätzung des Trends Elektromobilität zu erhalten, die Art und Auswirkungen der Veränderung benennt.


<h2>Elektromobilitätsstrategie</h2>
Als Kernbestandteil einer erfolgreichen Elektromobilitätsstrategie gilt die Batterietechnologie. Im Fokus der Forschung steht die als aussichtsreich geltende Lithiumionenbatterie. Künftig spielen möglicherweise auch Lithium-Luft-Zellen oder magnesiumbasierte Zellkonzepte eine Rolle.
Insgesamt geht es um die Verbesserung zahlreicher Faktoren — von Zyklenstabilität bis zur technischen Performance in Form von Energie- und Leistungsdichte, Lebensdauer und Temperaturbeständigkeit. Auf betriebswirtschaftlicher Seite konzentrieren sich Untersuchungen vor allem auf Marktszenarien, Absatzprognosen und die Kostenstrukturen von Elektrofahrzeugen.


<h2>Durchlässige Industriegrenzen</h2>
Der Trend Elektromobilität hat darüber hinaus das Potenzial, Industriegrenzen zwischen der Chemie- und Automobilindustrie aufzubrechen. Solche Grenzen trennen industriespezifische Wissensgebiete voneinander. So hat ein Chemiekonzern vereinfacht gesagt kein Know-how in der Automobiltechnik und ein Automobilkonzern kein Know-how in der Batterietechnik. Treffen nun diese Wissensgebiete, ausgelöst durch den Trend Elektromobilität, aufeinander, werden die klassischen Grenzen zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zwischen Technologien durchlässig.
Tatsächlich arbeiten bei Batterieforschungsprojekten Chemiker und Automobilingenieure zusammen. Diese Kooperationen zeigen sich beispielsweise in gemeinsamen wissenschaftlichen Publikationen und in gemeinsam angemeldeten Patenten. Auf industrieller Ebene geht das Aufbrechen von Grenzen über das rein interdisziplinäre Arbeiten von Forscherteams hinaus: Neben dem Aneignen von neuem Wissen sind Konzerne mit neuen Geschäftsmodellen, Wettbewerbern und neuer Regulierung konfrontiert.6,7 Für das Management von Automobil- und Chemiekonzernen ist es daher von hoher strategischer Bedeutung, das Aufbrechen von Industriegrenzen möglichst früh zu erkennen.
Eine Publikations- und Patentanalyse zeigte, dass es bereits Anzeichen für das Aufbrechen von Wissens- und Technologiegrenzen zwischen Automobil- und Chemieindustrie gibt. Untersucht wurden die Publikations- und Patentaktivitäten der 50 größten Automobilzulieferer und -hersteller sowie die 70 stärksten Akteure entlang der Wertschöpfungskette der Lithiumionenbatterien für Fahrzeuganwendungen. Die Kette beginnt bei Rohstofflieferanten und geht über Produzenten von Zellkomponenten wie Elektrolyte oder Separatoren bis zu Batterieherstellern. Letztere wurden dabei zur Chemieindustrie gezählt.
Seit Beginn der 90er Jahre stieg die Zahl an wissenschaftlichen Publikationen und Patenten zu Lithiumbatterietechnik. Im Zeitraum von 1990 bis 2009 wurden dazu insgesamt 21 451 wissenschaftliche Artikel und 28 940 Patentdokumente veröffentlicht (Abbildung 2).


<h2>Patente zeigen schwindende Grenzen</h2>
Das Gebiet der wissenschaftlichen Veröffentlichungen prägen erwartungsgemäß Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die untersuchten Konzerne der Automobilindustrie lieferten knapp 1 % der Veröffentlichungen, die Konzerne der Chemieindustrie knapp 3 %. Auffallend ist, dass nicht nur die Konzerne der Chemieindustrie zum Thema Batterien in Chemiezeitschriften publizieren, sondern auch die Konzerne der Automobilindustrie.
Noch deutlicher zeigt sich dies bei Patenten: Von den im Untersuchungszeitraum gefundenen Patenten, stammen 48 % von den untersuchten Konzernen. Anders als bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind die Unternehmen hier sehr aktiv. Die der Chemie halten zusammen etwa 32 %, die der Automobilindustrie ungefähr 16 % der Patentdokumente.
Bei den Automobilkonzernen prägen japanische Unternehmen wie Mitsubishi und Toyota die Patentlandschaft. Auch in der Stichprobe der Chemieindustrie dominieren japanische Konzerne: Unter den 20 Konzernen mit den meisten Patentdokumenten sind 13 japanische. Zu den US-amerikanischen Konzernen aus der Chemiestichprobe mit den meisten Patentdokumenten gehören Valence Technologies, 3M und A123. Die aktivsten Konzerne aus Europa sind BASF, der französische Batteriehersteller Saft und Evonik Industries.
Dass Konzerne der Automobilindustrie zunehmend in der Spitze der Patentanmelder vertreten sind, deutet darauf hin, dass sie sich vermehrt Kompetenzen auf dem Feld der Lithiumbatterietechnik aneignen und sich als starke Akteure positionieren. Damit treten sie in Wettbewerb mit etablierten Akteuren aus der Chemieindustrie. Dies zeigt das beginnende Aufbrechen bestehender Industriegrenzen.
Auf Basis ähnlicher Entwicklungen in anderen Branchen lässt sich schlussfolgern, dass sich die Industriegrenzen weiter auflösen werden und dass sich die klassische Automobilwertschöpfungskette zunehmend ändern wird: Auf der einen Seite treten neue Konzerne in den Markt ein und machen den etablierten Marktanteile streitig, auf der anderen Seite wird es vermehrt zu Kooperationen, insbesondere bei Innovationstätigkeiten, kommen. Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle wird dabei Teil dieses Transformationsprozesses sein (Abbildung 3, Seite 146).


<h2>Grenzüberschreitend denken</h2>
Für Unternehmen lassen sich vier strategische Handlungsempfehlungen ableiten: 
1. Konzerne müssen außerhalb ihrer klassischen Wertschöpfungskette aktiv werden — dies bedeutet Kooperationen zwischen Automobilzulieferern und Batterieherstellern — und sich zugleich in ihren klassischen Bereichen spezialisieren. Diese Unternehmen müssen bestehende Technologien nutzen und gleichzeitig neue Geschäftsideen außerhalb ihrer traditionellen Kompetenzen suchen, Innovationspartnerschaften eingehen und bestehende Kompetenzen anpassen. Innovationsmanagement wird somit ein Portfoliogeschäft.
2. Die asiatische, insbesondere die japanische Automobil- und Chemieindustrie hat bei Patenten eine starke Position. Konzerne aus den USA und Europa müssen somit nicht nur interindustriell nach neuen Kooperationspartnern suchen, sondern auch international.
3. Das grenzüberschreitende Denken in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wird wichtiger. Die Unternehmensführung muss daher das Wissensmanagement neu organisieren. Beispielsweise müssen Ingenieure mit Batterieforschern aus Industrie und Wissenschaft kooperieren.
4. Die Verbesserung der Batterieleistung bleibt eine große Herausforderung. In Innovationsplattformen von Automobil- und Chemiekonzernen nimmt dabei das Risikomanagement aufgrund der noch bestehenden technischen und wirtschaftlichen Unsicherheit eine besondere Stellung ein.
Auch wenn weiterer Forschungsbedarf in diesem Feld besteht, zeigte die Untersuchung, dass mit einer rein technischen Perspektive eine elektromobile Zukunft nicht erfolgreich angegangen werden kann. Unternehmen müssen außerhalb ihrer klassischen Branchen nach Partnern und Kunden suchen und dabei neue Wettbewerbsstrategien entwickeln.
Jens Leker wurde im Jahr 1999 auf eine Stiftungsprofessur “Betriebswirtschaftslehre für Naturwissenschaften, insbesondere der Chemie” an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster berufen und ist dort seit dem Jahr 2000 geschäftsführender Direktor des “Instituts für betriebswirtschaftliches Management im Fachbereich Chemie und Pharmazie”. Schwerpunkte der Forschung sind Innovationsmanagement in forschungsintensiven Industrien, Unternehmensrating und Strategiebewertung. Stephan von Delft, Jahrgang 1985, studierte Diplom-Wirtschaftschemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Dalian University of Technology (China). Seit Juni 2011 ist er Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe von Jens Leker. Erste Ergebnisse dieser Arbeit zu Auswirkungen von Elektromobilität wurden 2011 auf dem GDCh-Wissenschaftsforum in Bremen als wissenschaftliches Spitzenposter ausgezeichnet und für den Iupac-Posterpreis nominiert. <a href="mailto:stephan.vondelft@uni-muenster.de">stephan.vondelft@uni-muenster.de</a>


— — — Industrien grenzen sich durch Spezialgebiete voneinander ab und kennen sich nur dort gut aus. Es entstehen Industriegrenzen.
Mit der Elektromobilität verschwimmen Industriegrenzen: Automobil- und chemische Konzerne kooperieren stärker als bisher. Dies nennt sich Industriekonvergenz.
Erfolgreiche Unternehmen spüren frühzeitig, wenn Industriegrenzen sich ändern, und passen sich an.


— — — Frage 58: Ich komme zurück auf Antwort 57 [Nachr. Chem. 2012, 60, 47]. Sie hatten mitgeteilt, dass wir kein Patent für den neu erkannten Wirkmechanismus erhalten können. Aber sollte nicht ein Assay, basierend auf dem Rezeptor Y, patentfähig sein? Und könnte man dann nicht auch ein Patent auf die mittels des Assays gefundenen Wirksubstanzen erhalten?
Antwort: Den ersten Teil der Frage kann ich bejahen. Ein Assay zum Testen von Verbindungen auf eine bestimmte Wirkung ist grundsätzlich patentfähig. Natürlich muss die Patentanmeldung den üblichen Patentierbarkeitskriterien genügen und insbesondere neu und erfinderisch sein.
Anders ist die Lage im Hinblick auf die mittels des Assays gefundenen Verbindungen. Patentansprüche, die mittels eines Testverfahrens gefundene Substanzen schützen sollen, werden auch als “Reach-through”-Ansprüche bezeichnet. Dabei werden Substanzen unter Schutz gestellt, von denen bislang nichts bekannt ist (insbesondere keine Struktur) und von denen der Erfinder des Testverfahrens lediglich hofft, dass sie existieren und in bestimmter Weise aktiv sein mögen.
Derartige Ansprüche können mangels Strukturinformation amtlicherseits nicht geprüft werden. Die Patentämter sind daher äußerst skeptisch. Aus gutem Grund: Die Universität Rochester hatte vor zirka zehn Jahren ein Patent auf einen Assay zur Suche von Cox-2-Inhibitoren und auf die mittels des Assays gefundenen Cox-2-Inhibitoren erhalten. Noch am Tag der Erteilung wurde Pfizer verklagt. Das Unternehmen hatte einen solchen Inhibitor in Form des Medikamentes Celebrex verkauft. Weil das Patent keinerlei Hinweise auf die Struktur der beanspruchten Substanz enthalten hatte, wurde es später widerrufen. Im Rahmen der Zusammenarbeit der drei größten Patentämter (Europa, USA, Japan) wurden seitdem Leitlinien abgestimmt, so dass derartige Patente im Regelfall nicht erteilt werden. Anders könnte die Angelegenheit zu beurteilen sein, wenn bereits Erkenntnisse über mögliche Strukturen der Verbindungen bekannt sind. Wenn Sie beispielsweise bereits Strukturteile kennen, die zur Bindung an den Rezeptor essenziell wären, dann läge möglicherweise bereits eine strukturelle Konkretisierung der beanspruchten Substanz vor und diese könnte dann (unter Umständen!) tatsächlich zu einer Patenterteilung führen. Ob und welche Strukturteile hier ausreichend wären, ist im Einzelfall zu prüfen. Je mehr über die gesuchte Verbindung bekannt ist, umso größer ist die Chance auf Erteilung.
Aber bereits unabhängig vom möglichen Reach-through-Anspruch könnte eine Patentanmeldung auf den Assay sinnvoll sein. Seriöse Unternehmen werden versuchen, Patentverletzungen zu vermeiden. Eine Patentanmeldung könnte daher einen Türöffner für Kooperationen mit interessierten Unternehmen darstellen.
Fragen für Thomas Seuß an: <a href="mailto:nachrichten@gdch.de">nachrichten@gdch.de</a>. Info zur kostenfreien Beratung unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/rechtsberatung" target="_blank">www.gdch.de/rechtsberatung</a></ext-link>


<h2>— — — Metalle für Elektromobile rar</h2>
Bis zum Jahr 2030 ist ein großer Bedarf bei Seltenen Erden denkbar. Das ermittelte ein Forschungsprojekt zu ressourcenpolitischen Aspekten der Elektromobilität, das im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Öko-Institut zusammen mit Daimler, dem belgischen Materialtechnikunternehmen Umicore und der TU Clausthal durchführte. Sie identifizierten zwölf für die Herstellung von Elektroautos wichtige Metalle: Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium für die Motoren, Indium, Gallium, Germanium, Gold, Silber, Platin und Palladium für elektronische Komponenten und Kupfer generell. [Nachr. Chem. 2011, 59, 743, 1070, 1129]


<h2>Rohstoffe so teuer wie nie</h2>
Rohstoffpreise ohne Energie lagen Ende des Jahres 2011 um 12,4 % über dem Vorjahr. Dies meldet das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut. Getreide verteuerte sich aufgrund des geringen Angebots, und die Metallpreise stiegen mit der Weltkonjunktur.


<h2>Nanotechnik wächst</h2>
Mit industriellen Anwendungen der Nanotechnik befassen sich in Deutschland etwa 64 000 Arbeitnehmer. Im Jahr 2010 waren es 3000 weniger. Das Technologiezentrum des Vereins Deutscher Ingenieure beziffert im Report für das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Zahl der Akteure in Forschung und Entwicklung, Produktion und Dienstleistungen rund um Nanotechnik mit 1800, darunter sind zirka 1000 Unternehmen. Der Weltmarkt für Nanomaterialien, -beschichtungen, -analytik und -strukturierung betrug im Jahr 2011 etwa 93 Mrd. US-Dollar.



<ul>
<li>
1 

Bundesministerium für Bildung und Forschung, Elektromobil in die Zukunft — Batterieforschung als Schlüssel, Bonn/Berlin, 2010.
</li>
<li>
2 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.ftd.de/unternehmen/industrie/autoindustrie/:e-mobilitaet-tschuess-verbrennungsmotor/50110337.html" target="_blank">www.ftd.de/unternehmen/industrie/autoindustrie/:e-mobilitaet-tschuess-verbrennungsmotor/50110337.html</a></ext-link>, Abruf: 03.03.2011. .
</li>
<li>
3 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.vci.de/default2∼rub∼743∼tma∼0∼cmd∼shd∼docnr∼127953∼nd∼∼ond∼n12.htm" target="_blank">www.vci.de/default2∼rub∼743∼tma∼0∼cmd∼shd∼docnr∼127953∼nd∼∼ond∼n12.htm</a></ext-link>, Abruf: 03.03.2011.
</li>
<li>
4 

R. Lache, D. Galves, P. Nolan, Electric Cars: Plugged In 2, Deutsche Bank, 2009.
</li>
<li>
5 

R. Hensley, S. Knupfer, D. Pinner, McKinsey Quarterly, 2010, 87—96.
</li>
<li>
6 


S. Bröring, 
<source>The Front End of Innovation in Converging Industries: The Case of Nutraceuticals and Functional Foods, <publisher-name>DUV</publisher-name>, <publisher-loc>Wiesbaden</publisher-loc>, 2005.
</li>
<li>
7 

 
C. Curran, 
J. Leker, 
<source>Technological Forecasting &amp; Social Change, 
(2011), 
78, 
256–<lpage>273.</lpage>
</li>
</ul>

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