Industrie + Technik

<p>Eine DIN-Spezifikation hilft, Recyclingquoten und Rezyklatanteile im Endprodukt zu berechnen. Sie legt Angaben zu Inputströmen und Datenqualitäten fest, um Kunststoffabfall für hochwertige Anwendungen zu qualifizieren.</p>
<p>Klare und einheitlich verwendete Begriffe und Vorgaben sind unabdingbar, um Rezyklate nachvollziehbar zu bewerten. Politische und gesetzliche Vorgaben für Recyclingquoten bei Kunststoffen sollen die Kreislaufwirtschaft fördern. Ein Beispiel: Seit Januar müssen EU-Mitgliedsstaaten 80 Eurocent pro Kilogramm nicht recycelter Kunststoffverpackungen in den EU-Haushalt einzahlen. Diese Kunststoffsteuer hängt direkt von der Recyclingquote im Verpackungsbereich ab.</p><h2>Spezifikation entwickeln</h2><p>Die Idee des Start-up-Unternehmers Christian Schiller, das Bewerten von Kunststoffrezyklaten zu standardisieren, stieß schnell auf Unterstützung. Der Gründer der weltweiten Handelsplattform Cirplus überzeugte vor etwa einem Jahr den Leiter des Instituts für Kunststoff- und Kreislauftechnik (IKK) der Universität Hannover, Hans-Josef Endres, gemeinsam einen DIN-Spec genannten Standard für die Bewertung von Kunststoffrezyklaten zu entwickeln.</p><h2>INFO: Das Unternehmen</h2><p>Christian Schiller hat Cirplus Ende 2018 mitgegründet. Seit dem Beginn des Live-Betriebs im März 2020 wurden mehr als 700 Firmen für die Plattform akquiriert und mehr als 1,5 Mio. Tonnen Material mit einem Warenwert von über 900 Mio. Euro gelistet. Die Plattform erzeugt zwei Nachhaltigkeitseffekte: Erstens spart jede verkaufte Tonne Rezyklat bis zu 80 Prozent der CO<sub>2</sub>-Emissionen im Vergleich zu Neuware. Zweitens verringert sich der Kunststoffeintrag in die Umwelt durch den erhöhten ökonomischen Anreiz zu Recycling statt Deponierung, Verbrennung oder illegaler Entsorgung. <a href="https://cirplus.com/de" target="_blank">cirplus.com/de</a></p><div><img src="https://media.graphcms.com/y5RzdTIST6KrzLg0iSi4">

<p>Start-up-Unternehmer Christian Schiller. <named-content>Foto: Bertold Fabricius</named-content></p></div><p></p><h2>Fragen stellen</h2><p>Ein temporär zusammengestelltes Gremium erstellt eine DIN-Spec mit Spezifikationen als Ergebnis von Standardisierungsprozessen. Sie dient als strategisches Mittel, um Lösungen schnell und unkompliziert am Markt zu etablieren und zu verbreiten. Die Spec ist dem Deutschen Institut für Normung (DIN) zufolge der kürzeste Weg von der Forschung zum Produkt. Das DIN sorgt dann dafür, dass die Spec nicht mit bestehenden Normen kollidiert, und veröffentlicht sie – auch international.<sup>1)</sup></p><p>Die Fragen, die für so eine DIN-Spec zu beantworten waren, lagen auf der Hand: Wie lässt sich eine Recyclingquote berechnen? Welche Angaben zu Inputströmen sind erforderlich, welche Inputströme im Postconsumer- und Postindustrial-Bereich sind für die Festlegung der Recyclingquote zulässig, oder wie werden die Rezyklatanteile im Endprodukt berechnet? Welche Datenqualitäten sind erforderlich, wenn ein Rezyklat für hochwertige Kunststoffanwendungen qualifiziert werden soll?</p><h2>Akteure an einen Tisch holen</h2><p>Die bisherige Normungssituation dazu war unzureichend. Es gibt zwar Normen für die Kunststoffe Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polystyrol (PS), Polyethylenterephthalat (PET) und Polyvinylchlorid (PVC); sie sind jedoch materialspezifisch, lückenhaft und entsprechend wenig marktrelevant für die Recyclingindustrie. Die DIN-Spec soll diese Lücken schließen und als frei zugänglicher Standard den Einsatz von Rezyklaten in höherwertige Anwendungen katalysieren.</p><p>Nachdem das Hamburger Start-up abgestimmt mit dem Deutschen Institut für Normung einen Geschäftsplan für die DIN-Spec entwickelt hatte, bildete sich ab August 2020 ein Konsortium. Dazu gehören 16 Akteure entlang der Recyclingwertschöpfungskette: Hersteller von Sortiersystemen (Steinert, Köln, und Tomra, Langenfeld), Abfallverwerter (Der Grüne Punkt, Köln, und Remondis, Lünen), Recycler (MKV, Berselich, und MRS, Beelitz), Kunststoffverarbeiter (Greiner Packaging, Kremsmünster, Österreich, und Polifilm, Köln), Verbände (Branchenverband der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, BDE, und Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, VDMA), Forschungseinrichtungen (IKK, Hannover, Institut für Kunststoffverarbeitung, RWTH Aachen, Kunststoff-Institut Lüdenscheid und SKZ, Würzburg) sowie Handelsplattformen für Kunststoffrezyklate (Cirplus und Polymore von Kraussmaffei).</p><p>Das Konsortium teilte sich in vier Arbeitsgruppen. Geleitet von MKV bearbeitete eine Gruppe die Einstufung und Bewertung von Kunststoffabfällen als Inputstrom für das Recycling. Die zweite Gruppe wurde vom Kunststoff-Institut Lüdenscheid geleitet und erarbeitete Qualitätsbänder, um Kunststoffrezyklate zu klassifizieren. Die Ermittlung des Rezyklatanteils, die Kennzeichnung von Rezyklatart und -anteil sowie die Entwicklung eines Logos waren Schwerpunkte der dritten Arbeitsgruppe, die Tomra Sorting führte. Die Aufgabe der vierten Gruppe, geleitet von Remondis, war, die Prozesse zur Handhabung von Kunststoffabfällen als Inputströme und den resultierenden Rezyklaten zu beschreiben.</p><h2>Kommentieren und überarbeiten</h2><p>Im Mai wurde die DIN-Spec für eine zweimonatige Kommentierungsphase offengelegt. Nach einer Überarbeitung der Kommentierungen wurde sie dann im Oktober final als DIN-Spec 91446 „Standards für den (internetbasierten) Handel mit und Verarbeitung von Kunststoffabfällen und Rezyklaten“ vom DIN freigegeben. Die Erarbeitung binnen neun Monaten war durch das Engagement aller Konsortialmitglieder und mit vielen digitalen Arbeitstreffen möglich: in über 30 Sitzungen und insgesamt über 1000 Stunden Arbeitszeit.</p><p>Auf die Freigabe folgt nun eine dreijährige Nutzungsphase, an deren Ende eine erneute Überprüfung auf Basis der in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse steht. Das Ergebnis kann eine Verlängerung der Gültigkeit der DIN-Spec um weitere drei Jahre sein, oder auch eine Überarbeitung, ein Zurückziehen oder eine Ablösung der DIN-Spec durch eine DIN-Norm. Im Weiteren kann sie auch als Grundlage für internationale EN- oder ISO-Standards dienen.</p><h2>Ein Rahmenstandard</h2><p>Mit der Offenlegung zur Kommentierung wurden zahlreiche Stakeholder eingebunden, und gleichzeitig standen bei der Erarbeitung der DIN-Spec keine kommerziellen Interessen im Vordergrund. Es ist zudem kein industrieinterner oder produktspezifischer Standard entstanden, sondern ein Rahmenstandard, der erstmals umfassende Vorgaben zur Datenmenge und -qualität macht, um alle Kunststoffrezyklate zu klassifizieren.</p><p>Gleichwohl bleibt Spielraum für weitere optionale oder anwendungsspezifische Angaben. Mit der englischen Übersetzung sind die inhaltlichen Voraussetzungen für internationale Akzeptanz gegeben. Damit ist ein Schritt getan, um das weltweite Kunststoffrecycling zu forcieren und Recyclingwertschöpfungsketten auszubauen.</p><p>Die DIN-Spec ist als kostenloser Download frei verfügbar.<sup>2)</sup> Damit kann und soll sie idealerweise nicht nur von Handelsplattformen, sondern auch von Anwendern, Verarbeitern, Recyclingunternehmen oder Entsorgern sowie Forschung und Politik verwendet werden. Genau darin liegt der Wert dieser DIN-Spec. Indem es digitale Plattform und Standardisierung kombiniert, trägt das Hamburger Unternehmen Cirplus dazu bei, die DIN-Spec zu verbreiten.</p><p><i>Christian Schiller</i></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/rqn9SBVET5mmvKNuzJW1"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Bild: Kostikovanata/Adobe Stock</figcaption></figure>

<ul class="references"><li>
<sup>1 </sup><a href="https://din.de/de/ueber-normen-und-standards/basiswissen" target="_blank">din.de/de/ueber-normen-und-standards/basiswissen</a></li><li>
<sup>2 </sup><a href="https://beuth.de/de/technische-regel-entwurf/din-spec-91446/340423834" target="_blank">beuth.de/de/technische-regel-entwurf/din-spec-91446/340423834</a></li></ul>


Artikel

Standards und Normen: Rezyklate bekommen Gewicht

Eine DIN-Spezifikation hilft, Recyclingquoten und Rezyklatanteile im Endprodukt zu berechnen. Sie legt Angaben zu Inputströmen und Datenqualitäten fest, um Kunststoffabfall für hochwertige Anwendungen zu qualifizieren. Klare und einheitlich verwendete Begriffe und Vorgaben sind unabdingbar, um Re...

<p>Um Fluoreszenzspektren oder -bilder aus verschiedenen Geräten zu vergleichen, sind gerätespezifische Einflüsse zu korrigieren. Werkzeuge dafür sind Fluoreszenzstandards, die je nach Messtechnik als Lösungen oder als Feststoff in verschiedenen Formaten vorliegen können.</p>
<p>Lumineszenzmethoden wie Fluoreszenzspektroskopie, Fluorometrie und Fluoreszenzmikroskopie sind empfindlich sowie einfach und kostengünstig durchführbar. Daher gehören sie zu den am häufigsten eingesetzten Analysemethoden in den Lebens- und Materialwissenschaften. Um Signale zu erzeugen, werden molekulare oder nanokristalline Luminophore oder leuchtende Partikel verwendet und auch natürlich vorkommende chemische Substanzen wie aromatische Aminosäuren oder Chlorophyll. Beispiele für Fluoreszenzmethoden sind Immunoassays, die Biomarker für Krankheiten nachweisen, Polymerasekettenreaktion (PCR), Bildgebung mit optischen Kontrastmitteln, die Tumore und Entzündungen sichtbar macht, sowie chemische Sensoren, die Analyten wie Protonen, Metallionen, Glukose oder Sauerstoff bestimmen.</p><h2>Lumineszenzsignale sind gerätespezifisch</h2><p>Alle Lumineszenzmesstechniken liefern Signale mit einem analytspezifischen und einem gerätespezifischen Anteil. Gerätespezifische Effekte verzerren also die analytspezifischen Informationen. Daher sind an verschiedenen Geräten in unterschiedlichen Laboren gemessene Lumineszenzdaten nicht vergleichbar, wenn diese Gerätebeiträge nicht berücksichtigt werden.</p><p>Gerätespezifische Beiträge, die die spektrale Form, spektrale Lage und die Intensität der Messdaten beeinflussen, haben ihre Ursachen in den im Gerät verwendeten optischen und optoelektronischen Bauteilen und sind abhängig von der Wellenlänge und der Polarisation. Diese Beiträge enthalten die spektrale Strahldichte der verwendeten Anregungslichtquelle, die Transmissionseigenschaften optischer Komponenten wie Linsen, Spiegel, Polarisatoren und Filter sowie die spektrale Empfindlichkeit des Detektionssystems. Den Einfluss dieser Effekte zeigt Abbildung 1 am Beispiel von vier Farbstoffen. Die geräteunabhängigen Fluoreszenzspektren wurden dafür mit Hilfe einer Emissionskorrekturkurve ermittelt, die diese Effekte erfasst.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/9rgubEBrT8SQ1HicrrZE"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Unkorrigierte, gerätespezifische (gepunktet) und spektral korrigierte, geräteunabhängige (durchgezogene Linien) Emissionsspektren von Lösungen der vier organischen Farbstoffe X, Q, F005 und F023 (links) und der fünf Farbstoffe des BAM-Kits F001-F005 (rechts, normiert). Oberhalb der Spektren sind die Emissionskorrekturkurven für die jeweiligen Wellenlängenbereiche dargestellt.</figcaption></figure>
<h2>Kalibrierwerkzeuge und Emissionskorrekturkurven</h2><p>Damit Lumineszenzmessdaten vergleichbar und zuverlässig sind sowie für eine Quantifizierung der Intensitäten sind die Messverfahren zu validieren (IPV: instrument performance validation) und die Geräte zu kalibrieren. Dies ist vor allem in der medizinischen Diagnostik, in der Pharmaindustrie und in akkreditierten Laboren notwendig.</p><p>Zur Kalibrierung von Lumineszenzmessgeräten gehört es, die Wellenlängenrichtigkeit des Emissions- und Anregungskanals zu prüfen sowie die Linearität des Detektionssystems und die spektrale Empfindlichkeit des Detektionskanals zu ermitteln.</p><p>Wie die spektrale Empfindlichkeit des Detektionskanals von der Wellenlänge abhängt, wird durch eine Emissionskorrekturkurve erfasst (Abbildung 1, oben)<sup>1)</sup>. Die Geräte müssen regelmäßig geprüft und kalibriert werden, da Bauteile altern.</p><p>Eine Emissionskorrekturkurve kann mit einem kalibrierten physikalischen Strahldichte-Transfernormal wie einem Ulbrichtkugelstrahler (Halogenlampe in einer Ulbrichtkugel) oder einer Wolframbandlampe ermittelt werden, die von einem metrologischen Institut wie der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) kalibriert wurden.</p><p>Eine anwenderfreundlichere Alternative sind Referenzmaterialien, spektrale Emissionsstandards, die eine ähnliche Lumineszenzintensität aufweisen wie die typischerweise untersuchten Proben. Damit bleiben die Geräteeinstellungen für die Ermittlung der Korrekturkurve und die eigentliche Messung gleich.<sup>2)</sup></p><h2>Spektrale Emissionsstandards</h2><p>Für die Ermittlung der Emissionskorrekturkurven von Lumineszenzmesssystemen hat der Fachbereich Biophotonik der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, ein Kalibrier-Kit für den Wellenlängenbereich von 300 bis 750 nm entwickelt.<sup>3)</sup> Dieses Kit besteht aus fünf spektral einander angepassten, breitbandig emittierenden Luminophoren (Abbildung 1, rechts) und der Auswertesoftware Linkcorr. Diese berechnet die Emissionskorrekturkurven aus den gemessenen unkorrigierten und den zertifizierten korrigierten Emissionsspektren der Kit-Farbstoffe für das jeweilige Lumineszenzmessgerät. Dieses Kit setzen zum Beispiel Gerätehersteller und Anwender in Lebenswissenschaften und Umweltanalytik bereits ein, und die BAM erweitert es derzeit für Messungen bis 1000 nm.</p><h2>Metrologische Rückführung</h2><p>Akkreditierte Laboratorien müssen für die Gerätekalibrierung und -charakterisierung zertifizierte Fluoreszenzstandards einsetzen. Zudem müssen sich die Standards über eine geschlossene Kalibrierkette auf SI-Einheiten zurückführen lassen.</p><p>Voraussetzung dafür ist die Charakterisierung dieser Fluoreszenzstandards mit einem kalibrierten Messgerät, einem Referenzfluorometer. Dabei sind für alle wellenlängenabhängigen oder spektral aufgelösten Eigenschaften wie ein Emissionsspektrum immer auch wellenlängenabhängige Messunsicherheiten zu ermitteln.</p><p>Abbildung 2 zeigt die metrologische Rückführungskette für die Fluorometrie. Für Lumineszenzmessungen sind die radiometrischen Skalen spektrale Strahldichte und spektrale Empfindlichkeit relevant sowie die daraus abgeleiteten photonischen Skalen. Diese beiden radiometrischen Skalen werden durch die radiometrischen Primärnormale Schwarzer Strahler und Kryoradiometer (Substitution der optischen Strahlungsleistung durch elektrische Leistung) realisiert. Metrologische Staatsinstitute wie die PTB halten diese Primärnormale vor.<sup>4)</sup></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/KnW0sRcwQq6vlkXepKm8"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Metrologische Rückführungskette der Fluorometrie auf die radiometrischen Skalen „spektrale Strahldichte“ und „spektrale Empfindlichkeit“ und die jeweiligen Primärnormale Schwarzer Strahler und Kryoradiometer. Ein mit solchen physikalischen Transfer-Normalen kalibriertes Fluoreszenzmesssystem, ein Referenzfluorometer, wird dann eingesetzt, um geräteunabhängige Emissionsspektren spektraler Fluoreszenzstandard zu ermitteln oder die Fluoreszenzquantenausbeuten entsprechender Standards zu bestimmen. Rechts: Beispiele für die Fluoreszenzquantenausbeutestandards der BAM. Foto: BAM</figcaption></figure>
<p>Regelmäßige Ringversuche der metrologischen Staatsinstitute untereinander, Key Comparisons genannt, sichern die internationale Vergleichbarkeit dieser Skalen. Die Institute geben diese Skalen dann über entsprechend kalibrierte physikalische Transfernormale an Anwender weiter.<sup>4)</sup></p><p>Als ersten Schritt in Richtung Standardisierung von Lumineszenzmessungen organisierte der Fachbereich Biophotonik der BAM zusammen mit dem National Institute of Standards and Technology (Nist) der USA im Jahr 2012 einen internationalen Ringversuch. Daran haben vier Institute teilgenommen.<sup>5)</sup> Ziel dieses Ringversuchs war es, Kalibrierstrategien für Fluoreszenzspektrometer zu evaluieren und erreichbare Messunsicherheiten zu ermitteln.<sup>5)</sup> Die Ergebnisse dieses Ringversuchs sind in eine Empfehlung der International Union of Pure and Applied Chemistry (Iupac) zur Kalibrierung und Validierung von Lumineszenzmesssystemen eingeflossen.<sup>1)</sup></p><h2>Signalbestimmende Kenngröße: Fluoreszenzquantenausbeute</h2><p>Ein direktes Maß für die Photolumineszenzeffizienz eines Materials ist die Photolumineszenz- oder Fluoreszenzquantenausbeute QY. Das ist die Zahl der emittierten Photonen pro Zahl der absorbierten Photonen. Diese Schlüsselgröße bestimmt materialseitig zusammen mit der Absorptionsstärke (also dem Extinktionskoeffizienten oder dem Absorptionswirkungsquerschnitt) die Helligkeit eines Luminophors und damit die Empfindlichkeit lumineszenzbasierter Analyseverfahren. Über QY-Daten lassen sich Luminophore vergleichen und abschätzen, ob sich leuchtende Materialien für bestimmte Anwendungen eignen. Im Jahr 2014 hat das Normungsgremium International Electrotechnical Commission (IEC) die erste Norm zur Ermittlung der QY von Luminophor-Systemen verabschiedet (IEC 62607–3–1).<sup>6)</sup></p><p>Um die Zuverlässigkeit von QY-Messdaten abzusichern, die relativ zu einem Fluoreszenzquantenausbeutestandard mit bekannter QY ermittelt werden,<sup>7)</sup> wurde jetzt mit BAM-F011 und BAM-F013 bis BAM-F023 erstmals ein Satz an Referenzmaterialien mit zertifizierten Fluoreszenzquantenausbeuten für den Spektralbereich von 350 bis 1100 nm entwickelt (Abbildung 3). Die zertifizierten QY-Werte wurden an der BAM absolut mit rückführbar kalibrierten und validierten Ulbrichtkugelmessplätzen ermittelt.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/OKfyjORSQ4GKFLyWRxnt"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Normierte korrigierte Emissionsspektren der Fluoreszenzquantenausbeutestandards BAM F011 und BAM-F013 – BAM-F023.</figcaption></figure>
<h2>Wie ein Fluoreszenzstandard entsteht</h2><p>Einen Bedarf an Fluoreszenzstandards melden Anwender, Gerätehersteller, Unternehmen und Normungsgremien oder Arbeitskreise von Organisationen wie der Iupac. Für die Fluoreszenzbildgebung und Fluoreszenzmethoden in der Medizin und in den Lebenswissenschaften gibt es in den letzten Jahren zunehmend Diskussionsrunden zur Standardisierung und Qualitätssicherung. Auch wissenschaftliche Netzwerke wie das von Imaging-Zentren gegründete Netzwerk Quarep oder Netzwerke anderer Anwender von Lumineszenzmethoden und lumineszenten Materialien geben Hinweise darauf, welche Standards gefragt sind.</p><p>Zur Entwicklung eines Fluoreszenzstandards gehören Materialauswahl und -beschaffung sowie Konfektionierung. Zudem ist die Homogenität der zu zertifizierenden Eigenschaften des Referenzmaterial-Batches zu bestimmen und die Stabilität zu ermitteln. Es folgen Zertifizierung und Dokumentation.</p><p>Auch muss entschieden werden, in welcher Form die Standards zur Verfügung gestellt werden sollen, beispielsweise als gering konzentrierte Fluorophorlösungen, als Feststoff oder als fluorophordotierte Festkörper. Diese Entscheidung hängt davon ab, welche Geräte damit kalibriert werden sollen, wie deren Messgeometrie aussieht und welche Proben Anwender typischerweise messen.</p><p>Die Zielanwendung bestimmt die zu zertifizierende Fluoreszenzeigenschaft und damit Anforderungen an die spektrale Form und Lage der Lumineszenzspektren potenziell geeigneter Luminophore. So sind beispielsweise für die Ermittlung der spektralen Empfindlichkeit möglichst breite, unstrukturierte Emissionsspektren erforderlich. Um die Wellenlängenrichtigkeit zu prüfen, sind dagegen Emissionsspektren mit vielen sehr schmalen Banden vorteilhaft. Um regelmäßig die Gerätefunktion (IPV) zu überprüfen, eignen sich beide Spektrentypen.</p><h2>Flüssig oder fest</h2><p>Neben der Quantenausbeute bestimmt die Luminophorkonzentration die Lumineszenzintensität des Fluoreszenzstandards. Vorteil von Fluorophorlösungen ist, dass die Fluoreszenzintensität über die Verdünnung einstellbar ist. Zudem können sie in unterschiedliche Behälter von der Küvette bis zur Mikrotiterplatte gefüllt werden. Damit lassen sie sich in verschiedenen Lumineszenzmesssysteme verwenden – vom Spektrometer über Mikrotiterplattenauslesegeräte bis zum Fluoreszenzmikroskop.</p><p>Unerwünschte Polarisationseffekte sind durch niedrigviskose Lösemittel vermeidbar. Lichtinduzierte lokale Ausbleicheffekte sind für flüssige spektrale Emissionsstandards nicht relevant, da die Diffusion der Luminophore dies ausgleicht.</p><p>Ein Nachteil insbesondere von Luminophorlösungen mit Konzentrationen im Bereich 10<sup>–6</sup> M oder geringer, wie sie für Lumineszenzmessungen typischerweise verwendet werden, ist ihre geringe Haltbarkeit von Tagen bis wenigen Wochen. Dies lässt sich umgehen, wenn man sie als Feststoff lagert und Standardlösungen kurz vor dem Einsatz frisch herstellt.</p><p>Festkörperstandards sind länger stabil, wobei die Langzeitstabilität von dem verwendeten Luminophor und der Matrix abhängt. Erst einmal in eine bestimmte Form gebracht, etwa in die einer Küvette oder eines Objektträgers, lassen sie sich nur in Lumineszenzmesssystemen mit der passenden Messgeometrie nutzen. Auch ist es nicht möglich, nachträglich die Lumineszenzintensität anzupassen. Zudem können lokale Ausbleicheffekte auftreten, die schwer zu detektieren sind. Polarisationseffekte, insbesondere bei organischen Fluorophoren in Polymermatrices, führen zudem zu höheren Messunsicherheiten.</p><h2>Stabilität und Messunsicherheit</h2><p>Luminophore für Standards müssen zunächst strukturanalytisch charakterisiert werden. Bei molekularen Verbindungen sollte zudem die Reinheit bestimmt werden. Diese Untersuchungen bilden die Basis für die Reproduzierbarkeit der Fluoreszenzstandards. Anschließend wird das Fluoreszenzstandardausgangsmaterial stichprobenartig auf die Homogenität der Fluoreszenzeigenschaften getestet.</p><p>Von jedem Farbstoff für den BAM-Kit F001-F005 und auch für die Fluoreszenzquantenausbeutestandards BAM-F011, BAM-F013 bis BAM-F023 wurden hunderte Proben als Feststoff abgefüllt und erneut stichprobenartig auf Homogenität getestet. Unmittelbar vor dem Einsatz löst der Anwender die Farbstoffe dann nach einer Standardarbeitsanweisung der BAM in Ethanol. Beim BAM-Kit sind die abgefüllten Farbstoffmengen so gewählt, dass durch einen einzigen Löseschritt in 10 mL Ethanol Kalibrierlösungen mit Konzentrationen im Bereich von 10<sup>–6</sup> mol·L<sup>–1</sup> vorliegen und sofort einsatzfertig sind.</p><p>Vor der Zertifizierung wird die Stabilität der Farbstoffe bei verschiedenen Temperaturen über mehrere Monate bis zu zwei Jahren untersucht. Ziel ist es dabei, die optimalen Lagerungsbedingungen herauszufinden und abzuschätzen, wie lange die Fluoreszenzstandards stabil bleiben. Außerdem wird die Photostabilität unter Anwendungsbedingungen getestet. Diese Ergebnisse fließen zusammen mit den Ergebnissen der Homogenitätstests und den Kalibrierunsicherheiten des Lumineszenzmessgeräts, das zur Zertifizierung eingesetzt wurde, in die Messunsicherheitsbilanz des Referenzmaterials ein.</p><h2>Die Autoren</h2><p>Diesen Beitrag haben Jutta Pauli, Arne Güttler, Maria Richter, Christian Würth und Ute Resch-Genger verfasst. Die Autoren entwickeln bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, in Berlin im Fachbereich Biophotonik optische Funktionsmaterialien und Referenzmaterialien.</p><p>Der Artikel ist Teil einer Serie aus der BAM, die vor 150 Jahren gegründet wurde. Weitere Beiträge sind erschienen in: Nachr. Chem. 2021, 69(6), 64; 69(7–8), 75; 69(10), 71 und 69(11), 51.</p><h2>AUF EINEN BLICK</h2><p>Bei Lumineszenzmessungen beeinflussen gerätespezifische Beiträge die spektrale Form, die spektrale Lage und die Intensität der Messdaten.</p><p>Diese gerätespezifischen Beiträge und die entsprechende Korrekturkurven können mit physikalischen Transferstandards ermittelt werden.</p><p>Eine Alternative dazu sind chemische Referenzmaterialien oder Fluoreszenzstandards.</p>
<ul class="references"><li>
<sup>1 </sup>U. Resch-Genger, P. C. DeRose, Pure Applied Chemistry 2012, 84, 1815–1835</li><li>
<sup>2 </sup>U. Resch-Genger, K. Hoffmann, D. Pfeifer, In C. D. Geddes (Hrsg.): Reviews in Fluorescence, Springer Science Businesss Media, New York, 2009; 4, 1–32</li><li>
<sup>3 </sup>D. Pfeifer, K. Hoffmann, A. Hoffmann, C. Monte, U. Resch-Genger, J. Fluoresc. 2006, 16, 581–587</li><li>
<sup>4 </sup>J. Hollandt, R. D. Taubert, J. Seidel et al., J. Fluoresc. 2005, 15, 301–313</li><li>
<sup>5 </sup>U. Resch-Genger, W. Bremser, D. Pfeifer et al., Anal. Chem. 2012, 84, 3889–3898</li><li>
<sup>6 </sup>IEC 62607–3–1: Nanomanufacturing – Key Control Characteristics – Part 3–1: Luminescent Nanomaterials – Quantum Efficiency)</li><li>
<sup>7 </sup>C. Würth, M. Grabolle, J. Pauli, M. Spieles, U. Resch-Genger, Nat. Protoc. 2013, 8, 1535–1550</li></ul>


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