Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Sonnen‐ und Windenergie speichern

Nachrichten aus der Chemie, Oktober 2024, S. 28-30, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Das größte Problem der Energiewende besteht in der zeitlichen und örtlichen Diskrepanz zwischen Strombereitstellung und -nutzung. Deshalb sind flexible Speicherkapazitäten und Batterietypen notwendig. Insgesamt verlangt dies, die heutige Netzstruktur neu zu konzeptionieren. Die Chemie ist über materialwissenschaftliche, elektrochemische und thermodynamische Techniken beteiligt.

Der Verlust der Grundlastfähigkeit unseres bisherigen Stromversorgungssystems ist eines der größten Probleme bei der Einführung von Photovoltaik und Windenergie. Im Jahr 2023 trugen die Gas- und Kohlekraftwerke noch mit etwa 40 Prozent zum Strommix bei.1) Die Windenergie fällt offshore relativ konstant an, macht aber noch einen kleinen Anteil aus. Dagegen ist die Windenergie an Land stärker zyklisch. Die Photovoltaik ist infolge des Tag-Nachtverhaltens und der Dunkelphase im Winter ausgesprochen zyklisch und erfordert deshalb zum Bedarfsausgleich auf unterschiedlichen Zeitskalen beträchtliche Speicherkapazitäten. Wasserkraft trägt aus topografischen Gründen in Deutschland nur 3,4 Prozent zur Stromproduktion bei und ist wenig ausbaufähig.2)

Gegenwärtig läuft ein Beteiligungsverfahren des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima zu einem Entwurf einer nationalen Energiespeicherstrategie. Dies begrüßt der Verband der Chemischen Industrie.3) Norwegen ist mit seiner Elektrifizierung am weitesten fortgeschritten und hat bereits circa 99 Prozent seines Nettobedarfs auf erneuerbare Energie umgestellt, größtenteils Speicher- und Laufwasser sowie 9 Prozent Windenergie. Im Jahr 2023 waren 82 Prozent der im Land verkauften Neuwagen Elektrofahrzeuge.

Wie sich elektrische Energie speichern lässt

Elektrische Energie zu speichern und anschließend rückzuverstromen ist mechanisch, thermisch, elektrisch, elektrochemisch oder molekularchemisch möglich. Dabei sind die Speicherleistung in kW und die gravimetrische Speicherdichte in kWh·kg–1 entscheidend. Die Schlüsselrolle bei der Energiewandlung spielt der Energiewirkungsgrad, der den Anteil der genutzten relativ zu der eingesetzten Energie über den kompletten Lade-Entladezyklus angibt. Er besteht aus dem Produkt der Wirkungsgrade der Einzelschritte. Einige Wirkungsgradrichtwerte zeigt die Tabelle.

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Energiewirkungsgradrichtwerte von Energiespeichern: Anteil der genutzten relativ zur eingesetzten Energie über den kompletten Lade-Entladezyklus. a) V. Novotny et al., Energies 2022, 15, 647; b) Wasserelektrolyse/PEM-Brennstoffzelle; c) Werte für Methanol, efuel-today.com/en/efficiency-of-e-fuels

Zu molekularen Speichern zählen Wasserstoff und e-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, mit elektrischer Energie aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Insbesondere e-Fuels sind infolge der höheren Aktivierungsenergien weniger effizient als Batterien und mechanische Speichermethoden. Die volumeneffizienten molekularen Speicher sind hauptsächlich in der Luft- und Schifffahrt und bei Schwerlasttransporten sinnvoll. Denn dort kommt es auf Kompaktheit und Masseneffizienz an, während für die stationäre Rückverstromung aus energetischer Sicht Methoden mit hoher Effizienz zu bevorzugen sind. Zudem sind Speichermoleküle über existierende Logistik (Pipeline, Land- und Wasserfahrzeuge) gut transportabel; dies erlaubt, Erzeugungs- und Nutzungsstandort zu entkoppeln.

Sonne und Wind machen den Großteil der erneuerbaren Energie aus und fallen hauptsächlich elektrisch an. Die Energieeffizienz kommerzieller Photovoltaikmodule beträgt etwa 20 bis 24 Prozent.4) Es ist deshalb sinnvoll, solare Wärme direkt und nicht durch die Umwandlung von Photovoltaik zu nutzen, sofern ein anwendungsgerechtes Temperaturniveau erreichbar ist.

Durch die Elektrifizierung des Verkehrs und industrieller Prozesse steigt die Energieeffizienz. Der damit einhergehende Anstieg des Strombedarfs macht es notwendig, mehr Strom zu produzieren.

Elektrische und elektrochemische Kurzzeitspeicherung

Um Energiespitzen in der Produktion und beim Verbrauch von Solar- und Windstrom zu bewältigen, sind Ansprechzeiten von unter einer Minute und mittlere Speicherdauern von mindestens sechs Stunden notwendig. Dies ist mit elektrischer Speicherung gewährleistet. Dabei sind folgende Charakteristika wichtig:

Wegen der dezentralen Produktion empfiehlt sich für jede Photovoltaik-Anlage eine zugehörige lokale, elektrische Speicherung in Batterien. Diese erfolgt passiv (ungesteuert) und entlastet deshalb die Verteilnetze, die gesteuert werden (Smart Grids). Zudem spart sie Transportkosten. Ein- und Mehrfamilienhäuser sollten im Jahresgang möglichst zu 70 Prozent autark sein.

Großflächig entspricht der Tagesverlauf der Systemauslastung der Entenkurve (duck-curve, Abbildung). Infolge der Transportkosten ist es nicht sinnvoll, die Netzkapazität bundesweit auf das Tagesmaximum um 18 Uhr auszurichten. Vielmehr empfiehlt es sich, tagsüber während der maximalen Verfügbarkeit des Photovoltaikstroms in der Nähe von Großverbrauchern lokale und regionale Großspeicher aufzufüllen, um den Strom für das Bedarfsmaximum ortsnah bereit zu stellen. Diese Anforderungen verlangen eine Neukonzeption der heutigen Netzstruktur. Ebenso ist die Aufmerksamkeit auf die lückenlose Verfügbarkeit der Grundlast zu richten.

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Entenkurve (duck-curve) der Netzauslastung durch nichterneuerbaren Strom mit dem kritischen Maximalbedarf bei Sonnenuntergang. Das Minimum kann bei maximaler Photovoltaikverfügbarkeit um die Mittagszeit negative Werte annehmen.5)

Die Entwicklung von Batterien wird derzeit weltweit vorangetrieben und macht große Fortschritte bei Konzept, Materialien, Speicherkapazität, Ladezeit und Nutzung verfügbarer und umweltfreundlicher Elemente. Es ist deshalb kaum vorauszusehen, welche Batterietypen mittelfristig bevorzugt eingesetzt werden.6)

Mobiler Einsatz

Als Königskriterium für Batterien gilt eine möglichst kurze Ladezeit. Dabei wird meist ignoriert, dass bei hohem Strom die Verluste in Form Joule’scher Abwärme steigen und deshalb sowohl die Effizienz als auch die Lebensdauer abnehmen. Bei nicht forciertem Betrieb liegt die Energieeffizienz über einen Lade-Entladezyklus über 90 Prozent; dies ist ein Wert, der nur mit elektrischer Energiespeicherung zu erreichen ist.

Neben der kurzen Ladezeit wird eine möglichst hohe gewichtsspezifische Speicherkapazität angestrebt. Ein beträchtliches Gefahrenpotenzial durch Kurzschluss und eine verringerte Lebensdauer entstehen bei zu hoher thermischer Belastung. Oxidkeramikbasierte Sauerstoffionenbatterien haben zwar eine um einen Faktor drei geringere Energiedichte als die Li-Ionenbatterie, sie sind aber robust, nicht brennbar, wiederaufladbar und prinzipiell ohne seltene Elemente realisierbar; deshalb eignen sie sich, größere Energiemengen stationär zu speichern. Batterie-Superkondensator-Hybridelemente vereinen die Vorteile hoher Leistung und Energiedichte mit zyklischer Stabilität.6)

Standard ist derzeit die Li-Ionenbatterie.7) Vollelektrische Personenwagen benötigen eine Speicherkapazität von typisch 10 bis 25 kWh pro 100 km Reichweite bei Beschaffungskosten von derzeit etwas über 100 Euro pro kWh und einem Gewicht von 0,18 kWh pro kg. Eine Li-Ionenbatterie von 70 kWh wiegt also zirka 400 kg und hat eine Lebenserwartung von etwa zehn Jahren bei mehr als 7000 Ladezyklen.

Die Fortschritte bei Kosten und Kapazität sind enorm: Sinkende Batteriekosten werden die Anschaffungskosten der Elektroautos noch in dieser Dekade unter die der vergleichbaren Verbrenner senken.

Stationärer Einsatz

Im Jahr 2022 betrug der jährliche Stromverbrauch 6,5 MWh pro Kopf. Dies ergibt täglich durchschnittlich 17,8 kWh, was einer Li-Ionenbatterie von 100 kg und bei einem Vier-Personen-Haushalt in etwa der Kapazität der Batterie eines vollelektrischen Pkws entspricht.

Für den privaten Gebrauch in Ein- und Mehrfamilienhäusern ist ein einfacher, sicherer und wartungsfreier Betrieb essenziell. In diesem Sinn werden Flussbatterien als Großspeicher der Zukunft gesehen; dabei werden flüssige Elektrolytlösungen auf Basis organischer Redoxpaare in externen Tanks gespeichert und zum Laden und Entladen durch die eigentlichen Batteriezellen gepumpt. Derzeit werden zudem umweltfreundliche, leistungsfähige, metallfreie, wasserbasierte Batterien entwickelt.8,9)

Saisonale Langzeitspeicherung

Die hohen Investitionskosten bei Batterien infolge der geringen Speicherdichte verhindern, dass sie genutzt werden, um saisonale Schwankungen zu bewältigen. Alternativ bieten sich mechanische und insbesondere chemische Speicher an. Aufgrund ihrer Komplexität eignen sich diese Anlagen für Großverbraucherzentren mit Industrie und öffentlichem Verkehr im regionalen und überregionalen Bereich, gekoppelt mit großen Produktionsanlagen und verbunden durch ein Transport- und Verteilnetz.

Sie bedienen in erster Linie die Hauptverbraucher und dienen als Back-up für die privaten Kleinverbraucher. Im Gegensatz zu Batterien müssen sie aktiv gesteuert werden.

Ein kostengünstigeres Potenzial bieten zudem Gasspeicher in Kavernen und Altkraftwerken, wie in vergleichenden Betrachtungen beschrieben.10) Einen Überblick über die Kosten verschiedener Speichermethoden bezüglich Leistung und gespeicherter Energie gibt Quelle 11. Interessant ist dabei, dass die energiebezogenen Investitionskosten mit Potenzial zu höherer Speicherdauer rascher abnehmen als bei Kurzzeitspeichern. Langzeitenergiespeicher haben einer Analyse zufolge ein außerordentliches Marktpotenzial.9)

Moleküle sind für die Langzeitspeicherung großer Energiemengen wesentlich attraktiver als Batterien. Mit 39,4 kWh pro kg verfügt Wasserstoff über eine höhere gravimetrische Energiedichte als Methanol (5,6 kWh·kg–1) oder Benzin (11,9 kWh·kg–1); die Energiedichte einer Li-Ionenbatterie ist 185-mal geringer (0,10–0,26 kWh·kg–1).12,13)

Fazit

Der Umbau der elektrischen Energieversorgung durch beschleunigten Zubau regenerativer Stromerzeuger erfordert, zusätzlichen Lastenausgleich zwischen Stromverbrauch und -erzeugung zu bauen. Neben aktiven netzstabilisierenden Maßnahmen in Smart Grids ist die Energiespeicherung ein zentrales Element dafür.

Um elektrische Energie kurzzeitig zu speichern, ist auf Speichersysteme mit hoher Gesamteffizienz zu achten.

Die Energiethematik ist eine interdisziplinäre Herausforderung in Forschung und Industrie für mindestens die nächsten drei Jahrzehnte. Die Chemie ist dabei zentral eingebunden über die materialwissenschaftlichen, elektrochemischen und thermodynamischen Aspekte.

Ein weiterer Beitrag wird die Bewertungsstudien zu großen Energiespeichern mit Fokus auf marktreife elektrochemische und thermodynamische Technologien betrachten.

Energiewende: Schlüsse aus dem GDCh-Thinktank

Kostengünstige Energie, speziell elektrischer Strom, ist erfolgskritisch für den industriellen Wirtschaftsstandort Deutschland und die EU, nicht zuletzt für die chemische Industrie.

Ein wesentlicher Beitrag kann die Speicherung nachhaltiger, kostengünstiger Energie aus Wind und Sonne bei Dunkelflauten sein, wofür technisch reife Techniken existieren.

Die Netzinfrastruktur hat außer zu kurzen Spitzenlastzeiten hohe, freie Kapazitäten für die Übertragung abgeregelter, nachhaltiger Überschussströme.

Die Umsetzung bedeutet deshalb eine Weiterentwicklung des jetzigen Strommarkts von zentralen Großstromerzeugern der Grundlast zu mehr regionalen und lokalen Großstromspeichern.

Die Autoren

Den Beitrag verfasst haben Emil Roduner (Foto), Klaus-Dieter Franz, Thomas Osterland, Wolfgang Hübinger und Peter Staniek. Roduner ist Professor für physikalische Chemie an der Uni Stuttgart sowie außerordentlicher Professor der Uni von Pretoria (im Ruhestand). Franz ist Lehrbeauftragter an der TU Darmstadt und der Uni Frankfurt (Innovation und Aufbau neuer Geschäfte in Chemie und Pharma). Osterland ist seit 2015 Professor für chemische Technologie an der Hochschule Augsburg in der Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Hübinger erarbeitet bei BASF in Ludwigshafen Langfriststrategien, abgeleitet aus Technologieentwicklung, Forschungssteuerung und Scouting. Staniek war seit 1990 in der Polymer-Additive-Forschung und -Applikation bei Sandoz, später Clariant, seit 2008 als Betriebs- beziehungsweise Produktionsleiter, und ist seit 2022 im Ruhestand.https://media.graphassets.com/Lk3kfeeUQGm244wdg6IF

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