Blickpunkt Prozess


<p>Während der K 2013, der Fachmesse für die Kunststoff- und Kautschukindustrie, lädt erstmals der Science Campus zum Dialog zwischen Forschung und Wirtschaft ein.<sup>1</sup> Dafür präsentieren sich im Oktober 16 Hochschulen, Institute und Fachagenturen in Halle 7 des Düsseldorfer Messegeländes. Es geht um Kunststoffe mit Zusatzfunktionen und für besondere Oberflächen, um Leichtbau, Stoffkreisläufe und die wissenschaftliche Ausbildung. Die Themen bereiten Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates der K 2013 und die Teams aus deren Instituten auf. Dazu gehören die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, der RWTH Aachen, der Technischen Universität Dresden und der Universität Stuttgart. Das Leibniz-Institut für Polymerforschung zeigt Polyelektrolyte als biobasierte Flockungsmittel zur Wasseraufbereitung.</p>


<h2>Das Neueste vom Kunststoff</h2>
<p>Von Mittwoch, den 16. Oktober, bis Mittwoch, den 23. Oktober, erwartet die Messe 200 000 Besucher. Etwa 3100 Aussteller aus 60 Ländern stellen auf der K 2013 ihre neuesten Entwicklungen vor. Auf einer Webseite präsentiert die Messe vorab die Neuerungen: im Science Compass.<sup>2</sup> So setzt Lanxess auf grüne Mobilität mit Kautschukchemikalien für rollwiderstandsarme Reifen, Thermoplasten für den Leichtbau und Kautschuke auf Basis nachwachsender Rohstoffe. BASF präsentiert Kaffeekapseln, die erste Serienspritzgussanwendung des kompostierbaren Kunststoffs Ecovio. Er enthält modifizierten Polyester und aus Mais gewonnene Polymilchsäure. Wacker präsentiert hochdämpfende und hitzestabile Festsilicone sowie transparente Flüssigsilicone. Bei Clariant gibt es neben einem neuen Flüssigmasterbatchsystem weitere Phosphinat-Flammschutzmittel.</p>


<h2>Bewegendes</h2>
<p>Die Sonderschau “Kunststoff bewegt!”<sup>3</sup> verdeutlicht, welche Beiträge Kunststoffe zu einem Leben in Bewegung leisten, wörtlich und im übertragenen Sinn. Den Begriff “bewegen” fasst die Schau in Halle 6 weit. So geht es um Mobilität, aber auch um emotionale Bewegung, etwa durch Kunst und Design, um Bewegung auch bei Bevölkerungswachstum, Energiebedarf und Klimawandel. Zu den ausgestellten Produkten gehören ein Leichtbauauto, ein Airbag für Motorradfahrer und ein selbstheilender Kunststoff für Displays.</p>
<p>Die Präsentationen ergänzen Diskussionsrunden mit Experten aus Wissenschaft und Industrie sowie VIP-Vorträge. Den Anfang der VIPs macht am zweiten Messetag Bertrand Piccard mit dem Solar-Impulse-Projekt: Für das Jahr 2015 plant er die erste Weltumrundung per Flugzeug mit Solarkraftantrieb. Eine der Expertenrunden thematisiert Kunststoffabfälle in den Weltmeeren. Im Mittelpunkt des Jugendtag-Programms am Sonntag stehen Podiumsdiskussionen von Jugendlichen mit Vertretern der Kunststoffindustrie und der Wissenschaft.</p>
<p>Verantwortlich für die Organisation der Sonderschau sind die deutsche Kunststoffindustrie und hier federführend der Verband Plasticseurope Deutschland sowie die Messe Düsseldorf.</p>
<p>Maren Bulmahn ist Redakteurin der Nachrichten aus der Chemie.</p>


<h2>Chemie stagniert</h2>
<p>Die deutsche Chemieindustrie erhöhte in der ersten Jahreshälfte 2013 die Produktion und den Umsatz gegenüber dem Vorjahr nicht. 90,8 Mrd. Euro setzte die Branche um: 35 Mrd. Euro davon im Inland (— 1 % gegenüber Vorjahreszeitraum), 55,8 Mrd. Euro im Ausland (+ 0,5 %). Auch die Preise für chemische Erzeugnisse stagnierten, da die Kosten für Rohstoffe und Energie aufgrund der schwachen Weltkonjunktur und verstärkter Förderung sanken. Die Zahl der Beschäftigten blieb mit 434 300 auf Vorjahresniveau. Für das Gesamtjahr erwartet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) weiterhin einen Produktionszuwachs von 1,5 %. Maßgeblich seien dafür ein leicht wachsendes Inlandsgeschäft, steigende Ausfuhren in die europäischen Nachbarländer und anziehende Exporte nach Übersee. Bei den Chemikalienpreisen rechnet der VCI jetzt mit keinem Auftrieb mehr (zuvor + 0,5 %) und drückt daher die Umsatzprognose um einen halben Punkt auf + 1,5 %.</p>


<h2>Echa prüft Status</h2>
<p>Die Europäische Chemikalienagentur (Echa) prüft nach Ablauf der zweiten Registrierungspflicht im Juni, ob sich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) korrekt eingestuft haben, denn bei der Registrierung entrichten KMU geringere Gebühren. Im Jahr 2011 waren nach Angaben der Echa etwa 80 % der Unternehmen nicht in der Lage, ihren Status nachzuweisen.</p>


<h2>Fackelgas als Treibstoff</h2>
<p>Das Projekt “Syngas to Fuel” der Technischen Universität Freiberg verarbeitet das bei der Erdölförderung austretende Gas zu Benzin statt es abzufackeln. Das Verfahren ist um ein Drittel billiger als bisher verfügbare.</p>


<h2>Schweizer Biotechbranche</h2>
<p>Dieses Jahr ist die Schweiz Partnerland der Biotechnica, die Anfang Oktober in Hannover stattfindet. Der Umsatz der Schweizer Biotechbranche betrug mit 4,6 Mrd. Schweizer Franken (CHF) im Jahr 2012 etwa so viel wie im Jahr zuvor. Die 250 Unternehmen mit knapp 14 000 Mitarbeitern investierten in beiden Jahren je etwa 1,3 Mrd. CHF in Forschung und Entwicklung.</p>
<p><ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.swissbiotech.org" target="_blank">www.swissbiotech.org</a></ext-link></p>


<h2>Fracking noch nicht sicher</h2>
<p>Seit Monaten diskutieren Experten über das Fracking-Verfahren zur Schiefergasförderung, und die Gesetzespläne der Bundesregierung zur Neuregelung der Gasförderung aus tiefen Gesteinsschichten scheiterten Anfang Juni. Bundesumweltminister Peter Altmaier hält die Methode erst dann für vertretbar, wenn Schäden für Mensch und Umwelt ausgeschlossen sind. Derzeit habe man ein informelles Moratorium, das bis zur Klärung der Sicherheitsfragen fortgesetzt werde.</p>
<p>Beim Fracking werden mit hohem Druck große Mengen eines Gemisches aus Wasser, Sand und Chemikalien in ein betoniertes Bohrloch getrieben, so dass das Gestein aufbricht und das Gas entweichen kann [<i>Nachr. Chem. </i>2012, <i>60</i>, 31]. Es ist kaum erforscht, was mit dem Fracking-Gemisch im Boden passiert, und Kritiker befürchten, dass die Chemikalien zu nicht beherrschbaren Katastrophen für die Umwelt wie etwa verseuchtes Trinkwasser führen. Die Befürworter sehen in Fracking vor allem eine kostengünstige Prozedur zur Erdgasförderung. Schätzungen zufolge könnte Deutschland seinen Erdgasbedarf 13 Jahre lang decken, wenn alle verfügbaren Reservoirs auf diese Weise ausgebeutet würden.</p>
<p>Claudia Schierloh</p>



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<sup>1 </sup>

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</li>
<li>
<sup>2 </sup>

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</li>
<li>
<sup>3 </sup>

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Artikel

Science Campus, Innovation Compass und eine Sonderschau

Während der K 2013, der Fachmesse für die Kunststoff- und Kautschukindustrie, lädt erstmals der Science Campus zum Dialog zwischen Forschung und Wirtschaft ein.1 Dafür präsentieren sich im Oktober 16 Hochschulen, Institute und Fachagenturen in Halle 7 des Düsseldorfer Messegeländes. Es geht um Ku...


<h2>Zellen als Wirkstoffproduzenten</h2>
<p>Die rote Biotechnik, also die medizinische Biotechnik zur Wirkstoffherstellung mit gentechnisch veränderten Organismen, erzeugt im Wesentlichen drei Zielproduktgruppen: monoklonare Antikörper, therapeutische Proteine und Impfstoffe.</p>
<p>Modifizierte prokariotische Zellen wie Bakterien generieren einfachere Wirkstoffe, beispielsweise rekombinante Proteine, etwa Insulin. Komplexe Proteinstrukturen wie Antikörper sind nur mit modifizierten Säugetierzellen herzustellen. Man unterscheidet also die Prozesse primär nach Art der Organismen grob in Mikroorganismen-basierte Fermentationen (MO) und tierische Zellkulturen (CC). Die Art der Prozesse und damit die Anforderungen an Prozessequipment und -führung unterscheiden sich dabei drastisch.</p>
<p>MO-Prozesse, zum Beispiel die Fermentation von genetisch veränderten Bakterien wie <i>E. Coli</i> oder <i>Bacillus</i>, verlaufen aufgrund der Teilungs- und Stoffwechselraten mit Batchzeiten von wenigen Tagen sehr schnell. Das Medium, in dem die Fermentation abläuft, ist zumeist komplex mit einer breiten Variation an Primär- und Sekundärzuckern als Kohlenstoffquelle. Zudem werden beispielsweise Hefeextrakte oder Pepton, ein Gemisch aus Peptiden und Aminosäuren, als Stickstoffquelle zugesetzt. Wegen der hohen Stoffwechselrate werden solche Systeme stark gerührt und mit viel Sauerstoff versorgt.</p>
<p>Bei CC-Prozessen geht es gemütlicher zu: Tierische Zellkulturen haben Prozesszeiten von mehreren Tagen bis einigen Wochen. Als Medien dienen komplett chemisch definierte Ansätze. Basierend auf einem pH-Puffer werden speziell auf den verwendeten Organismus abgestimmte Spurenelemente, Vitamine und Aminosäuren zugesetzt. Nahrungsquellen sind Glucose und Glutamin. Die Agitation ist viel moderater, da die Organismen allein aufgrund ihrer Größe und ihrer Zellmembran anfällig gegen Scherstress sind.</p>


<h2>Ein spektroskopisches Fenster in den Prozess</h2>
<p>Die Nahinfrarotspektroskopie (NIR) verwendet Anregungslicht von etwa 900 bis 2500 nm. In diesem Bereich absorbieren Obertöne und Kombinationsschwingungen der meisten funktionellen Gruppen (OH, CH, NH etc.). Dabei ist die Absorption der funktionellen Gruppen abhängig von ihrer chemischen Umgebung.</p>
<p>Aufgrund der Vielzahl sowie der ähnlichen Anregungsenergien der Kombinations- und Oberschwingungen überlagern sich die Absorptionsbanden. Die resultierenden breiten Banden in einem NIR-Spektrum enthalten daher die Informationen über mehrere Bindungsarten, weshalb eine direkte Bandenzuordnung nicht immer einfach ist. Daher sind mathematisch-statistische Verfahren zur Auswertung der Spektren erforderlich (Chemometrie).</p>
<p>Die Auswertung der NIR-Spektren kann qualitativ oder quantitativ erfolgen. Eine qualitative Auswertung erfordert keinerlei Kalibrierung und somit auch keine Referenzmessungen. Das Spektrum wird wie bei einer Mustererkennung verglichen, wodurch beispielsweise die Identität eines Materials sowie der gewünschte Endpunkt auf gleiche Weise bestimmbar sind.</p>
<p>Voraussetzung für jedes Prozessgerät ist ein hohes Maß an Robustheit des Sensorsystems unter Prozessbedingungen. Moderne NIR-Prozessspektrometer sind daher ohne bewegliche Teile konzipiert und arbeiten mit redundanten Lichtquellen, um über viele Jahre wartungsfrei zu laufen.</p>
<p>Der Aufbau jeder Spektroskopiemethode ist prinzipiell ähnlich. Hauptbestandteile sind die Strahlungsquelle und der Detektor, der das Lichts nach der Wechselwirkung mit der Probe registriert. State-of-the-art-NIR-Spektrometer (Abbildungen 1 und 2) für den Prozess separieren das Licht nach Wellenlängen, Gitter sind hier das dispersive Element. Zur Detektion dient oft ein Photodiodenarray.</p>
<p>Der Vorteil bei dieser Anordnung besteht darin, dass er den gesamten Spektralbereich simultan erfasst. So ist sicher, dass auch bei den im Prozess üblichen Probenströmen das gesamte Spektrum der Messung derselben Probe entstammt. Insbesondere bei sehr dynamischen Systemen, in denen streuende Partikel vorkommen, zum Beispiel Zellen oder Luftbläschen wie in Fermentationsprozessen, haben Diodenarraysysteme deutliche Vorteile gegenüber anderen Spektrometertypen.<sup>4</sup> Ein Risiko, das Fermentationsanwender immer wieder heiß diskutieren, ist das mögliche Verstopfen der Duchflusszelle. Werkzeuge, welche die zeitliche Variation zwischen aufeinanderfolgenden Spektren in Echtzeit darstellen, zeigen die Sonde als verstopft an, sobald die Varianz unter einen Schwellenwert fällt. Auch das langsame Wachsen eines Biofilms auf dem Saphirfenster oder dem Reflektor lässt sich mit ähnlichen Algorithmen detektieren, so dass die Messung stets valide ist.</p>


<h2>Chemometrie für Fermentationsprozesse</h2>
<p>Das Know-how steckt bei modernen NIR-Systemen nicht nur im Gerät selbst, sondern auch in der Software zur Datenverarbeitung und -interpretation.</p>
<p>Die Komplexität der Bandenüberlagerungen im NIR-Spektrum verhindert eine direkte Quantifizierung etwa durch die Auswertung der Flächen oder Intensitäten einer Bande. Man bedient sich daher statistischer Verfahren, um die für die Quantifizierung essenziellen Bestandteile im NIR-Spektrum herauszufiltern. Diese statistischen Verfahren werden unter dem Oberbegriff Chemometrie zusammengefasst.<sup>5</sup> Häufig eingesetzt werden beispielsweise die Hauptkomponentenanalyse (Principal Component Analysis, PCA) oder das Partial-Least-Square-Verfahren (PLS). Einige dieser Verfahren ermitteln die funktionalen Zusammenhänge zwischen den Spektren und der Zielgröße, also dem zu messenden Parameter, zum Beispiel die Glucosekonzentration. Dabei werden meist mehrere Variablen (Bereiche im Spektrum) für die Auswertung herangezogen, weswegen man auch von multivariater Datenauswertung spricht.<sup>6</sup></p>
<p>Für Fermentationsprozesse ist es besonders schwierig, robuste chemometrische Modelle zu entwickeln, da hier zum einen Zielparameter stark korrelieren und zum anderen Variationen von einem Batch zum anderem zu berücksichtigen sind. Diese Hürden — einmal identifiziert — lassen sich überwinden, indem das Kalibrationsmodell auf eine solide Datenbasis gestellt wird. Dafür sollten während eines Batches zwischen 10 und 20 Proben genommen werden, so dass die Beprobung die Variationen während des Prozesses ausreichend abbildet. Des Weiteren ist es entscheidend, eine gewisse Anzahl von Batches zu vermessen, so dass auch Variationen, die von einem Lauf zum nächsten auftreten, in das Modell Eingang finden. Dabei müssen die Daten für die Kalibrierung und für die Validierung der chemometrischen Modelle aus unterschiedlichen Baches stammen. Dadurch wird in der Validierung der Ernstfall geprobt und ein kompletter neuer Batch vorhergesagt, der nicht schon wie bei der Kreuzvalidierung im Kalibrierset enthalten ist. Erfahrungsgemäß sind die Modelle bereits nach drei bis vier Läufen so robust, dass sie in den folgenden Prozessen mehrere Zielparameter in Echtzeit und mit guter Präzision vorhersagen.</p>
<p>Das Auflösen von Korrelationen zwischen verschiedenen Zielparametern, zum Beispiel Glucoseverbrauch und Biomasseaufbau, gelingt in den meisten Fällen nur experimentell. Dafür eignen sich besonders Spiking-Experimente, bei denen ein Analyt in ausreichender Menge etwa am Ende einer Fermentation hinzugegeben wird. Proben, die nach dem Spiking entnommen wurden, zeigen dann keinerlei Korrelation mehr zu anderen Analyten, so dass nur solche Änderungen in den Spektren ins Modell eingehen, die tatsächlich von den Konzentrationsänderungen des Zielanaylten hervorgerufen wurden.</p>


<h2>Alleskönner gesucht — simultane Multiparameteranalytik</h2>
<p>Die NIR-Spektroskopie liefert verlässliche quantitative Daten von mehreren Parametern parallel. Auch bei Fermentationen erfasst die Methode verschiedene Parameter gleichzeitig. Die besondere Stärke liegt in der Vorhersage von Zellparametern, da diese Informationen aus dem Streulichtanteil gewonnen werden. So ist zum Beispiel die Bestimmung der Gesamtzellzahl in der Kultivierung von tierischen Zellen gut möglich (Abbildung 3). Dabei ist eine Vorhersage mit statistischen Modellen genauer als mit typischer Laboranalytik. Dies liegt an der Labormethode der Zellzählung selbst sowie an Schwankungen durch Probennahme und -vorbereitung. Auch die Viabilität, also der Anteil der lebenden Zellen an der Gesamtzellzahl, ist mit NIR-Spektroskopie auf wenige Prozent genau zu erfassen (Abbildung 3c). Dies ist für die Bestimmung des Abbruchzeitpunkts einer Kultivierung von Interesse, da mit abnehmender Viabiltiät die Reinigung des Produkts zunehmend schwerer wird.</p>
<p>Neben den Zellparametern bestimmt NIR-Spektroskopie auch einzelne Nährstoffe wie Glucose, sofern sie in ausreichender Konzentration (einige Gramm pro Liter) vorliegen (Abbildung 3d). Die Genauigkeit der Vorhersagen kann dabei nicht mit den Labormethoden mithalten, die exzellent sind. Im Gegenzug erhält man mit NIR ein Echtzeitprofil, das vor allem für Feed-Strategien von enormem Nutzen sein kann. Auch wenn eine Zufütterungskontrolle allein auf Basis der NIR-Spektroskopie noch aussteht, so scheint dieser Weg gangbar. Dies ist vor allem in bakteriellen Fermentationen von Interesse. Denn die Laboranalytik liefert die Ergebnisse nur mit erheblicher Zeitverzögerung und damit häufig zu spät für diese hoch dynamischen Prozesse. Die Online-Vorhersage mit NIR-Spektroskopie kann somit Informationen liefern, um die Prozesssteuerung zu optimieren.</p>


<h2>Batchtrajektorien — Prozessverläufe auf einen Blick</h2>
<p>Neben einzelnen Parametern zeigt die NIR-Spektroskopie den Status einer Fermentation im Sinne einer Gut-Schlechtabwägung. Diese multivariate statistische Prozesskontrolle (MSPC) gewinnt in der biopharmazeutischen Industrie an Bedeutung. Der Ansatz benötigt keine Laboranalytik für die Kalibrierung, sondern basiert allein auf den Varianzen innerhalb der Spektren, die sensibel auf Änderungen am Gesamtprozess reagieren. Dadurch werden Abweichungen zum gewollten (optimalen) Verhalten eines Prozesses frühzeitig und in einfach zu interpretierenden Graphen sichtbar.</p>
<p>Eine gängige Methode ist die Darstellung des Prozessverhaltens als Trajektorien (Batch Evolution Model, BEM). Die Hauptvarianzen innerhalb der Spektren, ausgedrückt durch die Hauptkomponenten einer PCA (principal component analysis), werden dabei als Trajektorien über die Zeit dargestellt. Dadurch haben die Prozessführer den Verlauf jederzeit im Blick und können auf unerwünschte Änderungen sofort reagieren.</p>
<p>Abbildung 4 oben zeigt den zeitlichen Verlauf der ersten Hauptkomponente. Diese Trajektorien stammen von drei Batches, die eine besonders gute Leistung zeigten. Der Mittelwert aus diesen optimalen Verläufen ist ein so genannter goldener Batch (grüne gestrichelte Linie in Abbildung 3 oben), mit dem zukünftige Prozessverläufe verglichen werden. Alarmkriterium wird dann beispielsweise die dreifache Standardabweichung der zum Modell beitragenden Verläufe (rote gestrichelte Linien). Diese Linien zeigen die erlaubte Schwankungsbreite (design space) der Verläufe ohne Beeinträchtigung der kritischen Qualitätsattribute. Sofern ein neuer Batch sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, gilt er als statistisch identisch mit dem goldenen Batch, und man geht von einem optimalen Verlauf des Prozesses bis zu diesem Zeitpunkt aus. Außerhalb dieser Grenzen wird in Echtzeit ein Alarm ausgegeben, damit die Prozessführer der Abweichung vom optimalen Verhalten nachgehen. Abbildung 4 unten zeigt beispielhaft Prozessverläufe zweier CHO-Zellkultivierungen, die nach einiger Zeit vom erwarteten Verhalten abweichen, die auf eine Kontamination (blauer Verlauf) zurückzuführen sind. Zudem führte eine modifizierte Begasungsrate zu einem langsameren Zellwachstum (schwarze Kurve).</p>
<p>Roland Bienert studierte Chemie an der Humboldt-Universität Berlin und an der Universität Freiburg, wo er bei Peter Gräber seine Dissertation in physikalischer Chemie anfertigte. Seit 2011 ist er in der Entwicklungsgruppe “PAT | Sensors &amp; Chemometrics” der Sartorius Stedim Biotech beschäftigt und verantwortlich für NIR-Spektroskopie in Fermentations- und Zellkulturprozessen. Christian Grimm, Jahrgang 1974, hat an der Universität Göttingen Physik studiert und in physikalischer Chemie bei Jürgen Troe promoviert. Von 2004 bis 2005 arbeitete er am Laserlaboratorium Göttingen in der photonischen Sensorik und Analytik. Seit dem Jahr 2005 ist er bei Sartorius in Göttingen tätig und leitet derzeit bei Sartorius Stedim Biotech die Arbeitsgruppe “PAT | Sensors &amp; Chemometrics” innerhalb der Entwicklung. <a href="mailto:Christian.Grimm@sartorius-stedim.com">Christian.Grimm@sartorius-stedim.com</a></p>


<h2>QUERGELESEN</h2>
<p>Nahinfrarot-Spektrometer für den Prozess arbeiten ohne bewegliche Teile mit Gittermonochromatoren und Photodiodenarray als Detektor.</p>
<p>Bei Fermentationsprozessen liefert die NIR-Spektroskopie beispielsweise online Informationen über die Zellzahl, die Nährstoffkonzentration oder die Viabilität der Zellen.</p>
<p>Voraussetzung für quantitative Daten sind robuste chemometrische Modelle, die auf einer ausreichenden Zahl an Probebatches beruhen.</p>
<p>Der Prozessverlauf lässt sich in Echtzeit verfolgen, und Abweichungen sind anhand der Varianz der Spektren frühzeitig zu erkennen.</p>


<h2>Process Analytical Technolgies</h2>
<p>Online- oder Inline-Prozesskontrolle nutzt die chemische Industrie bereits seit etwa 100 Jahren. Ihre Vorteile gegenüber der klassischen Offline-Laboranalytik sind in der Prozessidustrie also nicht erst seit der PAT-Initiative (Process Analytical Technologies) der US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA aus dem Jahr 2004 bekannt (http:// <a href="https://delivr.com/2csqm" target="_blank">delivr.com/2csqm</a>):<sup>1</sup> Anstelle der herkömmlichen Stichprobenanalytik im Labor erreicht die Online-Analytik eine kontinuierliche Produktkontrolle, die in Echtzeit auch automatisiert auf Schwankungen reagieren und somit eine gleich bleibende Produktqualität sicherstellen kann.<sup>2</sup> Ziel der FDA für die Pharmaproduktion ist der Wandel weg von der Endkontrolle des Produkts hin zum vollständig verstandenen Prozess, wobei durch die Kontrolle eines jeden Prozessschritts die Endkontrolle des Produkts entfallen kann (Quality by Design, QbD<sup>3</sup>). Prozessanalytische Techniken sind ein Eckpfeiler auf diesem Weg zur prozessorientierten Produktion. Auch die chemische Industrie geht weg vom Online-Monitoring einzelner Analyten hin zum Verständnis des gesamten Prozesses.</p>



<ul>
<li>
<sup>1 </sup>

 Guidance for industry: PAT — A framework for innovative pharmaceutical development, manufacturing and quality assurance. s. l. : FDA, 2004.
</li>
<li>
<sup>2 </sup>


K. A. Bakeev (Hrsg.), 
<source>Process Analytical Technology, <publisher-name>Blackwell Publising</publisher-name>, <publisher-loc>Oxford</publisher-loc>, 2005.

</li>
<li>
<sup>3 </sup>

International Conference on Harmonisation of Tchenical Requirements for Registratione of Pharmaceuticals for Human Use Q8/Q9/Q10. ICH.
</li>
<li>
<sup>4 </sup>


T. Beuermann, 
R. Wittwer, 
M. Wohlfarth, 
<source>GIT Labor Fachzeitschrift, 
8/2004, 
48, 
747.

</li>
<li>
<sup>5 </sup>

 
T. Næs, 
T. Isaksson, 
T. Fearn, 
T. Davies, 
<source>A User-Friendly Guide to Multivariate Calibration and Classification, <publisher-name>NIR Publications</publisher-name>, <publisher-loc>Charlton</publisher-loc>, 2002.

</li>
<li>
<sup>6 </sup>


W. Kessler, 
<source>Multivariate Datenanalyse für die Pharma-, Bio- und Prozessanalytik, <publisher-name>Wiley-VCH</publisher-name>, <publisher-loc>Weinheim</publisher-loc>, 2007.

</li>
</ul>


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