Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Rotoren zu Aromaten

Nachrichten aus der Chemie, Dezember 2024, S. 37-39, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Chemische Recyclingverfahren wie die Pyrolyse mit anschließendem Aufbereiten der Pyrolyseöle zerlegen Kunststoffe in ihre chemischen Bestandteile. Sie lassen sich wieder in den Produktionskreislauf zurückführen. Das soll nun sogar bei Verbundwerkstoffen möglich werden.

Ein Augenmerk beim chemischen Recycling liegt auf Verpackungsabfällen. Dafür gibt es erste Anlagen im industriellen Maßstab. Dagegen bleibt es problematisch, Verbundwerkstoffe wiederzuverwerten, etwa Elektronikschrott, Bauteile mit glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) von Windenergieanlagen und Wärmedämmverbundsysteme. All diese Materialien enthalten viele Komponenten, sodass sie kaum effizient und vollständig zu recyceln sind.

Das Aufkommen an Elektronikschrott erreicht in Europa regelmäßig neue Höchststände, was für Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen mit steigendem Aufwand für Sammeln, Behandeln und Verwerten verbunden ist. In Europa fielen im Jahr 2021 mehr als fünf Millionen Tonnen Elektronikschrottabfälle an; das sind circa 15 Kilogramm pro Einwohner und Jahr – Tendenz steigend.1) Insbesondere das Trennen von Elektronikbauteilen sowie Kabeln und Kunststoffen bringt konventionelle Recyclingtechniken an ihre Grenzen; daher wird ein Großteil der Abfälle exportiert oder thermisch verwertet – also verbrannt.

Für die Windenergie

In Windenergieanlagen sind derzeit weltweit 2,5 Mio. Tonnen Verbundwerkstoffe verbaut. Mit Lebenszeitende der Anlagen sind in den nächsten Jahren signifikante Mengen an glas- und carbonfaserhaltigen Abfällen zu erwarten.

In Deutschland werden in den nächsten Jahren etwa 25 000 Tonnen Rotorblattmaterial pro Jahr anfallen, was sich bis zum Jahr 2040 verdreifachen könnte. Europaweit geht man bis zum Jahr 2040 von circa 400 000 Tonnen pro Jahr aus.2) Die in speziellen Harzen eingebetteten Glas- und Carbonfasern lassen sich mechanisch nicht von den Harzen trennen und daher derzeit nicht stofflich verwerten.

Für die Wärmedämmung

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 36,7 Quadratkilometer Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) für Gebäude verkauft. Der Anteil blockgeschäumten Polystyrols (EPS) betrug dabei zirka 55 Prozent.3) Im gleichen Jahr fielen 212 500 Tonnen WDVS als Abfall an,4) wovon EPS-Systeme 117 000 Tonnen ausmachten. Die rückgebauten EPS-Systeme enthalten zudem Putz, Armierungsmörtel und -gewebe, etwa Glasfasern.5) Aufgrund der bromierten Flammschutzmittel in WDVS enthalten sie zudem in der Regel bis zu zwei Prozent Brom.6)

Die Mischung aus EPS und Mineralien sowie der Bromgehalt verhindern bisher das Recycling. Entsprechend werden WDVS in der Regel energetisch verwertet.

Chemisches Recycling

Chemisches Recycling von Stoffströmen aus der Windenergie- und Wärmedämmindustrie kann ein hohes Ressourcenpotenzial erschließen, und zwar für die Defossilisierung der chemischen Industrie sowie das Recycling von Metallen, Glasfasern und Recyclingbaustoffen. Indem der Kunststoffanteil der Verbundwerkstoffe in ihre chemischen Grundbestandteile zerlegt und als Ersatz für Zwischenprodukte aus fossilem Rohöl wieder in den Produktionskreislauf zurückgeführt wird, lassen sich Ressourcen sparen. Zusätzlich sinken CO2-Emissionen, wenn die Abfälle nicht verbrannt werden. Der von Kunststoffen befreite Materialanteil (Metalle, Glasfasern und Mineralien) geht ebenfalls in die Wertschöpfungskette zurück.

Es ist daher essenziell, die Entwicklungsaktivitäten zum chemischen Recycling auf diese Materialien auszuweiten, um deren Ressourcenpotenzial auszuschöpfen (Abbildung S. 37).

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Der Recyclingprozess, um Rohstoffe aus Verbundmaterialien zu gewinnen. Grafik: Fraunhofer Umsicht

Testen und optimieren

Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) aus Sulzbach-Rosenberg hat pyrolysebasierte Verfahren entwickelt, um Grundchemikalien aus Verbundstoffen zu gewinnen. So erhalten sie beispielsweise aus Elektronikschrott, Rotorblättern von Windenergieanlagen (WEA) und WDVS Chemikalien wie Benzol, Toluol, Xylole (BTX), Styrol und Phenole in Industriequalität (Kreisdiagramme oben).

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Basischemikalien wie Xylole (BTX) im Pyrolyseöl von Elektronikschrott, Rotorblättern von Windenergieanlagen und Wärmedämmverbundsystemen. Quelle: Fraunhofer Umsicht

Dabei testen und optimieren die Forschenden neben der Pyrolyse vor allem Aufbereitungsschritte wie Destillieren, Hydrieren und ab- oder adsorptive Verfahren. Diese aufeinander abgestimmten Techniken ermöglichen es dann, Rohstoffe aus bisher unbrauchbaren Abfallprodukten zu gewinnen und sie wieder in den Produktionskreislauf einzuführen.

Besonderes Augenmerk legen die Forschenden auf Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Verfahren. Dies schließt insbesondere Gefährdungen in der direkten Umgebung der Anlagen aus.

Zusammen Hürden überwinden

Verglichen mit chemischem Recycling von Verpackungsabfällen gibt es bei Verbundwerkstoffen derzeit noch Probleme mit den Anlagen und deren Betrieb sowie damit, belastbare ökonomische und ökologische Daten bereitzustellen. Nur damit ließe sich eine kommerzielle Verwertung der Verbundwerkstoffe ermöglichen. Zu den Herausforderungen zählen der hohe Anteil bromierter Flammschutzmittel und eingearbeiteter anorganischer Materialien sowie politische und genehmigungsrechtliche Hürden für den Betrieb. Dazu zählt beispielsweise die Rechtsprechung in der Chemikalien- und Abfallgesetzgebung im Umgang mit Schadstoffen wie Flammschutzmitteln, blei- und cadmiumbasierten Additiven oder Titandioxid.

Das Fraunhofer-Institut hat für solche Abfallströme im Kilogrammmaßstab gezeigt, dass sich die technischen Herausforderungen bei der Produktqualität lösen lassen (Abbildung oben). Zu den Ergebnissen gehören Industriespezifikationen für den Bromgehalt der Produkte und Lösungen für die Anlagentechnik – etwa wie sich faserförmige Materialien befördern lassen. Zusammen mit Partnern aus den jeweiligen Branchen entwickelt das Institut die Verfahren weiter und begleitet die Skalierung und Kommerzialisierung der Prozesse.

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Technikumshalle. Hier forschen und entwickeln Mitarbeitende bei Fraunhofer Umsicht in Sulzbach-Rosenberg zu thermochemischen Konversionsverfahren wie Vergasung oder Verbrennung und zu Downstreamprozessen, also der Aufarbeitung der Produkte. Abbildung: Fraunhofer Umsicht

Mit fünf weiteren Fraunhofer-Instituten, die zum Kunststoffrecycling forschen, entstand das Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy (CCPE). Dort werden technologieübergreifend Recyclingverfahren für kunststoffhaltige Abfälle entwickelt und optimiert. Unter anderem werden Recyclingkaskaden getestet, die verschiedene „Advanced Recycling“-Techniken kombinieren, um so Synergien zwischen Prozessen zu erzielen – etwa zwischen werkstofflichen und thermochemischen.

AUF EINEN BLICK

Verbundwerkstoffe bestehen aus mehreren Komponenten, sind deshalb schwer zu recyceln und werden größtenteils verbrannt.

Hunderte Tonnen Abfall von Wärmedämmverbundsystemen und Windanlagen fallen in Deutschland pro Jahr an.

Ein Pyrolyseverfahren des Fraunhofer-Instituts Umsicht gewinnt unter anderem Xylole und Phenole aus Verbundstoffabfällen zurück.

Die Autoren

Tobias Rieger, Thomas Fehn und Alexander Hofmann haben den Artikel verfasst. Der promovierte Chemieingenieur Rieger arbeitet in der Abteilung Advanced Carbon Conversion Technologies beim Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht). Der promovierte Prozessingenieur Fehn ist dort Gruppenleiter Chemisches Recycling und Downstreamprozesse. Der promovierte Chemiker Hofmann leitet die Abteilung. umsicht-suro.fraunhofer.de

  • 1 Eurostat, the statistical office of the European Union, Elektro- und Elektronikgeräte-Abfall (WEEE) nach Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen – offener Anwendungsbereich, 6 Produktkategorien (ab 2018) 2020
  • 2 M. Schmid, N. G. Ramon, A. Dierckx, T. Wegman, Accelerating Wind Turbine Blade Circularity, WindEurope – Cefic – EuCIA 2020
  • 3 VDPM Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel, Historischer Einbruch bei der Fassadendämmung 2023
  • 4 Statistisches Bundesamt, Abfallentsorgung 2021, EVAS-Nummer 32111 2023
  • 5 T. Fehn, S. Wolf, A. Schreiber, U. Teipel, Chem. Ing. Tech. 2021, 93, 1792
  • 6 G. H. Gao, P. Helm, S. Baker, C. M. Rochman, ACS EST Water 2023, 3, 876

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