Blickpunkt Prozess

Die Erfahrung aus den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass mit neuen Technologien die Materialdiversität steigt und besonders Hightech-Produkte immer mehr der verfügbaren chemischen Elemente benötigen. Gleichzeitig wachsen die Erdbevölkerung und die Zahl an Industrieländern mit hohem Rohstoffbedarf. Demgegenüber sind die Lagerstätten von wichtigen Mineralien und Erzen endlich, und deren Abbau wird bei sinkenden Ausbeuten zunehmend komplizierter. Und auch während des Lebenszyklus von Produkten und bei deren Aufarbeitung gehen Ressourcen infolge Dissipation verloren, so dass es immer schwieriger wird, die rohstoffarmen Länder der EU mit bezahlbaren Rohstoffen zu versorgen. Rohstoffversorgung wird zu einer globalen wirtschaftlichen wie politisch-gesellschaftlichen Herausforderung.
Die chemische Reaktions- und Verfahrenstechnik wird dazu beitragen müssen, dass Rohstoffe effektiver genutzt werden können. Neben ressourcenschonenden Herstellverfahren verlangt dies neue effiziente, ökologisch, ökonomisch und energetisch sinnvolle Trenn- und Aufbereitungstechniken. Ein wesentliches Ziel wird sein, in höherer Ausbeute mehr kritische Elemente, Verbindungen oder besser noch Komponenten aus Abfällen aller Art und aus Elektroschrott in Primärrohstoff-Qualität wiederzugewinnen. Im Sinne einer wirtschaftlichen und ressourcenschonenden Verfahrensweise muss schon beim Produktdesign berücksichtigt werden, dass kritische Rohstoffe nach der Produktnutzungsphase in guter Qualität wiederzugewinnen sind (Design for Recycling). Hier wird ein neues fachübergreifendes Denken und Handeln entstehen, zu dem die Prozesschemie einen wichtigen Beitrag leisten kann und muss.
Prof. Gerhard Sextl Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg


Blickpunkt Prozess
Bioprozesse
1035 Biosprit aus Algen
Michael Groß
Auf der Suche nach einem konkurrenzfähigen Produktionsweg.
Bioprozesse
1037 Biobasiert, bioabbaubar oder beides
Constance Ißbrücker, Hasso von Pogrell
Über Biokunststoffe, die weder die etablierten Entsorgungswege konventioneller Kunststoffe noch den Anbau von Nahrungsmitteln stören.
Prozesswirtschaft
1040 Abläufe in der Biotechindustrie
Holger Bengs
Mehr Miteinander von Groß und Klein sowie schnellere Innovationen statt nur Inventionen.
Prozesswirtschaft
1042 Pilot für Polymere
Mathias Stühler
Scale-up für die Produktion von Copolymeren für optische Anwendungen.
Prozesswirtschaft
1044 Science Campus, Innovation Compass und eine Sonderschau
Maren Bulmahn
Kunststoffproduktion auf der Messe K 2013.
Prozessanalytik
1046 Zellfabriken unter Beobachtung — NIR-Spektroskopie im Bioprozess
Roland Bienert, Christian Grimm
1050 Neue Produkte
Titelbild: Citralanlage in Ludwigshafen (Foto: BASF)

Artikel

Ressourcen gebrauchen

Die Erfahrung aus den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass mit neuen Technologien die Materialdiversität steigt und besonders Hightech-Produkte immer mehr der verfügbaren chemischen Elemente benötigen. Gleichzeitig wachsen die Erdbevölkerung und die Zahl an Industrieländern mit hohem Rohstoffbedar...

Konventioneller Biosprit hat mehrere Nachteile: Beim Bioethanol aus Maisstärke oder Zucker schlagen vor allem die geringe Energiedichte, die Gefahr der Verwässerung, die begrenzte Kompatibilität mit Motoren und Infrastrukturen, die für Benzin entwickelt wurden, sowie die Konkurrenz mit der Lebensmittelherstellung um landwirtschaftliche Flächen zu Buche. Biodiesel aus Raps oder anderen Ölpflanzen ist immerhin ein Produkt, das sich in die Infrastruktur einfügt, aber der großflächige Anbau für diesen Zweck verdrängt die Lebensmittelproduktion.
Algen als Biospritproduzenten können im Prinzip diese Probleme vermeiden. Algen liefern Lipide, die in Raffinerien genauso wie Erdöl zu verarbeiten sind. Zudem lassen Algen sich in Fermentern oder in künstlichen Teichen auf landwirtschaftlich nicht nutzbaren Flächen oder im Meerwasser züchten, wo sie nicht mit der Landwirtschaft zur Lebensmittelproduktion konkurrieren.
Aufgrund solcher Überlegungen gab es vor etwa fünf Jahren einen Boom im Algengeschäft. Viele Ölfirmen und die US-Regierung investierten in kleine Firmen mit auf Algen basierenden Biospritstrategien. Doch inzwischen ist die Euphorie verflogen. Untersuchungen zeigen, dass jeder Bereich der Algentechnik noch verbessert werden muss, bevor der grüne Kraftstoff zu konkurrenzfähigen Preisen verkauft werden kann.1 Selbstverständlich hängt das wirtschaftlich vertretbare Preisniveau direkt vom Weltmarktpreis des Rohöls ab.


<h2>Algen als Endstufe</h2>
Unternehmen, die bereits Algensprit verkaufen, haben Kompromisse geschlossen und nur einen Teil der Vorteile ausgeschöpft. Das Unternehmen Solazyme aus San Francisco hat zum Beispiel im vergangenen November Algendiesel auf den US-Markt gebracht. Aber der Beitrag der Algen besteht nur darin, dass sie Kohlenhydrate in Lipide umwandeln. Der aus Umwelt- und Klimagründen wichtigere Schritt — die Umwandlung von Kohlendioxid in Kohlenhydrate durch Photosynthese — bleibt Landpflanzen, etwa dem Zuckerrohr überlassen.
Das Verfahren mag zwar wirtschaftlich sein und vielleicht sogar einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten, aber das fundamentale Problem der Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion können die Kalifornier nicht lösen, solange sie ihren Algen Zucker verfüttern. Denkbar wäre, dass sie ihr Verfahren auf landwirtschaftliche Abfälle umstellen, die vor allem aus Cellulose bestehen. Die für Menschen nicht verdauliche Cellulose zu knacken, ist eine der großen Herausforderungen für die nächste Generation der nachhaltigen und sozialverträglichen Biokraftstoffe. Um die Polysaccharide der Cellulose enzymatisch zu Monosacchariden hydrolysieren zu können, muss man sie vom Lignin trennen, das den Verdau behindert — auch dazu leisten Algen zumindest bisher keinen Beitrag.


<h2>Standort Wüste oder Meer?</h2>
Ein Grund, warum die Photosynthese der Algen Schwierigkeiten bereitet, ist die benötigte Oberfläche. In einem dicht besiedelten Gewässer bekommen nur die zuoberst angesiedelten Algen genügend Licht. Um wirtschaftlich ergiebige Mengen an Algen zu züchten, wären riesige Flächen nötig.
Das Unternehmen Sapphire Energy aus Los Angeles züchtet Algen und Cyanobakterien in der Wüste von New Mexico, in einer Forschungsanlage in Las Cruces (Abbildung 1, S. 1035). Das Unternehmen betreibt außerdem seit Mai 2012 eine Bioraffinerie. Die Produktion soll sich bis zum Jahr 2015 auf 100 Barrel grünes Rohöl pro Tag ausweiten und bis 2018 kommerzielles Niveau erreichen.
Die Algen im Meer zu züchten ist ein anderer Ausweg (Abbildung 2). Das hawaiianische Unternehmen HR Biopetroleum und der Ölmulti Shell gründeten Cellana mit einer Pilotanlage an der Küste der Hauptinsel Hawaiis. Zwar ist es der Preis für deren Algentreibstoff noch nicht konkurrenzfähig, doch das Unternehmen will die Bilanzen mit Nebenprodukten wie Omega-3-Fettsäuren aufbessern. Shell hat sich aus dem Unternehmen vor einigen Jahren verabschiedet; vor kurzem schloss Cellana aber einen Vertrag mit der finnischen Ölfirma Neste, die Algenöl im industriellen Maßstab abnehmen und in ihre Raffinerieprozesse einspeisen will.


<h2>Extraktion: trocken oder nass?</h2>
Sind die Algen erst einmal gewachsen, stellt sich die Frage, wie ihnen das angereicherte Öl zu entziehen ist. Eine etablierte Methode ist die Extraktion aus getrockneten Algen mit einem Lösungsmittel wie Hexan, aber die Trocknung ist energieaufwendig und kann die Kostenbilanz des Gesamtprozesses in die roten Zahlen treiben.
Neuere Arbeiten haben Hydrothermalprozesse vorgestellt, die mit nassen Algen arbeiten. Diese Prozesse beruhen im wesentlichen darauf, dass die Öle bei hoher Temperatur und hohem Druck (300 °C, 86 bar) wasserlöslich werden.
Bei niedrigeren Temperaturen, um 200 °C, bilden die Lipide einen festen Rückstand, ähnlich der Pflanzenkohle (biochar), der sich auch zu Diesel umestern lässt. Bei 300 bis 350 °C entsteht Algenrohöl, das in die Raffinerie einzuspeisen ist.
Allerdings gilt es hier immer noch, den Energieverbrauch zu optimieren. Auch andere Parameter wie der Anteil an Heteroatomen im extrahierten Rohöl stellen die Entwickler vor Probleme.2


<h2>Exotische Alternativen</h2>
Wenn die kleinen grünen Algen es nicht schaffen, Treibstoff zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zu liefern, vielleicht können ja die großen braunen Algen, auch Seetang genannt, weiterhelfen? Diese werden bereits in mehreren Ländern (etwa Japan, Russland, China, Korea, Frankreich) kommerziell angebaut, sowohl für Viehfutter als auch zum menschlichen Verzehr.
Braunalgen stellen Polysaccharide her, die im Gegensatz zu denen der faserigen Teile von Landpflanzen kein Lignin enthalten und somit leichter zu Zucker zu fermentieren sind. Ganz so leicht geht es allerdings auch wieder nicht, denn das Hauptkohlenhydrat Alginat ist für die üblichen Labororganismen wie Bierhefe unverdaulich.
Aber die Arbeitsgruppe von Yasuo Yoshikuni am Bio Architecture Lab in Berkeley, CA/USA, hat Coli-Bakterien mit einem Gen aus dem Bakterium Vibrio splendidus in die Lage versetzt, Alginat zu verdauen. Durch weitere Gentransfers vervollständigten die Forscher einen Stoffwechselweg, der vom Alginat direkt zu Ethanol führt.3
In Laborexperimenten mit der Braunalge Saccharina japonica produzierten die Forscher bis zu 281 Gramm Ethanol pro Kilogramm Algentrockenmasse. Dies entspricht etwa 80 % der theoretisch möglichen Ausbeute bei Umwandlung aller Kohlenhydrate.
Da in diesem Gebiet noch so viele Fragen offen sind, haben auch exotische Alternativen eine Chance. Diatomeen (Kieselalgen) wären zum Beispiel nicht unbedingt die erste Organismengruppe, die dafür ins Auge zu fassen wäre, da ihr Bedarf an Silikat die Kultivierung kompliziert. Allerdings kommt zumindest eine Diatomeenart, Phaeodactylum tricornutum, ohne Silicium aus. Forscher wie Mark Hildebrand in Kalifornien (Scripps Institution for Oceanography) und Tsuyoshi Tanaka von der Universität in Tokio bemühen sich derzeit, Verfahren für die Gewinnung von Biokraftstoffen aus Diatomeen zu entwickeln.
In Fermentern oder Teichen züchten lässt sich ebenso die Wasserlinse (Lemna minor) — auch diese hat ihre Anhänger in der Biospritgemeinde.4 Das europäische in Leipzig angesiedelte Projekt Empower entwickelt zum Beispiel Verfahren, um Bioethanol aus der Wasserlinse zu gewinnen. Der hat dann wieder die eingangs erwähnten Kompatibilitätsprobleme, aber immerhin nimmt er niemandem sein Essen weg.
Michael Groß ist freier Wissenschaftsautor in Oxford, England. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a></ext-link>



<ul>
<li>
1 

 
D. L. Sills, 
V. Paramita, 
M. J. Franke et al., 
<source>Environ. Sci. Technol. 
(2013), 
4, 
687–<lpage>694.</lpage>
</li>
<li>
2 

 
A. J. Wargacki, 
E. Leonard, 
M. Nyan Win et al., 
<source>Science 
(2012), 
335, 
308.
</li>
<li>
3 

 
P. E. Savage, 
<source>Science 
(2012), 
338, 
1039.
</li>
<li>
4 


R. C. Baliban, 
J. A. Elia, 
C. A. Floudas et al., 
<source>Ind. Eng. Chem. Res. 
(2013), DOI: 10.1021/ie3034703. 

</li>
</ul>

Artikel

Ressourcen gebrauchen

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...