Gesellschaft Deutscher Chemiker

Fleischalternativen

Pflanzliche Protein prüfen

Nachrichten aus der Chemie, September 2024, S. 37-39, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Weil sich immer mehr Menschen rein pflanzlich oder mit weniger Fleisch gesund ernähren möchten, entwickeln Unternehmen Produkte mit Proteinen etwa aus Hülsenfrüchten, Sojabohnen oder Mais. Ein Fraunhofer-Datenbankprojekt soll dabei die richtige Kombination finden helfen.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, „bunt und gesund zu essen und dabei die Umwelt zu schonen“, und zwar mit einer pflanzenbetonten Ernährung. Stärker als bisher hebt sie Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen hervor, zudem Nüsse. Einen Proteinmangel gibt es in Deutschland der DGE zufolge nicht. Demnach reichen wöchentlich maximal 300 Gramm Fleisch und Wurst und das klassische Frühstücksei.

Ob Menschen sich pflanzenbetont oder tierproduktfrei ernähren wollen – die Lebensmitteltechnik sieht je nach Esstyp Chancen für pflanzenbasierte Proteine (Kasten S. 38). Ausgangsstoffe sind meist Soja, Weizen und Erbse. Generell haben Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen zusätzliche Vorzüge. Zum Beispiel binden sie Stickstoff im Boden, sodass sich Düngen erübrigen kann.

Esstypen: Alles, flexibel oder vegan speisen?

Den Proteinbedarf decken heute im Wesentlichen Lebensmittel tierischen Ursprungs. Schwein, Rind, Hähnchen, Milch und Eier stoßen jedoch bei immer mehr Menschen auf Vorbehalte. Manche sorgen sich um das Tierwohl, andere um das Klima, wieder andere um die eigene Gesundheit. Viele möchten sich vegetarisch oder vegan ernähren oder zumindest ihren Fleischkonsum einschränken. So gibt es etwa Flexitarier, die sich bewusst ernähren und dabei wenig Fleisch essen.

Der Esstyp „echte Allesesser“ (real omnivore) will sich ausgewogen und nachhaltig ernähren, dabei jedoch auf nichts verzichten. Diese Grundhaltung besteht oft in der Generation Z, den Geburtsjahrgängen 1995 bis 2009. Zudem sind diese Konsument:innen technikaffin. Wer mit Computer und Handy, Instagram und Youtube aufgewachsen ist, erwartet besonders viel von Technik. Das verheißt der Lebensmitteltechnik (Food Tech) eine große Zukunft.

Präexperimentelle Entwicklung

Für ein neues Produkt bieten sich Proteine aus unterschiedlichen Pflanzen an. Damit sich die richtigen Zutaten für Fleisch- oder Milchproduktalternativen mit bestimmten Eigenschaften finden lassen, baut das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (Fraunhofer IVV) mit elf Industriepartnern und drei Hochschulen eine Proteindatenbank auf.1)

Hier sollen Produktentwickler zu einer bestimmten Zutat, beispielsweise einem speziellen Erbsenproteinisolat, die für sie entscheidenden Eigenschaften finden: Proteingehalt, Löslichkeit, emulgierende Eigenschaften und Farbe. Für einen pflanzlichen Drink lässt sich in der Datenbank etwa ein Proteingehalt von 80 Prozent im Isolat vorgeben, die Proteine sollen gut löslich sein und emulgieren sowie eine helle (milchartige) Farbe ergeben (Abbildung oben). Zudem enthält die Datenbank Angaben zu sensorischen Eigenschaften, also etwa Geruch, Geschmack, Textur in Wasser und in Emulsion. Schließlich soll ein Drink etwa aus Erbsenproteinisolat weder bitter noch zu stark nach Erbsen schmecken.

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Milch aus Sonnenblumenkernen, Mandeln, Haferflocken oder Erbsen. Für eine kuhmilchähnliche Proteinzusammensetzung und Farbe müssen die Rohstoffe gemischt werden. Foto: Fraunhofer IVV

Eine wichtige Information ist das Aminosäureprofil der proteinhaltigen Lebens- oder Futtermittelzutaten. Denn mit nur einem Hülsenfruchtproteinisolat lässt sich nicht das gesamte Spektrum an Aminosäuren nachbilden, wie es in Fleisch enthalten ist. Die Kombination macht’s: Ein Hülsenfruchtisolat wird beispielsweise um eines aus Getreide ergänzt, etwa Linsen mit Reis oder Erbsen mit Weizen.2)

Zudem ist ein indikativer (abschätzbarer) CO2-Fußabdruck in der Proteindatenbank vorgesehen. Diesen entwickelt zurzeit das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung.

Ein Hauptaugenmerk der Datenbankentwicklung liegt auf analytischen Methoden. Denn nicht alles ist so standardisiert wie das Bestimmen des Proteingehalts oder der Farbe. Für Eigenschaften wie die emulgierende Wirkung oder die Proteinlöslichkeit abhängig vom Salzgehalt haben die Projektpartner industrierelevante Methoden entwickelt; sie machen die Ergebnisse verschiedener Labore vergleichbar.

Zurzeit arbeitet das Team um Susanne Gola vom Fraunhofer IVV daran, die Datenbank zu veröffentlichen. Dann können Anwender in der Lebensmittelindustrie nach bestimmten Proteinen suchen oder Proteinkombinationen berechnen. Einstweilen greifen Produktentwickler auf wissenschaftliche Publikationen zurück, die rund um das Projekt entstanden sind. In der Pipeline befindet sich zurzeit eine Veröffentlichung, die neue Erkenntnisse zur Kombination von Erbsen-, Ackerbohnen- und Sojaproteinen zeigt.

Israel liegt vorn

Europa startet bei alternativen pflanzlichen Proteinen aus dem Mittelfeld, da andere Regionen sich einen Vorsprung erarbeitet haben. Zum Beispiel liegt Israel bei Produktion und Vermarktung weit vor den EU-Mitgliedstaaten.3)

Eine Hürde kann für die hiesigen Lebensmittelhersteller die Novel-Food-Verordnung sein.4) Gegebenenfalls müssen pflanzliche Proteine als neuartige Lebensmittel zugelassen werden. Namentlich nennen die EU-Durchführungsbestimmungen dieser Verordnung unter anderem Kartoffelproteine (koaguliert) und daraus hergestellte Hydrolysate, Rapssamenprotein und getrocknetes Fruchtfleisch von Adansonia digitata (Affenbrotbaum, Baobab). Ausnahmen gelten lediglich dann, wenn das betreffende Produkt schon vor dem Jahr 1997 „in erheblichem Maß“ konsumiert wurde.

Wachstum in Westeuropa

Trotz der Hemmnisse durch Verordnungen dürfte der Markt für alternative pflanzliche Proteine in Westeuropa in den nächsten Jahren um etwa zehn Prozent pro Jahr wachsen. Der Einzelhandel in Deutschland, Österreich, Holland und Belgien treibt diese Entwicklung voran, indem er Produkte zu ähnlichen Preisen wie Fleisch anbietet, darunter Lidl. Denn Nährwert und Preis sind wichtige Kaufkriterien.

Ein weiterer Trend geht zu größeren Stücken wie einer vegan nachgeahmten Hähnchenbrust (whole cut, Abbildung links)5) und zu hybriden Produkten. Diese enthalten beispielsweise ein Gemisch aus 40 Prozent Fleisch und 60 Prozent texturierten Proteinen auf Erbsenbasis (meat extender). Das macht das Produkt günstiger – ohne Einbußen beim Geschmack. Mit speziellen Formsystemen lassen sich Fettmassen in die pflanzlichen Proteinmassen einarbeiten, etwa mit dem Formsystem FME 570 der Biberacher Maschinenfabrik Albert Handtmann. Vegetarier werden ein solches Hybridfleisch nicht akzeptieren, doch im Markt der Flexitarier können Hersteller und Händler damit punkten.

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Vegan nachgeahmtes Hähnchenbrustfilet. Basierend auf pflanzlichen Proteinen imitiert es Textur, Biss und Geschmack von Fleisch tierischen Ursprungs. Foto: Planty of Meat

Bei der Zusammensetzung des Endprodukts geht der Trend weg vom Zusatzstoff Methylcellulose (E 461). Dieses aus Pflanzenfasern hergestellte Dickungs- und Geliermittel verklebt zurzeit noch vegane Würstchen und stabilisiert schaumige Dessertfüllungen. Es steht etwa in sozialen Medien im Verdacht, krebserregend zu sein. Ein Lebensmitteltechniker der Hamburger Verbraucherzentrale sieht Süß- und Farbstoffe oder Geschmacksverstärker kritischer als Methylcellulose. Grundsätzlich könne es den Darm schädigen, häufig hochverarbeitete Lebensmittel zu sich zu nehmen. Für Bioprodukte ist nach EG-Öko-Verordnung Methylcellullose wie andere Zusatzstoffe verboten.

Industrielle Nebenströme

Attraktiv erscheint im Sinn einer Kreislaufwirtschaft, Produktionsnebenströme für Produkte mit alternativen pflanzlichen Proteinen zu verwenden. Ein Beispiel ist Biertreber. Dieser besteht aus dem ungelösten Anteil des Gersten- oder Weizenmalzes, der beim Läutern der Maische nach Abtrennen der Würze anfällt.6)

Mit Extrusion reichert dieser Nebenstrom proteinreiche Texturate mit Faserstoffen an; dies erhöht den ernährungsphysiologischen Wert der Produkte. Bei der Low-moisture-Extrusion entstehen aus einer Proteinquelle und dem Biertreber texturierte und expandierte Produkte, die nach Trocknen lagerfähig sind. Das Texturat ist für alternative Produkte wie Hackfleischersatz einsetzbar (Hersteller: Circular Food Solutions, Händler: Migros).

Entwickelt wurde die Extrusion für texturierte Proteine schon in den 1960er Jahren. Damit sollten die Preise für Nebenströme der Sojaölgewinnung steigen, nämlich für den Sojapresskuchen.

Produktideen testen

Selbst unter Einrechnung der Verarbeitung und der dafür benötigten Energie ist ein Proteinersatzprodukt nachhaltiger als Fleisch. Die Effizienz entlang der Wertschöpfungskette sollte sich sogar noch steigern lassen. Auf die Sprühtrocknung, die für die Proteinisolatproduktion oft der Extrusion vorgeschaltet ist, lässt sich möglicherweise verzichten. Damit wäre ein energieintensiver Schritt gespart. Isolieren oder Fraktionieren der Proteine und die Extrusion am selben Standort machen Transporte überflüssig.

Es gibt Servicezentren für Produktentwickler: Fleisch auf Erbsenproteinbasis mit neuartiger Textur erzeugen? Alle unentbehrlichen Aminosäuren in einem Produkt vereinen? Einen Prozess effizienter gestalten? Dienstleister bieten dafür die Verarbeitungsverfahren, ermöglichen Experimente und komplette Prozess- oder Produktentwicklungen auf Basis des gemeinsamen Wissens, darunter der Schweizer Konzern Bühler (Foto oben).

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Mit einer Kühldüse (rechts) lassen sich zusammen mit einem Extruder (Mitte) Proteinprodukte aus Soja, Hülsenfrüchten oder Ölsaaten herstellen. Im Extrusions- und Proteinanwendungscenter entwickeln und validieren Kunden ihre Ideen zur Proteinverarbeitung für pflanzliche Lebensmittel wie Fleischersatz und Getränke zwischen 1 und 200 kg·h–1. Foto: Bühler

Die faserige Struktur tierischen Muskelgewebes ist über Proteinextrusion erreichbar. Im Servicezentrum lässt sich testen, wie Hitze- und Scherkräfte im Extruderlauf und Ausrichten der Proteinfasern in Düse oder Kühldüse proteinreiche Zutaten in eine fleischähnliche Matrix überführen.

Zudem lassen sich texturierte Proteine über eine High-moisture-Extrusion gewinnen. Kühldüsen und Geräte mit einer Durchsatzkapazität von 30 bis 50 Kilogramm pro Stunde unterstützen im Servicezentrum die Entwicklung und (Pilot-)Produktion. Ein Scale-up zur großtechnischen Produktion im Maßstab von 500 bis 1000 Kilogramm pro Stunde ist anschließend mit ähnlichen Geräten möglich.

Der Autor

Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.

  • 1 Fraunhofer IVV, t1p.de/c0x5i
  • 2 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Fragen und Antworten im Zusammenhang mit Fleisch- und Milchalternativen, t1p.de/qba1z
  • 3 Kompetenzzentrum für Ernährung an der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft (Hrsg.): Alternative Protein-Quellen. Literaturstudie zum aktuellen Forschungsstand, Freising 2022
  • 4 VO (EU) 2015/2283, t1p.de/t14cq
  • 5 planty-of-meat.de
  • 6 Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft: Biertreber, t1p.de/e3pqa

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