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Nachrichten aus der Chemie: Herr Franz, die GDCh hat soeben Carl Remigius Fresenius und sein Chemisches Laboratorium in Wiesbaden als “Historische Stätte der Chemie” ausgezeichnet. Er war einer der Begründer der chemischen Analytik und sah sie als Schlüsseldisziplin für den Fortschritt der gesamten Chemie. Hatte er damit recht?
Klaus-Dieter Franz: Vollkommen. Die Analytik ist einer der Innovationstreiber in der Industrie. Schon zu Fresenius' Lebzeiten und auch davor war das schon so. Nehmen wir Antoine Lavoisier, den man mit gutem Recht als ersten echten Chemiker bezeichnen könnte. Am Beispiel der Zusammensetzung des Wassers entwickelte er die Verknüpfung von geplanten Experimenten, präzise Durchführung mit hochwertigen Instrumenten, mit reproduzierbar messbaren Parametern und sorgfältiger Auswertung. Damit schuf Lavoisier Ende des 18. Jahrhunderts ein Verständnis chemischer Reaktionen durch analytische Methoden. Und sofort entstanden die ersten mehrstufigen chemisch-technischen Prozesse — beispielsweise das Leblanc-Verfahren zur Sodaherstellung.
Nachrichten: Die Analytik hat also aus der Alchemie erst die Chemie gemacht?
Franz: Ganz genau. Erst die analytische Information über Zusammensetzung und Aufbau der Substanzen brachte Licht in das Dunkel der bisherigen Spekulationen und Empirie, in diesem Sinne ist die Analytik eine Informationstechnologie. So hat es auch im Jahr 1994 eine Analytikergruppe um Kellner für die Iupac in der Edinburgh Definition formuliert.
Nachrichten: Und was bedeutet das für die Industrie?
Franz: Als Chemiker wandeln wir die natürlich vorkommenden Ressourcen in nützliche Produkte um, anders gesagt: “der Chemiker macht aus einem Klumpen Erde Gold” — in der Industrie heißt das Wertschöpfungskette. Und an jeder Stufe der Wertschöpfung ist die analytische Information wesentlich beteiligt: bei Forschung und Entwicklung, im Qualitätsmanagement, bei der Produktion und selbstverständlich schließlich bei der Zertifizierung. Dass analytische Spezifikation ein neues Geschäftsmodell sein kann, hat übrigens ein anderer Zeitgenosse von Fresenius schon erkannt, nämlich Heinrich Emanuel Merck.
Nachrichten: Inwiefern?
Franz: Er begann in Kooperation mit Justus von Liebig die industrielle Fabrikation chemischer Spezialitäten, beginnend mit Naturstoffextrakten. Das Entscheidende war aber, dass er seinen Kunden eine Garantie ausstellte: “Ich garantiere Ihnen stets die Reinheit meiner Präparate und übernehme jeden Nachteil, der Ihnen aus einem verunreinigten Präparat entstehen sollte”. Kunden kaufen nämlich nicht ein Produkt, sondern sie kaufen das, was das Produkt ihnen nutzt, wie ein Bonmot des Ökonomen Peter F. Drucker lautet. Die nutzbaren Produktfunktionen leiten sich aus der Spezifikation und dem Substanz-Eigenschafts-Profil ab. Und diesen Nutzen beziffert und garantiert die Analytik. Wenn es drauf ankommt, muss die Analytik im Zweifelsfall gerichtsfest sein. Denken Sie beispielsweise auch an Doping oder Forensik.
Nachrichten: Dass die Analytik für die Chemie und auch für die chemische Industrie eine wichtige Rolle spielt, wird niemand ernsthaft bestreiten. Fresenius' These aber, dass die Analytik den Fortschritt der Chemie erst ermöglicht, ist aber doch etwas gewagt.
Franz: Das sehe ich nicht so. Ein paar Jahre nach Fresenius' Tod wurde der erste Nobelpreis verliehen und die Nobelpreise sind ein Indikator dafür, dass Fresenius Recht hatte. Ich habe mir mal die naturwissenschaftlichen Nobelpreise von 1901 bis 2012 angeschaut. Es lassen sich ohne Mühe mindestens 50 gewürdigte Forschungsgebiete finden, die sich der Analytik zuordnen lassen. Die meisten dieser Forschungsfelder wurden Basis für erfolgreiche neue Industrien und auch Nobelpreisträger gehören zu erfolgreichen Firmengründern.
Nachrichten: Haben Sie da Beispiele?
Franz: Nehmen wir nur mal Manfred Eigen: Er erhielt 1967 den Nobelpreis für die Messung schneller Reaktionskinetiken und er gründete mit Evotec und Direvo zwei Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage Hochdurchsatzscreenings sind. Oder Phillip Allen Sharp, einer der Medizin-Nobelpreisträger des Jahres 1993 und Mitgründer von Biogen, Alnylam Pharmaceuticals und Magen Biosciences. Ohne die Bioanalytik gebe es heute keine Biotechbranche. Vor mehr als 40 Jahren, als ich studiert habe, wies man Proteine so nach: Sie haben ein Kaninchen durch den Fleischwolf gedreht, das Gemisch dialysiert, dünnschichtchromatographisch getrennt, mit einer Sprühdüse AgNO3-Lösung draufgeblasen und da, wo es schwarz wurde, war irgendein Protein. Mittlerweile sind wir da weiter.


<h2>Der Lohn der Analytik</h2>
Nachrichten: Mit Analytik lässt sich auch einiges an Geld verdienen?
Franz: Oh ja, denken Sie nur an das Institut Fresenius, heute als SGS Institut Fresenius Teil eines weltweiten Analytikdienstleisters mit über 75 000 Mitarbeitern weltweit. Innovative Geräteentwicklungen in der Analytik setzen sich ebenfalls schnell in erfolgreiche Geschäfte um: So hat vor beispielsweise Thermo Fisher die von Alexander Makaroff entwickelte Orbitrap, ein neuartiges, radiales elektrostatisches FT-Ionenfallen-Massenspektrometer, auf den Markt gebracht. Sie haben in den ersten Jahren mehrere hundert Geräte pro Jahr verkauft — für jeweils zirka eine halbe Million Euro. Da spricht man nicht mehr über Rabatte, sondern ob das Gerät in drei Monaten oder in einem halben Jahr geliefert wird.
Nachrichten: Und was sagt das Controlling zu so einer Aktion? Lohnt es sich denn für ein Unternehmen in Analytik zu investieren?
Franz: Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben und dann fehlt er woanders. Aber Analytik schafft nicht nur Wert, sondern frühe, präzise Analytik vermeidet auch späte kostspielige Fehler, beispielsweise bei Reklamationen oder Rückrufaktionen. An jedem Schritt der industriellen Prozesskette Forschung-Entwicklung-Produktion-Kunde-Recycling ist die analytische Information essenziell. Als Leiter der Zentralen Analytik sagte ich von Beginn an: Analytik bedeutet nicht nur Kosten, sondern auch Wert. Und da muss ich auch nochmal an die Wertschöpfungskette erinnern: Es ist erst die Freigabeanalytik, die einem Produkt einen Wert zuweist, ohne die Freigabe des Analytikers bei der Eingangs-, Chargen- und schließlich der Endprüfung eines chemischen Produkts kann es nicht verkauft werden — egal wie viel Arbeit diejenigen hineingesteckt haben, die es entwickelt und produziert haben.
Nachrichten: Hat sich die Rolle und das Selbstverständnis der Analytiker im Lauf der Jahre gewandelt?
Franz: Der größte Umbruch kam in den 1980er Jahren. Davor war die Analytik rein methodenorientiert, seit den 1990er Jahren wandelte sie sich zu der forschungs-, entwicklungs- und produktorientierten Querschnittsdisziplin, die sie heute ist. Nehmen wir Lithiumionenbatterien. Was passiert, wenn da die Qualitätskontrolle versagt, wie unlängst beim Boeing-Dreamliner geschehen? Nun, dann bleiben die Flieger halt am Boden. Mit ordentlicher Analytik wäre das nicht passiert. ≪


<h2>ZUR PERSON</h2>
Klaus-Dieter Franz, Jahrgang 1949, leitete von 1997 bis 2012 die Zentrale Analytik bei Merck, Darmstadt. Der promovierte Chemiker war seit dem Jahr 1982 bei Merck tätig.
In der GDCh engagiert er sich unter anderem als Mitglied der Fortbildungskommission sowie für die Fachgruppen Analytische Chemie, Festkörperchemie und Materialforschung sowie für die Wöhler-Vereinigung.

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