Wissenschaft + Forschung

Schon jetzt therapieren Ärzte photodynamisch. Dabei aktiviert Licht im Körper einen Wirkstoff, der Singulett-Sauerstoff erzeugen kann. Eine neue Variante der Lichttherapie, die photoaktivierte Chemotherapie, soll in Zukunft lichtempfindliche metallorganische Komplexe nutzen und Wirkmechanismen erschließen, die ohne Sauerstoff funktionieren.
Die bisher verfügbaren Methoden der photodynamischen Therapie konzentrieren sich auf Gewebe, die dem Licht besonders zugänglich sind und schonend behandelt werden müssen. Bei der altersbedingten Makuladegeneration etwa dient die photodynamische Therapie routinemäßig dazu, die neu gebildeten Blutgefäße zu veröden. Anwendungen gibt es auch für Krebserkrankungen wie Haut- und Speiseröhrenkrebs.Die photodynamische Therapie nutzt meist Porphyrinderivate als Photosensibilisatoren. Deren angeregter Zustand überführt Sauerstoffmoleküle durch Energieaustausch in den hochreaktiven Singulettzustand. Dieses Zellgift tötet etwa Tumorzellen.<h2>Von photodynamischer Therapie zu photoaktivierter Chemotherapie</h2>Um das Prinzip der Lichtaktivierung auf mehr Anwendungen auszuweiten, zum Beispiel auch ohne Sauerstoff, haben sich Forscher wie Sylvestre Bonnet von der Universität Leiden in den Niederlanden auf die Suche nach bestimmten lichtaktivierbaren Komplexen gemacht. Diese sollen direkt durch ihre Aufspaltung einen cytotoxischen oder in anderer Weise nützlichen Wirkstoff freisetzen.1)Angeregt haben diese Forschung gängige Medikamente der Chemotherapie wie Cisplatin. Werden diese Zellgifte im Körper verbreitet, haben sie erhebliche Nebenwirkungen. Diese ließen sich vermeiden, würden die Zellgifte in gebundener, weniger giftiger Form verabreicht und dann nur im Tumor selbst durch Licht aktiviert.Die Idee der gefesselten Wirkstoffe gibt es schon seit Ende der 1970er Jahre, doch damals war zur Entfesslung ultraviolettes Licht notwendig. Dieses wird von Biomolekülen stark absorbiert, dringt also nicht tief in Gewebe ein. Es kann sogar selbst Krebs auslösen, wie wir vom Hautkrebs wissen. Für medizinische Anwendungen ist deshalb die Aktivierung im sichtbaren, bevorzugt im roten oder sogar infraroten Bereich erforderlich.Inzwischen stellen anorganische und metallorganische Chemie eine Vielfalt von Komplexen bereit, die durch sichtbares Licht Liganden abspalten. Dabei kann der Ligand oder das Metallzentrum als aktivierter Wirkstoff dienen – in manchen Fällen treten sogar beide in Aktion.Eine Gruppe von Wirkstoffen für die photoaktivierte Chemotherapie (PACT) beruht auf den cytotoxischen Eigenschaften von Platin(II)- und Cobalt(II)-Verbindungen. Im reduzierenden Umfeld der Zelle entstehen diese durch lichtinduzierte Reduktion von Platin(IV)- beziehungsweise Cobalt(III)-Komplexen.Ganz ohne Redoxchemie kommt eine Gruppe von Wirkstoffen aus, bei denen lediglich ein organischer Ligand gegen ein Wassermolekül ausgetauscht ist. Hierfür kommen etwa Ruthenium-, Iridium-, Rhodium- und Rheniumkomplexe infrage.Als sie die cytotoxische Wirkung von drei solchen lichtaktivierten Rutheniumkomplexen untersuchte, fand Bonnets Arbeitsgruppe, dass nur in einem Fall der in der Zelle entstandene Ruthenium-Aqua-Komplex als Zellgift wirkt.2) Im zweiten Fall war der abgespaltene organische Ligand giftig, und bei der dritten Verbindung waren beide Reaktionsprodukte ungiftig.Zu den derzeit untersuchten Anwendungen der Lichtaktivierung zählen auch solche Reaktionen, bei denen die Lichtabsorption durch das Metallzentrum dazu führt, dass eine kovalente Bindung in den Liganden bricht. Zudem besteht die Möglichkeit, anorganische Liganden freizusetzen. Von Interesse wäre vor allem Stickstoffmonoxid NO, das als Signalstoff im Körper die Adern erweitert; aber auch geringe Mengen Kohlenmonoxid CO können medizinisch nützlich sein, wenn sie zielgenau eingesetzt werden.<h2>Klinische Anwendungen</h2>Nach Bonnets Meinung sollte sich die weitere Forschung in diesem Gebiet am konkreten medizinischen Bedarf orientieren. Statt sich neue Reaktionen auszudenken und dann für diese eine medizinische Anwendung zu suchen, will Bonnet mit seinem Team gezielt die Probleme angehen, die mit der verfügbaren photodynamischen Therapie (PDT) und anderen Methoden nur unzureichend behandelbar sind.Zu diesen Lücken gehört auch die Behandlung von Tumoren, in denen Sauerstoffknappheit (Hypoxie) herrscht. Diese Tumoren sind nicht mit PDT behandelbar, da diese Sauerstoff benötigt. Auch die Strahlenbehandlung funktioniert weniger gut ohne Sauerstoff, und die allgemeine Stressantwort der sauerstoffarmen Krebszellen verschlechtert die Prognose.Bei PACT-Verfahren ist Sauerstoff prinzipiell nicht erforderlich. Wie Bonnets Arbeitsgruppe vor zwei Jahren gezeigt hat, ist ein in einem Rutheniumkomplex gefesselter Enzyminhibitor nach seiner Freisetzung durch rotes Licht auch in sauerstoffarmen Krebszellen cytotoxisch, und zwar ebensosehr wie unter normalen Bedingungen.3)In dieser Arbeit richtete sich der aktive Wirkstoff gezielt gegen das Enzym Nicotinamid-Phosphoribosyltransferase (NAMPT), das Krebszellen oft verstärkt herstellen.Den Schritt von der Zellkultur im Reagenzglas zum erfolgreichen Tierversuch bewältigten die Arbeitsgruppen von Volker Mailänder und Si Wu am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz zusammen mit Bonnet und anderen: Sie demonstrierten die Lichtaktivierung eines Rutheniumwirkstoffs in hypoxischen Tumoren in Mäusen.4)In diesem Fall kamen gleich zwei Wirkstoffe zum Einsatz, da sich sowohl der entfesselte Rutheniumkomplex als auch der bei der Lichtreaktion abgespaltene Ligand in Zellkulturen als wirksame Zellgifte erwiesen hatten. Den inaktiven Vorläufer hatten die Forscher in dieser Untersuchung in Form von Polymermizellen verabreicht.<h2>Ein angenehmerer Zelltod</h2>Ein weiterer Unterschied zwischen PACT und der bisher verfügbaren PDT liegt in der Art und Weise, wie die Zellen getötet werden. Die reaktiven Sauerstoffspezies, die bei der PDT wirken, führen zur Nekrose, dem Zelltod durch Belastung von außen. Wenn ganze Gewebe oder etwa ein Tumor durch Nekrose absterben, kommt es zur Auflösung von Membranen und Entleerung der Zellflüssigkeit, was eine starke Immunantwort auslösen kann. Dies kann unter Umständen helfen, einem Rückfall vorzubeugen, aber auch starke Schmerzen verursachen.Bei PACT mit cytotoxischen Rutheniumkomplexen hingegen sterben die Zellen einen sanfteren Tod.5) Bonnets Arbeitsgruppe testete Tetrapyridylrutheniumkomplexe, deren zwei trans angeordnete freie Bindungsstellen an Biomoleküle binden und damit die toxische Wirkung auslösen. In der ungiftigen Vorläufersubstanz sind diese Stellen mit Liganden geschützt, die durch Bestrahlung mit grünem Licht abspalten. Bei Anwendung dieser Methode auf menschliche Krebszellkulturen bewirken die aktivierten Rutheniumkomplexe die Apoptose, also die programmierte Selbstzerstörung der Zelle.Zu den Hindernissen, die dem Erfolg der neuen Methode im Weg stehen könnten, zählt die skeptische Grundhaltung der Ärzteschaft gegenüber neuartigen Behandlungsformen. Bonnet müsse bei Vorträgen vor Medizinern gelegentlich seinen Finger mit dem Laserpointer durchleuchten – erst dies überzeuge die Skeptiker davon, dass Licht tatsächlich mehr als nur einige Millimeter Gewebe durchdringt.Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><h2>Quergelesen</h2>Lichtaktivierbare Komplexe entfalten ihre Wirkung nur an den Stellen, die bestrahlt werden. Das vermeidet unerwünschte Nebenwirkungen.Als Wirkstoff dienen Metallzentrum, Ligand oder beides.Derzeit interessieren sich Forscher unter anderem für solche Reaktionen, bei denen anorganische Liganden frei werden, etwa NO oder CO.<figure><img src="https://media.graphcms.com/r3SIh76Sqa7NTR57Tv1b"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Ein photoaktivierbarer Komplex der Arbeitsgruppe Bonnet. Lila: Ruthenium, grün: Schwefel, türkis: Kohlenstoff, grau: Wasserstoff, rot: Sauerstoff, dunkelblau: Stickstoff. Quelle: Arbeitsgruppe Sylvestre Bonnet</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/3vpJy1prR7Cj88AOChnR"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Typischer Versuchsaufbau, um nachzuweisen, dass ein Komplex photoaktivierbar ist. Ein Wasserfilter (Zylinder) trennt UV- und IR-Licht der Xenonlampe (links) ab. Dadurch erreicht nur weißes Licht den Komplex im Kolben (rechts) – dies gewährleistet, dass ausschließlich Licht die Reaktion auslöst und nicht Hitze. Foto: Sylvestre Bonnet</figcaption></figure>

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1 S. Bonnet, Dalton Trans. 2018, 47, 10330</li><li>
2 J.-A. Cuello-Garibo, M. S. Meijer, S. Bonnet, Chem. Commun. 2017, 53, 6768</li><li>
3 L. N. Lameijer, D. Ernst, S. L. Hopkins et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 11549</li><li>
4 W. Sun, Y. Wen, R. Thiramanas et al., Adv. Funct. Mater. 2018, 28, 1804227</li><li>
5 V. H. S. van Rixel, B. Siewert, S. L. Hopkins et al., Chem. Sci. 2016, 7, 4922</li></ul>

Artikel

Neue lichtaktivierte Wirkstoffe

Schon jetzt therapieren Ärzte photodynamisch. Dabei aktiviert Licht im Körper einen Wirkstoff, der Singulett-Sauerstoff erzeugen kann. Eine neue Variante der Lichttherapie, die photoaktivierte Chemotherapie, soll in Zukunft lichtempfindliche metallorganische Komplexe nutzen und Wirkmechanismen er...

PD Dr.

Warum Bismut? Weil es ein vielseitiges Schwergewicht ist, das sowohl in der Molekülchemie als auch in den Materialwissenschaften immer wieder überrascht, obwohl es seit Jahrhunderten genutzt wird.
Bismut, das Reinelement mit der Ordnungszahl 83, galt lange als schwerstes nicht radioaktives Element. Diese Annahme wurde im Jahr 2003 revidiert: 209Bi zerfällt mit einer Halbwertszeit von 1,9 · 1019 Jahren und emittiert α-Teilchen, wie Wissenschaftler am französischen CNRS nachwiesen.1) Aufgrund der Dauer dieser Halbwertszeit ist dies in der Praxis jedoch ohne Bedeutung.<h2>Besondere Eigenschaften</h2>Aus physikochemischer Sicht hat Bismut weitere ungewöhnliche Eigenschaften. Wie Wasser weist es eine Dichteanomalie auf, es dehnt sich also beim Erstarren aus. Diese Eigenschaft wird unter anderem genutzt, um legiert mit Zinn, Blei und Antimon Lettern für den klassischen Buchdruck herzustellen. In der Praxis relevant sind auch die geringen Schmelzpunkte von Bismut und seinen Legierungen, die bei 271 °C beziehungsweise bei bis zu 70 °C liegen – dies wird auch bei Brandmeldeanlagen und Sprinklersystemen genutzt. Ungewöhnlich ist der starke Diamagnetismus des Bismuts, der zum Beispiel einen Permanentmagneten scheinbar schwerelos zwischen zwei Bismutplatten schweben lässt (Abbildung 1). Eine Anwendung dafür gibt es allerdings noch nicht.<figure><img src="https://media.graphcms.com/FEBhoeQp2faVzO4eioKQ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Ein Permanentmagnet schwebt scheinbar schwerelos zwischen zwei Bismutplatten. Foto und Aufbau: Matthias Rock</figcaption></figure>
Materialforscher haben an elementarem Bismut weitere ungewöhnliche Phänomene beobachtet: So fanden sie Hinweise auf Elektronenfraktionierung, also vereinfacht die Unterteilung eines Elektrons in zwei Ladungspulse,2) und Wechselwirkungen von Elektronen nahe dem Fermi-Level bei geringen Temperaturen und in hohen Magnetfeldern, beispielsweise bei 0,025 K und 0,2 bis 12 T.3) Das ist für elementare Metalle nicht zu erwarten.<h2>Name, Entdeckung, erste Verwendungen</h2>Um den Namen und die Entdeckung von Bismut ranken sich einige Mythen, denn die Faktenlage in beiden Fällen ist nicht eindeutig.Kulturhistorisch wurde Bismut vermutlich schon im alten Ägypten genutzt, und zwar in Form von BiOCl als Weißpigment in kosmetischen Produkten. Sicher ist hingegen, dass schon die Inka im 15. und 16. Jahrhundert Bismutbronzen als Bestandteil handwerklich gefertigter Gegenstände nutzten und dass Sn-Pb-Sb-Bi-Legierungen beim Buchdruck nach Gutenberg ab 1450 dazu dienten, Lettern für die Druckerpresse zu gießen. Die Gewinnung von Bismut ist im deutschen Sprachraum bereits um das Jahr 1557 dokumentiert (Abbildung 2, S. 62). Die Unterscheidung des Bismuts von Blei, Zinn oder auch Antimon sowie seine Beschreibung als Element im moderneren Sinn wird allerdings erst auf 1753 datiert und gemeinhin Claude François Geoffroy zugeschrieben.<figure><img src="https://media.graphcms.com/DjqO3ASkQAumTrkarpS2"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Gewinnung von Bismut. Holzschnitt aus „Vom Bergkwerck XII“, G. Agricola, 1557. Foto: Thomas Witzke</figcaption></figure>
Namentlich wurde Bismut ab dem späten 14. Jahrhundert erwähnt, oft ohne es von Mineralien abzugrenzen. Bis ins 16. Jahrhundert finden sich mehr als 25 Schreibweisen, was eine etymologische Deutung erschwert. Populär sind drei Deutungsvarianten:<list list-type="simple"><list-item></list-item></list>Namen wie Wisemut (auch Wismot, Wismut und ähnliche) werden auf einen früheren Abbauort zurückgeführt: die Mine St. Georgen in den Wiesen, wo das Erz gemutet wurde (muten = abbauen, Abbaurechte beantragen).<list-item>Mit Namen wie Wießmat (auch Wismad und ähnliche) wird das optische Erscheinungsbild des Metalls als „weiße Masse“ in Verbindung gebracht – Bismut kommt auch gediegen vor.</list-item><list-item>Die dritte Variante, Bisemutum, greift auf eine farbliche Beschreibung zurück: Das arabische b[i]sīmūtīyūn wurde aus dem Altgriechischen transliteriert und bedeutete ursprünglich „Bleiweiß“. In dieser Deutung geht man davon aus, dass der Begriff über das Lateinische seinen Weg ins Deutsche fand und im Lauf der Zeit eine Umdeutung erfuhr, möglicherweise über Verwechslungen mit anderen Weißpigmenten wie BiOCl.</list-item>Obwohl der Begriff Wismut als Elementbezeichnung im deutschen Sprachraum noch lange üblich war, schlug die Kommission zur Adaption der Iupac-Empfehlungen an die deutsche Sprache im Jahr 1990 vor, den Begriff Bismut für das Element mit der Ordnungszahl 83 zu nutzen. Im Englischen war seit jeher die Variante „Bismuth“ üblich.<h2>Giftig oder nicht?</h2>In der Synthesechemie ist Bismut in den vergangenen Jahren mehr in den Fokus gerückt. Denn hier sind Elemente gefordert, die gut verfügbar, nicht giftig und wenig oder gar nicht umweltschädlich sind. Dazu kommen die klassischen Anforderungen wie hohe Selektivitäten und Ausbeuten.Im Gegensatz zu den Verbindungen der Nachbarelemente wie Zinn, Blei, Antimon, Tellur und Polonium sind Bismutsalze verhältnismäßig ungiftig für den Menschen, was früh erkannt und genutzt wurde: So wurde beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Röntgenkontrastmittel auf Bismutbasis entwickelt, das zur Darstellung des Magen-Darm-Trakts diente. Patienten erhielten eine „Wismutmahlzeit“: bis zu 50 Gramm Bismutsubnitrat (BiO(NO3)) wurden in etwas Milch gerührt und in 300 bis 400 Gramm Mehlbrei gegossen. Heute allerdings ist BaSO4 als Röntgenkontrastmittel etabliert.Auch ein Vergleich der Toxizitäten einiger Bismutspezies und Nahrungsmittel ist erstaunlich: So wurde Triphenylbismut als weniger toxisch eingestuft als NaCl (orale Aufnahme, Hund) und für Anwendungen in der Zahnheilkunde diskutiert. Allerdings liegen für die Toxizität vieler Bismutspezies keinerlei Untersuchungen vor; dies gilt natürlich insbesondere für neue Klassen von Bismutverbindungen. Tendenziell scheinen die Verbindungen nur wenig giftig zu sein, für eine genaue Beurteilung jeder Verbindung fehlen Einzelfallstudien.<h2>Bismut, Extreme der Pniktogene</h2>Bismutverbindungen verkörpern innerhalb der Gruppe 15 das Extreme. Dies ist eng verknüpft mit der Stellung des Elements im Periodensystem als schwerstes für die Synthesechemie relevantes Pniktogen Die Ordnungszahl des Bismuts geht einher mit einem starken Inert-pair--Effekt, der die Stabilität der Oxidationsstufe +3 gegenüber +5 begünstigt. Zusätzlich kommen relativistische Effekte zum Tragen, die etwa die Geschwindigkeit vor allem kernnaher Elektronen beeinflussen – die 1s-Elektronen des Bismuts bewegen sich mit bis zu 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Des Weiteren beeinflussen relativistische Effekte spektroskopische Eigenschaften von Bismutspezies.Die Stabilitäten wohldefinierter, molekularer Bismutverbindungen decken eine große Bandbreite ab: Während Verbindungen wie Triphenylbismut problemlos an der Luft handhabbar sind und Bismutsubsalicylat sogar der Wirkstoff im Magenmedikament Peptobismol ist, stellen andere einfache Bismutspezies den Synthesechemiker zum Teil vor Herausforderungen. Praktisch relevant ist hier der relativ schlechte Überlapp zwischen großen, diffusen Valenzorbitalen des Bismuts und viel stärker kontrahierten Valenzorbitalen des Wasserstoffs oder von Elementen der zweiten Periode. Dies führt zu verhältnismäßig kleinen Bindungsdissoziationsenergien der entsprechenden Bi-X-Bindungen, beispielsweise in Bismuthydriden, -alkylen und -amiden (X = H, C, N). Dadurch sind solche Bismutspezies ohne andere stabilisierende Effekte oft temperaturempfindlich. Zusätzlich können sie empfindlich gegenüber Luft, Wasser, Licht und Vakuum sein. Daraus resultieren mitunter größere präparative Probleme, zum Beispiel bei der Darstellung von BiH3, das labil gegenüber der Zersetzung zu Bi0 und H2 ist und sich nur mit experimentellem Geschick und bei tiefen Temperaturen isolieren lässt.4)Leichter zu handhaben sind die Bismutalkyle BiR3. Aber selbst hier können ungünstige Bedingungen bei der Destillation den Experimentator ohne gewünschtes Produkt zurücklassen, dafür aber mit einer Apparatur, deren Inneres mit einem dekorativen Bismutspiegel ausgekleidet ist (Abbildung 3).<figure><img src="https://media.graphcms.com/JUJETa1QBmn3i3h1w0WO"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Bismutspiegel in einer Destillationsapparatur, entstanden durch Zersetzung der zu destillierenden Organobismutverbindung.</figcaption></figure>
<h2>Aktuelle Forschung</h2>Derzeit werden unter anderem robuste Bismutverbindungen untersucht. Diese kommen in der Synthesechemie zum Einsatz, beispielsweise als kostengünstige, mindergiftige, luft- und wasserstabile, rezyklierbare weiche Lewis-Säuren mit einer hohen Toleranz für funktionelle Gruppen. Eine Weiterentwicklung bismutbasierter Lewis-Säuren sind Verbindungen mit M→Bi-Wechselwirkung, also solche Spezies, in denen Bismut(III) als Lewis-saures Zentrum gegenüber einem anderen Metallatom wirkt.5,6)Bei der Forschung an empfindlicheren Bismutspezies steht oft deren höhere Reaktivität im Fokus. Hier sind Fragen von Interesse, die auf ungewöhnliche Bindungsmotive, Reaktionspfade sowie spektroskopische, elektronische oder magnetische Eigenschaften zielen.In der Clusterchemie von Bismut wurde kürzlich erstmals der Einschluss eines Actinoids in einen stabilen Hauptgruppencluster publiziert.7) Dabei liegt in der Verbindung [U@Bi12]3− ein U4+-Kation und ein [Bi12]∙7−-Radikalanion mit antiferromagnetischen Wechselwirkungen vor ((1), Abbildung 4).<figure><img src="https://media.graphcms.com/MXQEbtj0SXyfA57c6xnV"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Neue Bindungsmotive: ein [Bi12]•7−-Ion als Bestandteil von [U@Bi12]3− (1), eine Bi-Bi-Doppelbindung im Dibismuten (2) und der isolierbare Bismut-Heteroaromat (3).</figcaption></figure>
Die Doppelbindungsregel, nach der sich keine π-Bindungen über die p-Orbitale von Atomen mit einer Hauptquantenzahl &gt;2 bilden, wurde durch moderne Arbeiten der Hauptgruppenchemie widerlegt. Im Zuge dessen wurden auch Dibismutene dargestellt, also Moleküle mit einer Bi-Bi-Doppelbindung ((2), Abbildung 4).8) In inhaltlichem Zusammenhang damit wurde auch versucht, Bismut in aromatische Systeme einzubinden. Dies gelingt tatsächlich, wie zunächst über Abfangreaktionen nachgewiesen wurde. Das erste isolierbare (und tatsächlich mäßig aromatische) Bismabenzol wurde im Jahr 2016 vorgestellt ((3), Abbildung 4),9) letztes Jahr wurde auch einem kationischen Derivat mit (Bi(CR)4NH)+-Ring schwach aromatischer Charakter zugeschrieben.10)<h2>Wie ein Übergangsmetall</h2>Neuerdings liefert die Forschung an schweren Hauptgruppenverbindungen mehr und mehr Hinweise darauf, dass diese Spezies auch Eigenschaften haben können, die klassischerweise Übergangsmetallkomplexen zugeschrieben werden. Dies betrifft beispielsweise energetisch nah beieinanderliegende Grenzorbitale, die Beteiligung an Einelektronenübertragungsreaktionen, Farbigkeit und Reaktionen mit Molekülen wie N2, H2 oder CO. Die ersten einkernigen, übergangsmetallfreien Verbindungen mit Bismut in der ungewöhnlichen Oxidationsstufe +1 sind intensiv gefärbte molekulare Verbindungen ((4), Abbildung 5).11) In diesen Spezies verfügt Bismut über zwei freie Elektronenpaare. Eines davon hat s-Charakter und ist relativ inert, das andere zeigt weitestgehend p-Charakter und beteiligt sich etwa an der Bildung von Donor-Akzeptor-Wechselwirkungen mit Lewis-Säuren. Stabilisiert werden die in Abbildung 5 gezeigten Verbindungen durch sterische Abschirmung des Zentralatoms sowie durch das Besetzen des leeren p-Orbitals am Bismut mit Elektronendichte von den Stickstoffatomen des Aryldiiminchelatliganden.<figure><img src="https://media.graphcms.com/gGinD9ktRSUsJfWq2HPf"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Molekülverbindungen mit Bismutatomen in den ungewöhnlichen Oxidationsstufen +1 und +2: das isolierbare Bismutiniden (BiI) (4); Gleichgewicht aus Bi-Radikal (5) und Dibismutan (6) sowie isolierbare BiII-Radikale (7) und (8). Aryl = 2,6-iPr2-C6H3.</figcaption></figure>
Die ersten definierten, einkernigen Bismut(II)-Radikalspezies wurden in den letzten fünf Jahren beschrieben (Abbildung 5).11) Das Bismutradikal (5) steht im Gleichgewicht mit dem entsprechenden Dibismutan (6) – es handelt sich also um eine reversible homolytische Dissoziation einer Bi-Bi-Einfachbindung.12) Die Verbindungen (7) und (8) sind die ersten und bislang einzigen isolierbaren Bismutradikale, bei denen die Spindichte im Wesentlichen an einem Bismutatom lokalisiert ist.13,14) Reaktivitäten dieser Spezies etwa gegenüber P4 und S8 wurden erstmals beschrieben und haben gewissermaßen den Startschuss gegeben, diese Stoffklasse zu erforschen.15,16)<h2>Bismut mal klassisch</h2>Auch in der klassischen Oxidationsstufe von +3 zeigen Bismutverbindungen ungewöhnliche Reaktivitäten. Beispiele: Mit Verbindung (9) ließ sich CO2 bei Raumtemperatur und 1 bar CO2-Druck reversibel fixieren ((10), Abbildung 6).17) Erst kürzlich wurde das erste Beispiel eines CO-Einschubs in eine Bismutspezies beschrieben ((13)→(15), Abbildung 6).18)<figure><img src="https://media.graphcms.com/v2ZrTRkiTYSlcBaM6OTF"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Beispiele ungewöhnlicher Reaktivitäten von BiIII-Spezies: oben reversible CO2-Fixierung, Mitte CH-Aktivierung, unten CH-Aktivierung mit Bi-C-Bindungsbildung und CO-Einschub. Einschiebende Moleküle und aktivierte Positionen sind farbig hervorgehoben. L = thf, Tf = SO2CF3.</figcaption></figure>
Ein Forschungsfeld der Bismutchemie mit Potenzial für Anwendungen ist die CH-Aktivierung, wobei dieses Gebiet sicherlich dadurch inspiriert wurde, dass die Industrie heterogene Bi-Mo-Katalysatoren („n MoO3/Bi2O3“) im SOHIO-Prozess nutzt (Standard Oil of Ohio; Ammoxidation von Propen mit Ammoniak zu Acrylonitril). Ausgehend von definierten molekularen Bismutverbindungen lassen sich über verschiedene Strategien ein- und zweifache CH-Aktivierungen von Aryl- und Alkylgruppen sowie zum Teil auch deren Funktionalisierung realisieren (etwa (11)–(14), Abbildung 6).9,19–21)<h2>Drei Fragen an den Autor: Crispin Lichtenberg</h2>Wie kam es, dass Bi Ihr Lieblingselement wurde, und wann war das?Mich faszinieren seit der Studienzeit synthesechemische Herausforderungen, die das Ziel haben, Reaktivitätsprofile zu verstehen und Anwendungen in Methodenentwicklung, Katalyse oder Materialwissenschaften näher zu kommen. Dafür ist Bismut ideal.Welches Ihrer Erlebnisse mit Bismut werden Sie nie vergessen?Die eigentlich ungewollte Erzeugung von Bismutspiegeln aus BiV- oder BiIII-Spezies – für mich Sinnbild der reichhaltigen Chemie dieses Elements in mindestens sechs Oxidationsstufen.Ihre Forschung in 140 Zeichen?Über polare und radikalische Reaktionspfade gezielt ungewöhnliche Reaktivitäten generieren und für die Synthesechemie nutzbar machen.Der Autor verfolgt seit 2016 als Liebig-Stipendiat und Emil-Fischer-Fellow seine unabhängigen Arbeiten an der Universität Würzburg. Er promovierte bei Jun Okuda in Aachen.<div><img src="https://media.graphcms.com/EFc1TpCFQjSjDpXJCmvM">

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1 P. D. Marcillac, N. Coron, G. Dambier, G. Leblanc, J.-P. Moalic, Nature 2003, 422, 876–878</li><li>
2 K. Behnia, L. Balicas, Y. Kopelevich, Science 2007, 317, 1729–1731</li><li>
3 R. Küchler, L. Steinke, R. Daou et al., Nat. Mater. 2014, 13, 461–465.</li><li>
4 E. Amberger, Chem. Ber. 1961, 94, 1447–1452</li><li>
5 C. Tscherisch, C. Limberg, S. Roggan et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2012, 51, 4989–4992</li><li>
6 T.-P. Lin, I.-S. Ke, F. P. Gabbaï, Angew. Chem. Int. Ed. 2012, 51, 4985–4988</li><li>
7 N. Lichtenberger, R. J. Wilson, A. R. Eulenstein et al., J. Am. Chem. Soc. 2016, 138, 9033–9036</li><li>
8 N. Tokitoh, Y. Arai, R. Okazaki, S. Nagase, Science 1997, 277, 78–80</li><li>
9 T. Ishii, K. Suzuki, T. Nakamura, M. Yamashita, J. Am. Chem. Soc. 2016, 138, 12787–12790</li><li>
10 B. Ritschel, J. Poater, H. Dengel, F. M. Bickelhaupt, C. Lichtenberg, Angew. Chem. Int. Ed. 2018, 57, 3825–3829</li><li>
11 P. Šimon, F. de Proft, R. Jambor, A. Růžička, L. Dostál, Angew. Chem. Int. Ed. 2010, 49, 5468–5471</li><li>
12 S. Ishida, F. Hirakawa, K. Furukawa, K. Yoza, T. Iwamoto, Angew. Chem. Int. Ed. 2014, 53, 11172–11176</li><li>
13 R. J. Schwamm, J. R. Harmer, M. Lein et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2015, 54, 10630–10633</li><li>
14 C. Ganesamoorthy, C. Helling, C. Wölper et al., Nat. Commun. 2018, 9, 87</li><li>
15 R. J. Schwamm, M. Lein, M. P. Coles, C. M. Fitchett, Angew. Chem. Int. Ed. 2016, 55, 14798–14801</li><li>
16 R. J. Schwamm, M. Lein, M. P. Coles, C. M. Fitchett, J. Am. Chem. Soc. 2017, 139, 16490–16493</li><li>
17 S.-F. Yin, J. Maruyama, T. Yamashita, S. Shimada, Angew. Chem. Int. Ed. 2008, 47, 6590–6593</li><li>
18 J. Ramler, J. Poater, F. Hirsch, B. Ritschel, I. Fischer, F. M. Bickelhaupt, C. Lichtenberg, Chem. Sci. 2019, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.1039/C9SC00278B</ext-link></li><li>
19 S. Roggan, C. Limberg, B. Ziemer, M. Brandt, Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 2846–2849</li><li>
20 I. J. Casely, J. W. Ziller, M. Fang, F. Furche, W. J. Evans, J. Am. Chem. Soc. 2011, 133, 5244–5247</li><li>
21 C. Hering-Junghans, A. Schulz, M. Thomas, A. Villinger, Dalton Trans. 2016, 45, 6053–6059</li></ul>

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