Industrie + Technik

Automatisierung, Big Data und künstliche Intelligenz versprechen, die Produktivität in der chemischen und pharmazeutischen Industrie anzutreiben. Allerdings ist Digitalisierung kein Selbstläufer. Es gilt, Probleme zu vermeiden und genau hinzusehen: etwa bei Software, bürokratischen Hindernissen oder Veränderung des Kundenverhältnisses.Gemäß einem Ranking des Dachverbands Bitkom der digitalen Wirtschaft in Deutschland liegt Finnland in Sachen <link href="#nadc20254151368-fig-0001">Digitalisierung derzeit auf Platz 1 unter den 27 EU-Staaten, dahinter sind Dänemark, die Niederlande, Malta und Schweden. Deutschland belegt Platz 14.1) Das spiegelt sich in der Arbeitsproduktivität der europäischen Länder im Jahr 2025, gemessen am prognostizierten Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner:in, normiert auf den Durchschnitt 100. Irland liegt mit einem Wert von 201 vorn, es folgen Luxemburg (153), Belgien (131), Dänemark (118), die Niederlande (114) und Schweden (108). Deutschland liegt auf Platz 12 (102).2)<figure xml:id="nadc20254151368-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://eu-central-1.graphassets.com/Aype6X9u2QGewIgZKbFflz/cmi4jho0jte9q0cunbeyqj1am"><figcaption><label>Abb.1: </label>Bild: Alexander Limbach / Adobe Stock</figcaption></figure></figure>Das Institut für die deutsche Wirtschaft bezieht potenzielle Effekte von KI ein, um die künftige Produktivität in Deutschland abzuschätzen, und prognostiziert ein Wachstum von jährlich 0,9 Prozent für die Jahre 2025 bis 2030 und sogar 1,2 Prozent für 2030 bis 2040.3) Bisher lag das Wachstum in den 2020er Jahren bei 0,4 Prozent jährlich.<h2 type="main">Wo es gut läuft</h2>Ein Beispiel für gelungene Digitalisierung ist die automatisierte Prozesssteuerung in der chemischen Industrie. Durch digitale Zwillinge, also die digitale Repräsentation realer Objekte, etwa von Produkten oder ganzer Anlagen, lassen sich Produktionsprozesse simulieren und optimieren, Geld und Rohstoffe dadurch effizient nutzen.4)In der pharmazeutischen Entwicklung beschleunigen KI-gestützte Techniken beispielsweise die Identifikation potenzieller Wirkstoffe. Das hat Unternehmen wie Pfizer und Moderna geholfen, in Rekordzeit mRNA-Impfstoffe zu entwickeln.5) Moleküle computergestützt zu modellieren hat die Entwicklungszeiten verkürzt, sodass neue Medikamente schneller am Markt eingeführt werden konnten.Auch der Qualitätskontrolle nutzen digitale Techniken: Spektroskopische Analysen, mit KI in Echtzeit ausgewertet, ermöglichen etwa, die Produktqualität zu überwachen. Zeitaufwendige, manuelle Probenanalysen sind dadurch kaum noch nötig. Zudem lassen sich ungeplante Stillstände in Produktionsanlagen verhindern, indem Sensoren früh auf mögliche Fehlfunktionen hinweisen. So lassen sich Prozesse und Produktqualität kontinuierlich verbessern.<h2 type="main">In der Chemieindustrie</h2>Chemieunternehmen investieren derzeit in Digitalisierungsprojekte und bauen entsprechende Kooperationen auf. So hat das Spezialchemieunternehmen Evonik Industries von 2017 bis 2020 rund 100 Millionen Euro investiert, um digitale Techniken zu entwickeln und zu erproben. Zusammen mit dem Unternehmen IBM und der Universität Duisburg-Essen startete Evonik etwa Projekte zu kognitiven Cloud-basierten Lösungen und interaktiver Wissensvermittlung. Diese Initiativen zielen darauf ab, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, den Service für Kunden zu optimieren und die Qualifikation der Mitarbeitenden zu fördern.<h2 type="main">In der Pharmabranche</h2>Der Dialysegeräteanbieter Fresenius Medical Care setzt Big Data und maschinelles Lernen ein, um Diagnose und Therapie von Nierenerkrankungen zu verbessern. Das Unternehmen betreibt weltweit 3800 Dialysezentren mit 311 000 Patient:innen; rund 2600 dieser Kliniken mit etwa 206 000 Patient:innen sind in den USA. Die Digitalisierung dient nicht nur der Gesundheit der Patient:innen, sondern steigert auch die betriebliche Produktivität.6)Fresenius Medical Care hat beispielsweise eine KI-Anwendung entwickelt, um das Komplikationsrisiko bei der Blutwäsche zu senken. Denn bei etwa 10 Prozent der Behandlungen kommt es bei den Patient:innen zu einer intradialytischen Hypotonie, also einem plötzlichen Blutdruckabfall. Das System basiert auf Patient:innen- und Behandlungsdaten, etwa Blutdruckmessungen, aus 43 000 Dialysesitzungen und verwendet Echtzeitinformationen, um Probleme bereits 15 bis 75 Minuten im Voraus zu erkennen.<h2 type="main">Was Probleme macht</h2>Trotz technischer Fortschritte stoßen Unternehmen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie bei der Digitalisierung auf Hürden, etwa bürokratische. Das Validieren digitaler Systeme unterliegt Vorschriften. So verlangen die Aufsichts- und Zulassungsbehörden der USA (Food and Drug Administration, FDA) und der EU (European Medicines Agency, EMA), Veränderungen bei digitalen Prozessen umfangreich zu dokumentieren.7,8) Ein Beispiel: Beim Archivieren von Analyseergebnissen sind Unterschriften, ehemals auf Papier, auf rechtssichere elektronische Versionen umzustellen. Diese muss den Regulatorien entsprechen, etwa dem Code of federal regulations in den USA. Die Unternehmen kostet das Zeit und Arbeitskraft sowie Geld, etwa für zertifizierte Softwares.Ein weiteres Problem: fehlende Standardisierung digitaler Systeme. Viele Unternehmen nutzen verschiedene spezialisierte Softwares, die nicht miteinander kompatibel sind. Dies führt zu redundanter Datenverarbeitung und ineffizienten Workflows. Insbesondere in der pharmazeutischen Produktion sind Daten oft manuell in verschiedene Systeme zu übertragen. Das ist zeitaufwendig und schafft Fehlerquellen.Neue digitale Systeme zu integrieren kann zudem einige Tausend bis hin zu Millionen Euro kosten. Das kann vor allem für kleine und mittlere Unternehmen eine finanzielle Belastung bedeuten. Erhebliche Kosten verursacht neben der Technik vor allem das Personal. Langfristig sind Unternehmensbereiche oft umzustrukturieren, und spezielle Qualifikationen unter den Mitarbeitenden sind aufzubauen, etwa für den Umgang mit KI.Etablierte Netzwerke und persönliche, über Jahre gewachsene Kundenbeziehungen können durch Digitalisierung verloren gehen. Das Worst-case-Szenario: Ein Unternehmen etabliert in seiner Kundenkommunikation konsequent digitale Strukturen. Persönlichen und postalischen Kontakt minimiert es, um Kosten für Material und Fahrten zu senken. Der Verlust von Kontakten, etwa solcher, die sich ein Außendienstmitarbeiter durch viele Besuche aufgebaut hat, kann zur Kostenfalle werden und ist eine Erklärung dafür, dass die Digitalisierung die Produktivität unserer Wirtschaft nur zäh vorantreibt, statt sie abrupt auf ein neues Niveau zu katapultieren.<h2 type="main">Standardisieren, agil bleiben, schulen</h2>Wie lässt sich einem Effizienzverlust durch Digitalisierung entgegenwirken? Wichtig ist es, Schnittstellen zwischen digitalen Systemen zu standardisieren. Die Initiative Namur Open Architecture setzt sich beispielsweise für interoperable IT-Lösungen in der chemischen Industrie ein,9) um reibungslosen Datenaustausch zu ermöglichen und den administrativen Aufwand zu reduzieren. Spectaris, der Verband für Analysen-, Bio- und Labortechnik, hat in vierjähriger Entwicklungsarbeit den ersten industriellen Kommunikationsstandard für Analysen- und Laborgeräte etabliert: Der Laboratory &amp; Analytical Device Standard (LADS) ist ein herstellerübergreifender, offener Standard. Seit Ende 2023 lässt er sich in Analysen- und Laborgeräte sowie Softwares integrieren, um diese miteinander zu vernetzen.10)Zudem helfen agile Digitalisierungsstrategien: Große, monolithische Softwares sind oft schwer anzupassen; stattdessen ermöglichen modulare digitale Tools, sich schneller an neue Anforderungen anzupassen. Softwareprozesse mit starren, linearen Plänen aus einer Kaskade von Schritten (Wasserfallmodell) lassen wenig Spielraum für Änderungen. Agile digitale Tools setzen dagegen auf flexible, iterative Ansätze, die sich durch kurze Zyklen und transparente Prozesse auszeichnen und schnell auf Änderungen reagieren. Eine Labor-Informations-und-Management-Software muss etwa Prozesse und Veränderungen in Prozessen abbilden können, Daten verwalten, Abläufe automatisieren, Prozesse vereinheitlichen sowie neue Komponenten wie Analysengeräte, Ventile oder Armaturen integrieren.Um die Digitalisierung praxisnah zu gestalten, sollten IT-Expert:innen und Fachkräfte in Labor und Produktion eng zusammenarbeiten. Mitarbeitende sind zudem im Umgang mit digitalen Tools zu schulen.<h2 type="main">Der Autor</h2>Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.<ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20254151368-bibl-0001"><li xml:id="nadc20254151368-bib-0001">1 Zum Bitkom-Ranking: <url href="https://t1p.de/gdpiu"><a href="https://t1p.de/gdpiu" target="_blank">t1p.de/gdpiu</a></url></li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0002">2 Wirtschaftskammer Österreich, Vergleich der Arbeitsproduktivitäten der europäischen Länder: <url href="https://t1p.de/1x554"><a href="https://t1p.de/1x554" target="_blank">t1p.de/1x554</a></url>V. Demary, M. Grömling, C. Kestermann et al., Gutachten im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft 2025: <url href="https://t1p.de/nuvbu"><a href="https://t1p.de/nuvbu" target="_blank">t1p.de/nuvbu</a></url></li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0003">3 S. Wehking, T. Riedelsheimer, C. Tanrikulu, K. Lindow, Procedia CIRP 2024, 122, 933–938, doi: 10.1016/j.procir.2024.01.126</li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0004">4 A.-D-Clevert, Künstliche Intelligenz in der Arzneimittelforschung, 2025: <url href="https://pfizer.de/home/newsroom/news&amp;stories"><a href="https://pfizer.de/home/newsroom/news&amp;stories" target="_blank">pfizer.de/home/newsroom/news&amp;stories</a></url></li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0005">5 J. Titapiccolo, S. Saxena, F. Bellochio at al., Kidney Int. Rep. 2025, 10, 67, doi: 10.1016/j.ekir.2024.11.180</li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0006">6 European Medicines Agency, Guideline on computerised systems and electronic data in clinical trials, 2023, EMA/INS/GCP/112288/2023</li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0007">7 U.S. Food and Drug Administration (FDA); Data integrity and compliance with drug CGMP: questions and answers; Guidance for industry, 2018, Docket Number: FDA-2018-D-3984</li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0008">8 C. Klettner, T. Tauchnitz, U. Epple et al, Namur Open Architecture, 2017, Kurzlink: <url href="https://t1p.de/x1bqf"><a href="https://t1p.de/x1bqf" target="_blank">t1p.de/x1bqf</a></url></li><li xml:id="nadc20254151368-bib-0009">9 Zur Spectaris-Meldung: <url href="https://www.spectaris.de/verband/aktuelles/detail/meilenstein-zum-labor-40-spectaris-praesentiert-ersten-industriellen-kommunikationsstandard-fuer-analysen-und-laborgeraete"><a href="https://t1p.de/sr9lf" target="_blank">t1p.de/sr9lf</a></url></li></ul>

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Automatisierung, Big Data und künstliche Intelligenz versprechen, die Produktivität in der chemischen und pharmazeutischen Industrie anzutreiben. Allerdings ist Digitalisierung kein Selbstläufer. Es gilt, Probleme zu vermeiden und genau hinzusehen: etwa bei Software, bürokratischen Hindernissen o...

Teflon abbauen | Durch Bestrahlen mit Elektronen bei 370 °C hat ein japanisches Forschungsteam Polytetrafluorethylen (PTFE) vollständig zu Gasen zersetzt. Hauptprodukte waren Perfluoroalkane und oxidierte Fluorkohlenstoffe (CnF2nOx); CO und CO2 machten nur 12 % aus. Die CO2-Emissionen waren halb so hoch wie bei herkömmlicher PTFE-Hochtemperaturpyrolyse. Die Autoren wollen nun Methoden entwickeln, um die Produkte zu trennen, und das Verfahren skalieren.Rad. Phys. Chem., doi: 10.1016/j.radphyschem.2025.113029Gegen Schädlinge und für Flexibilität |Eine Zellfabrik eines chinesischen Forschungsteams produziert trans-Aconitsäure (TAA) aus genomeditierten Schimmelpilzen im industriellen Maßstab. TAA eignet sich als Biopestizid. Ihre Ester könnten zudem künftig als Bioweichmacher in Kunststoffen wie Polyvinylchlorid und Polymilchsäure dienen, um gesundheitsschädliche Phthalsäureester fossiler Herkunft zu ersetzen.Metab. Eng., doi: 10.1016/j.ymben.2023.06.007Green Carbon, doi: 10.1016/j.greenca.2023.08.001Diamant härter machen | Ein Forschungsteam aus China hat mikro- bis millimetergroße Diamanten mit hexagonaler Kristallstruktur hergestellt, indem es Graphit-Einkristalle quasi-hydrostatisch erhitzte und komprimierte. Anders als erwartet ist der hexagonale Diamant nur wenig härter als kubischer. Wie die Forschenden vermuten, liegt das an Defekten kubischer Diamantkristalle im hexagonalen Gitter. Das Team will nun aus reineren Graphit-Einkristallen härtere hexagonale Diamanten erzeugen.Nature, doi: 10.1038/s41586-025-09343-xLanglebige Batterien | Forschende der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben eine Festkörper-Hydrid-Batterie entwickelt, die sich bei Raumtemperatur wiederaufladen lässt. Dazu haben sie das Kern-Schale-Hydrid 3CeH3@BaH2 synthetisiert, das bereits bei Raumtemperatur Hydridionen schnell leitet. Andere bisher untersuchte Festkörper-Hydride werden erst über 300 °C zu guten Leitern. Eine Batterie aus dem Hydrid mit NaAlH4 als Kathode und CeH2 als Anode hatte anfänglich eine spezifische Kapazität von 984 mAh · g−1 – vergleichbar mit der von Lithium-Ionen-Batterien. Nach 20 Ladezyklen waren es noch 402 mAh· g−1.Nature, doi: 10.1038/s41586-025-09561-3Rolf Schmid, <a href="https://window-to-china.de" target="_blank">window-to-china.de</a><a href="https://window-to-japan.eu" target="_blank">window-to-japan.eu</a>

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