Ohne Chemie ist eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Nahrungsmittelproduktion unmöglich. Trotzdem sind Ernährung und Nahrungsmittel im Chemieunterricht höchstens Nebensache. Sich umfassender mit diesen Themen zu beschäftigen, ...
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Milch oder nicht?
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Ob es sich um Milch oder eine pflanzenbasierte Alternative handelt, zeigt die Nährwerttabelle der Verpackung: Eiweiß-, Fett- und Kohlenhydratgehalt unterscheiden sich meist deutlich. Das lässt sich auch mit Nachweisreaktionen erfassen. Kombiniert mit Blindverkostung und Diskussion zu den Umweltauswirkungen der Herstellprozesse liefern sie Stoff für eine Doppelstunde.
Gerade Jugendliche und junge Erwachsene möchten sich nachhaltig sowie klimaschonend und dabei gesund ernähren (Kasten). Daher greifen viele statt zu Milch zu Drinks auf Soja-, Hafer-, Dinkel-, Reis-, Kokos-, Mandel- oder Cashewbasis. Dabei lassen sich viele von Werbeaussagen leiten, statt die Zutaten- und Nährstoffliste der Pflanzendrinks zu vergleichen (Abbildung 1). Denn diese unterscheiden sich teilweise stark: Reismilch etwa enthält kaum Eiweiß, dafür aber jede Menge Zucker und andere Kohlenhydrate. Vielen veganen Milchalternativen sind Calciumsalze oder calciumionenhaltige Rotalgen zugesetzt,5) außerdem Emulgatoren, Stabilisatoren, Eiweiß aus Erbsen oder Lupinen und Zucker. Diese Pflanzendrinks sind also High-End-Produkte der Lebensmittelindustrie.
Eine Unterrichtseinheit zu Pflanzendrinks
Welche „Milch“ soll es im Schülercafé unserer Schule für Kakao, Kaffee oder Chai geben? Mit dieser Frage startet die als Doppelstunde konzipierte Unterrichtseinheit, in der die Lernenden ihr Vorwissen zum Nachweis von Makronährstoffen einsetzen sollen, um sich für Milch oder einen bestimmten Pflanzendrink zu entscheiden.
Um für die Thematik zu motivieren, gibt es zu Beginn der Unterrichtseinheit eine Blindverkostung von Milch, Soja-, Hafer-, Reis-, Mandel- und Cashewdrink, die sich optisch ähneln (Abbildung 2). Wichtig ist die Warnung, dass Allergiker, Lactose-Intolerante oder Lernende mit Zöliakie nicht teilnehmen können. Anschließend sollen die Lernenden ihren Geschmackseindruck der nummerierten Proben an einer Tafel oder auf einem Whiteboard notieren und jeweils einen Geschmacksfavoriten festlegen. Die Geschmackseindrücke und Mundgefühle umfassen fettig, gut, normal, sahnig, wässrig, nussig, grasig, süßlich, vanillig, stärkehaltig, schlonzig, pelzig, bitter, abgestanden oder fad, bei manchen Drinks bemerken die Schüler:innen einen unangenehmen Nachgeschmack.
Schon in dieser Phase gibt es Diskussionen, hinter welcher Proben-Nummer sich die 3,7-%-ige Kuhmilch versteckt. Die Schüler:innen sammeln Vorschläge, wie sich die Proben durch die aus dem Vorunterricht bekannten Nachweisreaktionen für Makronährstoffe identifizieren lassen:
Vom Rätselfieber gepackt studieren dann die ersten Lernenden die auf den Probenverpackungen deklarierten Nährstofftabellen.
Für aussagekräftige halbquantitative Ergebnisse bei den Nährstoffnachweisen sind die Volumina der Proben und der Reagenzien exakt einzuhalten. Daher erhalten alle Lernenden eine tabellarische Übersicht, wie die Experimente durchzuführen sind – diese ist im One-Drive-Ordner der Autorinnen unter t1p.de/3ocf5 verfügbar. Anschließend wird diskutiert, wie die experimentelle Arbeit zu den sechs Proben auf Makronährstoffe aufgeteilt werden soll. Es bieten sich zwei Wege an:
Die meisten Lernenden entscheiden sich, arbeitsteilig alle Nachweisreaktionen mit einer Milch- oder Pflanzendrinkprobe durchzuführen. Diese Vorgehensweise erscheint ihnen weniger verwechslungsanfällig.
Versuchsdurchführung
Jede Gruppe beschriftet fünf Reagenzgläser mit der jeweiligen Probennummer, der GOD-Test wird durch direktes Eintauchen in die ausstehenden Proben durchgeführt. Anschließend füllen die Gruppen in ein Reagenzglas 1 mL und in vier weitere Reagenzgläser jeweils 2 mL der Probe. Für diesen Zweck sind 2-mL-Einwegspritzen aus Kunststoff hinreichend genau, wenn die Lernenden Luftblasenbildung vermeiden.
Nun werden die jeweiligen Reagenzien millilitergenau zu den Proben gegeben (Versuchstabelle, online verfügbar als Zusatzmaterial). Um den Spülaufwand zu minimieren und wenig Abfall zu produzieren, wird an der Flasche des jeweiligen Nachweisreagenz ein kurzes Reagenzglas befestigt, in dem sich die Spritze aufbewahren und mehrfach nutzen lässt. Einige der Proben werden im Wasserbad erhitzt; dafür werden 400-mL-Bechergläser (weite Form) mit heißem Wasser aus dem Wasserkocher befüllt und die Reagenzgläser mit den Proben hineingestellt. Nach zirka fünf Minuten Reaktionszeit werden die Versuchsbeobachtungen ausgewertet und in einer Übersichtstabelle an der Tafel (Abbildung 3) zusammengetragen.
Ob ein Nährstoffnachweis positiv oder negativ ausgefallen ist, wird nun ebenso diskutiert wie die Farbintensität der verschiedenen Proben. Diese werden für einen besseren Überblick nach Nummern und Nachweisreaktion sortiert und in Reagenzglasständern am Lehrertisch geordnet (Abbildung 4). Schon in dieser Phase kommen Vermutungen auf: Ist Probe X Milch oder Soja-Drink? Denn diese Getränke enthalten vergleichsweise viel Eiweiß, was zu einer intensiveren Färbung beim Biuret-Nachweis führen würde. Da der Hexan-1,6-diamin-Test nach Ruppersberg, der reduzierend wirkende Mono- und Disaccharide unterscheidet, und die Benedict-Probe auf reduzierend wirkende Zucker positiv ausfallen, ist klar: Probe X muss Milch sein.
Digitales Tool und Entscheidung
Damit die Lernenden kontrollieren können, was sie aus den Versuchsbeobachtungen gefolgert haben, steht ihnen eine H5P-Drag-and-Drop-Übung zur Verfügung – H5P (Html-5-Paket) ist eine freie und quelloffene Software zum Erstellen interaktiver (Lern-)Inhalte für das Web. Die Übung soll sicherstellen, dass sich alle Lernenden ausreichend mit der Auswertung der Versuchsbeobachtungen auseinandergesetzt haben, um alle Proben der jeweiligen Milch- oder Pflanzendrinkpackung zuzuordnen. Dazu fertigen die Lernenden zuerst gemeinsam eine digitale Tabelle mit den Nährstoffangaben an. Darin markieren sie besonders hohe Konzentrationen in grün und besonders niedrige Konzentrationen in rot. Anschließend kombinieren sie in Einzelarbeit die jeweiligen Versuchsergebnisse mit den Nährwertangaben der sechs Getränke, dies wieder mit einer H5P-Drag-and-Drop-Übung.
Nun steht noch die Entscheidung an, ob das Schülercafé aus Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgründen künftig nur kuhmilchfreie Produkte anbieten soll und falls ja, welcher Pflanzendrink für die Latte-Produkte wie Kakao infrage kommt. Zur individuellen Entscheidungsfindung eignet sich zum Beispiel die Methode der begründeten Bewertung nach dem Waager-Modell.6) Sie wurde mit einem H5P-Dokumentationstool digital zugänglich gemacht. Sie besteht aus mehreren Phasen: Wahrnehmen, Analysieren, Argumentieren, Gewichten, Entscheiden und Reflektieren.
Das Waager-Modell6)
In der Wahrnehmen-Phase zu Beginn der Unterrichtseinheit haben die Lernenden die Drinks blind verkostet und diese subjektiv eingeschätzt. Darauf folgte die Analyse-Phase, in der die Lernenden die Makronährstoffzusammensetzung experimentell ermittelt haben. Nun kommt das Argumentieren: Hier bekommen die Lernenden weiteren Input in Form von Diagrammen, die etwa Treibhausgasemissionen umfassen, den Flächen- und Wasserverbrauch zur Herstellung von Kuhmilch und Pflanzendrinks, den CO2-Abdruck abhängig von Volumen, Protein- und Calciumionengehalt sowie weitere Umweltbelastungspunkte.7–9) Im letzten Schritt des Waager-Modells werden die Argumente gewichtet, eine Entscheidung wird getroffen, und beides wird reflektiert.
Was die Schüler:innen lernen
Lernende sagten nach der Unterrichtseinheit, sie hätten durch die Experimente sicher entscheiden können, ob sie Milch und Pflanzendrinks nutzen möchten und falls Pflanzendrinks, welche. Zudem empfanden sie es als tolle Erfahrung, dass sich die im Vorunterricht kennengelernten, vergleichsweise einfachen Experimente eignen, um auszumachen, ob ein Getränk Milch oder Pflanzendrink ist.
Die Experimente lassen sich teilweise auch im Tropfenmaßstab durchführen – dann können allerdings nur geübte Experimentatoren halbquantitativ auswerten. Ausführliche Hinweise dazu sowie die Deutung der ablaufenden chemischen Reaktionen finden sich zum Download unter t1p.de/a5at5 oder in Literatur 10.
Die Nachweise lassen sich etwa auf Calcium- oder Phosphationen ausweiten, um Pflanzendrinks und Barista-Pflanzendrinks zu vergleichen. Werden andere als die im Foto S. 19 gezeigten zuckerfreien (Bio-)Pflanzendrinks für die Experimente genutzt, können die Ergebnisse abweichen, weil beispielsweise Zucker, (Raps-)Öl oder anderes zugesetzt wurde.11) Zudem variiert der Gehalt an Pflanzenmasse in einer Drinksorte, vor allem bei Mandeldrinks.
Weitere interessante Diskussionsanlässe bieten Kombi-Produkte wie Ohne Muh, Vly oder Not Milk, die Getreide- und Pflanzenproteinbestandteile enthalten. Mit allen dreien Produkten funktionieren die beschriebenen Nachweise ebenfalls.
Hintergrund: Macht Milch müde Männer munter?
Dass Milch munter macht, suggerierte in den 1950er Jahren die deutsche Milchindustrie. Der Wahrheitsgehalt dieser Werbeaussage ist ungeklärt, Milch ist als Nahrungsmittel nicht notwendig.1,2)
In den letzten zehn Jahren wurde Milchkonsum diskutiert;3) er gilt mittlerweile als Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Allergien oder Krebs. Gleichzeitig liefert Milch Calciumionen, die wichtig sind, um Knochensubstanz zu synthetisieren, und die zusammen mit Vitamin D vor Osteoporose schützen können.
Weltweit gilt Milch immer noch als wichtig für die tägliche Ernährung, da sie Eiweiß, die Vitamine B2 und B12, Calcium- und Zinkionen enthält und zur Iodversorgung beträgt.2) Die inländische Produktion von Trinkmilch tierischen Ursprungs war im Jahr 2020 etwa 40-mal so hoch wie der Import von Pflanzendrinks. Der Konsum von Pflanzendrinks steigt in den letzten Jahren.4)
Die Autorinnen
Diesen Artikel haben Laura Lüddeke (oben) und Waltraud Habelitz-Tkotz geschrieben. Lüddeke ist seit 2014 Studienrätin am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt. Sie studierte Biologie, Chemie und Geografie für das Gymnasiallehramt und hat die Fakultas für Informatik sowie die fremdsprachliche Qualifikation Englisch. Habelitz-Tkotz ist Seminarlehrerin für Chemie am Emil-von-Behring-Gymnasium in Spardorf und zentrale Fachberaterin für die Seminarausbildung in Chemie an bayerischen Gymnasien.
laura.lueddeke@christoph-scheiner-gymnasium.de, habelitz-tkotz@evbg.de
AUF EINEN BLICK
Mit Nachweisreaktionen auf (nicht-)reduzierende Zucker, Proteine oder Stärke lässt sich ermitteln, ob ein Getränk pflanzlicher oder tierischer Herkunft ist.
Mit diesen Versuchen können Schüler:innen in einer Doppelstunde die Unterschiede zwischen Milch und deren veganen Alternativen erarbeiten.
Eine anschließende Diskussion zu Treibhausgasemissionen, Flächen- und Wasserverbrauch und CO2-Abdruck bringt den Aspekt der Nachhaltigkeit in das Thema.
Die Durchführung der Nachweisreaktionen im Überblick, die Rezepturen der verwendeten Reagenzien, die vollständigen Versuchsanleitungen und zugehörigen Gefährdungsbeurteilung finden sich zum Download unter t1p.de/3ocf5.
- 1 NDR.de, Wie gesund ist Milch? t1p.de/urwhd (Stand 9.6.2024)
- 2 NDR.de, Wie gesund sind vegane Drinks mit Soja und Co.? t1p.de/vvsju (Stand 9.6.2024)
- 3 a) Die Milch macht‘s: Gesund oder krebserregend? BR24, t1p.de/qdjxc (Stand 24.6.); b) Milch: Macht sie uns krank? Quarks, t1p.de/oeaw (Stand 24.6.)
- 4 Statistisches Bundesamt, t1p.de/y0fhy (Stand 9.6.)
- 5 Ökotest, Zusätze in Biopflanzenmilch t1p.de/riri5 (Stand 9.6.2024)
- 6 a) R. Biernacki, W. Habelitz-Tkotz, L. Lüddecke, Das Waage®-Modell – Struktur von Bewertungsprozessen im Chemieunterricht. Vorabdruck aus Lehrplaninformationssystem des ISB, München verändert nach: MNU (2022). MNU Themenreihe Bildungsstandards: Bewertungskompetenz in den Naturwissenschaften, Empfehlungen und Hilfen für den Unterricht und für Aufgaben. S.11, 31.10.23; b) J. Langlet, I. Eilks, S. Gemballa, G. Heckmann et al., Bewertungskompetenz in den Naturwissenschaften – Denkanstöße, Empfehlungen und Hilfen für den Unterricht und für Aufgaben. MNU (2022)
- 7 L. Szcepanski, G. Ostermann, F. Fiebekorn, Biol. Unserer Zeit 2023, 4(53), 350
- 8 M. Bussa, M. Eberhart, N. Jungbluth, C. Meili, Ökobilanz von Kuhmilch und pflanzlichen Drinks. ESU-Services GmbH im Auftrag von WWF Schweiz, Schaffhausen, Schweiz, www.esu-services.ch/de/publications
- 9 Interpretation der unterschiedlichen Färbungen beim Iod-Stärke-Nachweis, Wikipedia, t1p.de/5u156
- 10 Chemie? Aber sicher!; Akademiebericht Nr. 475, ALP Dillingen, 6. Auflage (in Vorbereitung, Vorabdruck unter t1p.de/3ocf5)
- 11 H. Rautenstrauch, K. Ruppersberg, W. Proske, Nachr. Chem. 2022, 70(2), 15
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