Gesellschaft Deutscher Chemiker

Batteriematerialien

Lithium aus heimischem Abbau

Nachrichten aus der Chemie, September 2023, S. 39-42, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Achtzig Prozent des Lithiums auf dem Weltmarkt stammen aus Australien und Südamerika. In Zukunft könnte Deutschland einen Teil seines Bedarfs aus eigener Produktion decken: Heiße Tiefenwässer sind eine vielversprechende Quelle.

Prognosen zufolge wird sich die weltweite Nachfrage nach Lithium bis zum Jahr 2030 um das Vier- bis Achtfache erhöhen.1) Bis zu einer Million Tonnen Lithiumcarbonatäquivalente – der Handelseinheit von Lithium auf dem Weltmarkt − könnten dann weltweit fehlen.2) Das sind schlechte Nachrichten für die Automobilindustrie: „Ohne Lithium keine Batterien, ohne Batterien keine E-Autos“, sagt Valentin Goldberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Geothermie und Reservoir-Technologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

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Lithiumhydroxidmonohydrat – ab Ende 2025 will Vulcan Energie 24 000 Tonnen davon pro Jahr aus Tiefenwässern extrahieren. Foto: Vulcan Energie/Uli Deck

Kein Wunder, dass eine bisher ungenutzte Lithiumquelle plötzlich im Mittelpunkt deutscher Forschungsprojekte und Industrievorhaben steht: salzhaltige Thermalwässer im Untergrund. Aus ihnen ließe sich das begehrte Element extrahieren. Das kann praktischerweise in Geothermiekraftwerken geschehen, die aus denselben Gewässern Strom und Wärme gewinnen.

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Das Geothermiekraftwerk in Insheim, südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz. Das Wasser, das das Geothermiekraftwerk zur Stromerzeugung nutzt, enthält Lithiumsalze. Foto: Uli Deck/Vulcan Energie

„Die Idee ist schon 50 Jahre alt, und es wurde bereits viel daran geforscht“, sagt Goldberg. „Man war auch schon häufig an dem Punkt von Prototypentests, aber der Lithiumpreis war immer zu gering, als dass sich so ein Verfahren wirtschaftlich gelohnt hätte.“ Eine Tonne Lithiumcarbonat kostete im Jahr 2002 noch 1590 US-Dollar, im Juni 2023 sind es über 43 000 US-Dollar.2,3) „Die Karten sind neu gemischt und es ist wahrscheinlich, dass eine Lithiumextraktion in Deutschland jetzt wirtschaftlich sein kann.“

Unterirdische Schätze

Zwei Gebiete in Deutschland kommen für eine Förderung in Frage: der Oberrheingraben zwischen Frankfurt am Main und Basel sowie das Norddeutsche Becken zwischen Emden, Rostock und Hannover. In beiden Gebieten gibt es ausgedehnte heiße Tiefenwässersysteme mit lithiumhaltigen Solen.

Der Plan: Über Bohrungen in bis zu 5000 Meter Tiefe wird das Wasser an die Oberfläche gepumpt. Erst gewinnt ein Geothermiekraftwerk daraus Energie, anschließend extrahiert man das Lithium. Schließlich wird das abgekühlte lithiumabgereicherte Wasser wieder in den Untergrund geleitet. „Vereinfacht gesprochen sind die Bohrungen wie Nadelstiche in einen riesigen Schwamm“, sagt Thomas Kölbel, Geothermieexperte in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Versorgers EnBW Energie Baden-Württemberg. „Ein Abstand von einem Kilometer zwischen zwei Anlagen sollte ausreichen, damit beide nachhaltig bewirtschaftet werden können.“

Das lithiumabgereicherte Wasser wird in das gleiche Reservoir im Untergrund zurückgeleitet und verdünnt dort möglicherweise die lithiumreiche Sole. Daher ist es wichtig, dass die Bohrlöcher für Zu- und Ableitung weit genug voneinander entfernt sind. Dennoch gehen Experten wie Valentin Goldberg derzeit davon aus, dass sich die Konzentration des hochgepumpten Wassers irgendwann auf ein konstantes, niedrigeres Niveau einpendeln wird. „Wie schnell und wie stark das passiert, ist vom Standort abhängig.“ Tracer-Versuche mit Farbstoffen können dabei helfen, die Verdünnung abzuschätzen.

Im Projekt Unlimited untersucht EnBW gemeinsam mit dem KIT, der Universität Göttingen und anderen Partnern, ob und wie sich am Geothermiekraftwerk Bruchsal bei Karlsruhe Lithium gewinnen lässt. Die Pilotanlage habe bereits einige hundert Gramm Lithiumsalz produziert, die Ergebnisse sehen laut Kölbel „super“ aus. Die Solen enthalten Lithium in Konzentrationen von über 160 mg·L–1; Schätzungen zufolge ließen sich an dem Standort gut 800 Tonnen Lithiumcarbonatäquivalente pro Jahr produzieren, was 20 000 durchschnittlichen Autobatterien entspreche. Das Projekt läuft noch bis Ende 2024, „dann werden wir wissen, was Lithium aus Bruchsal kosten wird.“

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Pilotanlage zur Lithiumextraktion aus Thermalwasser am Geothermiekraftwerk der EnBW in Bruchsal. Foto: EnBW / Uli Deck

Unternehmen planen Produktion

Das Unternehmen Vulcan Energie Ressourcen zum Beispiel will bald industriell in die Lithiumgewinnung einsteigen. Seit über zwei Jahren produziere es an den Pilotanlagen des unternehmenseigenen Geothermiekraftwerks in Insheim am Oberrheingraben im nicht-industriellen Maßstab Lithium, berichtet Chief Commercial Officer Vincent Ledoux-Pedailles. Vulcan Energy wolle noch in diesem Jahr weitere Bohrungen in dieser Gegend durchführen und danach die entsprechenden Geothermie- und Lithiumextraktionsanlagen bauen. „Voraussichtlich ab Ende 2025 planen wir, in die kommerzielle Produktion einzusteigen. In Phase eins werden wir planmäßig rund 24 000 Tonnen Lithiumhydroxidmonohydrat pro Jahr produzieren.“

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Laborleiterin Angela Digennaro an der Pilotanlage von Vulcan Energie in Insheim. Foto: Vulcan Energie/Uli Deck

Produkt der Extraktion ist zunächst Lithiumchlorid. In einer Downstream-Anlage, die Vulcan Energy in Frankfurt-Höchst baut, soll die Verbindung dann per Elektrolyse in Lithiumhydroxidmonohydrat umgewandelt werden – ein Ausgangsstoff für Batterien.

Norden oder Süden

Viel weniger erforscht als die Lithiumsituation im Oberrheingraben ist die im Norddeutschen Becken. „Bei einzelnen Bohrungen wurden Li-Konzentrationen von bis zu 300 mg·L–1 gemessen, also fast doppelt so hoch wie in Bruchsal“, berichtet André Stechern von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). „Aber niemand weiß, ob das lokal begrenzt ist oder flächendeckend.“ Die BGR betreibt im Projekt Li+-Fluids eine Forschungsbohrung bei Uelzen bis auf 3600 Meter Tiefe und will das Potenzial der Lithiumgewinnung im Norddeutschen Becken evaluieren.

Die Sole im Norden unterscheidet sich von der im Süden Deutschlands. Die Salzgehalte sind höher, sie ähneln denen im Toten Meer. Außerdem ist – anders als in Bruchsal – nur wenig Kohlenstoffdioxid gelöst, dafür viel Stickstoff und etwas Methan. „Das alles kann großen Einfluss auf die Extraktion von Lithium haben“, sagt Stechern. Unterschiedlich sind auch die Raten, mit denen Wasser aus dem unterirdischen System nachfließt. Sie bestimmen, wie schnell sich Wasser an die Oberfläche pumpen lässt: im Oberrheingraben mit bis zu 100 L·s–1 schneller als im Norddeutschen Becken mit 25 bis 30 L·s–1.

Im Fokus des Projekts Li+-Fluids steht auch die Frage, wie lange die Ressource verfügbar ist. Derzeit geht man beispielsweise im Oberrheingraben davon aus, dass die Lithiumvorkommen für gut 30 Jahre stabil sein werden. Und dann? Ist Schluss, sobald alles Lithium aus dem Wasser extrahiert ist? In ihrem Labor in Hannover bringt die BGR Gestein mit synthetischen abgereicherten Wässern zusammen, um herauszufinden, ob das Gestein Lithium abgibt und sich das Wasser so wieder mit dem Element anreichert. Stechern ergänzt: „Vor allem wollen wir wissen, ob das in Zeitskalen passiert, die wirtschaftlich interessant sind.“

Raus aus dem Wasser

Um Lithium aus den Solen zu extrahieren, greifen die meisten Pilotprojekte auf Sorbensmaterialien zurück. „Je nach Umgebung der Kristallplätze im Sorbensmaterial können diese selektiv Ionen – eben auch Li – einlagern“, sagt Fabian Jeschull, Chemiker am Institut für Angewandte Materialien des KIT. Vielversprechend sind Manganoxidspinelle: Im Labor adsorbieren sie zwischen 20 und 60 mg·g–1; in Laborversuchen ließen sich damit bis zu 90 Prozent des Lithiums aus unterschiedlichen Solen gewinnen.4) Das Lithium wird über Redoxreaktionen und Ionenaustausch gebunden. Da die Adsorption vom pH-Wert abhängt, lässt sich das gebundene Lithium anschließend mit Säure herauslösen.

Der Nachteil der Manganoxide: Bei der Redoxreaktion disproportioniert Mn3+ zu Mn2+ und Mn4+; Mn2+ geht beim Kontakt mit Säure in Lösung, das Material löst sich also allmählich auf. Forschungsgruppen arbeiten daran, das Manganoxid zu stabilisieren, beispielsweise über eine Dotierung oder eine Funktionalisierung der Oberfläche.

Ebenfalls als Sorbens erforscht werden Titanoxide. Vulcan Energie Ressourcen wird laut Ledoux-Pedailles Sorbens auf Aluminiumoxidbasis einsetzen, da diese bereits kommerziell eingesetzt und erprobt sind.

Neben der Adsorption wäre die elektrochemische Extraktion eine Möglichkeit, beispielsweise mit einer Lithiumeisenphosphatkathode und einer Bismutoxidchloridanode. Auch eine Flüssig-Flüssig-Extraktion sehen sich Forschende an, etwa mit Tributylphosphaten und FeCl3, mit Kronenethern oder ionischen Flüssigkeiten.4)

„Vor der Hacke ist es dunkel“

Alle Pilotprojekte, egal in welchem Teil Deutschlands und ob von einem Unternehmen oder einem Forschungskonsortium, seien noch auf fortgeschrittenem Prototyplevel, sagt André Stechern. „Jetzt gilt es, auf die industrielle Anwendung hochzuskalieren.“ Darin sehen alle Beteiligten die nächste Hürde.

Die Thermalwässer sind korrosiv. „Jede Veränderung kann zu Ausfällungen und Entgasungen führen“, sagt Valentin Goldberg. „Das fällt im Laborbetrieb nicht so auf, aber bei einem Durchlauf von hundert Litern pro Sekunde kann das eine Herausforderung werden.“ Fabian Jeschull fügt hinzu, dass das Wasser nach der Lithiumextraktion wieder in den Untergrund geleitet wird – „man muss dabei aufpassen, dass sich bei der Adsorption nichts aus dem Sorbensmaterial oder den Leitungen herauslöst. Auch der pH-Wert sollte sich nicht verändern, denn das könnte Konsequenzen für die porösen Gesteinsschichten in der Tiefe haben.“

Valentin Goldberg denkt, dass Ende dieses Jahrzehnts die ersten Anlagen laufen könnten, die dann in größeren Mengen Lithium gewinnen. Um nach Laborversuchen und Pilotprojekten herausfinden, ob das Verfahren tatsächlich großindustriell funktioniert und sich wirtschaftlich lohnt, gebe es nur einen Weg: „Einfach mal machen.“ Auch bei der Lithiumgewinnung gelte der alte Bergbauspruch: „Vor der Hacke ist es dunkel.“

Fernab von Ingenieursfragen entscheide vor allem die Akzeptanz der Bevölkerung über den Erfolg des Verfahrens. „Wenn man wirklich etwas reißen will, auch in Bezug auf Li-Mengen, brauchen wir in Deutschland mehr Bohrungen“, sagt Goldberg. „Ohne Loch kein Lithium.“ Zwar sei die Erdbebengefahr durch Tiefenbohrungen mit den richtigen Vorsichtsmaßnahmen minimierbar, aber die Gegner der Geothermie seien derzeit sehr präsent. Das liegt vermutlich auch daran, dass Tiefbohrungen der Firma Fonroche im elsässischen Vendenheim aufgrund von Betriebsfehlern Schäden auf deutscher Seite verursacht haben – eine Entschädigung der betroffenen Hausbesitzenden aber bisher ausblieb. „Es gilt, mögliche Ängste ernst zu nehmen und Vertrauen herzustellen – in die Technik und das Vorhaben“, sagt André Stechern. „Aufkeimender Widerstand in der Bevölkerung könnte zum größten Hindernis für das Realisieren solcher Projekte werden.“

Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in Bonn. www.writingscience.de

INFO: Lithium zurückgewinnen

Für das weltweite Lithiumangebot spielte das Recycling bisher keine wesentliche Rolle. Das wird sich bald ändern. Nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur, Dera, könnte das Recycling im Jahr 2030 etwa drei bis neun Prozent des weltweiten Bedarfs decken.1) Nach neuer EU-Batterieverordnung müssen Batteriehersteller vermutlich ab dem Jahr 2032 mindestens sechs Prozent rezykliertes Lithium verbauen, fünf Jahre später steigt der Anteil auf zwölf Prozent.5)

Kommerziell sind derzeit zwei Methoden für das Batterierecycling im Einsatz:

Pyrometallurgie: Die Batterie wird in einem Elektroschmelzofen bei hohen Temperaturen verbrannt. Ni, Co und Cu lassen sich aus der entstandenen Legierung zurückgewinnen, Li, Mn und Graphit gehen in der Schlacke und den Abgasen verloren.

Hydrometallurgie: Die Metalle werden mit Schwefel- oder anderen Säuren aus dem Kathodenmaterial gelaugt und über mehrstufige Extraktions- und Fällungsprozesse einzeln extrahiert. So lässt sich auch Lithium zurückgewinnen.

Intensiv geforscht wird auch an einem direkten Recycling, bei dem Struktur und Eigenschaften der Elektrode größtenteils intakt bleiben. Das erspart mehrere energieintensive und kostspielige Verarbeitungsschritte. Experten gehen davon aus, dass dies eine Nischenanwendung bleiben wird, da das Verfahren für jede Batteriechemie spezifisch auszuarbeiten ist.

Das KIT hat zudem ein mechanisch-chemisches Verfahren entwickelt, bei dem die Kathode bei Raumtemperatur mit Aluminium vermahlen wird.6) Die dabei entstehenden wasserlöslichen Lithiumverbindungen lassen sich so separat und ohne Säuren zurückgewinnen. Der Rest der Kathode geht anschließend in die hydrometallurgische Verarbeitung.

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