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<h2>Hoppe — keiner von vielen</h2>
In der Januar-Ausgabe der Nachrichten aus der Chemie finde ich unter der Rubrik “Meilensteine der Chemie” den Hinweis, dass vor 50 Jahren (1962) Neil Bartlett erstmals eine Edelgasverbindung (Xenon-hexafluoroplatinat (V)) hergestellt und damit das langjährige Dogma widerlegt hat, nach dem Edelgase chemisch inert sind und keine chemischen Verbindungen eingehen.
Aus diesem Artikel [Nachr. Chem. 2012, 60, 13] muss meines Erachtens der Leser den Schluss ziehen, dass erst nach Bartlett andere, darunter auch Rudolf Hoppe, im gleichen Jahr weitere Edelgasverbindungen hergestellt haben.
Die Rolle Hoppes bei der Entdeckung der Xenon-edelgasverbindungen ist weit bedeutender als dargestellt. Er ist nicht einer von Vielen, die nach Bartlett auch Edelgasverbindungen synthetisiert haben, vielmehr ist er derjenige, der lange vor der Synthese theoretisch belegt hat, dass es vom Edelgas Xenon stabile Fluorverbindungen geben muss und der bereits vor Bartletts Veröffentlichung Xenontetrafluorid synthetisiert hatte.
Hoppes Arbeiten haben das lange Zeit von der Fachwelt vertretene Dogma, dass Edelgase keine Verbindungen eingehen, widerlegt — zunächst theoretisch durch Anwendung der damals gültigen, neueren Modellvorstellungen über die chemische Bindung, und, als er die Möglichkeit dazu erhielt, auch experimentell durch die Synthese von Xenontetrafluorid.
Rainer Fritsche, Frankfurt
Eine Darstellung des Prioritätsstreits findet sich in Nachr. Chem. Tech Lab. 1982, 30, 962.


<h2>So war das Studium schnell und erfolgreich</h2>
In der Sowjetunion (und wahrscheinlich auch heute noch) gab es ein Schulsystem mit zehn Klassen für alle Schüler. Ein Vorschuljahr ab dem sechsten Lebensjahr diente der Vorbereitung auf die Schule. Bereits nach sieben Schuljahren konnte die Schule mit Abschlusszeugnis verlassen werden, um einen Lehrberuf zu erlernen. Nach zehn Schuljahren ist der Abschluss mit einem Reifezeugnis verbunden, das zur Bewerbung für ein Hochschulstudium berechtigt.
Russische Hochschulabgänger haben generell eine vorzügliche theoretische Ausbildung hinter sich, und das, obwohl sie nur zehn Jahre zur Hochschulreife brauchten und die Aufnahmeprüfungen bestanden. Die Ursachen können also nicht an der Dauer der Schulausbildung liegen, sondern nur an der Qualität der Ausbildung und der Stoffauswahl.
Das russische Modell — bei aller möglichen Kritik — beruht darauf, dass die Schule solide Grundkenntnisse vermittelt, die auch danach abrufbar sind. Entscheidend ist dabei, was unter Grundkenntnissen verstanden wird.
Genau hier liegt ein möglicher Ansatz. Nehmen wir das Beispiel Mathematik. Welcher Geisteswissenschaftler oder Jurist braucht im Studienverlauf Differential- und Integralrechnung? Mathematiker, Naturwissenschaftler und Techniker erhalten in den ersten Semestern ohnehin die Möglichkeit, das Rüstzeug für ihren Beruf (vom “Urschleim” an) zu erarbeiten, wobei auf das Gymnasialwissen locker verzichtet werden kann. Zudem bekommt der — häufig in der Schule als trocken angesehene — Stoff sehr unmittelbaren Sinn für die Anwendung im eigentlichen Studienfach.
Das selbst erlebte russische Beispiel soll nur zeigen, dass es ohne Einbußen an notwendigem Wissen sicher möglich ist, anstelle von dreizehn auch mit zwölf Schuljahren auszukommen, und zwar ohne Erhöhung von 29 auf 33 Wochenstunden. Ein Abschluss nach zehn Jahren darf zu Recht als Turboabitur bezeichnet und nicht unbedingt als Vorbild angesehen werden. Zwölf Schuljahre so zu nennen, ist blanker Unsinn. Das wird aber von “Experten” in Medien gern getan. Man darf erwarten, und da glaube ich mit Michael Binnewies [Nachr. Chem. 2012, 60, 103] übereinzustimmen, dass man sich sehr bald im Schulwesen zu neuen Ansätzen durchringt — bei Didaktik, Stoffauswahl und Lernmethodik.
 Voraussetzung ist jedoch eine sorgfältige Abstimmung der Lerninhalte zwischen Schule und Hochschule. Die Zusammenarbeit zwischen diesen Bereichen im Rahmen eines Gesamt-Bildungskonzepts ist aus meiner Sicht mangelhaft und daher verbesserungsbedürftig.
Übrigens [Nachr. Chem 2012, 60, 152]: Ich war zu Studienbeginn 17 Jahre alt, brauchte keine Begleitperson zur Aufnahme, trank mit Kommilitonen auch Wodka, Bier und Wein und mich fragte niemand, woher ich nach 24 Uhr ins Wohnheim zurückkehrte!
Dieter Scheller, Dresden
<a href="mailto:du.scheller@tele2.de">du.scheller@tele2.de</a>


<h2>Wer rezensiert die Rezension?</h2>
Das von vielen gelobte Buch von Sam Kean: “Die Ordnung der Dinge” ist nach meinen Erkenntnissen an allzu vielen Stellen gar nicht in Ordnung!
Durch die Rezension in den Nachrichten aus der Chemie [Nachr. Chem. 2011, 59, 1183] neugierig geworden, und trotz der Erwähnung “einiger Klöpse durch die Übersetzer” hatte ich mir das Buch angeschafft.
Zunächst beeindruckt von der unterhaltsamen Schilderung vieler Entdeckungen und Forscherschicksale wich das Lesevergnügen mit jedem neu entdeckten haarsträubenden Fehler immer mehr einem regelrechten Grausen. Die von mir dann angekreuzten Fehler hatten sich bis zum Ende des Buches auf 74 Markierungen summiert. Diese Zahl würde bei exaktem Korrekturlesen sicher noch größer.
Kann sich ein renommierter Verlag denn keinen Fachübersetzer oder wenigstens einen Chemiestudenten zum Durchlesen vor der Druckfreigabe leisten?
Was fängt ein an Chemie interessierter Schüler beispielsweise mit Angaben an wie: “geschlucktes, festes Quecksilber / gasförmiger Kohlenstoff / Explosion von Arsen / Verbrennung von Helium / stinkender Schwefel / Entzündung von Sauerstoff / vereinzelt in Säuren vorkommende H-Ionen / Einatmen von Schwefelsäure” usw. Auch bei vielen rein physikalischen Angaben ist Unsinniges zu entdecken.
In den Naturwissenschaften sind wir doch stets zu sorgfältigstem Arbeiten und unbedingter Wahrheitstreue verpflichtet und haben dies dem Nachwuchs zu vermitteln!
Da diese verunglückte deutsche Ausgabe nicht komplett im Reißwolf landen kann, sollte sie besser — um aus der Not eine Tugend zu machen — in ein Ratebuch umbenannt werden. Dann könnte das Buch tatsächlich auch jeder Chemielehrer seinen Schülern empfehlen oder sogar ein Quiz veranstalten: “Wer findet alle Fehler in diesem unterhaltsamen Buch?”
Robert Ostwald, Ulm
<a href="mailto:robert.ostwald@gmx.net">robert.ostwald@gmx.net</a>


<h2>Ohne Methylengruppe wenig stabil</h2>
Im Dezemberheft der Nachrichten aus der Chemie [Nachr. Chem. 2011, 59, 1172] fehlt im Formelschema (Abb. 3) in der Konstitutionsformel von Diphenhydramin und dessen Metaboliten jeweils eine Methylengruppe zwischen N und O. Die gezeigten Verbindungen wären als Halbaminal-Acetale des Formaldehyds ja wenig stabil.
Ludwig Call, Voels
<a href="mailto:Ludwig.Call@uibk.ac.at">Ludwig.Call@uibk.ac.at</a>


<h2>Europa im April 2012</h2>
Die Nachrichten aus der Chemie berichten [Nachr. Chem. 2012, 60, 12] in den “ Meilensteinen” von einem österreichischen Chemiker namens Fritz Pregl, geboren 1869 in Slowenien, Wirkungsstätte Innsbruck/Tirol, gestorben in der Steiermark — keine Spur von Nieder- oder Oberösterreich. Nach regionaler Herkunft wäre Fritz Pregl also Slowene oder Tiroler gewesen. Eine österreichische Nationalität gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Die in technisch-naturwissenschaftlichen Beiträgen mit internationalem Hintergrund allgemein verwendete Kategorie der Nationalität für die Beschreibung der Herkunft der Persönlichkeiten, wie “deutscher Chemiker”, “französischer Chemiker” usw. und eben nicht schwäbischer oder thüringischer oder normannischer Chemiker, lassen für Fritz Pregel als einzige systematisch richtige Herkunftszuordnung nur die Bezeichnung “deutscher Chemiker” zu.
Auf Seite 15 des gleichen Beitrags wird allerdings Wilhelmine Pockels, geboren 1862, als deutsche Chemikerin bezeichnet, obwohl ihr Vater Offizier des k. u. k. Militärs, also nach der für Fritz Pregl angewandten Zuordnung wohl “Österreicher” war und ihre Mutter, Alwine Becker, vermutlich auch aus dem damaligen k. u. k. Ländern stammend, ebenfalls volkstümlich als Österreicherin hätte bezeichnet werden können. Nach moderner Übung hätten das und die Herkunft Wilhelmine Pockels' aus dem damals zum Kaiserreich Österreich gehörigen Venetien auch zur Zuordnung Wilhelmine Pockels' zu den österreichischen Chemikerinnen führen müssen.
Jedoch ist die Zuordnung Wilhelmine Pockels' zu den deutschen Chemikern systematisch richtig, da die deutschsprachigen Bürger der k. u. k. Monarchie, somit auch die des Kaiserreiches Österreich und die der zu ihm gehörigen Kronländer Ober- und Niederösterreich deutscher Nationalität waren.
Richtigerweise erfolgte die Zuordnung Wilhelmine Pockels' nicht nach den heutigen politischen Grenzen, wie es gegenwärtig bei der Zuordnung vieler deutscher Persönlichkeiten üblich ist, die in Gebieten des Österreichischen Kaiserreiches als Deutsche geboren wurden und nun posthum zu Österreichern werden. Nach dieser Logik wäre Pockels Venezianerin oder Italienerin gewesen, dies zumindest begründeter als Fritz Pregl Österreicher war.
Diese geografisch-historischen Kuriositäten entwickeln sich in den Nachrichten aus der Chemie zur Tradition. Bereits der Beitrag “Pionier der Seltenen Erden” zu Leben und Wirken Carl Auer von Welsbachs, geboren 1858 [Nachr. Chemie, 2008, 56, 889] lässt im Vergleich zu dem im selben Heft [Nachr. Chemie, 2008, 56, 959] zur gleichen Persönlichkeit erschienenen Beitrag der GÖCH eine angemessene Systematik bei Herkunftsnennungen für deutsche Chemiker vermissen.
Thomas Schöneburg, Schmalkalden
<a href="mailto:info@werkstoffsysteme.de">info@werkstoffsysteme.de</a>

Artikel

Korrespondenz

Hoppe — keiner von vielen In der Januar-Ausgabe der Nachrichten aus der Chemie finde ich unter der Rubrik “Meilensteine der Chemie” den Hinweis, dass vor 50 Jahren (1962) Neil Bartlett erstmals eine Edelgasverbindung (Xenon-hexafluoroplatinat (V)) hergestellt und damit das langjährige Dogma wider...

<h2>Naturwissenschaft versus Pseudowissenschaft — Beispiel Wasser</h2>
Wasser, das Wunderelement? Wahrheit oder Hokuspokus. Von Helge Bergmann. Wiley-VCH, Weinheim, 2011, 316 Seiten, geb. 24,90 Euro. ISBN 978—3—527—32959—5
Pseudowissenschaft, Esoterik, Scharlatanerie oder schlicht “Hokuspokus” und ihre Beziehung zur Wissenschaft sind das übergreifende Thema, das Helge Bergmann am Beispiel des Wassers aufgreift. Bergmann, promovierter Chemiker, hat sein Berufsleben bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde dem Wasser gewidmet. Wasser ist Grundlage des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen, und der menschlichen Kultur. Wasser spielt aber auch eine große Rolle in Religionen, Mythen, Esoterik und nicht zuletzt in Wirtschaft, Industrie, im geschäftlichen Leben. Dementsprechend eröffnet Wasser eine Spielweise für unterschiedlichste Akteure, darunter nicht nur Wissenschaftler, Ingenieure und Geisteswissenschaftler, sondern auch Pseudowissenschaftler, Geschäftemacher, Betrüger.
Nun wäre es für einen Naturwissenschaftler ein Leichtes, über Abweichler vom wissenschaftlichen Kurs zu Gericht zu sitzen und ihre Behauptungen als wissenschaftliches Fehlverhalten wortgewaltig zu verurteilen. Helge Bergmann widersteht dieser Versuchung. Vielmehr stellt er heraus, dass dies — auch gemessen am eigenen Anspruch — voreilig wäre, und betont, dass oft genug neue wissenschaftliche Ideen aus unkonventionellen Gedanken und Gedankensprüngen resultieren.
Das Buch, ein Sachbuch aus der Reihe “Erlebnis Wissenschaft” des Verlags, ist in sechs Kapitel gegliedert. Die ersten 62 Seiten schildern ausführlich Grundlagen aus Religion, Philosophie, Mythologie und vor allem Naturwissenschaft einschließlich einer zehnseitigen Darstellung naturwissenschaftlichen Denkens und Arbeitens.
Danach wird in vier Kapiteln den verschiedenen Erscheinungen und dem Wasser zugeschriebenen Eigenschaften und Möglichkeiten zu deren Verbesserung nachgegangen: “Schwingungen” des Wassers, “Gedächtnis” des Wassers, “besseres” Wasser, “Verbesserung” des Wassers. Wissenschaftliches Arbeiten und fachliche Redlichkeit stehen auf den letzten 37 Seiten im Mittelpunkt. Hier werden detailliert vermeintliche Tests und Beweise der in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Wundererscheinungen betrachtet und analysiert. Damit schließt sich der Kreis zum ersten Kapitel. Der Autor scheut nicht die Mühe, auf die Rechtslage einen Blick zu werfen sowie einschlägige Urteile zusammenzustellen und zu kommentieren. Dies ist besonders interessant, da die zugrunde liegenden Rechtsverfahren sich auf Fälle beziehen, die zuvor aus naturwissenschaftlicher Sicht aufgerollt worden waren.
Auch der mit dem Themenbereich Wasser aus verschiedenen Perspektiven gut vertraute Leser wird überrascht sein über die Fülle des Materials, das Helge Bergmann zusammengetragen hat, und darüber, was es an Kuriositäten gibt. Es sei erwähnt, dass der Autor auch solche Gebiete bespricht, über die manche auch ernst zu nehmende Wissenschaftler nicht ohne Weiteres den Stab brechen wollen, etwa Homöopathie.
Das Buch erscheint alles in allem rundherum gelungen — ein ungewohnter Blick auf einen Grundstoff von Leben, Kultur und Zivilisation, ansprechende Aufmachung und Gliederung, quasi fehlerfrei geschrieben und gesetzt. Es sei allen empfohlen, die mehr über Wasser und Chemie erfahren wollen, als die übliche Literatur erfasst, oder die einfach kurzweilige, gleichwohl fundierte, Lektüre mit Nähe zu Chemie, Physik und Technik suchen.
Frank Bringewski, Siegburg


<h2>Ein Stück der jüngsten Chemiegeschichte</h2>
Clariant Clareant. Die Anfänge eines Spezialitätenchemiekonzerns. Von Anna Bálint. Campus, Frankfurt, 2011. 306 Seiten, geb. 24,99 Euro. ISBN 978—3—593—39375—9
Als ich gefragt wurde, ein Buch über Clariant zu besprechen, dachte ich an ein typisches Firmenbuch, das die Aufgabe hat, die Firma in ein gutes Licht zu setzen. Und “clareant” kommt vom Lateinischen clarere, leuchten oder berühmt sein. Ein Blick in die Vita der Autorin Anna Bálint zeigt, dass sie sowohl Betriebswirtschaft als auch Geschichte studiert und in Kunstgeschichte promoviert hat. Wie wird sie ein Chemieunternehmen beschreiben? 
Kenner der Chemieindustrie wissen, dass Sandoz Clariant im Jahr 1995 die Börse gebracht hat. 1997 wurde Clariant mit einem Teil der Chemiesparte von Höchst verschmolzen. Die Firma ist also ein typisches Beispiel für die Umgestaltung der Industriestruktur seit Mitte der neunziger Jahre. Da ich bei Hüls und Degussa diese Zeit miterlebt habe, schlug ich das Buch gespannt auf, um es dann praktisch in einem Zug durchzulesen.
Es ist kein typisches Firmenbuch. Es ist mehr, es geht viel tiefer. Es ist auch ein Geschichtsbuch und beschreibt zunächst allgemein die Farbenindustrie, dann die Geschichte von Sandoz und Höchst, jeweils bis zur Ausgliederung der Töchter. Für die Kapitel zur Farbenindustrie und zu Höchst hat sich die Autorin fachkundige Koautoren gesucht. Diese geschichtlichen Bezüge sind notwendig, denn bekanntlich entwickelt sich die Zukunft aus der Herkunft. Gerade bei alten Chemieunternehmen spielt die jahrhundertealte Kultur eine große Rolle. Brüche in der Kultur und Firmenmerger machen sich da besonders bemerkbar.
Der überwiegende Teil des Buches behandelt die Jahre 1995 bis 2011 und basiert auf etwa 80 Interviews und Quellen bis hinein in Vorstandsprotokolle. Die Quellen sind im ausführlichen Anhang gut beschrieben. Das Buch gab Clariant 2009 in Auftrag, und die Autorin hat es in Muttenz in der Zentrale geschrieben. Umso überraschender ist die Offenheit, mit der die Interviewpartner über die Industriegeschichte berichten. Wenn man selbst dieser Generation angehört, kennt man eine Reihe dieser Interviewpartner und erinnert sich an manche Gegebenheit, wo die Geschichte der Clariant mit dem eigenen Arbeitgeber vernetzt war und ist. Ich denke beispielsweise an die wenig glückliche Akquisition des Spezialchemieherstellers Laporte durch Degussa, die Clariant vorher angestrebt und dann auf Druck von Höchst nicht vollzogen hatte. Der massiv überzahlte Kauf des englischen Chemiekonzerns BTP, der Clariant an den Rand des Abgrunds brachte, ist heute ein warnendes Lehrbeispiel in der Betriebswirtschaft.
Dieses Buch spricht viele Lesergruppen an. Es ist spannend und gut geschrieben und erzählt viel über die Wurzeln und Entwicklung der Chemieindustrie, insbesondere über die Menschen, die diese Industrie geführt haben. Studenten der Chemie und der Betriebswirtschaft lernen daraus. Wir, die älteren Semester, finden uns in diesem Buch wieder, auch wenn wir nicht bei Höchst, Sandoz oder Clariant gearbeitet haben.
Michael Dröscher, Dorsten


<h2>Wir auch!</h2>
Schreiben. Bloggen. Präsentieren. Wege der Wissenschaft in die Welt. Von Michael Sonnabend, Susanne Weiss. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Essen, 2011. 140 Seiten, geb. 12,90 Euro. ISBN 978—3—922275—47—3
“Wir sind es leid …” beginnen die Autoren dieses handlichen Büchleins ihr Vorwort zu einer unserer wichtigsten Kommunikationstechniken, dem Schreiben. Sie möchten, dass wir in der Lage sind, einen “klaren, gut strukturierten Text ohne Jargon” verfassen, ohne “allzu viele Zerstörungen in Wortschatz, Grammatik, Rechtschreibung und Interpunktion” anzurichten.
Da kann sich der Rezensent nur anschließen. Dieses Vademecum zum Schreiben, Bloggen und Präsentieren enthält auf 140 Seiten im handtaschengerechten Format nicht zu viel Information, als dass es nicht für jeden zumutbar wäre, dieses Kompendium wenigstens einmal zu lesen. Die Vorschläge sind durch die Bank weg hilfreich, ihre Präsentation kurzweilig. Für jeden, der schreiben will oder schreiben muss, führen sie rasch zu besseren Texten und damit einem besseren Verständnis der Texte durch den Leser. Vielleicht wäre für viele schon hilfreich, wenn die folgende Überlegung Allgemeingut wäre: Jeder von uns hat in der Schule Musikunterricht genossen. Aber wer von uns spielt Geige oder Klavier oder komponiert passabel, nur weil er Noten lesen kann? So ist das auch mit dem Schreiben. Fast alle vergessen, dass sie beim Schreiben (gleichgültig ob für Zeitschrift, Web oder die ppt-Folie) Dilettanten sind, sonst müsste man Journalismus nicht an der Hochschule studieren oder als Ausbildungsberuf lernen.
Wem also Wolf Schneiders sprachlicher Handwerkskasten “Was uns die Schule zu lehren vergaß” zu wenig wissenschaftsnah ist, der ist mit dieser Reputationswerkstatt des Stifterverbands gut bedient. Der Nutzer kommt rasch zu besser geschriebenen Texten, vor allem aber beginnt er, darüber nachzudenken, ob sein bisheriges unreflektiertes Schreiben a) den Leser erreicht und b) den Regeln der Sprache folgt. Und dieses Nachdenken erleichtert nicht nur dem Autor und dem Leser, sondern auch dem Lektor oder Redakteur — so man das Glück hat, einen zu haben — das Leben ungemein. Auch die sind es leid.
Ernst Guggolz, Frankfurt


<h2>Spirou und Fantasio</h2>
Die Haischwimmerin.
Von Heinrich Steinfest. Piper, München, Zürich, 2011. 352 Seiten, geb. 19,99 Euro. ISBN 978—3—492—05407—2 
Ein Pharmakonzern schickt Ivo Berg, den Helden dieses Romans, in den fernen Osten Russlands: Er soll eine Dahurische Lärche nach Deutschland bringen. Die Pharmaforscher haben es auf die ölige Ausscheidung ihrer Zapfen abgesehen, die das Zeug zum Wundermittel haben, zum Blockbuster würde man sagen. Die Ankündigung des Verlags machte die Nachrichten-Redaktion neugierig, und so landete dieses Buch auf dem Schreibtisch der Rezensentin.
Vorab: Das Buch ist — entgegen dem Klappentext — kein Kriminalroman, und mit Naturwissenschaft hat es weiter auch nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine fantastische Abenteuergeschichte mit märchenhaften Zügen: Ivo Berg bekommt den Auftrag des Arzneimittelunternehmens, weil er mit Bäumen sprechen kann wie der Pferdeflüsterer mit Pferden. Auf der Suche nach dem Wunderbaum mit der purpurfarbenen Rinde gerät er in Sibirien in eine unterirdische Verbrecherstadt, deren Bewohner von Fliegenpilzen leben. Dort trifft er seine Jugendliebe Lilli Steinbeck wieder, die als Polizistin eine Mordserie unter Tage aufklären soll. Das klingt skurril, Handlung und Einfälle im Buch sind noch skurriler, vor allem die Personen, die dem Leser begegnen: etwa die taubstumme Tochter eines sibirischen Professors, ein fetter Grieche, den die Eweken, ein Volk im fernen Osten Sibiriens, mit einer Sänfte durch den Wald tragen, oder ein italienischer James-Mason-Verschnitt, der in der unterirdischen Stadt schamanische Puppen anfertigt und verkauft.
Man hat den Eindruck, der Autor hatte selbst viel Vergnügen beim Schreiben und die Fantasie ist das eine oder andere Mal mit ihm durchgegangen. Es fördert das Leservergnügen an diesem Roman, wenn man den Film “Matrix” gesehen hat, James-Bond-Streifen ebenso, den einen oder anderen Spirou-und-Fantasio-Comic gelesen hat, Bilder von Max Ernst und Raffael kennt und weiß, wie Klingonen aussehen. Manche Klischees nerven, etwa wenn es um die Schönheit und die Stöckelschuhe der Frauen im Roman geht. Wenn man darüber hinwegsieht und sich nicht besonders daran stört, dass der Stil manchmal etwas geschwätzig ist, macht es Spaß, das Buch zu lesen.
Frauke Zbikowski, Frankfurt


<h2>Chemiker und Katzenfreunde: Heilsbringer oder Drogenkocher?</h2>
Das unsagbar Gute. Von Christian Mähr. Deuticke im Paul- Zsolnay-Verlag, Wien, 2011. 320 Seiten, geb. 17,90 Euro. ISBN 978—3—552—06170—5
Das unsagbar Gute — findet der Autor es im liebenden Enkel, im fleißigen Chemiker? Handelt die Tierärztin moralisch oder gar der Drogenhändler? Umgekehrt gefragt: Kann eine Katze böse sein? Ist das unsagbar Gute möglich in einem Roman mit mehr als drei Toten, mit neugierigen Nachbarn, dreisten Dealern und einem arbeitslosen Chemiker? Wird dieser ein Krebsheilmittel finden, und was ist das unsagbar Gute überhaupt?
Erste Hauptperson des Buchs ist Manfredo, ein junger Mann, der vom Verkauf der Drogen lebte, die seine Großmutter, eine pensionierte Chemielehrerin, im Keller ihres Hauses im malerischen Dornbirn in der Nähe von Wien produzierte. Als die Großmutter unter mysteriösen Umstanden stirbt, findet Manfredo im arbeitslosen Chemiker Romuald Nowak Ersatz. Nowak wohnt nun in Omas Haus, will aber lieber ein Mittel gegen Krebs produzieren als Drogen. Er wird zur zweiten Hauptperson des Buchs und unterstützt Manfredo im Kampf gegen eine Drogenbande. Eine dritte Person bestimmt den Fortgang der Geschichte: Mauritius Schott, der Nachbar der Großmutter. Bei ihm sucht sich Omas Kater Sami eine neue Bleibe. Sami ist das Haupttier des Buchs und der Autor Christian Mähr vermittelt, dass vielleicht Sami das Schicksal all der Haupt- und das der Nebenpersonen wie dem zwielichtigen Cafetier Fritz Bindl und den erpresserischen Schwestern Kaserer bestimmt.
Mähr liebt es zu erzählen, und so kommt er manchmal vom Hundertsten ins Tausendste. Da wundert sich der Leser vielleicht, warum er seitenweise über das Verhalten von Katzen informiert wird, wo er doch ein Drogenlabor erwartete. Aber die Zeit vergeht wie im Flug, denn der Roman ist leicht zu lesen.
Der Autor ist Österreicher und Chemiker, und bereits auf Seite 11 schmeichelt er seinen Fachkollegen, wenn er über die Großmutter schreibt: “Von ihrer Ausbildung als Chemikerin besaß sie ohnehin ein Gefühl für apparative Praxis.” Später erfährt der Leser, dass Chemiker das Heft in die Hand nehmen, schnell denken und nicht auf Bäumen wachsen. Das Österreichische irritiert den norddeutschen Leser manchmal, beispielsweise, wenn einer die “Nerven wegwirft”. Aber das passiert Nowak in seiner “Chemikerignoranz” nur selten.
Die Chemie, die im Buch vorkommt, ist realistisch. Wenn etwa von 110 Prozent Ausbeute die Rede ist, dann nur, weil gewissenlose Drogenkocher ihre Produkte “nicht mal umkristallisieren”, sondern mit dem Dreck im Labor zusammenfegen und verkaufen. Der nicht chemisch gebildete Leser erfährt, dass ein dafür empfindliches Gift sich bei Regen hydrolytisch zersetzt und dass sich bei der Fries-Verschiebung Phenylester in Acylphenole umlagern. Schwefelsäure, Alkohole bis hin zur Junk-DNA — der Autor mutet dem gewöhnlichen Leser manches zu, den naturwissenschaftlich interessierten mag es freuen.
Der Roman driftet manchmal ins Irrationale, bleibt spannend bis zum Schluss und endet etwas überraschend — insgesamt: unbedingt lesenswert.
Maren Bulmahn, Frankfurt


<h2>Ein Jahr nach Fukushima</h2>
Atomblut.
Von Utz Claassen. Econ, Berlin, 2012. 381 Seiten, brosch. 18,00 Euro. ISBN 978—3—430—20130—8
Dies ist der Krimi zur Energiewende, verfasst von Utz Claassen, dem früheren Chef des süddeutschen Energieversorgers EnBW. Claassen schenkte damals Ministern VIP-Tickets für die Fußball-WM und streitet sich heute noch mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, der inzwischen insolventen Millennium Solar, um Antrittsprämie und Abfindung, weiß also, wie es in der Branche läuft.
Krachend beginnt der Roman: Der Vorstandsvorsitzende eines Energiekonzerns verunglückt tödlich mit seinem Zwölfzylinder, und es ist — für den Leser offensichtlich — Mord. Der fettleibige Gewerkschaftsmann im Aufsichtsrat lässt sich im Hinterzimmer seines Bochumer Rotlichtclubs von einer Neuerwerbung bedienen, während er am Telefon intrigiert. Es geht um die Nachfolgerin des Verunglückten, die junge und brillante Unternehmenssaniererin Fabienne Felsenstein. In dem Tempo geht es allerdings nicht weiter. Aufgeblähte Sprache, endlose Strategiesitzungen, Innovationsgipfel und Drohanrufe langweilen. Das eigentlich Interessante im Roman sind die Affären, Strippenzieher und Machtspielchen, und zwar deswegen, weil der Eindruck entsteht, so könnte es in der Realität ablaufen. Der Autor beteuert aber, sein Buch sei kein Schlüsselroman. Kaum zu glauben.
Frauke Zbikowski, Frankfurt


— — — Eine Frage der Dosis
Die Welt der Gifte. Von Karsten Strey. Lehmanns media, Berlin, 2011. 409 Seiten, brosch. 24,95 Euro. ISBN 987—3—86541—419—9
Geordnet nach dem Periodensystems stellt Strey Stoffe mit Giftpotenzial vor, Schmerzmittel und biologische Gifte, dazu toxikologische Daten, Formeln sowie geschichtliche Hintergründe.
Experimentelle Archäologie
Reconstructions. Recreating science and technology of the past. Hrsg. von Klaus Staubermann. NMS Enterprises, Edinburgh, 2011. 276 Seiten, brosch. Ca. 37,99 Euro.
ISBN 978—1—905267—48—4
Wissenschaftler berichten über Nachbildungen aus Gebieten wie Physik, Transport und Kommunikation, etwa das Zöllner-Photometer und ein Wikingerschiff.
Wissenschaftliche Präsentation
Performing Science². Gießener Preis für wissenschaftliche Präsentation &amp; Lecture Performance. Hrsg. von der Justus-Liebig-Universität, Gießen, 2012. Drei DVDs, Booklet, 19,80 Euro zzgl. Versand. Erhältlich bei <a href="mailto:zmi@uni-giessen.de">zmi@uni-giessen.de</a>
Jetzt gibt es die Aufzeichnung des Wissenschaftspräsentations-Wettbewerbs “Performing Science” vom September 2011 [Nachr. Chem. 2011, 59, 1150].
Verfahrenstechnik
Grundbegriffe der Verfahrenstechnik.
Von Rüdiger Worthoff, Wolfgang Siemes. 3. Aufl., Wiley-VCH, Weinheim, 2012. 306 Seiten, geb. 49,90 Euro. ISBN 978—3—527—33174—1
Die dritte Auflage des Buches über Verfahrenstechnik von 1966 behandelt physikalische und chemische Grundlagen, ergänzt um Beispiele, Diagramme und Aufgaben.
Tagungsband zur Energiefrage
Herausforderung Energie. Ausgewählte Vorträge der 126. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.
Hrsg. von Jürgen Renn, Robert Schlögl, Hans-Peter Zenner. Epubli, Berlin, 2011. 220 Seiten, brosch. 14,46 Euro. ISBN 978—3—8442—0500—8
Kostenlos herunterzuladen unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.edition-open-access.de" target="_blank">www.edition-open-access.de</a></ext-link>
In den Aufsätzen in diesem Tagungsband geht es um die Energie wende und die Situation in Deutschland ganz allgemein. Spezieller wird es bei den Themen Stromnetze, Geothermie, Endlagerung von Atommüll, CO2-Speicherung, Mobilität, Strom aus der Wüste und chemische Katalyse. Dazu kommen eher philosophische Betrachtungen des Begriffs Energie.

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