Wissenschaft & Forschung

Die Radiokarbonmethode ist die Standardmethode, um das Alter geologischer und archäologischer Funde zu bestimmen. Sie wird aber immer ungenauer. Die Ursache dafür ist die Zunahme von Kohlenstoff fossiler Herkunft in der Atmosphäre.
Die Erdatmosphäre wird im Jahr 2050 nach der C-14-Methode 1000 Jahre alt erscheinen, falls weiterhin Kohlenstoff aus fossilen Quellen in die Atmosphäre gelangt. Das berechneten Physiker um Heather Graven am Londoner Imperial College.1) Sie legten Umweltszenarios des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zugrunde.Die Radiocarbonmethode beruht darauf, dass das Isotopenverhältnis zwischen den Kohlenstoffisotopen 14C und 12C in einem lebenden Organismus dem Verhältnis in der Atmosphäre entspricht. Stirbt der Organismus, baut er kein weiteres 14C ein. Das radioaktive Isotop zerfällt mit einer Halbwertszeit von etwa 5700 Jahren, sein Gehalt sinkt. Je geringer das Verhältnis von 14C zu 12C in einem historischen Fundstück ist, desto älter ist es.<h2>Der Suess-Effekt</h2>Ab 1947 entwickelte Willard F. Libby die C-14-Methode, für die er im Jahr 1960 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Anhand der Isotopenverhältnisse von Holzproben, die bis zu 5000 Jahre alt waren, erstellte er eine Kalibrierkurve, die Kernchemiker weiter verfeinerten, indem sie die Isotopenverhältnisse in Baumringen bestimmten. Als Gegenwart wird das Jahr 1950 definiert.<figure><img src="https://media.graphcms.com/7woS417DTL6CQsR5cD1l"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Alt oder in Wirklichkeit ganz jung? Versteinerte Baumscheibe aus Arizona. <named-content>Foto: Michael Gäbler, <a href="https://commons.wikimedia.org" target="_blank">commons.wikimedia.org</a></named-content></figcaption></figure>
Kohlenstoff aus fossilen Brennstoffen enthält aufgrund seines hohen Alters weniger oder kein 14C. Entsprechend sinkt der 14C-Anteil in unserer Atmosphäre, wenn wir Kohle und Erdöl verbrennen. Organismen bauen heute also von vornherein weniger 14C ein, erscheinen bei der Untersuchung also älter, als sie sind. Diesen Effekt beschrieb der österreichische Physikochemiker Hans E. Suess bereits in den 1950er-Jahren.<h2>Der Bombenpeak</h2>Normalerweise entsteht 14C aufgrund kosmischer Strahlung in den oberen Schichten der Erdatmosphäre. Diese erzeugt Neutronen, die mit 14N-Atomen in einer Kernreaktion zum radioaktiven 14C-Kohlenstoffisotop reagieren.Der Suess-Effekt kehrte sich in den 1950er Jahren kurzfristig um: Der 14C-Gehalt der Atmosphäre stieg schlagartig aufgrund oberirdischer Kernwaffentests, die unnatürlich große Mengen an Neutronen freisetzten. Der Partial Test Ban Treaty aus dem Jahr 1963 beendete die Waffentests. Die Abbauprozesse in der Biosphäre senkten den atmosphärischen 14C-Gehalt exponentiell, er nähert sich wieder seinem natürlichen Wert. Organismen bauten in der Zeit also mehr 14C ein, sodass der Bombenpeak dabei hilft, Proben aus der Zeit nach den 1950er Jahren zu datieren.2) Man kann genau feststellen, zu welchem Zeitpunkt nach den Kernwaffentests ein Organismus starb.Der Suess-Effekt erschwert es heute, historische Fundstücke zu datieren. Kunstfälschern erleichtert dies das Geschäft.3) Der Kernphysiker und Datierungsspezialist Walter Kutschera von der Universität Wien meint dazu, für eine archäologische Datierung müsse man noch sorgfältiger mit der Herkunft der Proben und deren Behandlung für eine 14C-Datierung umgehen. Die Datierung von Proben aus der Zeit vor dem Beginn der industriellen Revolution sollte das nicht beeinflussen.Markus Schulze ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 H. D. Graven, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 2015, 112, 31, 9542.</li><li>
2 E. M. Wild, W. Kutschera, Spektrum der Wissenschaft 3/2016, 62.</li><li>
3 G. Kleinhubert, Der Spiegel 3/2018, 104.</li></ul>

Artikel

Kein eindeutiges Alter

Die Radiokarbonmethode ist die Standardmethode, um das Alter geologischer und archäologischer Funde zu bestimmen. Sie wird aber immer ungenauer. Die Ursache dafür ist die Zunahme von Kohlenstoff fossiler Herkunft in der Atmosphäre. Die Erdatmosphäre wird im Jahr 2050 nach der C-14-Methode 1000 Ja...

Bei vielen Amphibien und manchen Fischen wachsen amputierte Körperteile nach. Drei Genomuntersuchungen bei Künstlern der Selbstreparatur versprechen nun Einblicke in dieses Phänomen und Grundlagen, um es in der Medizin zu nutzen.
Alexander von Humboldt (1769 – 1859) brachte im Jahr 1804 erstmals Exemplare des mexikanischen Axolotl (Ambystoma mexicanum) nach Europa, die er dem Pariser Naturkundemuseum vermachte. Es handelt sich, wie der dort tätige Naturforscher Georges Cuvier (1769 – 1832) sofort erkannte, um eine Salamanderart, die nicht die bei Amphibien übliche Metamorphose durchläuft, sondern ihr ganzes Leben im Larvenzustand und damit im Wasser verbringt.Allerdings ignorierte die Fachwelt Cuviers Geistesblitz mehr als ein halbes Jahrhundert lang und klassifizierte den Axolotl als eine Fischart. Dabei sind diese Neotenie und ihre physiologische Ursache leicht nachzuweisen. Es handelt sich gewissermaßen um eine erbliche Schilddrüsenfehlfunktion. Indem sie Iod oder das Schilddrüsenhormon Thyroxin injizierten, erzwangen Forscher die Metamorphose – und erzeugten so die in der Natur nicht beobachtete, erwachsene, terrestrische Form des Salamanders.Für die zoologische Forschung hat die Neotenie durchaus Vorteile: Der im Wasser lebende Axolotl lässt sich im Labor leichter handhaben als die terrestrische Salamanderverwandtschaft. Als Labormodell eignet sich der Axolotl insbesondere, um die Regeneration von Gliedmaßen zu erforschen, die bei dieser Art wie auch bei anderen Amphibien erstaunlich ausgeprägt ist.<h2>Heilkunst</h2>Ein abgetrenntes Bein wächst beim Axolotl und bei anderen Salamandern innerhalb weniger Wochen nach. Der Regenerationsprozess verläuft in drei Phasen. Zunächst heilt die Wunde ebenso wie bei uns Säugetieren: die Adern verschließen sich durch Blutgerinnung und die Oberfläche wird mit einer Wundhaut versiegelt. Nach einer Woche hat sich darunter eine molekulare Signalstation gebildet, die apikale ektodermale Kappe. Diese ist Teil der Regenerationsknospe, die in etwa der Extremitätenknospe in der embryonalen Entwicklung der Gliedmaßen entspricht.In der zweiten Phase bildet sich dann eine speziell für die Regeneration zuständige Zellgruppierung, das Blastem. Es enthält Vorläuferzellen der jeweils erforderlichen Zelltypen und bildet ein Umfeld, in dem in der dritten Phase das neue Gewebe koordiniert wächst.Ähnliche Mechanismen einschließlich der Blastembildung gibt es auch, wenn Fische eine verletzte Flosse regenerieren, etwa der als Modell beliebte Zebrabärbling (Danio rerio). Die seltenen Fälle von Regeneration bei Säugetieren – etwa im Hirschgeweih oder in den Pfotenspitzen von Mäusen – laufen jedoch anders.Die weite Verbreitung der Selbstheilkunst im Tierreich außerhalb der Klasse der Säugetiere legt nahe: Sie könnte eine urtümliche Fähigkeit sein, die den Säugern verloren ging. Vielleicht liegt das an unserem Immunsystem mit seiner Entzündungsreaktion, die den Amphibien, Fischen und Wirbellosen fremd ist.Wenn wir wüssten, welche Gene und molekularen Mechanismen den Säugern verloren gingen, dann wäre es vielleicht in ferner Zukunft möglich, diese im Bedarfsfall gezielt zu verabreichen. So ließe sich örtlich und zeitlich begrenzt die Regeneration eines Körperteils anregen.<h2>Riesengenome</h2>Wissenschaftler suchten die Rezepte für die Selbstreparatur im Genom des Axolotl. Doch da gab es ein Problem. Mit einer Gesamtlänge von 32 Milliarden Basenpaaren ist das Genom des ewig jungen Schwanzlurchs mehr als zehnmal so groß wie unseres. Und die zusätzliche Länge besteht hauptsächlich aus sich wiederholenden Abschnitten, genug, dass selbst die besten Sequenzierautomaten scheiterten.Um den Weg durch dieses genetische Labyrinth zu finden, brauchte die Genomforschung zwei Werkzeuge: hocheffiziente Sequenzierungsmethoden für lange Fragmente (long reads), die erst vor wenigen Jahren entwickelt worden sind, und neue Informatikmethoden, um die sequenzierten Sequenzen zu identifizieren und korrekt zusammenzufügen.Die nötige Bioinformatik entwickelte Siegfried Schloissnig mit seiner Arbeitsgruppe am Heidelberg Institute for Theoretical Studies (HITS) im Rahmen des Projekts „Computational Biology“. Das Assemblierungsprogramm Marvel ermöglichte es, das Genom zu sequenzieren und nahezu vollständig zusammenzusetzen. Es handelt sich um das größte bisher sequenzierte Genom. Dafür arbeitete Schloissnig zusammen mit Michael Hiller am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und der Axolotl-Expertin Elly Tanaka von der Universität Wien.In einem zweiten Projekt kooperierten Schloissnig und Hiller mit der Arbeitsgruppe von Jochen Christian Rink am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. Sie widmeten sich einem weiteren Regenerationskünstler, dem Plattwurm Schmidtea mediterranea. Dieser primitive Wurm kann seinen kompletten Körper aus einem kleinen Fragment regenerieren. Auch er hat ein hochgradig repetitives Genom, das sich nur mit Marvel vollständig zusammensetzen ließ.2)Kurz zuvor hatte die Arbeitsgruppe von Ahmed Elewa am Karolinska-Institut in Stockholm das 20 Milliarden Basenpaare umfassende Genom des spanischen Rippenmolchs Pleurodeles waltl entschlüsselt (Abbildung S. 595).3) Damit stehen jetzt drei Genome zur Verfügung, um Aufschluss über die Regeneration zu geben.<figure><img src="https://media.graphcms.com/SurasfXrQQKcT2IZmgUB"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Sein Genom enthält 20 Milliarden Basenpaare: der spanische Rippenmolch (Pleurodeles waltl). <named-content>Foto: Fotolia/Wolfgang</named-content></figcaption></figure>
<h2>Von Lurchen lernen</h2>In ihren ersten Analysen der drei Genome haben die Forscher verschiedene Besonderheiten entdeckt. Bei Pleurodeles waltl fanden sich auffällige Transposons, also bewegliche genetische Elemente. Insbesondere die der Harbringer-Familie waren so verbreitet wie bisher in noch keinem anderen Genom. Unter diesen Transposons ist zudem ein mutmaßlicher Transkriptionsfaktor, dessen Synthese bei der Regeneration von Gliedmaßen verstärkt wird.Wichtig bei der Regeneration des spanischen Rippenmolchs scheinen auch die Mikro-RNAs zu sein. Das ist eine Gruppe nichtcodierender RNA-Moleküle, die in embryonalen Stammzellen vorkommen und bei der Umprogrammierung von Zellen zu induzierten pluripotenten Zellen helfen.Beim Axolotl-Genom stechen zunächst andere Eigenschaften ins Auge. Ein direkter Gegensatz zu Pleurodeles waltl zeigt sich bei dem Faktor pax3, der für die Embryonalentwicklung zuständig ist. Was Experten bereits vorher vermutet hatten, bestätigte erst die vollständige Assemblierung des Genoms zuverlässig: Dem Axolotl fehlt dieser Entwicklungsfaktor. Dessen Rolle in der Embryonalentwicklung übernimmt offenbar der verwandte Faktor pax7. Wie Elewas Arbeitsgruppe mit der Genschere Crispr zeigte, ist pax3 bei der Regeneration von Gliedmaßen des Molchs unentbehrlich für die Muskelbildung. Ohne pax3 wuchsen die Glieder ohne Muskel. Wie beim Molch fanden die Genomforscher beim Axolotl etliche Mikro-RNAs, die möglicherweise an der Regeneration beteiligt sind.All diese Befunde sind nur erste Indizien. Die genaue Funktion der verdächtigen Faktoren muss erst im Detail erforscht werden, bevor man darüber nachdenken kann, wie sie sich in der regenerativen Medizin einsetzen lassen.Erste Ideen dazu haben Lina Quijano von der Tulane University in New Orleans und Kollegen kürzlich formuliert.4) Sie schlagen vor, mit einer Art Hauttransplantation die apikale ektodermale Kappe nachzuahmen. Der zweite Schritt ließe sich durch Injektion der identifizierten Signalstoffe, Mikro-RNAs und anderer Faktoren in die Wege leiten. Darüber hinaus wäre es unter Umständen notwendig, induzierte pluripotente Zellen zu erzeugen und einzusetzen.Ob und wann eine medizinische Nutzung jemals möglich sein wird, ist noch nicht abzusehen.Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/DPRw8JTyoqpUJXgCVggW"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Labormodell Axolotl (Ambystoma mexicanum). <named-content>Quelle: Fotolia/lapis2380</named-content></figcaption></figure>
<h2>Quergelesen</h2>Der Schwanzlurch Axolotl regeneriert seine Gliedmaßen wie manche Fische in drei Phasen. Bei Säugetieren wie Hirschen und Mäusen läuft das anders. Möglicherweise hatten auch unsere Urvorfahren ursprünglich die Fähigkeit, Körperteile zu regenerieren.Die Antwort, warum sich das Axolotl regenerieren kann, suchten Forscher in seinem Genom, das 32 Milliarden Basenpaare umfasst. Zusätzlich untersuchten sie einen Molch und einen Plattwurm.In den Genomen fallen Transkriptions- und Entwicklungsfaktoren auf sowie Mikro-RNAs.Ob und wann es möglich sein wird, Erkenntnisse daraus auf den Menschen anzuwenden, ist unklar.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 S. Nowoshilow, S. Schloissnig, J.-F. Fei et al., Nature 2018, 554, 50–55.</li><li>
2 M. A. Grohme, S. Schloissnig, A. Rozanski et al., Nature 2018, 554, 56–61.</li><li>
3 A. Elewa, H. Wang, C. Talavera-López et al., Nat. Comm. 2017, 8, 2286.</li><li>
4 L. M. Quijano, K. M. Lynch, C. H. Allan, S. F. Badylak, T. Ahsan, Tissue Eng. B 2016, 22, 251–262.</li></ul>

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