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Jüdische Chemikerinnen zur Zeit des Nationalsozialismus

Nachrichten aus der Chemie, November 2022, S. 28-32, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Weder Alter noch Geschlecht spielten eine Rolle – wer keinen „Arier-Nachweis“ erbringen konnte, musste damit rechnen, dem Nazisystem zum Opfer zu fallen. Als Rechtfertigung nutzten die Nazis häufig das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Dies betraf auch die Chemikerinnen Wera Krilitschewsky, Anna Hamburger und Gertrud Kornfeld.

Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“, sagte der spanische Philosoph George Santayana (1863 – 1952). Erinnern wir uns.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 hatte dazu geführt, dass viele jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer sowie Juristinnen und Juristen aus dem Staatsdienst entlassen worden waren. Einige flüchteten, teilweise gelang ein Neuanfang in einem fremden Land. Viele wurden in Vernichtungslagern ermordet, manche setzten ihrem Leben selbst ein Ende – darunter Chemikerinnen und Chemiker.

Frauen nur Gasthörerinnen

Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert erhofften sich viele, durch ein Chemiestudium attraktive Arbeitsmöglichkeiten zu finden – ob in der Industrie, in Kontrollämtern, an wissenschaftlichen Instituten oder in der Schule. Das galt auch für Jüdinnen und Juden. Frauen erhielten grundsätzlich nur den Status einer Gasthörerin. Erst zwischen 1900 und 1909 wurden Frauen im Deutschen Reich regulär zur Immatrikulation zugelassen. In der Chemie strebten viele von ihnen neben dem Abschluss des Verbandsexamens die Promotion an. Unter den ersten zehn Frauen, die in Deutschland in der Chemie seit 1874 promoviert hatten, waren sieben jüdischer Herkunft: Clara Immerwahr (1870 – 1915), Amalie Hertz (1878 – 1942)1a), Wera Krilitschewsky (1881 – 1944), Ottilie Jakowkina (1881greg – ?), Anna Hamburger (1873 – 1942), Paula Blum verh. Türk (1881 – nach 1922)1b) und Hedwig Fraenkel (1881 – 1939)2). Teilweise waren sie getauft, um sich besser anpassen zu können.

Wenig bekannt ist über die Frauen, die an der Deutschen Universität in Prag studierten und promovierten.3) Die erste Promotion einer Frau in der Chemie erfolgte dort 1908 – es war Charlotte Weil verh. Ott (1886 – ?), mosaischer Religion. Auch dort gab es viele Frauen jüdischer Herkunft, unter den ersten zehn waren es acht, nämlich neben Charlotte Weil Margarethe Lasch (1884 – ?), Grete Egerer verh. Seham (1887 – 1948), Gertrud Kornfeld (1891 – 1955), Alice Hofmann verh. Meyer (1891 – 1981), Sophie Loria (1884 – ?), Gertrud Weil verh. Ritter (1896 – 1981) und Marianne Grünwald (1896 – 1959).

Die meisten dieser Frauen lebten und litten – teilweise dann hochbetagt – ebenso wie deutlich jüngere in der Zeit des Nationalsozialismus. Trotz moderner Recherchemöglichkeiten ist es heute noch schwierig, die Lebenswege nachzuvollziehen. Neben den in diesem Beitrag beleuchteten Frauen Wera Krilitschewsky, Anna Hamburger und Gertrud Kornfeld gibt es bereits Artikel über Else Hirschberg (1892 – 1942) und Lili Wachenheim (1893 – 1989) [Nachr. Chem. 2018, 66, 542 bzw. 2022, 70(7|8), 22].

Schutz durch eine „Mischehe“? – Wera Krilitschewsky

Wera Krilitschewsky wurde am 25. Februarjul./9. Märzgreg. 1881 in Odessa geboren. Sie besuchte das Mädchengymnasium ihrer Heimatstadt, das sie 1898 mit dem Reifezeugnis verließ. Danach besuchte sie eine pädagogische Ergänzungsklasse, um das Lehrerinnenzeugnis zu erhalten.

Ab Wintersemester 1899/1900 studierte sie, wie sie im Lebenslauf in ihrer Doktorarbeit schreibt, in Berlin zwei Semester Naturwissenschaften, ging dann nach Halle und konzentrierte sich auf Chemie. Weder in Berlin noch in Halle wurde sie regulär immatrikuliert, sondern hatte den Status einer Gasthörerin.

Im Jahr 1902 bestand Krilitschewsky bei Jacob Volhard (1834 – 1910) das Verbandsexamen. Da zu dieser Zeit in Halle Frauen nicht die Möglichkeit hatten zu promovieren, setzte sie ihre Studien in Gießen fort und fertigte ihre Arbeit „Zur Kenntnis des Cersulfat-Akkumulators“ unter Karl Elbs (1858 – 1933) an. Vor dem Rigorosum, dass sie am 2. Juli 1904 bestand, musste sie noch eine Ergänzungsprüfung in Elektrochemie ablegen.

Krilitschewsky war die erste Frau, die in Hessen auf regulärem Weg den Doktorgrad erwarb. Danach kehrte sie nach Halle zurück, denn dort hatte sie ihren zukünftigen Ehemann Carl Tubandt (1878 – 1942) kennengelernt.4) Sie ließ sich taufen und heiratete (Foto oben).

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Carl und Wera Tubandt, vermutlich im Jahr 1910. Stadtarchiv Halle

Carl Tubandt hatte im gleichen Jahr promoviert wie seine Frau, jedoch in Halle. Nach der Habilitation wurde er 1915 außerordentlicher und 1921 ordentlicher Professor für physikalische Chemie. Seinen Forschungsschwerpunkt bildete die Untersuchung und Deutung des elektrischen Leitvermögens kristallisierter Salze.

Wera nunmehr Tubandt gab ihre akademische Laufbahn auf und widmete sich der Familie. Sie engagierte sich im Deutschen Akademikerinnenbund und hielt Vorträge zu Goethes Werk oder zur Rolle der Persönlichkeit im Familienleben. Weras jüdische Abstammung führte dazu, dass die Universität Halle ihren Mann im Jahr 1937 auf Grundlage von Paragraph 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entließ.

Carl Tubandt war nicht bereit, sich von seiner „nicht arischen“ Ehefrau zu trennen. Das Ehepaar zog daraufhin zu den mittlerweile in Berlin-Zehlendorf lebenden Töchtern. Dort erkrankte Carl Tubandt, er starb am 17. Januar 1942. Damit galt der Schutz durch eine privilegierte Mischehe nicht mehr, Wera Tubandt sollte in ein Konzentrationslager deportiert werden. Sie versteckte sich und unternahm Reisen zu Freunden. Doch schließlich sah sie nur noch einen Ausweg: Am 9. Februar 1944 schluckte sie Gift und nahm sich so das Leben. Ihre beiden Töchter überlebten den Krieg.5)

In Halle erinnert ein Stolperstein in der Carl-von-Ossietzky-Straße 16 an Wera Tubandts Schicksal.

„In den Ruhestand versetzt“ – Anna Hamburger

Läuft man in Heidelberg durch die Helmholtzstraße, findet man vor dem Haus mit der Nummer 18 Stolpersteine. Sie erinnern an die Zwillinge Anna und Klara Hamburger, die am 5. Juni 1873 in Breslau geboren wurden. Anna hat die städtische höhere Töchterschule „Augustaschule“ in ihrer Heimatstadt besucht und dann einige Jahre als Hospitantin an den Fortbildungskursen der Zimpelschen Höheren Töchterschule teilgenommen. Im Winter 1894/95 wurde sie im Frauenbildungsverein zu Breslau zur Buchhalterin ausgebildet und war dann als solche von 1895 bis 1900 tätig. Privatim bereitete sie sich auf die Reifeprüfung vor, die sie 1900 am Königlichen Realgymnasium zu Reichenbach in Schlesien bestand.

Danach nahm sie als Gasthörerin ein Studium der Chemie, Physik, Mathematik und Philosophie an der Universität Breslau auf. Nachdem sie dort im Januar 1903 das Verbandsexamen bestanden hatte, absolvierte sie das Sommersemester in Heidelberg. Dort hatte sie sich am 29. April 1903 regulär für Naturwissenschaften immatrikulieren können, da sich die badischen Universitäten bereits den Frauen geöffnet hatten.6)

Wieder in Breslau, fertigte sie von Oktober 1904 bis Januar 1906 in der physikalisch-chemischen Abteilung des chemischen Instituts auf Anregung von Richard Abegg (1869 – 1910) ihre Doktorarbeit „Über die festen Polyjodide der Alkalien“ an. Sie bestand am 24. April 1906 das Rigorosum7) und wurde am 12. Mai 1906 promoviert, nachdem sie einen Vortrag über die Bedeutung der physikalischen Chemie für die organische Chemie gehalten hatte. Als ihre akademischen Lehrer gab sie unter anderen an: Richard Abegg, Georg Bredig (1868 – 1944), Theodor Curtius (1857 – 1928), Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), Albert Ladenburg (1842 – 1911), Otto Sackur (1880 – 1914) und Franz London (1863 – 1917),8) den Ehemann ihrer Schwester Luise. Abegg dankt sie besonders, und zwar „für seine freundliche Unterstützung bei der Ausführung derselben, sowie für mannigfache wissenschaftliche Förderung und sein mir persönlich bewiesenes Wohlwollen“.9)

Im Jahr darauf bestand sie das Staatsexamen in Chemie, Mineralogie und philosophischer Propädeutik für die Oberstufe und in Physik und reiner Mathematik für die Unterstufe.10) Hamburger hatte gehofft, in der Höheren Mädchenschule in Heidelberg ihre Probezeit zu absolvieren, denn sie wollte zu ihrer Schwester Klara ziehen, die dort am Zoologischen Institut arbeitete. Doch es fand sich keine Stelle, weswegen sie an die Elisabethschule in Mannheim ging. Schon im ersten Jahr erhielt sie eine sehr gute Beurteilung, sie übertreffe die anderen Kandidaten erheblich, hieß es. Ihre im Jahr 1909 verfasste schriftliche Abschlussarbeit „Das chemische Praktikum in der Obersekunda der Oberrealschule“ war sehr gelungen. Die Probelektion bestand sie mit Bravour: „Der Unterricht war lebendig und anregend. Aus den Einzelerscheinungen wussten die Schülerinnen die Gesetze selbständig abzuleiten und die chemischen Formeln ebenso selbständig darzustellen. Der Unterricht stand auf einem hohen Niveau.“11) An anderer Stelle heißt es: „Ganz besonders möchten wir hervorheben, dass es ihr sehr gut gelungen ist, die Schülerinnen für ihr Unterrichtsgebiet zu interessieren und zu selbständiger Tätigkeit anzuregen.“12)

Eine der Schülerinnen Hamburgers war Wilma Bender verh. Schneehagen (1891 – 1981), die ab September 1903 die Elisabethschu-le in Mannheim besucht hatte. Ab 1907 wurde sie auch von Anna Hamburger unterrichtet. Diese erkannte Wilmas Begabung und förderte sie. Wie Wilmas Enkel Gerhard Rist berichtete, überzeugte die Lehrerin die Vormünder der verwaisten Wilma, dass diese unbedingt das Abitur machen sollte. Wilma studierte – vielleicht auch mit finanzieller Unterstützung Anna Hamburgers – nach dem Abitur an der Universität Heidelberg Mathematik und Naturwissenschaften. Im Jahr 1915 promovierte sie mit einer Arbeit über „Neue Methoden zur Gewinnung des Radiumchlorids aus Uranerzen“, die sie Anna Hamburger widmete.

Im Jahr 1911 wurde aus der Elisabethschule heraus die Liselotteschule als zweites Mädchengymnasium in Mannheim gegründet und ein Teil des Lehrkörpers dorthin versetzt – darunter Anna Hamburger (Foto oben). Im Mai 1912 bewarb sie sich um die ausgeschriebene Professorenstelle und wurde am 30. Juli 1912 durch den Großherzog zum Professor ernannt. Vermutlich war sie die erste Professorin an einer weiterführenden Mädchenschule in Baden.13)

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Lehrerkollegium der Liselotteschule um 1918/19 – wer Anna Hamburger ist, ist unklar. Liselotte-Gymnasium Mannheim

Anna Hamburger war sehr um ihre eigene Weiterbildung bemüht, sie besuchte Ferienkurse, Tagungen und ist im Wintersemester 1919/20 als Hörerin der von August Kopff (1882 – 1960) gehaltenen Vorlesungen über Relativitätstheorie aufgeführt.14)

Alle in der Personalakte überlieferten Beurteilungen weisen sie als eine erfahrene und kenntnisreiche, vorbildlich fleißige Lehrerin aus.

Wieder der Arierparagraph

Am 7. April 1933 wurde Anna Hamburger mit sofortiger Wirkung auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beurlaubt, doch im Mai 1933 wieder „in ihren Dienst eingewiesen“, da sie seit 1914 ununterbrochen Beamtin gewesen wäre. Welchen antisemitischen Anfeindungen sie zu dieser Zeit ausgesetzt war, ist unbekannt. Sie stellte im März 1934 den Antrag, zum Schuljahresende in den Ruhestand versetzt zu werden, und zog zu ihrer Schwester nach Heidelberg.

Beide bemühten sich um die Ausreise. Einigen Verwandten war die Flucht gelungen, darunter die Neffen Fritz (1900 – 1954) und Heinz (1907 – 1970) London. Im Jahr 1939 hatten die Schwestern auf Grundlage von Affidavits Familienangehöriger, also Bürgschaften eines Bürgers des Aufnahmelandes für einen Einwanderer, die Auswanderungsanträge gestellt und die verpflichtenden Zahlungen wie die Reichsfluchtsteuer geleistet.

Doch am 22. Oktober 1940 wurden sie wie viele andere jüdische Menschen aus Baden nach Gurs in Frankreich deportiert und lebten dort unter dramatischen Verhältnissen. Trotzdem kümmerten sie sich intensiv um die Mitinternierten. Anna war in ihrer Lagerbaracke als Vertreterin der 1927 gegründeten jüdischen Auswanderungshilfsorganisation HICEM aktiv, Clara organisierte wöchentlich Kulturabende.15) Glücklicherweise wurden bereits gestellte Anträge jedoch weiter bearbeitet, sodass einem Teil der Deportierten die Emigration gelang, bevor auch dieser Teil Frankreichs besetzt wurde.

Die Hamburger-Schwestern unterstützte ein entfernter Verwandter, Paul Baerwald (1871 – 1961). Er hatte das American Jewish Joint Distribution Committee mitbegründet. Seine Adresse gaben sie bei der Ankunft in New York am 6. August 1941 an. „Die Auswanderung gelang zu unser aller Freude auch zwei allgemein beliebten Heidelbergerinnen, den Schwestern Hamburger […] Ihre Güte ist unvergessen geblieben und wir waren froh zu hören, daß ihnen in Kalifornien noch ein hellerer Lebensabend geleuchtet hat.“16) Anna starb allerdings bereits am 20. Januar 1942 in Alameda County (Kalifornien).

Neuanfang in den USA – Gertrud Kornfeld

Eine Existenz in den USA aufzubauen, gelang Gertrud Kornfeld (Foto S. 32). Sie kam am 25. Juli 1891 in Prag als Tochter des jüdischen Fabrikanten Friedrich Kornfeld zur Welt und studierte vom Wintersemester 1910/11 bis zum 2. Juni 1915 an der Prager Deutschen Universität Chemie, physikalische Chemie und Physik. An jenem Tag hatte sie ihre Promotion erfolgreich beendet. Sie hatte in der physikalischen Chemie bei Victor Rothmund (1870 – 1927) geforscht und die Arbeit „Über Hydrate in Lösung“ angefertigt. Danach war sie am Chemischen Institut als „Demonstrantin“ und dann als Assistentin bei Rothmund beschäftigt. Im Jahr 1919 – nach Gründung der Tschechoslowakei – verließ sie Prag und ging an die Technische Hochschule Hannover zu Max Bodenstein (1871 – 1942), mit dem sie 1925 an das Physikalisch-Chemische Institut der Berliner Universität wechselte.

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Gertrud Kornfeld erschienen im Democrat and Chronicle (Rochester, New York), 21. Oktober 1951, S. 61

Nach ihrer Habilitation wurde sie Privatdozentin und hielt Vorlesungen zu Photochemie, chemischer Kinetik sowie Atom- und Molekülspektren. Sie war die erste habilitierte Chemikerin an einer deutschen Universität.

Im Herbst 1933 wurde ihr die Lehrbefugnis entzogen, sie flüchtete nach England und erhielt dank des Academic Assistance Council mehrere Stipendien. Da sie keine Festanstellung fand, ging sie zwei Jahre später nach Wien, wo sie bei Hermann Mark (1895 – 1992) arbeitete. Doch sie fand keine für sie geeignete feste Anstellung. Mit Hilfe der American Association of University Women emigrierte sie schließlich in die USA. Ihre universitäre Karriere konnte sie nicht fortsetzen, aber sie fand eine Anstellung als Forschungschemikerin beim Unternehmen Eastman Kodak in Rochester.17)

Karriere bei Kodak

Kornfeld war die erste Frau bei den Kodak Research Labs (RKL), die in den 1940er-Jahren in eine Führungsposition aufrückte und Mitglied des Wissenschaftlichen Komitees wurde, auch wenn ihre anfängliche Aufgabe die Durchsicht der – speziell fremdsprachigen – Fachliteratur gewesen ist.18) Kenneth Mees (1882 – 1960) dankt ihr zum Beispiel für die Hilfe bei der Überarbeitung des Vorworts zu seinem Buch „Die Theorie des fotografischen Prozesses“. Wie der Wissenschafts- und Technikhistoriker Joris Mercelis berichtet, erlebte sie wieder Diskriminierung, nun aber nicht als Jüdin, sondern als Frau. Sie soll gesagt haben: „I am not a lady. I am a scientist,” als ihr wieder einmal der Zutritt zum Labor verwehrt wurde. Im Jahr 1946 wurde sie eine der „research supervisors“ in der neuen Abteilung „Photo Theory“. Sie wirkte für all die jungen Frauen, die an das KRL kamen, als Vorbild. 1955 verstarb Gertrud Kornfeld unerwartet.19)

Alle drei hier vorgestellten jüdischen Frauen erlebten antisemitische Anfeindungen. Anna Hamburger musste vorzeitig in den Ruhestand gehen, Gertrud Kornfelds akademische Karriere wurde gebrochen, Wera Tubandt sah nur den Tod als Ausweg.

Leider sind auch heute wieder antisemitische Bestrebungen präsent. Erinnern wir uns, damit sich die Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht wiederholen.

Die Autorinnen

Diesen Beitrag verfassten Gisela Boeck (oben) und Eva Herrmann-Dresel. Boeck, Jahrgang 1954, ist seit 2021 Gastprofessorin an der Technischen Universität Riga und lehrt Geschichte der Chemie. Bis 2020 leitete sie an der Universität Rostock die Chemieausbildung in medizinischen Studiengängen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Fachgruppe Geschichte der Chemie. Herrmann-Dresel, Jahrgang 1951, ist seit ihrem Diplomübersetzerexamen für Russisch und Englisch im Jahr 1976 freiberufliche Übersetzerin und bei Gericht beeidigt. Im Jahr 1986 schloss sie ihr Studium mit der Promotion im Fach Slavische Philologie mit Nebenfach Allgemeine Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft ab. Viele Jahre hatte sie Lehraufträge am Institut für Übersetzen und Dolmetschen in Heidelberg.https://media.graphassets.com/6duSz8WR9m9nAZiQEYaghttps://media.graphassets.com/WPud9GntRyW1RyFUxlXA

  • 1 a) The Jewish Gen Holocaust Database; b) Paula Blum leitete später vermutlich eine private Chemieschule für Damen, sie war kurzzeitig Abgeordnete im Preußischen Landtag. Siehe: B. Görs: Die chemisch-technische Assistenz zur Entwicklung eines neuen beruflichen Tätigkeitsfeldes in der Chemie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: T. Wobbe (Hg.): Frauen in Akademie und Wissenschaft: Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700–2000. Akademie Verlag, Berlin 2002, S. 169–195
  • 2 Hedwig Fraenkel heiratete Alfred Byk. Siehe dazu: S. L. Wolff, Physik Journal 2020, 19(11), S. 35–36
  • 3 Eine zusammenfassende Arbeit zu den Frauen an der Deutschen Universität in Prag soll im Jahr 2023 erscheinen.
  • 4 Für den Hinweis auf die Verbindung zwischen Wera und Carl Tubandt Dank an Frank Kuschel.
  • 5 Vgl. S. Gerstengarbe: Carl Tubandt und Wera Tubandt. In: F. Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933–1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Universitätsverlag Halle-Wittenberg 2016, S. 321–332
  • 6 Heidelberg, Universitätsarchiv, UAH M13, Matrikel der Universität Heidelberg 1386–1936, hier 1895–1906, Nr. 131
  • 7 In der Literatur wird manchmal der 25. April angegeben. „24. April“ beruht auf dem Lebenslauf in der Personalakte [Generallandesarchiv Karlsruhe 235–1 Nr. 1542, Ministerium des Kultus und Unterrichts, Personalakten, Hamburger, Anna (1907–1957)]
  • 8 Vgl. B. Bergmann, M. Epple (Hg.): Jüdische Mathematiker in der deutschsprachigen akademischen Kultur: eine Wanderausstellung im Rahmen des Jahres der Mathematik 2008, Springer, Berlin, Heidelberg 2008, S. 92
  • 9 A. Hamburger: Über die festen Polyjodide der Alkalien. Grass, Barth und Comp., Breslau 1906
  • 10 Bewerbungsschreiben um die Professorenstelle vom 20. Mai 1912
  • 11 Generallandesarchiv Karlsruhe 235–1 Nr. 1542, Ministerium des Kultus und Unterrichts, Personalakten, Hamburger, Anna (1907–1957), Gutachten über die Probelektion vom 29. Mai 1909
  • 12 Generallandesarchiv Karlsruhe 235–1 Nr. 1542, Ministerium des Kultus und Unterrichts, Personalakten, Hamburger, Anna (1907–1957), Schreiben der Großh. Direktion der Höheren Mädchenschule vom 6. Februar 1909
  • 13 E. Hiegel: Das Lehrerinnenzölibat im Grossherzogtum Baden 1879 bis 1918. Bachelor-Arbeit. Universität Freiburg im Breisgau 2014, S. 36
  • 14 R. Wielen, U. Wielen: August Kopff, die Relativitätstheorie, und zwei Briefe Albert Einsteins an Kopff im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts. Heidelberg 2013, S. 181 (open access auf HeiDOK).
  • 15 Stadtarchiv Heidelberg: Brief von Edith London an die Jüdische Kultusgemeinde Heidelberg vom 22. Februar 1994
  • 16 M. Baum: Vergessene und Unvergessene aus der Stadt Heidelberg. In: H. Maas, G. Radbruch, L. Schneider (Hg.): Den Unvergessenen. Opfer des Wahns 1933 bis 1945. Lambert Schneider, Heidelberg 1952, S. 101–102
  • 17 I. Korotin (Hg.): biografıA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2, S. 1756–1757 t1p.de/8m5nt
  • 18 A. B. Vogt: Gertrud Kornfeld (1891–1955). In: J. Apotheker, L. Simon Sarkadi: European Women in Chemistry. Wiley, Weinheim 2011, S. 89–91
  • 19 J. Mercelis, Ambix 2022, 69(3), 314

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