Bildung & Gesellschaft

<h2>Zu wenig freie Plätze für wissenschaftlichen Nachwuchs</h2>Die Stellen für eine Professorenlaufbahn sind in Deutschland knapp. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts strebten zwischen 2012 und 2014 insgesamt 12 000 von 60 000 befragten Promovierenden eine Professur an. Dem stehen 2200 ausscheidende Professoren zwischen 2022 und 2024 gegenüber. Setzt man die Zahlen der diesjährigen Wissenschaftlerbefragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wirtschaftsforschung (DZHW) ins Verhältnis zu den Angaben des Statistischen Bundesamtes, so bleibt 82 % der ambitionierten Nachwuchswissenschaftler eine Professur verwehrt.Knapp die Hälfte der befragten Doktoranden plant, in der Wissenschaft zu bleiben: 20 % mit einer Professur, 30 % in anderen Leitungsfunktionen in Forschung und Lehre. Dem stehen 42 % der Doktoranden gegenüber, die auf eine leitende Position in der freien Wirtschaft zielen. In den Ingenieurswissenschaften wünschen sich 64 % der Akademiker eine Stelle in der Wirtschaft, bei den Naturwissenschaftlern sind dies 51 %.Die DZHW-Wissenschaftlerbefragung stellt zudem einen Zusammenhang zwischen der vertraglichen Situation von Doktoranden und ihren Karrierezielen fest. Besonders Doktoranden mit Jahresverträgen streben Positionen in der freien Wirtschaft an. In den Naturwissenschaften liegt der Anteil der Verträge mit maximal zwölf Monaten Laufzeit bei 44,6 %. Dies wird sich mit dem neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz möglicherweise ändern [Nachr. Chem. 2016, 64, 939]. Außerdem spielt die Betreuung während der Promotion eine Rolle: Doktoranden, die einen engen Kontakt und feste Absprachen mit ihrem Betreuer haben, entscheiden sich häufiger für eine akademische Karriere.In der Qualität der Betreuung sehen 55 % der Nachwuchswissenschaftler Defizite. Diese Meinung teilen 29 % der befragten Professoren.An der DZWH-Befragung beteiligten sich 4844 hauptberufliche Hochschulmitarbeiter, unter ihnen 1753 Doktoranden und 1120 Professoren.Helene Märzhäuser

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Hochschule: kurz notiert

Zu wenig freie Plätze für wissenschaftlichen NachwuchsDie Stellen für eine Professorenlaufbahn sind in Deutschland knapp. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts strebten zwischen 2012 und 2014 insgesamt 12 000 von 60 000 befragten Promovierenden eine Professur an. Dem stehen 2200 ausscheidende...

Chemiker forschen in ihrem Berufsalltag nicht nur, sondern müssen ihr chemisches Wissen auch weitergeben. Daher haben wir an der Universität Münster ein Qualifizierungsangebot für Promovierende entwickelt, das ihre Vermittlungsfähigkeiten schult.
<h2>Didaktische Qualifizierung – wer braucht denn so etwas?</h2>Chemiker möchten in erster Linie forschen – und nicht Wissen vermitteln. Dies zeigt unsere Studie mit Chemikern aus Industrie und Hochschule deutlich.Doch was macht ein Chemiker, wenn er Forschungsergebnisse auf einer Tagung, in einer Publikation oder in einem Gespräch mit dem Vorstand präsentiert? Wenn er einen Projektantrag stellt und sich der Geschäftsführer einer GmbH als Jurist mit geringem chemischen Wissen erweist? Oder wenn er dem Finanzamt verdeutlichen muss, dass es sich bei den 100 000 Euro, die jährlich für Forschungszwecke abgesetzt werden, tatsächlich um Ausgaben für chemische Forschung handelt?1) In all diesen Situationen vermitteln Chemiker Fachwissen. Ein Chemiker aus der Industrie bringt es auf den Punkt: „Denn es ist natürlich am Ende so, dass Chemiker sehr wahrscheinlich nicht mehr im Labor stehen werden und kochen, sondern viel ihrer Arbeit mit Kommunikation verbringen werden.“1)Unsere Studie mit Chemikern aus Industrie und Hochschule zeigt, wie vielfältig die Situationen sind, in denen Chemiker Fachwissen vermitteln. Allerdings werden sie auf diese Herausforderungen häufig unzureichend vorbereitet.Aus diesem Grund wurde am Institut für Didaktik der Chemie der Universität Münster ein Qualifizierungsangebot für Nachwuchswissenschaftler im Fach Chemie entwickelt.<h2>Forschungsansatz</h2>Kann man ein Qualifizierungsangebot entwickeln und gleichzeitig fachdidaktisch forschen? Eine Antwort auf diese Frage bildet der Design-Based-Research-Ansatz (DBR). Er verbindet fachdidaktische Forschung und deren Anwendung in der Praxis.9) DBR verfolgt stets zwei Ziele:10)<list list-type="simple"><list-item></list-item></list>Entwicklung einer Intervention in einem realen Bildungskontext (zum Beispiel Schule, Universität), die Menschen in der Praxis nützt. Hier: Entwicklung eines didaktischen Qualifizierungsangebots für Promovierende im Fach Chemie.<list-item>Entwicklung von Theorien, die über das Projekt hinausweisen. Hier: unter anderem Entwicklung eines Modells, das wiedergibt, welche didaktischen Fähigkeiten Chemiker im Berufsalltag benötigen.</list-item>Charakteristisch für den Forschungsansatz ist unter anderem die Kooperation zwischen Forschern und Praktikern, der Einsatz vielfältiger Untersuchungsmethoden sowie eine zyklische Vorgehensweise.11) Das Projekt gliedert sich in sieben Zyklen:1. Zyklus: Untersuchung der Vermittlungsaufgaben von Chemikern und gewünschter Ausbildungsinhalte mit leitfadengestützten Interviews,2. Zyklus: Untersuchung der Vermittlungsaufgaben von Chemikern und gewünschter Ausbildungsinhalte mit einem Fragebogen,3. Zyklus: Erhebung gewünschter Ausbildungsinhalte und Rahmenbedingungen von Promovierenden eines Sonderforschungsbereichs mit einem Fragebogen,4. Zyklus: Entwicklung eines durch Chemiker und Fachdidaktiker validierten Modells, das notwendige (fach-)didaktische Fähigkeiten von Chemikern abbildet,5. bis 7. Zyklus: Entwicklung, Erprobung und Evaluation des Qualifizierungsangebots.<h2>Gibt es das nicht schon?</h2>Viele deutsche Universitäten haben in den letzten Jahren hochschuldidaktische Zentren eingerichtet, die Weiterbildungen für Hochschullehrende anbieten. Eine Online-Umfrage an 30 deutschen hochschuldidaktischen Zentren ergab jedoch, dass Angebote für Chemiker zu fachspezifischen Vermittlungsfähigkeiten fehlen.Fachspezifische Angebote sind aber gerade deshalb notwendig, weil nur sie auf die Besonderheiten des Fachs eingehen können, etwa auf die Fachsprache, die Komplexität und Abstraktheit, den Modelleinsatz, typische Verfahren, Methoden und Anwendungen sowie die Vorstellungen der Lernenden.2)<h2>Was berufstätige Chemiker wünschen</h2>Um ein bedarfsgerechtes Angebot zu entwickeln, wurden zunächst 21 Chemiker aus Industrie und Hochschule in einer Interviewstudie befragt. Diese schilderten berufliche Vermittlungsaufgaben und gaben an, welche didaktischen Ausbildungselemente sie für die Promovierenden als sinnvoll erachten.Anhand typischer Antworten3) wurde ein Online-Fragebogen erstellt, um eine größere Zielgruppe zu erfassen. Wie die Antworten von 92 Chemikern aus verschiedenen Berufssparten zeigen, sind Chemiker mit breit variierenden Adressatengruppen konfrontiert. Dazu zählen Laboranten, Naturwissenschaftler, Studenten, aber auch Laien.Auch die Vielfalt an Vermittlungssituationen und -formen im Berufsalltag der Befragten ist groß: Chemiker geben ihr Fachwissen nicht nur in Vorträgen, Seminaren, Arbeitsgruppentreffen und auf Tagungen weiter, sondern auch in juristischen Beurteilungen, Gutachten, Medienbeiträgen und in Gesprächen. Dabei fällt es vielen schwer, die Inhalte adressatengerecht zu vermitteln. Ein Chemiker beschreibt im Interview typische Schwierigkeiten: „Ich kann mich null auf meinen Zuhörer einstellen. Ich weiß gar nicht genau, wie viel ich dem erzählen muss und warum und wie man das macht. Ich hätte gerne gewusst: Was sind das für Typen, was wollen die hören, was kannst du ihnen zum jetzigen Zeitpunkt sagen, in welcher Form machst du das am besten.“1)Die Befragten halten es für sinnvoll, wenn zu einer didaktischen Qualifizierung von Doktoranden die Gestaltung von adressatengerechten Präsentationen und Postern gehört und sie dafür sensibilisiert werden, welches die Schwierigkeiten bei der Vermittlung chemischen Fachwissens sind (Abbildung 1). Sie wünschen dagegen kaum, universitäre Situationen, beispielsweise die Gestaltung von Vorlesungen zu thematisieren.<figure><img src="https://media.graphcms.com/RTNh7wtgRzCt4YfrYnmg"><figcaption><label>Abb. 1: </label>So beurteilen Chemiker im Beruf den Sinn möglicher Qualifizierungsinhalte. Darstellung der Antworten als relative Häufigkeiten.</figcaption></figure>
<h2>Was Promovierende wünschen</h2>Die Wünsche der Promovierenden wurden ebenfalls per Fragebogen erfasst. Die Befragten bevorzugen ein zeitlich variables, in thematische Blöcke gegliedertes Angebot, das auf folgende Fragen eingeht:<list list-type="simple"><list-item></list-item></list>Welche Schwierigkeiten können bei der Vermittlung von Chemie auftreten und wie kann ich damit umgehen?<list-item>Wie kann ich chemisches Wissen adressatengerecht vermitteln?</list-item><list-item>Wie sollte ich eine gute wissenschaftliche Präsentation und ein Poster gestalten?</list-item><list-item>Wie kann ich meine Präsentations- und Vermittlungsfähigkeiten verbessern?</list-item><list-item>Wie kann ich meine Fähigkeiten durch Selbstreflexion beobachten?</list-item><h2>Das Qualifizierungsangebot</h2>Das Angebot basiert auf den Ergebnissen der Interview- und Fragebogenstudien. Es sieht einen Wechsel von theoretischen und praktischen Phasen vor, damit Nachwuchswissenschaftler das erworbene Wissen in ihren Aufgabenfeldern anwenden können.4) Zudem wurden lerntheoretische Ideen wie reflexives und situiertes Lernen berücksichtigt.5,6)Das Qualifizierungsangebot besteht aus vier Modulen mit jeweils einem thematischen Schwerpunkt: Die Basiseinheit bildet die Grundlage für das Videofeedback- und das Poster-Modul. Abgeschlossen wird die Qualifizierung durch die Anwendungseinheit (Abbildung 2).<figure><img src="https://media.graphcms.com/iA7SKMdPTLmiEYvvcWF5"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Die vier thematischen Schwerpunkte des Qualifizierungsangebots. <named-content>Zeichnungen in Anlehnung an Gizgraphics</named-content></figcaption></figure>
Die Basiseinheit thematisiert lerntheoretische Grundlagen, darunter Erkenntnisse der neurokognitiven und konstruktivistischen Forschung sowie Einflussfaktoren auf chemische Vermittlungsprozesse. Hierzu zählen Diskrepanzen zwischen Alltags- und Fachsprache oder individuelle chemische Vorstellungen von Lernenden.In praktischen Übungen erarbeiten die Doktoranden das Handwerkszeug, um Fachinhalte adressatengerecht zu vermitteln. Zum Beispiel sollen sie im Rahmen einer Präsentation erraten, für welchen Adressaten andere Teilnehmer einen chemischen Fachinhalt aufbereitet haben. Dazu müssen diese ihren Adressaten möglichst präzise charakterisieren und differenzierte Umgangsweisen für verschiedene Personengruppen entwickeln. Dazu können sie auch Analogien nutzen, zum Beispiel wenn sie einem Bäcker eine Versuchsvorschrift in Ähnlichkeit zu einem Kuchenrezept beschreiben.Das zweite Modul greift die Idee des reflexiven Lernens auf.5) Die Promovierenden bereiten einen Kurzvortrag zu ihrem Promotionsprojekt vor. Die Präsentationen werden mit einer Videokamera aufgezeichnet und anschließend von den Doktoranden im Rahmen eines strukturierten Videofeedbacks reflektiert. Um ihre Präsentationen zu verbessern, lernen die Doktoranden die kognitive Theorie des multimedialen Lernens7) kennen und wenden gestaltpsychologische Gesetze8) zum Design von Präsentationsfolien an.Zudem wird die Körpersprache thematisiert; dabei können die Doktoranden Verhaltensweisen trainieren und verbessern.Nach einigen Wochen wiederholen die Teilnehmer den Vortrag, den sie nun überarbeitet haben, in Form einer Stopp-Präsentation. Fällt der Vortragende in alte (körper-)sprachliche Muster zurück, die bereits kritisch reflektiert wurden, so wird der Vortrag kurz unterbrochen. Dies gibt dem Doktoranden Gelegenheit, seine Handlungen unmittelbar in der Situation zu verändern.4)In der dritten Einheit reflektieren Promovierende ihre Poster und überarbeiten sie gegebenenfalls auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien. Hier werden vor allem die grafische Darstellung der Forschungsergebnisse und die chemischen Abbildungen thematisiert.In der letzten Einheit wenden die Doktoranden das Erlernte in authentischen Kontexten an.6) Dies kann ein Vortrag im Arbeitskreis sein oder auch eine Aktivität mit Schülern im Rahmen eines Hochschultags.<h2>Und das soll funktionieren?</h2>Jedes dieser Module wurde in einem zyklischen Prozess in Kleingruppen erprobt und schrittweise verbessert. Die verbesserten Module werden in den kommenden Monaten fortlaufend angeboten, um möglichst viele Doktoranden des Sonderforschungsbereichs sowie des Fachbereichs Chemie zu erreichen. Lernprozesse und Lernfortschritte der Promovierenden werden über ein Mixed-Methods-Design analysiert, das unter anderem Interviews, Fragebögen und Expertenbegutachtungen umfasst.Wir hoffen, dass das erworbene Wissen, die erlernten Strategien sowie die Anwendungsübungen den Doktoranden auch in zukünftigen Situationen helfen, wenn sie wieder einmal vor der Frage stehen: „Chemie vermitteln – aber wie?“<h2>Quergelesen.</h2>Chemiker müssen ihr Fachwissen in vielfältigen Situationen vermitteln. Vielen fällt es dabei schwer, sich auf unterschiedliche Adressaten einzustellen.Das Qualifizierungsangebot „How to communicate chemistry?“ der Chemiedidaktik Münster bereitet Promovierende auf diese Anforderungen vor.Es zeigt, von welchen Faktoren Lehr-Lernprozesse abhängen, thematisiert chemiespezifische Aspekte und gibt den Doktoranden Werkzeuge an die Hand.Die Teilnehmer verbessern durch Videofeedback eigene Präsentationen, üben die Gestaltung wissenschaftlicher Poster und wenden das Erlernte in der Praxis an.<h2>Vitakasten:</h2>Eva Kolbeck promoviert seit Oktober 2014 im Arbeitskreis von Annette Marohn an der Universität Münster. Sie studierte die Fächer Chemie und Mathematik im Master of Education für Gymnasium und Gesamtschule. Der Beitrag beschreibt ihr Forschungsprojekt.<div><img src="https://media.graphcms.com/hHwUmVWBR1CUl9RQeG5A">

</div>Annette Marohn ist Professorin für Chemiedidaktik an der Universität Münster. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der empirisch gestützten Entwicklung von Unterrichtskonzeptionen für den Chemieunterricht.<div><img src="https://media.graphcms.com/H2UeL8bdRFami0Z7BUle">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 Interviews durchgeführt von Eva Kolbeck am 8.9., 26.9. und 8.4.2015, Einsicht bei E. Kolbeck, Münster.</li><li>
2 H.-D. Barke, G. Harsch, A. Marohn, S. Krees, Chemiedidaktik kompakt, Springer, Berlin Heidelberg, 2015.</li><li>
3 P. Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, Beltz, Weinheim, Basel, 2010.</li><li>
4 D. Wahl, Lernumgebungen erfolgreich gestalten, Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2006.</li><li>
5 F. Korthagen, J. Kessel, Educational Researcher 1999, 28 (4), 4–17.</li><li>
6 M. Fölling-Albers, A. Hartinger, D. Mörtl-Hafizovic, Zeitschrift für Pädagogik 2004, 50 (5).</li><li>
7 R. E. Mayer, The Cambridge handbook of multimedia learning, Cambridge University Press, Cambridge, 2005.</li><li>
8 R. Heege, H. Schmidkunz, Naturwiss. Unterr. Chem. 1997, 38 (8), 10–14.</li><li>
9 A. Collins, D. Joseph, K. Bielaczyc, The Journal of the Learning Sciences 2004, 13 (1), 15–42.</li><li>
10 The Design-Based Research Collective, Educational Researcher 2011, 32 (1), 5–8.</li><li>
11 T. Andersson, J. Shattuck, Educational Researcher 2012, 41 (1), 16–25.</li></ul>

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