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Visionäre Chemikerin, Frauenrechtlerin und Pazifistin

Gertrud Woker (1878–1968)

Mit Arbeiten zur Katalyse und zur Giftigkeit von bleihaltigem Benzin machte die Schweizer Chemikerin Gertrud Woker zunächst Karriere an der Universität Bern. Doch als Frau hatte sie keinen leichten Stand in der Wissenschaft, zumal sie sich vehement für ethische Prinzipien in der Wissenschaft, Gleichberechtigung und den Weltfrieden einsetzte.

Gertrud Woker wurde am 16. Dezember 1878 in Bern als Tochter einer Gelehrtenfamilie geboren. Ihr Vater Philipp Woker (1847-1924), der aus Brilon im östlichen Sauerland stammte, war Historiker und Professor für Kirchenrecht. Bildung und Wissen besaßen in der Familie Woker einen hohen Stellenwert und so war Gertrud Woker eine äußerst begabte und fleißige, manchmal aber auch eigensinnige Schülerin. Sie schloss ihre schulische Ausbildung in allen Fächern mit der Bestnote ab. In der Hoffnung, dass sie sich für eine medizinische Laufbahn entscheiden würde, schickte ihr Vater sie nach dem Schulabschluss nach Erfurt zu einem Onkel, der als Chefarzt tätig war.

Woker aber wollte nicht Ärztin werden, sondern Naturwissenschaftlerin. Mit viel Engagement und Hartnäckigkeit setzte sie sich durch und begann im Jahr 1900 ein Chemiestudium an der Berner Universität. Sie schloss das Studium im Jahr 1903 als 25-Jährige mit einer Promotion in organischer Chemie ab. Ihre Doktorarbeit wurde mit summa cum laude bewertet und das Neue Wiener Tagblatt meldete am 17. Januar 1904: „Innerhalb weniger Jahre hat eine junge Schweizerin, Fräulein Gertrud Woker, an der Universität in Bern folgende Examina bestanden: Abiturienten-, Sekundarlehrer-, Doktor- und Gymnasiallehrerexamen.“

Nach einem Studienaufenthalt in Berlin, bei dem sie sich der physikalischen Chemie zuwandte, erhielt Woker im Jahr 1907 die Lehrbefugnis an der Universität Bern. Sie war damit die erste Privatdozentin für Chemie an einer deutschsprachigen Hochschule. In ihrer Antrittsvorlesung über Katalyse erläuterte sie ihr zukünftiges Forschungsgebiet, das sich zu einem wichtigen wissenschaftlichen Betätigungsfeld an der Grenze zwischen Chemie und Biologie entwickeln sollte. Über diese Lebensphase findet sich eine Meldung vom 16. Juni 1907 im Wochenblatt Wiener Hausfrau: „Die Universität Bern hat mit dem beginnenden Sommersemester ihren zweiten weiblichen Dozenten erhalten. […] Die neue, noch sehr junge Privatdozentin Fräulein Gertrud Woker beendete vor mehreren Jahren ihre chemischen Studien in Bern und wird nun ihre neue Karriere eröffnen mit der Antrittsvorlesung über das Thema ‚Probleme der katalytischen Forschung‘.“ Ab 1911 leitete Woker das Institut für physikalisch-chemische Biologie in Bern. Einen Ruf nach Leipzig im selben Jahr lehnte sie ab.

Den praktischen Nutzen ihrer Erkenntnisse hatte Woker stets im Blick. Schon 1917 wies sie auf die Giftigkeit von bleihaltigem Benzin hin. Sie forderte bleifreien Kraftstoff und veröffentlichte erste, viel beachtete Vorschläge zur Herstellung von bleifreiem Motorenbenzin. Trotz ihrer wissenschaftlichen Erfolge hatte sie als Frau keinen leichten Stand. Erst 1933, nachdem sich ausländische Forscher vehement für sie eingesetzt hatten, wurde sie im Alter von 55 Jahren zur außerordentlichen Professorin befördert.

Woker gilt als Wegbereiterin im zukunftsweisenden Grenzbereich zwischen Chemie, Physik, Pharmazie und Biologie. Ihr 1953 erschienenes Lehrbuch „Die Chemie der natürlichen Alkaloide“ fand viel Anerkennung. Sie veröffentlichte außerdem ein Buch zur Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie. Zu erwähnen ist, dass ihre früheren Bücher über die Erwerbstätigkeit von Frauen und den verheerenden Einsatz von Giftgasen in kriegerischen Auseinandersetzungen von der Berliner nationalsozialistischen Studentenschaft auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.

Seit dem Ersten Weltkrieg setzte sich Woker vehement für die Beachtung von ethischen Prinzipien in der Wissenschaft, für den Weltfrieden und für Frauenrechte ein. Wie Clara Immerwahr (1870-1915), die Frau von Fritz Haber (1868-1934), dem späteren Nobelpreisträger und Befürworter des Gaskrieges, engagierte sie sich im Kampf gegen Chemiewaffen, die sie als „Perversion der Wissenschaft“ bezeichnete.

Woker erlebte den Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg, die von den USA über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben im August 1945 sowie die fatale Wirkung von chemischen Waffen während des Vietnamkrieges. Pazifistische Mitstreiterinnen fand sie ab 1915 in der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, dessen Schweizer Zweig sie mitaufbaute.

Als Pazifistin wurde Woker sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland als Landesverräterin und Kommunistin gebrandmarkt. Sie bestritt, je „gegen die Notwendigkeit der Landesverteidigung für die Schweiz“ argumentiert zu haben und betonte eindringlich, sie habe „immer nur gegen den Giftgaskrieg Front gemacht“. Sie sprach sich für die nationale Verteidigung aus und war mit Sicherheit keine Kommunistin, sondern stand fest im Glauben der altkatholischen Kirche. Dennoch musste sie zahlreiche Verleumdungen und Geringschätzungen erleben. Schließlich opferte sie ihre wissenschaftliche Karriere dem Weltfrieden – dem „großen Ganzen“, wie sie es formulierte. Ihr wurde eine psychische Krankheit attestiert und die eigene Familie bezeichnete sie als die „verrückte Tante Trudi“. Ihr Antikriegsengagement trug Woker zudem den Spitznamen „Gas-Trudi“ ein. Ihre engsten Kollegen hatten sie so lange zermürbt, bis sie unter Verfolgungswahn litt. Mit 88 Jahren wurde sie in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Dort, in Marin im Kanton Neuenburg, verstarb Gertrud Woker am 13. September 1968 im Alter von 90 Jahren.

Erst Jahre nach ihrem Tod richtete die Universität Bern ein eigenständiges Institut für Biochemie ein. In Bern und anderen Städten tragen Straßen heute den Namen von Getrud Woker.

Quellen

  • Franziska Rogger: Der Doktorhut im Besenschrank: Das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern, Bern, 1999, S. 178-198.
  • Gerit von Leitner: Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878-1968), Chemikerin & Internationale Frauenliga 1915-1968. Weidler Buchverlag, Berlin, 1998

Hinweis

Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expert*innen. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leser*innen, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.

Autoren

Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns 

Redaktionelle Bearbeitung 

Dr. Uta Neubauer

Projektleitung

Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)

Verantwortlich für den Inhalt der Biographien sind die Autoren.
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