Bildung & Gesellschaft

<p>Georg Henning patentierte die Herstellung eines der brisantesten und wichtigsten Sprengstoffe, war fleißiger Chemiker und zugleich Unternehmer, der mehrere Firmen gründete. Heutzutage ist sein Name fast vergessen – im Gegensatz zu seinen Beiträgen zur Chemie- und Pharmaindustrie.</p>
<h2>Von Kindheit bis Studienzeit</h2><p>Georg Friedrich Henning wurde am 14. Oktober 1863 geboren (Abbildung 1).<sup>1)</sup> Sein Geburtsort Wietstock bei Cammin gehörte zur Provinz Pommern des damaligen Preußens, heute im Nordosten Polens. Henning ist der Sohn des Rittergutsbesitzers August Henning und seiner Frau Ottilie geb. Dumstrey. Die Familie war evangelisch und hatte insgesamt sieben Kinder. Henning bekam die Grundbildung zu Hause und ging dann zur Domschule seiner Heimat. Im Alter von 14 Jahren besuchte er für zwei Jahre das Friedrich-Wilhelm-Realgymnasium zu Stettin.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/BxfqrLT6SBsLz5w9dh2E"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Georg Friedrich Henning (1863 – 1945).<sup>2)</sup></figcaption></figure>
<p>Nach der anschließenden dreijährigen Ausbildung zum Apotheker arbeitete er weitere drei Jahre in verschiedenen Apotheken. Sein Bruder, der Kreisphysikus und Stabsarzt Otto Henning, half ihm, währenddessen das Abitur nachzuholen, sodass die Voraussetzung für ein Studium erfüllt war. In seiner Dissertation dankt Georg Henning seinem Bruder dafür.</p><p>Im Jahr 1886 begann Georg Henning, an der Technischen Hochschule Darmstadt, Pharmazie zu studieren. Bereits nach einem Semester wechselte er nach Berlin, wo er im Jahr 1888 die Staatsprüfung als Apotheker ablegte und bis 1889 Chemie an der dortigen Universität studierte.</p><h2>Dissertation über Alkaloide</h2><p>Henning promovierte vom Wintersemester 1888/1889 bis zum Sommersemester 1889 im ersten chemischen Universitätslaboratorium in Berlin. Sein Betreuer war der Privatdozent Wilhelm Will, Sohn von Heinrich Will, dem Nachfolger Justus Liebigs in Gießen.</p><p>Hennings Dissertation „Beitrag zur Kenntnis der Chinaalkaloide“ (Abbildung 2) gliedert sich in zwei Teile: eine 16-seitige Einleitung und einen 17-seitigen experimentellen Teil. Der Verfasser hatte eine Reihe von Chinaalkaloiden synthetisiert und ihre Eigenschaften untersucht, nämlich Benzoylcinchonin, Benzoylcinchonidin und Methylammoniumhydroxide der beiden Substanzen; Benzoylchinin, Benzoylchinidin sowie einige Alkylhalogenide. Das Material erhielt er von C. F. Böhringer &amp; Söhne in Mannheim, damals ein wichtiger Alkaloidproduzent.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/Im2RrptzReeuo5NlbsKs"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Titelseite der Dissertation von Henning <named-content>Original: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena</named-content></figcaption></figure>
<p>Obwohl zur Nitrierung von Chinaalkaloiden kaum etwas bekannt war, weist Henning am Ende seiner Dissertation darauf hin, dass die entsprechenden Reaktionen der Benzoylverbindungen möglich wären. Durch Umsetzung mit Salpetersäure hatte er Nitroprodukte der vier genannten Benzoylverbindungen erhalten – wahrscheinlich ein wichtiger Grund dafür, dass Henning sich später weiter mit der Nitrierung beschäftigte.</p><p>Seinen Doktortitel erhielt Henning übrigens nicht von der Universität Berlin, sondern von der Universität Erlangen – warum, ist nicht bekannt. Gedruckt wurde seine Dissertation aber in Berlin.</p><h2>Frühe Tätigkeiten als Unternehmer</h2><p>Henning ging nach der Promotion mit seinem Betreuer Will nach Spandau, da Will im Jahr 1889 an das dort neu eingerichtete Forschungsinstitut für Sprengstoffe berufen wurde.<sup>2)</sup> Henning war allerdings unzufrieden mit der geringen Arbeitsauslastung – dass er ein fleißiger Charakter war, bestätigen seine späteren Tätigkeiten als Unternehmer. Um nicht weiter seine Zeit zu verschwenden, kündigte er im Jahr 1891 die Arbeit an dem Spandauer Institut.</p><p>Im Jahr 1892 gründete Henning als Selbstständiger seine erste Firma: ein Untersuchungslaboratorium in der Wilhelmstraße 141 in Berlin. Dort stellte er zunächst Malzextrakt als pharmazeutisches Präparat her, verzichtete aber bald darauf wegen dessen schwacher Marktposition gegenüber Konkurrenzprodukten wie denen von Schering.</p><p>Im Jahr 1893 begann Henning, Ethylchlorid als Lokalanästhetikum zu erzeugen. Dieses Produkt erwies sich als erfolgreich, noch heute steht es unter der Bezeichnung „Chloraethyl Dr. Henning“ in Apotheken. Im Jahr 1900 verkaufte Henning die Firma aus an seinen Schwager Arthur Wedel, denn die Familie von Hennings Frau sollte ihr investiertes Kapital zurückbekommen.<sup>2)</sup></p><p>Ein Jahr später gründete Henning mit einem Mitinhaber seine zweite Firma, diesmal in der Berliner Straße 115 (heute 133) in Charlottenburg unter dem Namen „Chemische und Dampfwäscherei Groß-Berlin Dr. Henning u. G. Zander“. Zander und Henning produzierten dort Autolax, ein pflanzliches Abführelixier. Henning trat später wieder aus dieser Firma aus, der Grund ist unklar.</p><p>Hennings dritte Firma, die „Chemische und pharmazeutische Fabrikation Dr. Georg Henning, Berlin“, gründete er im Jahr 1914 in der Kurfürstenstraße 145 – 147. Ihr späterer Erfolg beruhte besonders auf einem Patent zur Herstellung von Hexogen, das als Ausgangsmaterial für pharmazeutische Zwecke gedacht war.</p><h2>Henning und Hexogen</h2><p>Hennings Ruf in der Chemie beruhte besonders auf einem Patent zur Herstellung von Hexogen, das, so steht es im Patent, technische und medizinische Anwendungen finden soll.</p><p>Hexogen (1,3,5-Trinitro-1,3,5-triazacyclohexan, Abbildung 3) ist eines der wichtigsten energetischen Materialien – oder Explosivstoffe – der modernen Zeit. Henning ließ sich als erster die Herstellung dieses Moleküls patentieren, obwohl manche Quellen angeben, Friedrich Lenze, ein Chemiker im Militärversuchsamt, habe die Substanz im Jahr 1897 entdeckt.<sup>3,4)</sup></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/r9SUr7pnTLuRUIIDn5lf"><figcaption><label>Abb. 3: </label>1,3,5-Trinitro-1,3,5-triazacyclohexan (Trivialnamen: Hexogen, RDX, Cyclonit, T<sub>4</sub>).</figcaption></figure>
<p>In seinem deutschen Patent aus dem Jahr 1898 beschrieb Henning „die Darstellung eines Nitrokörpers aus Hexamethylentetramin und Salpetersäure“.<sup>5)</sup> Er setzte Hexamethylentetramin mit Salpetersäure um und erhielt eine kristalline Vorstufe. Behandeln der getrockneten Kristalle mit Salpetersäure lieferte den „Nitrokörper“ als farblose Kristalle nahezu quantitativer Ausbeute.</p><p>Als Summenformel gab Henning C<sub>3</sub>N<sub>6</sub>H<sub>6</sub>O<sub>6</sub> an, die Substanz schmilzt bei 200 °C unter Zersetzung. Allerdings schlug Henning im Patent keine Struktur vor, und das Potenzial der Substanz als Explosivstoff erwähnte er nur kurz: „Beim raschen Erhitzen explodiert der Körper unter Knall, ohne einen Rückstand zu hinterlassen; gegen Stoß und Schlag ist er unempfindlich, seine Lagerbeständigkeit ist unbegrenzt.“ Der heute gebräuchliche Name Hexogen taucht allerdings in seinem Patent noch nicht auf.</p><p>Hexogen wurde nach der Patentanmeldung nur langsam als Sprengstoff anerkannt. Erst im Jahr 1916 bestätigten zwei deutsche Patente das hohe Anwendungspotenzial Hexogens in der Sprengstofftechnik experimentell.<sup>6,7)</sup> Die Struktur von Hexogen beschrieb drei weitere Jahre später Edmund von Herz in seinem schweizerischen Patent.<sup>8)</sup> Aber auch in diesen Patentschriften kommt der Name Hexogen nicht vor. Er wurde erst im Jahr 1923 literaturbekannt,<sup>9)</sup> der Namensgeber ist allerdings unbekannt. Andere Trivialnamen des später populär gewordenen Sprengstoffs sind RDX (für Research Department Explosive, eingeführt in Großbritannien), Cyclonit (cyclonite, eingeführt in den USA) und T<sub>4</sub> (eingeführt in Italien).<sup>4)</sup> In China nennt man ihn oder , direkt übersetzt aus Hexogen nach dessen Aussprache. Diese Namen sind manchmal irreführend, da das erste Zeichen schwarz bedeutet, was aber mit der weißen Farbe des Stoffs nicht übereinstimmt.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/QCDtFRnNReGzAoI0xEWs">

</div><div><img src="https://media.graphcms.com/9k6yE7oUSICP9G9kZx9E">

</div><div><img src="https://media.graphcms.com/WlmhMF6TSTWR1SnrkFR9">

</div><p></p><p>Wegen seiner hohen Dichte von 1,82 g·cm<sup>–3</sup> und hervorragenden Detonationsgeschwindigkeit von 8750 m·s<sup>–1</sup> sowie der relativ leicht zugänglichen Rohstoffe dient Hexogen seit dem Zweiten Weltkrieg als Hochleistungssprengstoff. Es wird heute sowohl beim Militär als auch für zivile Zwecke wie Bergbau, Erdöl- und Erdgasförderung weltweit verwendet.</p><h2>Hennings Pharmaunternehmen</h2><p>Zu den ersten Produkten der „Chemischen und pharmazeutischen Fabrik Dr. Georg Henning“ gehörten das Beruhigungsmittel Foligan, die Sexualtonika Testogan und Thelygan sowie Wasserstoffperoxid als Desinfektions- und Heilmittel (Abbildung 4). Die Zahl der Produkte vergrößerte sich schnell: Auf der Preisliste aus dem Jahr 1926 waren 24 Arzneimittel zu finden, sechs Jahre später waren es über 40, wobei das Exportgeschäft wichtig war. Die Firma verkaufte im Jahr 1931 ihre Produkte in 42 Ländern, und das Auslandsgeschäft erzielte gut 34 Prozent des gesamten Jahresumsatzes.<sup>2)</sup></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/fjwMsIXR36WviQy1YyOg"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Plakat für Hennings H<sub>2</sub>O<sub>2</sub>-Produkte.<sup>2)</sup></figcaption></figure>
<p>Im Jahr 1929 gründete Henning zusammen mit der polnischen Firma Zaklady Chemiczne „Laokoon“ die Firma „Dr. G. Henning, Chemisch-Pharmazeutische Fabrik GmbH“ in Lemberg in Polen, heute Lwiw in der Ukraine. Das Kooperationsunternehmen war ebenfalls erfolgreich, wurde aber von einem polnischen Gericht im August 1939 – also kurz vor dem Angriff Deutschlands auf Polen – aufgelöst, da die Firma einen neuen deutschen Vertreter ablehnte. Von 1939 bis 1941 war Lemberg Teil der ukrainischen Sowjetrepublik. Nachdem die deutschen Truppen im Jahr 1941 die Stadt besetzt hatten, baute Henning das Lemberger Geschäft wieder auf. Es florierte, bis Ende 1944 wieder die Sowjets die Stadt regierten.</p><h2>Nach Hennings Tod</h2><p>Henning starb im Februar 1945. Die „Chemische und pharmazeutische Fabrikation Dr. Georg Henning, Berlin“ existierte nach seinem Tod und dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiter. Im Jahr 1991 kaufte das US-Pharmaunternehmen Marion Merrell Dow die Firma Henning Berlin, die sich damals zu einem mittelgroßen Unternehmen mit mehr als 450 Mitarbeitern entwickelt hatte. Danach wurde sie mehrmals von verschiedenen europäischen Unternehmen übernommen. Der Firmenname „Henning Berlin“ verschwand dadurch nach und nach, abgesehen vom Lokalanästhetikum „Chloraethyl Dr. Henning“ sowie seinem Produzenten, dessen Firmenname immer noch „Dr. Henning“ enthält. Heutzutage ist der Name Georg Henning unter Chemikern kaum noch bekannt. Die meisten Stellen, an denen der Name erwähnt wird, sind unter den Stichworten „Hexogen“ und „RDX“ in Chemie-Lexika zu finden.</p><p>Xian Wu studierte Materialchemie und Chemie in Nanjing (China) und Braunschweig. Er promovierte im Jahr 2011 in Organometallchemie an der TU Braunschweig. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Forschung und Vertrieb betreibt er zurzeit zwei Handelsunternehmen in Deutschland. Nebenbei beschäftigt ihn seit seiner Studienzeit die Wissenschaftsgeschichte als Hobby.</p>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>G. Henning, Beitrag zur Kenntnis der Chinaalkaloide, Dissertation, M. Driesner, Berlin, 1889.</li><li>
<sup>2 </sup>W. Fischer, Henning Berlin – Die Geschichte eines pharmazeutischen Unternehmens 1913 – 1991, Duncker und Humblot, Berlin, 1992.</li><li>
<sup>3 </sup>H. Kast, Spreng- und Zündstoffe, Friedr. Vieweg &amp; Sohn, Braunschweig, 1921.</li><li>
<sup>4 </sup>Römpp-Chemie-Lexikon Bd. 3 [Hrsg.: J. Falbe, M. Regitz], 9. Aufl. , Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1990.</li><li>
<sup>5 </sup>G. Henning, Verfahren zur Darstellung eines Nitrokörpers aus Hexamethylentetramin, Deutsches Patent 104280, 1898.</li><li>
<sup>6 </sup>Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen GmbH, Verfahren zur Herstellung eines Geschoßtreibmittels, das gegen Schlag verhältnismäßig unempfindlich ist, Deutsches Patent 298539, 1916.</li><li>
<sup>7 </sup>Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen GmbH, Verfahren zur Darstellung von Sprengstoffen und Detonationsüberträgern, Deutsches Patent 299028, 1916.</li><li>
<sup>8 </sup>E. von Herz, Verfahren zur Herstellung eines neuen Sprengstoffes, Schweizerisches Patent 88759, 1919.</li><li>
<sup>9 </sup>H. Kast, Angew. Chem. 1923, 36, 72.</li></ul>


Artikel

Georg Henning ‐ eine Spurensuche

Georg Henning patentierte die Herstellung eines der brisantesten und wichtigsten Sprengstoffe, war fleißiger Chemiker und zugleich Unternehmer, der mehrere Firmen gründete. Heutzutage ist sein Name fast vergessen – im Gegensatz zu seinen Beiträgen zur Chemie- und Pharmaindustrie. Von Kindheit bis...

<p>In naturwissenschaftlichen Fächern fehlt es an Lehrern. Da der Berufseinstieg in die Industrie für Chemiker zurzeit nicht ganz einfach ist, erscheint der Wechsel ins Lehramt als Alternative. Allerdings unterscheiden sich Chancen und Einstellungsvoraussetzungen für Quereinsteiger von Bundesland zu Bundesland.</p>
<p>Die Ausbildung zum Chemielehrer führt üblicherweise über die Universität oder Pädagogische Hochschule. Nach Erstem Staatsexamen oder Master of Education folgt der Vorbereitungsdienst an einem Lehrerseminar und das Zweite Staatsexamen. Geringe Bewerberzahlen, vor allem in den Naturwissenschaften, zwingen die Länder seit mehreren Jahren dazu, alternative Zugangswege zum Lehramt zu öffnen. Daher gibt es die Möglichkeit, auch ohne Erstes Staatsexamen oder Master of Education das Zweite Staatsexamen abzulegen.</p><p>In einigen Bundesländern kann man unmittelbar als Lehrer tätig werden. So wurden im Jahr 2016 deutschlandweit 586 Lehrer ohne Zweites Staatsexamen im naturwissenschaftlichen Bereich eingestellt. Die meisten Einstellungen gab es in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.<sup>1)</sup></p><p>Auch Absolventen von Fachhochschulen oder mit Bachelorabschluss finden Stellen als Lehrer. An Berufsschulen können Meister oder Techniker in technischen Berufen schon länger regulär als Lehrer arbeiten.</p><h2>Vorüberlegungen: nach Sachsen oder an eine Realschule?</h2><p>Bevor ein Absolvent den Quereinstieg ins Lehramt angeht, gilt es zu prüfen, ob im Wunschland und an der Wunschschulart überhaupt Einstellungsbedarf besteht. So ist in Bayern an Gymnasien langfristig kaum mit Einstellung zu rechnen. In Sachsen dagegen ist das Durchschnittsalter der Naturwissenschaftslehrer hoch, die Einstellungschancen sind daher an nahezu allen Schularten gut.<sup>2)</sup> In Hessen wiederum gibt es wenig Bedarf für Chemielehrer an Gymnasien, wohl aber an Haupt- und Realschulen.</p><p>Grundsätzlich sind die Fachkenntnisse eines angehenden Lehrers ohne Lehramtsstudium geschätzt. Allerdings haben Seiten- oder Quereinsteiger Lücken in den Erziehungswissenschaften und keine Unterrichtserfahrung. Die Arbeit mit Studenten oder Auszubildenden, zum Beispiel während einer Promotion oder Berufstätigkeit ist mit Lehrerfahrung vor allem an allgemeinbildenden Schulen nicht zu vergleichen und zählt daher nicht.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/f8C1qMBTTGXyu3CETNE9"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Vor dem Berufseinstieg als Lehrer steht für Chemiker ohne Lehramtsstudium eine berufsbegleitende pädagogische Schulung oder Unterricht am Lehrerseminar im Rahmen des Vorbereitungsdienstes. <named-content>Foto: ra2studio, fotolia</named-content></figcaption></figure>
<p>Oftmals ist es so, dass Kollegen und Ausbilder an Schule und Seminar zunächst nicht wissen, ob ein Lehrer im Vorbereitungsdienst ein Lehramtsstudium absolviert hat oder eine andere Ausbildung. Als Chemiker von der Uni sollte man nicht durchblicken lassen, dass man den eigenen Studiengang für etwas Besseres als ein Lehramtsstudium hält. Man sitzt mit den anderen Referendaren in einem Boot und ist auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Anerkennung von Kollegen und von Ausbildern erhält man mehr durch Interesse an der Lehrtätigkeit, Offenheit für Neues und Kritikfähigkeit, weniger durch fachliche Brillanz.</p><p>Ein Einstieg ins Lehramt darf kein Notnagel sein. Denn der Beruf des Lehrers erfordert hohe soziale Kompetenz, die nicht jeder mitbringt. Die Arbeit mit Schülern bringt zudem andere Belastungen mit sich als zum Beispiel eine Tätigkeit in der Industrie. Oft ist es schwer abschätzen, ob einem der Lehrerberuf liegt. Die fehlende Routine macht den Beruf zwar spannend, kann aber belasten.</p><h2>Der Weg ins Lehramt</h2><p>Grundsätzlich gibt es zwei Wege, um als Chemiker Lehrer zu werden: über das Zweite Staatsexamen oder über eine Dauerstellung im Schuldienst ohne Staatsexamen. In Baden-Württemberg heißt der erste Weg Seiteneinstieg und der zweite Direkteinstieg. Deutschlandweit ist die Sprechregelung allerdings nicht einheitlich. Teilweise werden die Begriffe genau umgekehrt verwendet oder einheitlich als Seiten- oder Quereinstieg bezeichnet. Hier werden die Begriffe wie in Baden-Württemberg verwendet.</p><p>Je nach Bundesland unterscheiden sich Ausbildungsdauer, Inhalt und Ablauf teilweise erheblich. Alle im Folgenden genannten Zeiten und Abläufe zeigen daher nur den groben Rahmen.</p><p>Auch die Bewerbung ist deutschlandweit unterschiedlich geregelt. Bewirbt man sich über eine Zentralstelle, wird man einer Schule zugewiesen. Die einstellende Behörde berücksichtigt bei Ortswünschen gelegentlich familiäre Bindungen oder ortsgebundene Vereinstätigkeiten.</p><h2>Die Laufbahnen</h2><p>Die Lehrämter sind je nach Vorbildung und Schulart nach dem Beamtenrecht dem gehobenen oder höheren Dienst zugeordnet. In der Regel bildet jede Schulart eine eigene Laufbahnrichtung, wobei oft Grund- und Hauptschule, Haupt- und Realschule oder Gymnasium und Gesamtschule zusammengefasst sind. Um zwischen den Laufbahnen zu wechseln, muss man beide Laufbahnbefähigungen besitzen. Ein Realschullehrer kann nicht an ein Gymnasium wechseln und umgekehrt, es sei denn er hat das Zweite Staatsexamen für beide Schularten abgelegt. Zudem sind Realschullehrer dem gehobenen und die Gymnasiallehrer dem höheren Dienst zugeordnet.</p><p>Im gehobenen Dienst ist die Besoldung geringer, da die höchste Besoldungsgruppe hier A13 ist. Im höheren Dienst dagegen beginnen Lehrer in A13, und viele steigen nach A14 auf. Die Differenz in der Besoldung eines Realschullehrers (A13) und eines Oberstudienrates (A14) beträgt etwa 500 Euro.<sup>3)</sup>Außerdem ist die Stundenzahl im höheren Dienst oft niedriger als im gehobenen Dienst. So unterrichten Lehrer an Gymnasien 23 bis 27 Stunden und an Realschulen 24 bis 28 Stunden.<sup>4)</sup></p><h2>Bis zum Zweiten Staatsexamen: der Vorbereitungsdienst</h2><p>Der Seiteneinstieg führt an ein Lehrerseminar oder eine Seminarschule. Dort wird man während des Vorbereitungsdienstes oder Referendariats ausgebildet und legt anschließend das Zweite Staatsexamen als Laufbahnprüfung ab.</p><p>Die Seminarorte sind teilweise weit von den Schulorten entfernt. Allerdings verbringt man im Vorbereitungsdienst wesentlich mehr Zeit an der Schule als am Seminar. Nach der Anfangszeit ist ein Referendar oft nur noch ein oder zwei Tage in der Woche am Seminar und spätestens in der Prüfungszeit nur noch an der Schule.</p><p>Der Vorbereitungsdienst verläuft in allen Bundesländern ähnlich: Er dauert je nach Schulart zwischen 12 und 24 Monate. Am Lehrerseminar erwerben die Referendare theoretische Kenntnisse in Fachdidaktik der Unterrichtsfächer und in Pädagogik, dazu kommen Schul- und Beamtenrecht und fachübergreifende Veranstaltungen.</p><p>Bei der Ausbildung an den Schulen hospitieren die Referendare zunächst im Unterricht und unterrichten unter Begleitung eines Fachlehrers mit Vor- und Nachbesprechung. Nach dieser ersten Phase, teilweise auch sofort, unterrichten die Referendare selbstständig, üblich sind etwa zwölf Stunden. Man sollte die Stundenzahl nicht unterschätzen, denn es kommt der Zeitaufwand für Vor- und Nachbereitung dazu.</p><p>Zu Unterricht, Vorbereitung und Seminarveranstaltungen kommen Schulkonferenzen und andere schulische Veranstaltungen. Zudem müssen Chemielehrer alle Experimente für den Unterricht vorher ausprobieren. Nicht jedes Wochenende ist frei, auch an den Nachmittagen ist man oft beschäftigt.</p><p>Sowohl während des begleiteten als auch während des selbstständigen Unterrichts besuchen die Fachleiter des Seminars, der Mentor an der eigenen Schule und der Schulleiter den Unterricht, beraten den Neuling und beurteilen seine Arbeit.</p><p>Am Ende der Ausbildung stehen Lehrproben: Der Prüfling bereitet eine Unterrichtsstunde zu einem vorher gewählten oder vorgegebenen Thema vor, plant den Unterricht und führt ihn durch und wird schließlich beurteilt.</p><p>Dazu kommt eine schriftliche Arbeit, die zum Beispiel die Planung und den Verlauf einer Unterrichtseinheit darstellt und reflektiert. Dies kann auch unter einem bestimmten Gesichtspunkt aus dem pädagogischen Bereich, wie fächerverbindendem Unterricht oder Differenzierung, geschehen. Außerdem gibt es mündliche Prüfungen in Fachdidaktik, Pädagogik und Schulrecht.</p><p>Die Bundesländer erkennen die Laufbahnprüfungen untereinander an. Mit einem Zweiten Staatsexamen für das Lehramt an Realschulen aus Niedersachsen kann man sich also in Baden-Württemberg bewerben, obwohl dort kein Seiteneinstieg an Realschulen möglich ist.</p><p>Nachteil am Seiteneinstieg ist das relativ niedrige Gehalt während der Ausbildung. Je nach Laufbahn, Familienstand und Land liegt es bei etwa 1500 Euro. Im Beamtenverhältnis fallen nur Steuern und Solidaritätszuschlag an, der Krankenversicherungsbeitrag hält sich in Grenzen. Im Angestelltenverhältnis oder einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis müssen dagegen Beiträge für die Sozialversicherung entrichtet werden. Eine Nebentätigkeit ist wegen des Ausbildungsumfangs schwer möglich.</p><h2>Unterrichten ohne Referendariat: Direkteinstieg</h2><p>Beim Direkteinstieg ist ein Lehrer zwei Jahre im Angestelltenverhältnis in Vollzeit tätig. Die Bezahlung ist höher als im Referendariat. Gleichzeitig ist die Unterrichtsverpflichtung in dieser Zeit reduziert, die Seitenensteiger besuchen dann Veranstaltungen an einem Lehrerseminar, berufsbegleitende pädagogische Schulung genannt. Inhaltlich unterscheidet sich die Schulung nur wenig vom Vorbereitungsdienst.</p><p>Auch beim Direkteinstieg gibt es Lehrproben, und der Einsteiger muss eine schriftliche Arbeit vorlegen. Jedoch steht am Ende nicht immer eine Laufbahnbefähigung wie nach dem Zweiten Staatsexmanen. Ohne diese Befähigung kann man sich in der Regel nicht in einem anderen Bundesland bewerben. Zumindest Baden-Württemberg übernimmt Direkteinsteiger erst nach insgesamt drei Jahren ins Beamtenverhältnis. Die Stelle im Angestelltenverhältnis ist zunächst zwei Jahre bis zum Ende der Qualifizierungsphase befristet. Besteht man die Qualifizierung, so wird der Vertrag um ein Jahr für die Bewährungsphase verlängert. Das Beamtenverhältnis ist dann auf Probe.</p><p>Berlin bildet eine Ausnahme: Direkteinsteiger können sofort unbefristet eingestellt werden, sie qualifizieren sich zwei Jahre berufsbegleitend und erwerben am Ende dieser Zeit die Laufbahnbefähigung. Allerdings sind Lehrer in Berlin grundsätzlich nicht verbeamtet.</p><h2>Nichts für Studienabbrecher – fachliche Voraussetzungen</h2><p>Voraussetzung für den Seiten- oder Direkteinstieg ist für den höheren Dienst ein Diplom- oder Masterabschluss einer Universität, für den gehobenen Dienst ein Diplom einer Fachhochschule oder ein Bachelorabschluss einer Universität oder Fachhochschule.</p><p>Üblicherweise werden Kenntnisse in einem zweiten Fach verlangt. Dieses leitet sich aus den Studieninhalten des studierten Faches ab. Bei Chemikern ist dies Physik, Mathematik oder Biologie. Ein Studium eines zweiten Faches ist nicht notwendig. Damit die Schulbehörden das zweite Fach anerkennen, muss ein Bewerber seine Kenntnisse nachweisen, über Scheine, den Studienplan oder die Studienordnung. Teilweise wird eine bestimmte Anzahl von Semesterwochenstunden oder Leistungspunkten (Creditpoints) verlangt, ein Vordiplom- oder Zwischenprüfungszeugnis (Tabelle). Eventuell muss ein Bewerber eine zusätzliche Prüfung ablegen oder einzelne Vorlesungen besuchen, um die Voraussetzungen zu erreichen.</p><table-wrap>

<label>Table 1</label><h2>Möglichkeiten zum Seiteneinstieg in den einzelnen Bundesländern (Stand Januar 2018). Die Einstellungsverfahren finden zu unterschiedlichen Zeiten statt. LP: Leistungspunkte, SWS: Semesterwochenstunden. Quelle: Kultusministerien</h2><img src="https://media.graphcms.com/tSlbvqWESxmUk51xTiEN">

</table-wrap><p>Fachlich ist man mit einem Diplom- oder Masterabschluss in Chemie gut aufgestellt. Physik oder Mathematik sollte im Studium allerdings nicht nur notwendiges Übel gewesen sein. Zwangsläufig gibt es im Zweitfach Lücken. So haben sich Chemiestudenten an der Universität nur mit Experimentalphysik befasst, Lehramtsstudenten auch mit theoretischer Physik.</p><p>Die Wissenslücken sind in der Schule zu verschmerzen, denn teilweise werden entsprechende Fragen im Seminar behandelt. Durch Grundkenntnisse aus dem Studium kann man seine Lücken selbstständig schließen.</p><p>Für einen Lehrer hingegen wichtig sind praktische Fähigkeiten beim Experimentieren. Die Ausbildung in diesen Fertigkeiten ist auch im Lehramtsstudium je nach Studienort unterschiedlich.</p><h2>Formalia</h2><p>Neben beglaubigten Zeugniskopien muss ein Bewerber eine Erklärung zur Verfassungstreue und über seine wirtschaftlichen Verhältnisse abgeben, eine aktuelle Bescheinigung über eine Erste-Hilfe-Ausbildung vorlegen, ein erweitertes Führungszeugnis sowie ein (amts)ärztliches Zeugnis.</p><p>Beim ärztlichen Zeugnis muss der Arzt bescheinigen, dass nicht mit vorzeitiger Dienstunfähigkeit zu rechnen ist. Hier können Falschangaben auch noch nach vielen Jahren zur Entlassung aus einem Beamtenverhältnis führen.</p><p>Für die Ernennung zum Beamten auf Widerruf, wie im Vorbereitungsdienst oder in der Probezeit üblich, ist die deutsche Staatsangehörigkeit oder eines EU-Landes Voraussetzung. Teilweise ist es möglich als Staatsangehöriger Islands, Liechtensteins, Norwegens oder der Schweiz in ein Beamtenverhältnis berufen zu werden.</p><p>Andere Staatsangehörige können die Ausbildung als Angestellte absolvieren.</p><h2>Die Stellensuche</h2><p>Das Bewerbungsverfahren läuft in den Bundesländern unterschiedlich ab. Inzwischen schreiben viele Länder zumindest einen Teil der Stellen unter Angabe der Schule und der Fächer aus. Man bewirbt sich dann direkt bei der Schule oder einer zentralen Behörde auf die Stelle.</p><p>Auch das Listenverfahren ist verbreitet. Dabei erklärt man seine Einstellungsbereitschaft für bestimmte Orte oder Regionen. Die Schulbehörde weist die Bewerber dann je nach Bedarf und Noten den Schulen zu. Lehnt ein Bewerber eine angebotene Stelle ab, landet er meist am unteren Ende der Warteliste oder bleibt für das Einstellungsjahr ganz ausgeschlossen. Bewerber erfahren im Vorfeld nicht, wo Stellen frei sind.</p><p>In manchen Orten stehen für eine bestimmte Kombination oder ein bestimmtes Fach gar keine Stellen zur Verfügung, sodass selbst Kandidaten mit Bestnoten und einem Mangelfach keine Chance haben, dort eingestellt zu werden. Man sollte bei seinen Ortswünschen daher so flexibel wie möglich sein.</p><p>Insgesamt sind die Einstellungsmöglichkeiten in den Fächern gut, die für den Seiten- oder Direkteinstieg geöffnet sind. Beim Direkteinstieg verbleibt man normalerweise an der Schule, an der man angefangen hat.</p><p>Auch Privatschulen schreiben Stellen aus. Geht man ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit einer staatlich anerkannten Privatschule ein, besteht oft die Möglichkeit gleichzeitig Beamter zu werden. Man wird dann vom staatlichen Schuldienst beurlaubt und erhält das Gehalt von der Privatschule. So kann ein Lehrer später an eine staatliche Schule wechseln.</p><p>Holger Beuttler studierte von 2001 bis 2006 Chemie an der Universität Stuttgart. Dort fertigte er am Institut für Technische Biochemie seine Dissertation an. Anschließend war er Referendar am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart. Seit dem Jahr 2013 unterrichtet er am Georgii-Gymnasium in Esslingen Chemie, Physik, Informatik sowie Naturwissenschaft und Technik.</p><h2>Quergelesen</h2><p>Chemiker mit Universitätsabschluss können in einigen Bundesländern in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt einsteigen, in anderen direkt als Lehrer anfangen.</p><p>Nicht an allen Schulformen gibt es zu wenige Chemielehrer. Einige Bundesländer stellen nur an Haupt- und Realschulen ein.</p><p>Zwischen Bundesländern zu wechseln, ist für Lehrer schwierig, gerade in Mangelfächern.</p>
<ul><h2>Literatur und Quellen</h2><li>
<sup>1 </sup>Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Einstellung von Lehrkräften 2016, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/EVL_2016.pdf" target="_blank">https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/EVL_2016.pdf</a></ext-link></li><li>
<sup>2 </sup>T. Alexe, Sächsische Zeitung 2015, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.sz-online.de/sachsen/sachsens-lehrermarkt-ist-leer-gefegt-3177914.html" target="_blank">www.sz-online.de/sachsen/sachsens-lehrermarkt-ist-leer-gefegt-3177914.html</a></ext-link> (letzter Zugriff: 19.12.2017)</li><li>
<sup>3 </sup>Landesamt für Besoldung und Versorgung, Besoldungstabelle für Baden-Württemberg, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://lbv.landbw.de/documents/20181/42056/3_Besoldungstabelle+01.03.2017-Internet.pdf/" target="_blank">https://lbv.landbw.de/documents/20181/42056/3_Besoldungstabelle+01.03.2017-Internet.pdf/</a></ext-link> (letzter Zugriff: 19.12.2017)</li><li>
<sup>4 </sup>Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Übersicht über die Pflichtstunden der Lehrkräfte an allgemein bildenden und beruflichen Schulen, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Pflichtstunden_der_Lehrer_2014.pdf" target="_blank">www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Pflichtstunden_der_Lehrer_2014.pdf</a></ext-link> (letzter Zugriff: 19.12.2017)</li><li>
<sup>5 </sup>Anonym, Gymnasium Baden-Württemberg, 2016, 5–6, 18</li></ul>


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